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Artikel 88 [Bundesbank]

1 Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank. 2 Ihre Aufgaben und Befugnisse können im Rahmen der Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, die unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet.

I. Allgemeines

Art. 88 S. 1 enthält den an den Bund gerichteten Verfassungsauftrag zur Errichtung und Erhaltung einer Währungs- und Notenbank (BVerwGE 41, 334 (349)). Diesem Auftrag ist der Bund durch das Gesetz über die Deutsche Bundesbank v. 26.7.1957 (BGBl. 1957 I 745, neugefasst BGBl. 1992 I 1782; zul. geänd. BGBl. 2021 I 2250) nachgekommen. Die Gesetzgebungskompetenz hierfür ergibt sich nicht aus Art. 73 I Nr. 4 (Art. 73 Rn. 10), der dem Bund die Kompetenz für das Währungs- und Geldwesen überträgt, da diese Kompetenz nur zum Erlass materieller Regelung in diesem Bereich ermächtigt. Sie folgt vielmehr unmittelbar aus Art. 88 S. 1, der insoweit auch eine Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes begründet (BVerfGE 14, 197 (213, 215)). Die aus Art. 88 S. 1 folgenden Garantien zugunsten der Bundesbank werden durch Art. 88 S. 2 relativiert, der eine Übertragung von Aufgaben und Befugnissen der Bundesbank auf die EZB ermöglicht.

II. Stellung der Bundesbank

Die Bundesbank ist kein Verfassungsorgan (BVerfGE 154, 17 (84)), da sich die wesentlichen institutionellen Vorgaben nicht aus der Verfassung selbst ergeben, sondern durch den Gesetzgeber bestimmt werden. Die Bundesbank ist auch kein oberstes Bundesorgan iSv Art. 93 I Nr. 1 (Benda/Klein VerfProzR Rn. 1034; Friauf/Höfling/Gaitanides Art. 88 Rn. 27; Stern/Sodan/Möstl/Ohler § 53 Rn. 38; aA Burkiczak/Dollinger/Schorkopf/Schorkopf BVerfGG § 63 Rn. 30). Auch soweit sich die Bundesbank auf ihre aus Art. 88 S. 1 fließenden Rechte (Rn. 4 f.) beruft, kommt eine Beteiligtenfähigkeit als „andere Beteiligte“, die durch das GG mit eigenen Rechten ausgestattet ist, nach Art. 93 I Nr. 1 nicht in Betracht, da ihr keine staatsleitende Funktion zukommt und sie keinen Faktor des Verfassungslebens darstellt (BK/Häde Art. 88 Rn. 179 ff.; Umbach/Clemens/Umbach/Dollinger Art. 88 Rn. 22; aA Sachs/Siekmann Art. 88 Rn. 118; DHS/Herdegen Art. 88 Rn. 85 f.; MKS/Blanke/Pilz Art. 88 Rn. 8).

Die Bundesbank ist Teil der obligatorischen Bundesverwaltung. Art. 88 enthält selbst jedoch keine organisationsrechtlichen Vorgaben. Gem. § 2 S. 1 BBankG ist die Bundesbank als bundesunmittelbare juristische Person des öffentlichen Rechts errichtet worden und zählt damit zur mittelbaren Bundesverwaltung. Sie ist eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts (Stern/Sodan/Möstl/Ohler § 53 Rn. 38; DHS/Herdegen Art. 88 Rn. 68), aufgrund ihrer Weisungsunabhängigkeit jedoch eine „atypische Anstalt des öffentlichen Rechts“ (Hahn BayVBl. 1982, 70 (71)). Art. 88 S. 1 ist lex specialis zu Art. 87 III 2 (BVerfGE 14, 197 (215)). Die Bundesbank könnte daher auch mit eigenem Verwaltungsunterbau errichtet werden, ohne dass die Voraussetzungen des Art. 87 III 2 vorliegen müssen (Dreier/Heun Art. 88 Rn. 55; Jarass/Pieroth/Kment Art. 88 Rn. 1).

Art. 88 S. 1 enthält eine institutionelle Garantie der Bundesbank, die den Bestand und den Kernbereich ihrer verfassungsrechtlichen Aufgaben gewährleistet (BVerfGE 142, 123 (232)). Diese Garantie erschöpft sich nicht darin, die bloße Existenz der Bundesbank zu sichern, sondern umfasst auch die Verpflichtung, diese so auszustatten, dass sie ihre verfassungsrechtlichen Aufgaben erfüllen kann. Aus Art. 88 S. 1 folgt eine Anstaltslast, die die Bundesrepublik Deutschland als Anstaltsträger verpflichtet, die Funktionsfähigkeit der Bundesbank als bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts zu gewährleisten (BVerfGE 142, 123 (232)). Diese Garantie kann allerdings unter den Voraussetzungen des Art. 88 S. 2 eingeschränkt werden (Rn. 11). Ihre Aufgaben und Befugnisse dürfen danach auf die EZB übertragen werden. In letzter Konsequenz kann dies eine Übertragung aller Aufgaben und Befugnisse bedeuten (v. Münch/Kunig/Kämmerer Art. 88 Rn. 4; aA Dreier/Heun Art. 88 Rn. 30). Da die Bundesbank integraler Bestandteil des Europäischen Systems der Zentralbanken nach Art. 282 I 1 AEUV ist, ist sie unionsrechtlich abgesichert.

Die Unabhängigkeit der Bundesbank von Weisungen der BReg war verfassungsrechtlich zunächst nicht gewährleistet, sondern lediglich einfach-gesetzlich in § 12 BBankG niedergelegt (BVerwGE 41, 334 (354)). Mit der Einfügung von Art. 88 S. 2, der eine Aufgaben- und Befugnisübertragung nur auf eine unabhängige EZB gestattet, muss bei systematischer Verfassungsinterpretation die Unabhängigkeit der Bundesbank nunmehr als in Art. 88 S. 1 konkludent gewährleistet angesehen werden (Badura, Staatsrecht, 2003, G Rn. 78; DHS/Herdegen Art. 88 Rn. 77; aA Jarass/Pieroth/Kment Art. 88 Rn. 3). Daneben ist sie auch europarechtlich in Art. 130 AEUV abgesichert.

Die Bundesbank unterliegt keiner ministeriellen Fach- oder Dienstaufsicht (BVerwGE 41, 334 (354)). Sie agiert in einem sog. ministerialfreien Raum. Dies ist vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips problematisch, da der Grundsatz der parlamentarischen Verantwortung der Regierung durchbrochen wird (Sodan NJW 1999, 1521). Die Beschränkung parlamentarischer Kontrolle und Verantwortlichkeit ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Da die Bundesbank dem Ziel der Preisstabilität verpflichtet ist (Rn. 8), kommt ihr eine eminente freiheitssichernde Funktion zu, die durch eine unabhängige Bundesbank am besten erfüllt werden kann. Daher ist dieser Politikbereich dem Zugriff von Interessengruppen und an der Wiederwahl interessierter politischer Mandatsträger zu entziehen (BVerfGE 89, 155 (208 f.)). Zudem ist die Bundesbank, so die Argumentation des BVerwG, „in ein System von Abhängigkeiten persönlicher und sachlicher Art eingebunden“, was die Schwächung unmittelbarer parlamentarischer Kontrolle hinnehmbar erscheinen lässt (BVerwGE 41, 334 (357); krit. Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, 1974, 215).

Das Handeln der Bundesbank unterliegt der Kontrolle durch die Rspr. (vgl. BVerfGE 62, 169 ff.), auch wenn unbestimmte Rechtsbegriffe in den die Bundesbank ermächtigenden Vorschriften des BBankG aufgrund des der Bundesbank zustehenden Beurteilungsspielraums gerichtlich nicht in vollem Umfang nachprüfbar sind (Hahn BayVBl. 1982, 70).

III. Aufgaben und Befugnisse

Art. 88 S. 1 weist der Bundesbank die Aufgabe zu, als Bank, dh als Kreditinstitut mit den banküblichen Instrumenten, zu agieren (Sachs/Siekmann Art. 88 Rn. 14; MKS/Blanke Art. 88 Rn. 10). Als Währungsbank kommt ihr die Aufgabe zu, die Volkswirtschaft mit den erforderlichen Zahlungsmitteln zu versehen. Insbes. zur Währungssicherung ist die Bundesbank verpflichtet. Die Bundesbank hat die vorrangige Aufgabe, die Preisstabilität zu sichern. Diese Aufgabe ist jedoch weitgehend nach Art. 88 S. 2 auf die EZB übergegangen. Die Bundesbank ist daneben auch Notenbank mit dem Recht zur Ausgabe von Banknoten und Münzen. Auf der Grundlage von Art. 88 S. 2 ist das Notenausgabemonopol jedoch insoweit auf die EZB übertragen worden, als ihr nunmehr die ausschließliche Befugnis zusteht, die Ausgabe von Banknoten und Münzen innerhalb der EU zu genehmigen (vgl. Art. 128 I 1, II 1 AEUV). Die Ausgabe selbst erfolgt nach wie vor durch die nationalen Notenbanken, also auch durch die Bundesbank (vgl. Art. 128 I 2, II 1 AEUV).

Über die verfassungsrechtlich abgesicherten Aufgaben hinaus können der Bundesbank weitere Aufgaben gem. Art. 87 III 1, den Art. 88 S. 1 unberührt lässt, durch Gesetz übertragen werden (BK/Häde Art. 88 Rn. 133 f.). Sie dürfen die Funktion der Bundesbank als Währungs- und Notenbank allerdings nicht beeinträchtigen (BeckOK GG/Remmert Art. 88 Rn. 7). So hat der Gesetzgeber der Bundesbank etwa Aufgaben im Bereich der Bankenaufsicht übertragen (Gesetz über das Kreditwesen, neugefasst BGBl. 1998 I 2776; zul. geänd. BGBl. 2023 I Nr. 51; dazu Geerlings DÖV 2003, 322 ff.).

Ein verfassungsunmittelbares, eigenes Normsetzungsrecht hat die Bundesbank nicht; sie bedarf hierfür einer gesetzlichen Ermächtigung. Art. 80 I 1, der die Bundesbank nicht als möglichen Delegatar nennt, steht einer gesetzlichen Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf die Bundesbank nicht entgegen, da Art. 88 S. 1 nach der Rspr. des BVerwG eine speziellere Regelung darstellt (BVerwGE 41, 334 (351)).

IV. Übertragung von Aufgaben und Befugnissen auf die EZB

Der im Zuge des Abschlusses des Vertrags von Maastricht (Rn. 1) in das GG eingefügte Art. 88 S. 2 sichert die Vorgaben des AEUV hinsichtlich der Verwirklichung der Europäischen Währungsunion verfassungsrechtlich ab. Er ermöglicht die Übertragung von Aufgaben und Befugnissen der Bundesbank im Rahmen der EU auf die EZB. Die Übertragung der Währungsbefugnisse knüpft Art. 88 S. 2 an drei Voraussetzungen. Erstens muss die Übertragung der Aufgaben und Befugnisse im Rahmen der EU stattfinden. Da es sich um eine Übertragung von Hoheitsrechten iSv Art. 23 I 2 handelt, ist sie nur unter Einhaltung der zusätzlichen Voraussetzungen des Art. 23 I 2 und 3 zulässig (BVerfGE 97, 350 (372); SHH/Ohler Art. 88 Rn. 3). Zweitens dürfen Befugnisse und Aufgaben nur auf eine institutionell und finanziell unabhängige EZB übertragen werden. Die in Art. 130 AEUV normierte Unabhängigkeit der EZB verstößt – wie die Unabhängigkeit der Bundesbank – nicht gegen das Demokratieprinzip, zu dessen Wahrung auch bei der Übertragung von Hoheitsbefugnissen Art. 23 I 3 verpflichtet (BVerfGE 89, 155 (208); 142, 123 (220 f.)). Da aber ein wesentlicher Politikbereich der Weisungsbefugnis der unmittelbar demokratisch legitimierten Repräsentanten und der gesetzgeberischen Kontrolle entzogen wird, besteht ein Spannungsverhältnis zum Demokratieprinzip. Im Gegenzug sind daher eine restriktive Auslegung des währungspolitischen Mandats der EZB und eine strenge gerichtliche Kontrolle seiner Einhaltung geboten, um das abgesenkte demokratische Legitimationsniveau auf das unbedingt Erforderliche zu beschränken (BVerfGE 142, 123 (220 f.); Art. 23 Rn. 20 f.). Drittens muss die EZB dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet sein. Diese Pflicht der EZB ist in Art. 127 I 1 AEUV normiert. Die Sicherung des Geldwertes, dh die Verhinderung von Inflation und Deflation, hat Vorrang vor anderen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen (Badura FS Schambeck, 1994, 887 (904); Sodan NJW 1999, 1521 (1523)).

Die Grundlage für die Europäische Währungsunion bilden Art. 127 ff. AEUV. Danach liegt die Geld- und Währungspolitik in der EU in den Händen eines Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB), das von der EZB und den nationalen Zentralbanken gebildet wird (Art. 282 I AEUV). Die Bundesbank ist zum integralen Bestandteil des Systems der Europäischen Zentralbanken geworden; sie ist jedoch keine Einrichtung der EU (Jarass/Pieroth/Kment Art. 88 Rn. 6; aA Sachs/Siekmann Art. 88 Rn. 47 f.).