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Artikel 100 [Verfassungswidrigkeit von Gesetzen]

(1) 1 Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. 2 Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.

(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

I. Allgemeines

Art. 100 eröffnet mit der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 I), dem Völkerrechtsverifikationsverfahren (Art. 100 II) und der Divergenzvorlage (Art. 100 III) unterschiedliche Möglichkeiten der verfassungsgerichtlichen Überprüfung einfach-gesetzlicher Normen im Rahmen und aus Anlass konkreter gerichtlicher Verfahren. Hält ein Gericht eine anzuwendende Norm für rechtswidrig oder glaubt es, sie sei nicht Bestandteil des Bundesrechts, oder will ein LVerfG bei der Auslegung des GG von einer Entscheidung des BVerfG oder eines anderen LVerfG abweichen, hat es die Entscheidung des BVerfG einzuholen. Die Verfahren nach Art. 100 dienen der einheitlichen Rechtsanwendung und -auslegung.

Verletzt ein Gericht seine gem. Art. 100 I, II oder III bestehende Vorlagepflicht, stellt dies einen Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 I 2 dar, das für die Verfahrensbeteiligten mittels einer Verfassungsbeschwerde durchsetzbar ist (BVerfGE 117, 330 (356)).

II. Konkrete Normenkontrolle

1. Grundlagen

Art. 100 I wahrt die Autorität des parlamentarischen Gesetzgebers im Verhältnis zur Rspr. (BVerfGE 118, 212 (234)). Die Fachgerichte dürfen Gesetze, die sie für verfassungswidrig halten, nicht einfach außer Acht lassen oder gar selbst verwerfen. Sie trifft vielmehr die Pflicht zur Vorlage an das BVerfG oder an ein LVerfG, denen insoweit ein Verwerfungsmonopol zukommt.

Das BVerfG oder ein LVerfG prüft im konkreten Normenkontrollverfahren, ob ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es in einem konkreten Gerichtsverfahren ankommt, mit höherrangigem Bundes- bzw. Landesrecht vereinbar ist. Es handelt sich dabei um ein Zwischenverfahren; das fachgerichtliche Verfahren ist zu diesem Zweck gem. Art. 100 I 1 auszusetzen.

Das BVerfG ist dabei zuständig für Vorlagen, wenn ein Gericht ein Bundesgesetz für unvereinbar mit dem GG hält (Art. 100 I 1 Var. 2), wenn ein Gericht ein Landesgesetz für unvereinbar mit dem GG hält (Art. 100 I 2 Var. 1) sowie wenn ein Gericht ein Landesgesetz für unvereinbar mit einem Bundesgesetz oder sonstigem Bundesrecht hält (Art. 100 I 2 Alt. 2). Ein LVerfG ist zuständig für Vorlagen, wenn ein Gericht ein Landesgesetz für unvereinbar mit der Landesverfassung hält (Art. 100 I 1 Var. 1).

2. Konkrete Normenkontrolle des Bundesverfassungsgerichts

a) Zulässigkeit

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für das konkrete Normenkontrollverfahren vor dem BVerfG ergeben sich im Einzelnen aus Art. 100 I GG iVm § 13 Nr. 11, §§ 80 ff. BVerfGG:

aa) Vorlageberechtigung

Vorlageberechtigt sind gem. Art. 100 I 1 GG, § 80 I BVerfGG alle Gerichte. Dies sind alle staatlichen Spruchkörper, die sachlich unabhängig und in einem formell gültigen Gesetz mit den Aufgaben eines Gerichts betraut und als Gericht bezeichnet sind (BVerfGE 6, 55 (63)), nicht hingegen Rechtspfleger (BVerfGE 101, 397 (405)). Ein Richter ist dann nicht vorlageberechtigt, wenn er Aufgaben der Exekutive wahrnimmt (Art. 92 Rn. 7).

bb) Verfahrensgegenstand

Prüfungsgegenstand der konkreten Normenkontrolle kann nur ein Gesetz sein, für das dem vorlegenden Gericht die Prüfungszuständigkeit fehlt (BVerfGE 10, 124 (127)). Gegenstand der konkreten Normenkontrolle kann deshalb nur ein formelles Bundes- oder Landesgesetz sein (BVerfGE 1, 184 (201)). Die vorzulegende Norm muss rechtlich existent, also verkündet sein (Art. 82 Rn. 12). Die Überprüfung von RVOen fällt in die Zuständigkeit des erkennenden Fachgerichts (BVerfGE 1, 202 (206)).

Nur nachkonstitutionelle Gesetze, dh nach Inkrafttreten des GG verkündete Normen, können Gegenstand einer konkreten Normenkontrolle sein (BVerfGE 2, 124 (128); 70, 126 (129)). Einschränkend gilt allerdings, dass eine Norm nur dann Gegenstand einer konkreten Normenkontrolle sein kann, wenn sie gegen eine im Zeitpunkt ihrer Entstehung bereits existente höhere Norm verstößt (BVerfGE 65, 359 (373); Sachs/Detterbeck Art. 100 Rn. 9).

Vorkonstitutionelle Gesetze werden im Verfahren nach Art. 100 I nur überprüft, wenn sie der Gesetzgeber nach Inkrafttreten des GG „in seinen Willen aufgenommen“ hat (BVerfGE 66, 248 (254)). Dies ist der Fall, wenn der Bestätigungswille des Gesetzgebers sich aus dem Inhalt des Gesetzes selbst oder aus dem engen sachlichen Zusammenhang zwischen unveränderten und später geänderten Normen objektiv erschließen lässt (BVerfGE 11, 126 (131 f.); MKS/Sieckmann/Kessal-Wulf Art. 100 Rn. 27). Davon ist insbes. auszugehen, wenn eine alte Norm als Gesetz neu verkündet wird, wenn eine nachkonstitutionelle Norm auf eine vorkonstitutionelle verweist oder wenn ein begrenztes und überschaubares Rechtsgebiet durchgreifend geändert wird und veränderte und unveränderte Normen eng miteinander zusammenhängen (BVerfGE 70, 126 (129 f.); 97, 117 (122 f.)). Entsprechendes gilt für fortgeltendes Recht der DDR, da es ebenfalls nicht unter der Herrschaft des GG erlassen wurde, das der nachkonstitutionelle Gesetzgeber aber in seinen Willen aufnehmen kann (BVerfGE 97, 117 (124)).

Grds. können nur Akte deutscher Staatsgewalt Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens sein. Das BVerfG ist daher grds. gehindert, über die Gültigkeit von sekundärem EU-Recht zu entscheiden (BVerfGE 22, 293 (295 ff.); 37, 271 (283); 118, 79 (95)). In analoger Anwendung von Art. 100 I hält das BVerfG in seiner Solange-Rspr. die Überprüfung von sekundärem EU-Recht jedoch ausnahmsweise für zulässig, wenn ein Gericht eine entscheidungserhebliche Vorschrift des Unionsrechts für unanwendbar hält, weil und soweit sie mit einem der Grundrechte des GG kollidiert (BVerfGE 37, 271 (285)). Zunächst hatte das BVerfG sich die Überprüfung in seiner Solange I-Entscheidung aus dem Jahr 1974 angesichts des unzureichenden Grundrechtsschutzes auf europäischer Ebene ausdrücklich vorbehalten (BVerfGE 37, 271 (285)). In Anbetracht der vom EuGH seither in Anlehnung an die EMRK aus allg. Rechtsgrundsätzen entwickelten Grundrechtsjudikatur (dazu Haratsch/Koenig/Pechstein, EuropaR, 2023, Rn. 635) hat das BVerfG seine Rspr. in der Solange II-Entscheidung aus dem Jahr 1986 (BVerfGE 73, 339) modifiziert. Es wird seine Jurisdiktion über die Anwendbarkeit von sekundärem EU-Recht, das als Rechtsgrundlage für Akte deutscher Gerichte oder Behörden dient, nicht mehr ausüben und dieses Recht nicht mehr am Maßstab der Grundrechte des GG überprüfen. Entspr. Vorlagen nach Art. 100 I sind unzulässig, solange der EuGH einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Unionsgewalt generell gewährleistet, der dem vom GG jew. als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist (BVerfGE 73, 339 (387)). An dieser Rspr. hat das BVerfG seither festgehalten (BVerfGE 102, 147 (162 f.); 118, 79 (95); 152, 216 (235 f.)).

Nach Auffassung des BVerfG kann sekundäres EU-Recht in Anlehnung an die Solange-Rspr. in analoger Anwendung von Art. 100 I 1 auch im Rahmen einer sog. Identitätskontrolle vorgelegt werden, um zu überprüfen, ob es mit dem grundgesetzlich abgesicherten Kerngehalt der Verfassungsidentität gem. Art. 23 I 3 iVm Art. 79 III im Einklang steht (BVerfGE 123, 267 (353, 397)).

Eine Überprüfung von sekundärem EU-Recht in analoger Anwendung von Art. 100 I ist auch im Rahmen einer sog. Ultra-vires-Kontrolle möglich (BVerfGE 89, 155 (188, 210); 123, 267 (353 ff.)). Ein Ultra-vires-Akt liegt vor, wenn Handlungen der Unionsorgane und -einrichtungen ersichtlich außerhalb der ihnen übertragenen Kompetenzen ergangen sind. Ersichtlich ist ein Kompetenzverstoß nur, wenn er „hinreichend qualifiziert“ ist (BVerfGE 126, 286 (304); 154, 17 (90)). Dies setzt voraus, dass das kompetenzwidrige Handeln der EU offensichtlich ist und der angegriffene Akt im Kompetenzgefüge zwischen Mitgliedstaaten und EU im Hinblick auf das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und die rechtsstaatliche Gesetzesbindung erheblich ins Gewicht fällt (BVerfGE 126, 286 (304); 154, 17 (90)).

cc) Überzeugung von der Verfassungs- oder Bundesrechtswidrigkeit

Nach Art. 100 I 1 ist ferner Sachentscheidungsvoraussetzung, dass das vorlegende Gericht das Gesetz für grundgesetzwidrig oder, falls es sich um ein Landesgesetz handelt, für bundesrechtswidrig hält. § 80 II 1 BVerfGG ordnet zusätzlich an, dass das Gericht bei seiner Vorlage angibt, mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Unvereinbarkeit bestehen soll. Beim vorlegenden Gericht muss die volle Überzeugung von der Unvereinbarkeit bestehen; bloße Zweifel genügen nicht (BVerfGE 1, 184 (189); 132, 360 (367)).

dd) Entscheidungserheblichkeit

Eine für verfassungs- oder bundesrechtswidrig gehaltene gesetzliche Vorschrift darf und muss nur vorgelegt werden, wenn es auf ihre Gültigkeit bei der Entscheidung ankommt. Diese Entscheidungserheblichkeit besteht nur, wenn das Gericht bei Gültigkeit der Norm zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit (BVerfGE 7, 171 (173 f.); 84, 233 (236 f.); 105, 61 (67); 124, 251 (260); 133, 1 (11)). Die Entscheidungserheblichkeit ist nicht berührt, wenn das angegriffene Gesetz zwischenzeitlich außer Kraft getreten ist, sofern von der vorgelegten Vorschrift noch Rechtswirkungen für das beim Fachgericht anhängige Verfahren ausgehen, etwa weil das fragliche Gesetz zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt noch gegolten hatte (BVerfGE 141, 143 (163)). Maßgeblich ist die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts, es sei denn, diese Auffassung wäre offensichtlich unhaltbar (BVerfGE 131, 1 (15); 133, 1 (11); 141, 143 (160 f.)). An der Entscheidungserheblichkeit fehlt es etwa, wenn es bei der Vorlage von sekundärem EU-Recht oder von Unionsrecht umsetzendem nationalen Recht um einen Bereich geht, für den das BVerfG seine Jurisdiktion zurückgenommen hat (BVerfGE 129, 186 (198 f.)). Dies betrifft sekundäres EU-Recht im Anwendungsbereich der Solange II-Rspr. (Rn. 10) sowie nationales Recht, das der Umsetzung von unionsrechtlichen Vorgaben dient, soweit das Unionsrecht dem nationalen Gesetzgeber keinen eine verfassungsrechtliche Prüfung erlaubenden Spielraum belässt (BVerfGE 129, 186 (199); 149, 126 (138)). Ggf. muss die Frage, ob und inwieweit das Unionsrecht dem nationalen Gesetzgeber einen Spielraum belässt, im Wege einer Vorlage an den EuGH gem. Art. 267 I AEUV geklärt werden (BVerfGE 129, 186 (200)).

ee) Rechtsschutzbedürfnis

Regelmäßig entfällt das für ein konkretes Normenkontrollverfahren erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, wenn sich der Ausgangsrechtsstreit erledigt hat. Dies hat idR auch die Erledigung und damit die Unzulässigkeit des Vorlageverfahrens zur Folge (BVerfGE 14, 140 (142); 29, 325 (326 f.)). Besteht jedoch ein gewichtiges objektives Bedürfnis an der Klärung einer durch eine Vorlage aufgeworfenen Verfassungsrechtsfrage, kann die Vorlage ausnahmsweise trotz Erledigung des Ausgangsverfahrens zulässig bleiben. Denn die objektive, auf Rechtsklärung und Befriedung ausgerichtete Funktion der Normenkontrolle ist darauf gerichtet, durch allgemein verbindliche Klärung verfassungsrechtlicher Grundsatzfragen divergierende Entscheidungen der Gerichte, Rechtsunsicherheit und Rechtszersplitterung zu vermeiden (BVerfGE 142, 313 (334 f.)).

ff) Form

Der Vorlagebeschluss muss der Form des § 80 II BVerfGG genügen. Der Antrag ist gem. § 80 II 1 BVerfGG zu begründen (BVerfGE 83, 111 (116); BVerfGE 131, 1 (15)); insbes. sind die Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Verfassungswidrigkeit (BVerfGE 93, 121 (132)) sowie die Entscheidungserheblichkeit darzulegen (BVerfGE 105, 61 (67); 132, 360 (366)). Die höherrangige Norm, gegen die verstoßen wird, ist anzugeben. Die Akten des Ausgangsverfahrens sind gem. § 80 II 2 BVerfGG beizufügen.

b) Sachentscheidung

Ergibt die verfassungsgerichtliche Prüfung, dass die Einschätzung des vorlegenden Gerichts zutreffend ist, erklärt das BVerfG die Rechtsvorschrift gem. § 82 I iVm § 78 S. 1 BVerfGG für nichtig (BVerfGE 72, 51; 77, 288; 78, 133) oder mit dem GG für unvereinbar (BVerfGE 71, 1; 79, 256 (266); 99, 280; 141, 143 (180)). Erweist sich, dass das Instanzgericht die vorgelegte Rechtsvorschrift zu Unrecht für grundgesetz- oder bundesrechtswidrig gehalten hat, stellt das BVerfG die Vereinbarkeit der Norm mit dem GG oder dem als Prüfungsmaßstab herangezogenen Bundesrecht fest (BVerfGE 69, 174; 77, 370; 78, 104). Sekundäres EU-Recht, welches für im Rahmen einer Grundrechts-, Identitäts- oder Ultra-vires-Kontrolle (Rn. 10 ff.) für mit dem GG unvereinbar erachtet wird, kann das BVerfG nicht für nichtig erklären. Es kann insoweit nur zu einer Unvereinbarkeitserklärung gelangen und die überprüften Rechtsakte für unanwendbar erklären.

3. Landesverfassungsgerichtliche konkrete Normenkontrolle

Art. 100 I 1 Var. 1 begründet die Zuständigkeit der LVerfG für Entscheidungen über konkrete Normenkontrollen von Landesgesetzen am Maßstab der Landesverfassung. Enthält eine Landesverfassung eine eigene Bestimmung über das Verfahren der konkreten Normenkontrolle, kommt dieser Vorschrift lediglich deklaratorische Bedeutung zu (Dreier/Wieland Art. 100 Rn. 33; Sachs/Detterbeck Art. 100 Rn. 23; BeckOK GG/Morgenthaler Art. 100 Rn. 27).

III. Völkerrechtsverifikation

Art. 100 II weist dem BVerfG die Zuständigkeit in Verfahren der Völkerrechtsverifikation zu. Auch hier handelt es sich um ein Zwischenverfahren in einem konkreten fachgerichtlichen Rechtsstreit. Auf Vorlage eines Gerichts ist das BVerfG berufen zu entscheiden, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des nationalen Rechts geworden ist und welche unmittelbaren Rechtswirkungen für und gegen den Einzelnen sie hat. Das Verfahren dient der einheitlichen Anwendung völkerrechtlicher Regeln und will Verstöße gegen die allg. Regeln des Völkerrechts verhindern helfen (BVerfGE 64, 1 (14 f.); 96, 68 (77 f.)).

Die Einzelheiten des Verfahrens regeln die § 13 Nr. 12, §§ 83 f. BVerfGG. Vorlageberechtigt ist jedes Gericht. Gegenstand des Normenverifikationsverfahrens können nur allg. Regeln des Völkerrechts iSv Art. 25 S. 1 sein (BVerfGE 15, 25 (34); Art. 25 Rn. 3 ff.). Das vorlegende Gericht muss ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit oder der Tragweite der völkerrechtlichen Regel haben (BVerfGE 64, 1 (15)). Anders als im konkreten Normenkontrollverfahren ist damit die Überzeugung des Gerichts von der Unanwendbarkeit der Regel nicht Voraussetzung einer Vorlage. Auch im Normenverifikationsverfahren muss die vorgelegte Regel des Völkerrechts entscheidungserheblich sein (BVerfGE 100, 209 (211 f.); 118, 124 (147 ff.); 121, 388 (390)). In seiner Sachentscheidung stellt das BVerfG gem. § 83 I BVerfGG fest, ob eine allg. Regel des Völkerrechts besteht und ggf. welche Tragweite sie hat.

IV. Divergenzvorlage

Art. 100 III weist dem BVerfG die Zuständigkeit für Entscheidungen über Divergenzvorlagen von LVerfG zu. Das BVerfG entscheidet in einem Zwischenverfahren über die Auslegung des GG, wenn ein LVerfG von der Rechtsauffassung des BVerfG oder eines anderen LVerfG abweichen will. Für das jew. Gericht besteht dann eine Vorlagepflicht. Das Verfahren dient der Rechtseinheit und -sicherheit bei der Auslegung des GG (BVerfGE 96, 345 (360)).

Über das einzuhaltende Verfahren und die Entscheidung des BVerfG trifft § 85 BVerfGG eine Regelung. Vorlageberechtigt und -verpflichtet sind allein LVerfG, die beabsichtigen, das GG anders auszulegen als das BVerfG oder ein anderes LVerfG (BVerfGE 103, 332 (355)). Die vorgelegte Rechtsfrage muss für das Verfahren entscheidungserheblich sein (BVerfGE 18, 407 (413); 36, 342 (356); 96, 345 (359)). Die Vorlage setzt eine Entscheidung des BVerfG oder eines LVerfG voraus, die eine andere Auslegung des GG vornimmt. Der Begriff der Entscheidung, der Urteile wie Beschlüsse umfasst, meint dabei den Tenor und die ihn tragenden Gründe (BVerfGE 3, 261 (264)). Das vorlegende Gericht hat gem. § 85 I BVerfGG unter Darlegung seiner Rechtsauffassung die Akten des Verfahrens dem BVerfG vorzulegen.

Ein Anwendungsfall des Art. 100 III liegt nach Auffassung des BVerfG vor, wenn ein LVerfG die Beachtung der in der Landesverfassung gewährleisteten Verfahrensgrundrechte in einem gerichtlichen Verfahren überprüfen will, das durch Bundesrecht geregelt ist. Eine solche Prüfung kommt nach Art. 142 nur am Maßstab von Landesgrundrechten in Betracht, die inhaltsgleich mit Verbürgungen des GG sind. Bei der Prüfung der Frage der Inhaltsgleichheit unterliegt das LVerfG der Vorlagepflicht gem. Art. 100 III (BVerfGE 96, 345 (372 f.)). Während das BVerfG sich von der Erweiterung des Prüfungshorizonts der LVerfG einen Entlastungseffekt verspricht, sprechen andere von einer zu befürchtenden Gleichschaltung der Verfassungsgerichtsbarkeit in den Ländern (Hain JZ 1998, 620 (621); Lange NJW 1998, 1278 (1280)). Nicht verkannt werden darf freilich aber auch, dass die an sich bezweckte Herstellung der Rechtseinheit verfehlt werden kann, wenn ein LVerfG die Inhaltsgleichheit einer Grundrechtsverbürgung in GG und Landesverfassung fälschlich annimmt und mithin nicht nach Art. 100 III vorlegt (dazu Klein/Haratsch JuS 2000, 209 ff.).