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Artikel 137 WRV [Religionsgesellschaften]

(1) Es besteht keine Staatskirche.

(2) 1 Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. 2 Der Zusammenschluß von Religionsgesellschaften innerhalb des Reichsgebiets unterliegt keinen Beschränkungen.

(3) 1 Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. 2 Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.

(4) Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes.

(5) 1 Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher waren. 2 Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. 3 Schließen sich mehrere derartige öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften zu einem Verbande zusammen, so ist auch dieser Verband eine öffentlich-rechtliche Körperschaft.

(6) Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben.

(7) Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen.

(8) Soweit die Durchführung dieser Bestimmungen eine weitere Regelung erfordert, liegt diese der Landesgesetzgebung ob.

I. Bedeutung der Norm

Art. 137 WRV stellt die bedeutsamste Vorschrift der rezipierten Weimarer Kirchenartikel dar (Sachs/Ehlers WRV Art. 137 Rn. 1). Er ergänzt die kollektive Religionsfreiheit des Art. 4 GG (BVerfGE 137, 273 (303); so auch BAG BeckRS 2023, 23224 Rn. 41), enthält aber kein Grundrecht (Jarass/Pieroth/Jarass WRV Art. 137 Rn. 5 u. 18; GWC/v. Coelln Art. 140 Rn. 10). Terminologisch benutzt Art. 137 WRV die älteren Begriffe der Religionsgesellschaften und der weltanschaulichen Vereinigungen. Heute wird in Anlehnung an Art. 7 III 2 GG von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gesprochen, ohne dass damit ein Bedeutungsunterschied verbunden wäre (DHS/Korioth WRV Art. 137 Rn. 13; BVerwG NVwZ 2019, 236 (237 f.)).

II. Trennung von Staat und Kirche

Art. 137 I WRV ist „Grundnorm“ der religionsrechtlichen Ordnung des GG. Gemeinsam mit dem Prinzip der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates (BVerfGE 105, 279 (295); 108, 282 (300); näher Dreier, Staat ohne Gott, 2018; Bornemann, Die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates, 2020) verbietet er alle staatskirchlichen Rechtsformen (BVerfGE 19, 206 (216); 93, 1 (17); 153, 1 (36); BVerfG [K] NVwZ 2017, 549 (553 f.); NVwZ 2017, 1128 (1130 f.)). Der Staat darf sich auch nicht mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung identifizieren oder deren Glaubensinhalte bewerten oder bestimmen (BVerfGE 12, 1 (4); Sachs/Ehlers WRV Art. 137 Rn. 2). Jegliche institutionelle Verbindung von Kirche und Staat ist untersagt; dies schließt die Wahrnehmung von Staatsaufgaben durch kirchliche Amtsträger ebenso ein wie die Wahrnehmung religiöser Aufgaben durch staatliche Amtsträger oder gemeinsame Organisationen (BVerwGE 153, 282 (286); Dreier/Morlok WRV Art. 137 Rn. 18). Auch eine staatliche Aufsicht ist verboten (BVerfGE 18, 385 (386 f.)). Die Trennung von Kirche und Staat ist jedoch nur unvollkommen; sie wird als „gemäßigt“ oder „hinkend“ bezeichnet (BVerfGE 42, 312 (331); Umbach/Clemens/Magen Art. 140 Rn. 52; zur historischen Entwicklung Dreier JZ 2019, 1005 (1006)). Verflechtungen von Kirche und Staat sind schon in der Verfassung vorgesehen (Art. 7 III, V GG, Art. 137 V, VI und Art. 141 WRV). Theologische Fakultäten werden vom GG weder garantiert (anders Art. 149 III WRV und zB Art. 150 II BayVerf) noch verboten; ihre Zulässigkeit ergibt sich in erster Linie aus Recht und Pflicht des Staates – und zwar der Länder als Träger der Kulturhoheit –, Bildung und Wissenschaft an den staatlichen Universitäten zu organisieren (BVerfGE 122, 89 (108 ff.); krit. Bäcker Der Staat 48 [2009], 327 (332 ff.); zu islamischer Theologie an staatlichen Universitäten Waldhoff, Neue Religionskonflikte und staatliche Neutralität, 2010, Gutachten D 154 ff.; Muckel/Hentzschel DÖV 2020, 497 (502 ff.)). Staatliche Leistungen an Kirchen sind aufgrund der allg. Kulturfunktion der Kirchen zulässig (BVerfGE 19, 206 (223)), doch müssen sie in gleichheitskonformer Weise allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften offenstehen. Traditionen oder Konkordate können keine Privilegierung einzelner Kirchen begründen (BVerfGE 19, 1 (11 f.); 19, 206 (223 f.)). Die völkerrechtlich garantierte korporative Religionsfreiheit (Art. 18 IPbpR, Art. 9 EMRK) gebietet kein Verbot der Staatskirche.

III. Kollektive Religionsfreiheit

1. Allgemeines

Art. 137 II–IV WRV regeln wichtige Aspekte der kollektiven Glaubensfreiheit, die den Kirchen als Ausgleich für die Entflechtung von Kirche und Staat verliehen wurde. Berechtigt ist jede Religionsgesellschaft, also ein Verband, „der die Angehörigen ein und desselben Glaubensbekenntnisses oder mehrerer verwandter Glaubensbekenntnisse zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zusammenfasst“ (BVerwGE 123, 49 (54 ff.); BVerwG NVwZ 2019, 236 (238); ferner Albers ZevKR 66 [2021], 358 ff.). Auch eine Dachverbandsorganisation kann Religionsgemeinschaft sein, wenn sie durch ein organisatorisches Band bis hin zu den Gläubigen reicht, mit Autorität für identitätsstiftende religiöse Aufgaben ausgestattet ist und ihre Erkenntnisse in der Gemeinschaft reale Geltung haben; die Verbindlichkeit konkreter Glaubensinhalte und daraus abgeleiteter Verhaltensanforderungen sind hierfür jedoch nicht Voraussetzung (BVerwG NVwZ 2019, 236 (238 f.); krit. H. Alexy JZ 2020, 541 (545)). Ebenso wie bei Art. 4 GG gelten gem. Art. 137 VII WRV die Regeln über Religionsgesellschaften entspr. für Weltanschauungsgemeinschaften (BVerfGE 70, 138 (162)). Insgesamt gehen die Normierungen nicht über die Gewährleistungen des Art. 4 I, II GG hinaus. Dies gilt jedenfalls für Art. 137 II WRV (BVerfGE 83, 341 (354 f.)) und für Art. 137 IV WRV (BVerfGE 83, 341 (356 f.)). Bei Art. 137 III WRV ist das Verhältnis zu Art. 4 GG nicht völlig geklärt. ZT wird Art. 137 III WRV als subsidiär eingestuft (vgl. Dreier/Morlok WRV Art. 137 Rn. 46); teilweise wird ihm Vorrang zugesprochen (DHS/Korioth WRV Art. 137 Rn. 21). Im Blick auf den fehlenden Grundrechtscharakter von Art. 137 WRV erscheint eine Parallelanwendung am ehesten sachgerecht (MKS/Unruh WRV Art. 137 Rn. 23 ff.; so wohl auch BVerfGE 137, 273 (304)).

2. Selbstbestimmungsrecht

Art. 137 III WRV gewährt den Religionsgesellschaften und – iVm Abs. 7 – den Weltanschauungsgemeinschaften unabhängig von ihrer Organisationsform und ihrem rechtlichen Status ein Selbstbestimmungsrecht bezüglich der Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten (BVerfGE 137, 273 (306); BVerwG DÖV 2017, 115 (116)). Das Selbstbestimmungsrecht erstreckt sich nicht nur auf die höchste (teil-)kirchliche Leitungsebene, sondern auch auf alle rechtlichen Untergliederungen (BVerfGE 137, 273 (306)). Der Rechtsstatus der Religionsgemeinschaft in ihrer Gesamtheit reicht weiter als die rechtliche Summe ihrer Bestandteile (Heinig ZevKR 64 [2019], 1 (12)). Das Selbstbestimmungsrecht stellt ein geschütztes Recht iSd § 1004 I 2 BGB dar (BAG NZA 2013, 448 (456)). Die Ordnung schließt die Befugnis zur Rechtssetzung mit ein. Diese ist originärer Natur und hängt nicht von staatlichen Vorlagepflichten oder Genehmigungsvorbehalten ab (BVerfGE 53, 366 (405); DHS/Korioth WRV Art. 137 Rn. 23). Auch knüpft der Staat lediglich in staatlichen Normen an die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft an, die allein nach deren Recht und theologischer Ordnung begründet ist; deshalb ist es ihm verwehrt, die Mitgliedschaft in der Religionsgemeinschaft in eine zur Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts und in eine Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft als einer bloßen Glaubensgemeinschaft aufzuspalten (BVerwGE 144, 171 (177 ff.); Muckel NVwZ 2013, 260 (261 f.); Rn. 14). Unter Verwaltung versteht man die freie Betätigung der religionsgemeinschaftlichen Organe zur Verwirklichung ihrer jeweiligen Aufgaben einschließlich des Verfahrensrechts, also die Durchführung der gefassten Beschlüsse der Religionsgesellschaft einschließlich der eigenen Rspr. sowie den gesamten Bereich organisatorischer Tätigkeit (MKS/Unruh WRV Art. 137 Rn. 26). Was unter eigenen Angelegenheiten iSd Art. 137 III WRV zu verstehen ist, entscheidet sich maßgeblich nach dem Selbstverständnis der Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft (BVerfGE 24, 236 (248); 70, 138 (164); 137, 273 (306, 308); BFH DStRE 2023, 1190 (1194)). Soweit es um Beziehungen zu Personen geht, die nicht der Religionsgemeinschaft angehören, liegt kein Fall einer eigenen Angelegenheit vor (BVerwGE 116, 86 (89 f.)). Ebenso wenig umfasst das Selbstbestimmungsrecht die rechtliche Einwirkung auf den internen Bereich anderer Religionsgemeinschaften (BVerfGE 83, 341 (357); 123, 148 (182 f.); BVerfG [K] NVwZ-RR 2022, 361 (362)). Zum Selbstbestimmungsrecht zählen traditionell die Pflege, Weiterentwicklung und Tradierung der Glaubensinhalte in Form der Theologie (Dreier/Morlok WRV Art. 137 Rn. 50), die Regelung von Kultus und Liturgie (BVerfG NJW 1980, 1041 (1041 f.)) sowie Fragen der Mitgliedschaft (BVerfGE 30, 415 (422); BVerfG [K] NVwZ-RR 2022, 361 (362); BVerwGE 144, 171 (174); 148, 271 (283)). Die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft darf von Verwaltungsgerichten im Rahmen von flüchtlingsrechtlichen Erwägungen grds. nicht in Frage gestellt werden. Geboten ist vielmehr eine Differenzierung zwischen kirchlichen Rechtstatsachen und einer dem Aufgabenbereich der Kirchen entzogenen Prüfung der Flüchtlingseigenschaft (BVerfG [K] NVwZ 2020, 950 (951 f.); krit. Froese NVwZ 2021, 43 (44 ff.)). Ferner fallen unter den Begriff des Selbstbestimmungsrechts die arbeits- und dienstrechtliche Gestaltung (BVerfGE 70, 138 (165); 137, 273 (308 f.); zu Einschränkungen vgl. Rn. 6), Berufsbildung im kirchlichen Dienst (BVerfGE 72, 278 (290)), Verleihung von Ämtern (Sachs/Ehlers WRV Art. 137 Rn. 9), Mitbestimmung und Personalvertretung (BVerfGE 46, 73 (94 f.)), das Ordensrecht, karitative und diakonische Betätigung (BVerfGE 24, 236 (247 f.); 47, 73 (85 ff.)), Beitrags- und Gebührenerhebung durch die Kirchen mit Ausnahme der vom Staat erhobenen Kirchensteuer (BVerfGE 19, 206 (217)), die Entgegennahme weiterer Mittel (BeckOK GG/Germann Art. 140 Rn. 34.2; krit. Steinberg ZRP 2020, 222 (224 f.)), die Vermögensverwaltung (BVerfGE 66, 1 (21 f.); 99, 100 (120); BVerwGE 90, 112 (116); Schulten BayVBl. 2020, 433 (435 ff.)), die kirchliche Gerichtsbarkeit (BVerwG NJW 1981, 1972 ff.; BeckRS 2016, 41924 Rn. 16), das Hausrecht (BVerfGE 57, 220 (243 f.)), die Errichtung und Ausstattung der Kirchengebäude (BGH NJW 2008, 3784 (3787); LG Hannover GRUR-RR 2021, 72 (79 ff.)), kirchliche Friedhöfe (MKS/Unruh WRV Art. 137 Rn. 69 ff.), die Zulassung zu kirchlichen Hochschulen (OVG NRW BeckRS 2013, 56829 Rn. 4) sowie territoriale Grenzen (BVerfGE 18, 385 (388); 19, 206 (216 f.)). Unterhält der Staat ausnahmsweise glaubensbezogene Einrichtungen wie theologische Fakultäten (Rn. 2), muss der Kirche ein Mitwirkungsrecht hinsichtlich der personellen Zusammensetzung gewährt werden (BVerfGE 122, 89 (112 f.); zu den Grenzen EGMR NVwZ 2011, 153; zur verfassungsrechtlichen Problematik von Konkordatslehrstühlen außerhalb theologischer Fakultäten vgl. Stern/Sodan/Möstl/Uhle § 29 Rn. 116). Schließlich unterfällt der Datenschutz als klassische Annex- und Querschnittsmaterie dem autonomen Aufgabenbereich der Religionsgemeinschaften (Martini/Botta DÖV 2020, 1045 (1047 ff.)).

Das Selbstbestimmungsrecht ist nur im Rahmen des „für alle geltenden Gesetzes“ gewährleistet (BVerfGE 70, 138 (166); 72, 278 (289); 137, 273 (312); BVerfG [K] NVwZ-RR 2022, 361 (362); vgl. auch BVerwGE 144, 171 (174 f.)). Darunter fallen alle formellen Gesetze, die für die Religionsgemeinschaften dieselbe Bedeutung haben wie für jedermann (BVerfGE 66, 1 (20); Holterhus/Aghazadeh JuS 2016, 117 (120)), sich also nicht speziell gegen das Schutzgut des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts richten, sondern religionsneutral sind (Dreier/Morlok WRV Art. 137 Rn. 64; Jarass/Pieroth/Jarass WRV Art. 137 Rn. 13). Das allg. Gesetz muss verhältnismäßig sein; insbes. ist eine Güterabwägung geboten, wobei dem Selbstverständnis der Gemeinschaften besonderes Gewicht zukommt. Daher müssen diese einschränkenden Gesetze iSd Wechselwirkungstheorie wiederum im Lichte des Selbstbestimmungsrechts ausgelegt werden (BVerfGE 66, 1 (22); 70, 138 (167); 72, 278 (289); 137, 273 (313 ff.)). Nach früherer Ansicht des BVerfG sollte der Schrankenvorbehalt für rein innerkirchliche Angelegenheiten, insbes. in Bezug auf Organisations-, Amts- und Dienstrecht, nicht gelten (BVerfGE 18, 385 (388); 42, 312 (334); 72, 278 (289)). Solche Angelegenheiten können aber durchaus den rein innerkirchlichen Bereich überschreiten, weshalb die Abwägungslehre, die mittlerweile auch das BVerfG umfassend beim kirchlichen Amts- und Dienstrecht vertritt (BVerfGE 137, 273 (312 ff.)), insoweit den Vorzug verdient (Sachs/Ehlers WRV Art. 137 Rn. 12; BK/Kästner Art. 140 Rn. 343 f.; eingehend Schlink JZ 2013, 209). Im Rahmen der Abwägung sind die kollidierenden Rechtspositionen zwischen Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaft einerseits und den Grundrechten des Betroffenen (etwa Berufs-, Ehe- oder individuelle Glaubensfreiheit sowie Recht auf körperliche Unversehrtheit und allg. Persönlichkeitsrecht) andererseits jeweils in möglichst hohem Maße in ihrer Wirksamkeit zu entfalten und einander verhältnismäßig zuzuordnen (BVerfGE 137, 273 (319); vgl. auch BAGE 139, 144 Rn. 38 ff.). Zur Strafverfolgung – etwa bei sexuellem Missbrauch durch Kirchenangehörige – darf der Staat grds. auf kirchliche Personalakten zugreifen und von den Zwangsmitteln der StPO Gebrauch machen (Jakob NVwZ 2019, 1250 (1252 ff.)). Auch das kirchliche Arbeitsrecht ist nicht vollständig sakrosankt. Das Selbstverwaltungsrecht hat zwar umso größeres Gewicht, je stärker die Angelegenheit innerkirchlich ausgerichtet ist; dennoch darf auf eine Gesamtabwägung zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Gemeinschaft und den Grundrechten des Arbeitnehmers nicht verzichtet werden (BVerfGE 137, 273 (317 f.); Jarass/Pieroth/Jarass WRV Art. 137 Rn. 14 u. Art. 4 Rn. 38). Auch der EGMR erkennt die besonderen Loyalitätspflichten kirchlich Beschäftigter zwar an, der Staat müsse aber solchen Pflichten die Durchsetzung verweigern, die in Widerspruch zu den in der EMRK garantierten Rechten, insbes. dem Recht auf Achtung des Privatlebens, stehen (EGMR EuGRZ 2010, 560 (569 f.); NZA 2015, 533 (537 ff.); vgl. aber auch EGMR EuGRZ 2010, 571 (577)). Ähnlich beschränkt der EuGH das kirchliche Selbstbestimmungsrecht im arbeitsrechtlichen Bereich, indem er den staatlichen Gerichten die Befugnis einräumt, das Erfordernis einer Konfessionszugehörigkeit oder einer konfessionsloyalen Lebensführung auf objektive Gebotenheit und Verhältnismäßigkeit zu überprüfen (EuGH NJW 2018, 1869 (1872 ff.); NJW 2018, 3086 (3088 ff.)). Das BAG hat seine Judikatur daraufhin unionsrechtskonform ausgestaltet (BAGE 164, 117 (141 ff.); NZA 2019, 901 (906); krit. BeckOK GG/Germann Art. 140 Rn. 51.3). Den staatlichen Gerichten steht seither nicht allein eine Plausibilitätskontrolle kirchlicher Loyalitätsanforderungen, sondern vor dem Hintergrund des unionalen Diskriminierungsverbots eine weiterreichende Rechtskontrolle offen (SHH/Hofmann Art. 140 Rn. 31; Junker NJW 2018, 1850 (1851 ff.)). Damit geht aber nicht die Möglichkeit einer Beurteilung des zugrundeliegenden Ethos der Religionsgemeinschaft durch die Gerichte einher (EuGH NJW 2018, 1869 (1871 f.); vgl. auch BAG NZA 2019, 901 (912 f.)). Bei der berufsbezogenen Betrachtung ist nach der EuGH-Judikatur vielmehr objektiv zwischen verkündigungsnahen und verkündigungsfernen Tätigkeiten zu unterscheiden (EnzEuR II/Schmahl § 20 Rn. 143; eingehend Krewerth, Besondere Loyalitätsobliegenheiten in kirchlichen Arbeitsverhältnissen, 2022, 307 ff.) – ein Umstand, den auch die Rspr. des EGMR in verwandten Fällen nahelegt (zB EGMR NZA 2011, 280 (282); NZA 2015, 533 (537)).

Im Einzelnen sind zB zulässig die gesetzlichen Bestimmungen über den Kündigungsschutz, wobei arbeitsvertraglich geregelte Loyalitätspflichten bei der Frage nach der Rechtfertigung einer Kündigung grds. berücksichtigt werden müssen (BVerfGE 70, 138 (166 f.); 137, 273 (319 ff.); zu Einschränkungen vgl. BAG NJW 2014, 104 (106); NZA 2019, 901 (912 f.), Rn. 5), der Versorgungsausgleich (BGH NJW-RR 2013, 1025 (1026)), die Erhebung der Umsatzsteuer (BVerfGE 19, 129 (133 ff.); Droege ZevKR 63 [2018], 57 ff.), die Pflicht zur Buchführung in kirchlichen Krankenhäusern (BVerfG [K] NJW 1984, 970), Beschränkungen durch das Denkmalschutzrecht (VGH BW NVwZ 2003, 1530 ff.), die staatliche Rechnungsprüfung (MKS/Unruh WRV Art. 137 Rn. 164 ff.), die Öffentlichkeitsarbeit der BReg (BVerfGE 105, 279 (292 ff.)) sowie die Anwendung des Strafrechts (BGHSt 31, 232) und des Bauordnungs-, Bauplanungs-, Immissionsschutz- und Gesundheitsrechts (BVerwGE 68, 62 (69); Hömig/Wolff/Wolff Art. 140 Rn. 15). Unzulässig sind hingegen staatliche Beschränkungen von kirchlichen Inkompatibilitätsregelungen (BVerfGE 42, 312 (326)). Auch die kollektivrechtliche Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen von Beschäftigten in Einrichtungen einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft unterfällt dem Selbstbestimmungsrecht des Art. 137 III WRV (DHS/Korioth WRV Art. 137 Rn. 42; BAG NZA 2013, 437 (441)). Die Vereinigungen müssen daher keine Tarifverträge mit Gewerkschaften schließen, sondern sind berechtigt, die entspr. Regelungen in einer von der Dienstnehmer- und Dienstgeberseite paritätisch besetzten Kommission gemeinsam auszuhandeln (sog. „Dritter Weg“), um so die Regelungen am Leitbild der jeweiligen Dienstgemeinschaft auszurichten (BAG NZA 2013, 448 (460); zu den Voraussetzungen im Einzelnen BAG NZA 2013, 448 (462 ff.); eingehend Weller, Kirche und Streikrecht, 2019, 199 ff.; vgl. auch BAG NZA 2013, 437 (444) zum sog. „Zweiten Weg“). Der Erlass kirchenrechtlicher Gesetze und Satzungen – auch zur organisatorischen Einbindung der Gewerkschaften – ist originäre Sache der Kirche (BVerfGE 140, 42 (64)).

3. Zusammenschluss und Organisationsform

Art. 137 II 1 WRV sichert die Freiheit des Zusammenschlusses zu einer Religions- und (über Abs. 7) zu einer Weltanschauungsgemeinschaft. Diese Freiheit ist schon in Art. 4 I, II GG enthalten (BeckOK GG/Germann Art. 140 Rn. 24). Art. 137 II 2 WRV schützt zudem die Vereinigung von zwei oder mehreren Gemeinschaften zu einer neuen Gemeinschaft. Dies gilt auch für grenzüberschreitende Zusammenschlüsse (Jarass/Pieroth/Jarass WRV Art. 137 Rn. 6). Zusammen mit Art. 4 I, II GG verdrängt Art. 137 II 2 WRV das Grundrecht des Art. 9 GG (GWC/v. Coelln Art. 140 Rn. 17; ähnl. Sachs/Ehlers WRV Art. 137 Rn. 3). Zum Verbot religiöser Organisationen Art. 4 Rn. 19. Art. 137 IV WRV stellt als Organisationsform (neben dem Korporationsstatus des Abs. 5) die entspr. Vorschriften des Privatrechts (insbes. §§ 21 ff. BGB) zur Verfügung, gebietet aber keinen Anspruch auf eine bestimmte Rechtsform. Gewährleistet wird nur die Möglichkeit einer irgendwie gearteten rechtlichen Existenz einschließlich der Teilnahme am allg. Rechtsverkehr (BVerfGE 83, 341 (355); BVerwGE 123, 49 (55)). Der Vorbehalt des Gesetzes kommt auch hier zum Tragen (DHS/Korioth WRV Art. 137 Rn. 60). Die Anwendung der Regelungen des VereinsG über Vereinsverbote auf Religionsgesellschaften ist mit der EMRK vereinbar (EGMR EuGRZ 2007, 543).

IV. Körperschaftsstatus

Gem. Art. 137 V WRV können Religions- und (über Abs. 7) Weltanschauungsgemeinschaften in Abweichung vom Trennungsprinzip eine öffentlich-rechtliche Organisationsform annehmen, was mit gewissen Sonderrechten einhergeht (zur Entstehung der Norm Hollerbach JZ 2014, 1147; krit. Friehe NVwZ 2020, 1388). Der öffentlich-rechtliche Status soll die Entfaltung der Religionsfreiheit fördern (BVerfGE 102, 370 (387)). Der Staat erkennt damit die soziale Nützlichkeit und die Gemeinwohlrelevanz von organisierter Religion an (BVerfGE 19, 129 (133 ff.); 139, 321 (350 f.); BVerwGE 105, 117 (120, 125)). Die Berechtigung zu öffentlich-rechtlicher Organisation steht gem. Art. 137 V 1 WRV allen Religionsgemeinschaften zu, die bei Inkrafttreten des GG Körperschaften des öffentlichen Rechts waren (sog. altkorporierte Religionsgemeinschaften, vgl. Friauf/Höfling/Muckel Art. 140 Rn. 81), um deren historisch gewachsenen institutionellen Interessen Rechnung zu tragen (Dreier/Morlok WRV Art. 137 Rn. 79). Dies gilt auch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR (BVerwGE 105, 255 (261 f.); DHS/Korioth WRV Art. 137 Rn. 71). Anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften wird gem. Art. 137 V 2 WRV auf Antrag dieser Status verliehen, sofern sie gewisse Anforderungen erfüllen (Rn. 9). Liegen die Voraussetzungen vor, besteht ein Rechtsanspruch auf Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (BVerfGE 139, 321 (349)). Die Zuständigkeit für die Verleihung liegt gem. Art. 30, 140 GG iVm Art. 137 VIII WRV bei den Ländern (BVerfGE 139, 321 (353 f.)); sie entfaltet als überregionaler Akt grds. Wirkung im gesamten Geltungsbereich des GG (BVerfGE 139, 321 (357); BeckOK GG/Germann Art. 140 Rn. 71). Die Verleihung des Körperschaftsstatus in einem Land führt allerdings nicht dazu, dass die Körperschaft hoheitliche Sonderrechte über die Grenzen des verleihenden Landes hinaus ausüben dürfte (BVerfGE 139, 321 (357)). Die in einem anderen Land erfolgte Verleihung ist aber angemessen zu berücksichtigen (BVerfGE 139, 321 (360); Rn. 11). Darüber hinaus stehen sowohl der Grundsatz der Gewaltenteilung gem. Art. 20 II 2 als auch die Garantie effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 IV einer (landesrechtlichen) Regelung entgegen, die die im Einzelfall gebotene Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen von Art. 4 I und II, Art. 140 GG iVm Art. 137 V 2 WRV dem parlamentarischen Gesetzgeber zuweist und dadurch den Rechtsschutz verkürzt (BVerfGE 139, 321 (361 ff.); zust. Beckermann DÖV 2016, 112; krit. Muckel NVwZ 2015, 1426). Das Recht der öffentlich-rechtlichen Organisation steht auch lokalen Untergliederungen einer öffentlich-rechtlichen Vereinigung zu, etwa einer Kirchengemeinde (BVerfGE 53, 366 (393 f.)). Die Entscheidung, ob eine Untergliederung geschaffen wird, liegt im Ermessen der Religionsgemeinschaft (BVerwG NVwZ 2009, 390 (391)). Auch ist es unter bestimmten Voraussetzungen zulässig, dass eine öffentlich-rechtlich organisierte Vereinigung in ihrer Gründungsphase einen zu der Gemeinschaft gehörenden privatrechtlichen Verein in die Körperschaft integriert und dessen rechtliche Existenz damit beendet (BGHZ 197, 61 (71 f.)).

Voraussetzung für die Verleihung gem. Art. 137 V 2 WRV ist neben der Antragstellung bei der zuständigen Landesbehörde, dass es sich um eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft iSd GG handelt; entscheidend ist das Verhalten der Gemeinschaft und nicht ihr Glaube (BVerfGE 102, 370 (394); 139, 321 (351)). Die Vereinigung muss außerdem Gewähr für die Dauerhaftigkeit des Bestandes bieten; dies richtet sich nach Gesamtzustand und Mitgliederbestand (BVerfGE 102, 370 (384 f.); Sachs/Ehlers WRV Art. 137 Rn. 27; vgl. auch EGMR NVwZ 2009, 509 (512)), wobei die Mitgliederanzahl alleine, dh ohne zusätzliche Bewertungsfaktoren, nicht entscheidend ist (BVerwG NVwZ 2013, 943 (943 f.); zust. Muckel ZevKR 63 [2018], 30 (51 f.)). Unbeachtlich ist die Organisation als rechtsfähiger Verein. Auch auf eine demokratische Binnenstruktur kommt es nicht an; ebenso wenig ist eine besondere Loyalität zum deutschen Verfassungsstaat gefordert (BVerfGE 102, 370 (385 f., 395 f.); DHS/Korioth WRV Art. 137 Rn. 77 ff.; strenger noch BVerwGE 105, 117 (126)). Allerdings muss die Vereinigung grds. bereit sein, Recht und Gesetz zu achten, wozu vor allem die in Art. 79 III GG enthaltenen Grundsätze zählen (BVerfGE 102, 370 (392 f.); 139, 321 (351); zust. EGMR EuGRZ 2007, 543 (545)). Dabei ist das tatsächliche Verhalten, nicht der Glaube maßgeblich (BVerfGE 102, 370 (394); 139, 321 (351); zur Frage der Vereinbarkeit des Salafismus mit der verfassungsmäßigen Ordnung vgl. Steinberg NVwZ 2016, 1745 (1750 f.)). Auch muss die Vereinigung Gewähr dafür bieten, dass das Verbot der Staatskirche sowie die Prinzipien von Neutralität und Parität gewahrt bleiben (BVerfGE 102, 370 (384 ff.)). Für die Verleihung des Körperschaftsstatus existiert seit 2017 ein Leitfaden (vgl. MBl NRW 2017, 140 [Anlage]; näher Weber KuR 2018, 250 (254 ff.). Ein zwangsweiser Entzug des Status ist nur durch oder aufgrund eines Gesetzes möglich, soweit die Verleihung rechtswidrig war oder die Verleihungsvoraussetzungen entfallen sind (BK/Kästner Art. 140 Rn. 382). Die altkorporierten Religionsgemeinschaften können wegen der Bestandsgarantie ihren Status nur durch eine Verfassungsänderung verlieren (DHS/Korioth WRV Art. 137 Rn. 81 f.). Das Recht auf öffentlich-rechtliche Organisationsform kann mit einer auf Art. 4 gestützten Verfassungsbeschwerde durchgesetzt werden (BVerfGE 102, 370 (383)).

Aus der Organisation als Körperschaft folgt keine Gleichstellung mit anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften. Religiöse oder weltanschauliche Gemeinschaften sind nicht in den Staat eingegliedert und unterstehen keiner Staatsaufsicht (BVerfGE 18, 385 (386 f.); 66, 1 (19 f.); 139, 321 (350); BVerwG NVwZ 2020, 487 (488)). Auch die Grundsätze der Staatshaftung sind ohne hoheitliches Handeln nicht auf die Gemeinschaften anwendbar (Shirvani VerwArch 111 [2020], 201 (210 ff.)). Es handelt sich vielmehr um einen Körperschaftsstatus sui generis (BVerfGE 30, 415 (428); 102, 370 (387 f.)). Trotz ihrer öffentlich-rechtlichen Organisation sind die Vereinigungen als gesellschaftliche Einrichtungen zu verstehen (BVerfGE 66, 1 (19)); die Freiheit der Vereinigung darf nicht stärker als bei privatrechtlich organisierten Vereinigungen eingeschränkt werden (BVerfGE 66, 1 (20); Jarass/Pieroth/Jarass WRV Art. 137 Rn. 25). Zur Grundrechtsfähigkeit und Grundrechtsbindung von Religionsgemeinschaften Art. 4 Rn. 13. Umstr. ist, ob öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften grds. hoheitlich handeln. ZT wird dies nur akzeptiert, wenn öffentlich-rechtliche Befugnisse durch Gesetz übertragen wurden (DHS/Korioth WRV Art. 137 Rn. 68; MKS/Unruh WRV Art. 137 Rn. 195). Die Rspr. nimmt öffentlich-rechtliches Handeln hingegen bei allen kirchlichen Aktivitäten ieS an, etwa bei sakralem Glockengeläut (BVerwGE 68, 62 (64 f.)) oder Aussagen über Sekten (BGHZ 148, 307 (309 f.)), nicht aber beim Zeitschlagen der Kirchenglocken (BVerwG NJW 1994, 956).

Der Körperschaftsstatus verleiht den Religionsgesellschaften verschiedene Befugnisse: Neben dem Steuerrecht gem. Art. 137 VI WRV (Rn. 13) besitzen sie die Organisationsgewalt zur Bildung öffentlich-rechtlicher Untergliederungen (Umbach/Clemens/Magen Art. 140 Rn. 99) sowie das Parochialrecht, dh sie dürfen alle Angehörigen der jew. Konfession in einem Gebiet ipso iure als Mitglieder in Anspruch nehmen, sofern Wohnsitznahme erfolgt (Dreier/Morlok WRV Art. 137 Rn. 97). Mit dem Körperschaftsstatus ist auch die Dienstherrenfähigkeit verbunden mit der Folge, dass die Religionsgemeinschaft die Arbeitsverhältnisse öffentlich-rechtlich ausgestalten und sie damit dem Arbeits- und Sozialversicherungsrecht entziehen darf (MKS/ Unruh WRV Art. 137 Rn. 215). Beamtengesetze gelten für kirchliche Beamte nur, wenn sie für anwendbar erklärt wurden (BVerfGE 55, 207 (230 f.)). Außerdem sind die Religionsgemeinschaften berechtigt, Vermögensgegenstände zu öffentlichen Sachen zu widmen (BVerfGE 102, 370 (388); 139, 321 (250); BVerfG [K] NVwZ 2016, 135 (136); Klappert DÖV 2016, 857 (861)). Schließlich verfügen sie über Rechtsetzungsgewalt zu öffentlich-rechtlichen Regelungen der Beziehungen zu den Mitgliedern (Dreier/Morlok WRV Art. 137 Rn. 96). Daneben steht den korporierten Religionsgesellschaften ein weiteres einfachgesetzlich geregeltes „Privilegienbündel“ zur Verfügung, das Steuerbefreiungen, Begünstigungen im Kosten- und Gebührenrecht sowie Privilegierungen im Baurecht einschließt (näher Sachs/Ehlers WRV Art. 137 Rn. 22; SHH/Hofmann Art. 140 Rn. 19). Diese Rechte stehen aber zur Disposition des Gesetzgebers (Dreier/Morlok WRV Art. 137 Rn. 100 f.). Auch räumlich sind die Wirkungen der Verleihung des Körperschaftsstatus begrenzt. So entfaltet die Verleihung des Körperschaftsstatus gem. Art. 140 GG iVm Art. 137 V 2 WRV als überregionaler Akt zwar Rechtswirkung über das Gebiet des verleihenden Landes hinaus (Rn. 8). Dies führt aber nicht dazu, dass die Körperschaft hoheitliche Befugnisse und kraft einfachen Landesrechts zuerkannte Privilegien über die Grenzen des verleihenden Landes hinaus ausüben dürfte. Eine in einem anderen Land erfolgte Verleihung ist jedoch angemessen zu berücksichtigen (BVerfGE 139, 321 (360)).

Folge des Organisationssystems des Art. 137 IV, V WRV ist, dass öffentlich-rechtlich organisierte Religionsgemeinschaften gegenüber privatrechtlichen privilegiert werden. Dies soll nach Ansicht des BVerfG nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot verstoßen, wenn auch privatrechtlich organisierte Vereinigungen den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts in zumutbarer Weise erlangen können (BVerfGE 19, 129 (134 f.)). Problematisch ist freilich, dass das glaubensgeprägte Selbstverständnis vieler religiöser Vereinigungen eine solche Organisationsform verbietet (BeckOK GG/Germann Art. 140 Rn. 90). Dessen ungeachtet dürfte die Ungleichbehandlung zulässig sein bei der Insolvenzunfähigkeit (so jedenfalls BVerfGE 66, 1 (17 ff.); mit beachtlichen Gründen aA Janssen DÖV 2019, 81 (86 ff.); Janssen JZ 2019, 482 (484 ff.)), der Erlaubnisfreiheit von Straßensammlungen (BGH NJW 1980, 462) sowie beim Ausschluss von Subventionen (BVerwG NVwZ 1987, 678). Nicht gerechtfertigt ist jedoch die Privilegierung bei der Befreiung von der Schulpflicht (BVerwGE 42, 128 (131)). Zu den Grenzen der Begünstigung vgl. auch EGMR NVwZ 2009, 509 (512).

V. Kirchensteuererhebungsrecht

Gem. Art. 137 VI WRV haben Religionsgesellschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, einen Anspruch gegen das zuständige Land, ihnen das Steuererhebungsrecht zu verleihen, sich an dem Vollzug einschließlich des Verwaltungszwangs zu beteiligen und die Möglichkeit geordneter Verwaltung der Kirchensteuern sicherzustellen (BVerfGE 19, 206 (217); 44, 37 (57); 73, 388 (399); eingehend PRGM StaatskirchenR-HdB III/Hammer, 2947 ff.). Die Kirchensteuer ist eine echte Steuer iSd § 3 I AO (BVerfG [K] NVwZ 2002, 1496 (1497)). Der Landesgesetzgeber kann die Religionsgesellschaften öffentlichen Rechts zur Steuererhebung generell ermächtigen und die Einzelregelung des formellen und materiellen Kirchensteuerrechts diesen überlassen (v. Münch/Kunig/Mager Art. 140 Rn. 70) oder aber die Kirchensteuererhebung selbst vollumfassend regeln (BVerfGE 19, 253 (258); 73, 388 (399); BVerwG NVwZ 2009, 533 (534)). Zulässig sind die Einziehung der Kirchensteuer durch staatliche Finanzämter und die Ausgestaltung der Kirchensteuer in Abhängigkeit von der Einkommensteuer (BVerfGE 20, 40 (43 f.); 44, 103 (104)), die Einbehaltung der Kirchensteuer durch den Arbeitgeber (BVerfGE 44, 103 (104); vgl. auch EGMR NVwZ 2011, 1503 (1505)) sowie unterschiedliche Steuersätze in verschiedenen Landesteilen (BVerfG [K] NVwZ 2002, 1496 (1498)).

Bei der Besteuerung werden die Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts als Träger von Staatsgewalt tätig (BVerfGE 19, 206 (218); näher Stern/Sodan/Möstl/Uhle § 29 Rn. 78 ff.) und sind daher bei dieser Tätigkeit an Grundrechte, insbes. an Art. 4 I, II und Art. 3 I, gebunden (BVerfGE 30, 415 (422); SHH/Hofmann Art. 140 Rn. 46). Die Kirchensteuerpflicht setzt deshalb voraus, dass der Betroffene in die Mitgliedschaft eingewilligt hat und jederzeit die Möglichkeit besitzt, die Mitgliedschaft zumindest kirchensteuerrechtlich zu beenden (BVerfGE 30, 415 (423 f.); 44, 37 (49 f.); BVerfG [K] NVwZ 2015, 517 (519); Sachs/Ehlers WRV Art. 137 Rn. 33). Für die Beendigung der kirchensteuerrechtlichen Mitgliedschaft kommt es wegen der hoheitlichen Handlungsweise im Rahmen der Steuererhebung nur auf die Austrittserklärung gegenüber dem Staat an (BVerwGE 144, 171 (177 f.)). Erwerb und Fortdauer der Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft richten sich hingegen als Bestandteil des Selbstbestimmungsrechts nach dem Binnenrecht der jeweiligen Organisation (BVerfGE 30, 415 (422); BVerwGE 144, 171 (174)), die einen „modifizierten Kirchenaustritt“ (Verbleib in der Glaubensgemeinschaft bei Austritt aus der öffentlich-rechtlichen Körperschaft) nicht anerkennen muss (BVerwGE 144, 171 (178 f.); Rn. 4). Die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft ist allerdings nicht gegeben, wenn eine kirchenrechtliche Vermutungsregelung zur Mitgliedschaft führt (Umbach/Clemens/Magen Art. 140 Rn. 118; BVerwG NVwZ-RR 2011, 90 (91); aA noch BVerwG NVwZ 1992, 67). Auch der bloß nach dem objektivierten Empfängerhorizont erkennbar gewordene Wille dürfte jedenfalls nicht stets für die Begründung der Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft genügen (so aber BVerfG [K] NVwZ 2015, 517 (519); aA BVerwG NVwZ-RR 2011, 90 (91); krit. auch BVerwG NVwZ 2017, 65 (66 f.)). Dies gilt vor allem deshalb, weil die Willensbekundung dem höchstpersönlichen Bereich des individuellen Grundrechtsträgers zuzuordnen ist und darüber hinaus auch die Religionsgemeinschaft davor schützt, dass ihr ein Mitglied „aufgedrängt“ wird (Kuntze ZevKR 61 [2016], 86 (93 f.); Ehlers JZ 2017, 198 (199)). Ein formalisiertes Verfahren zur Erklärung des Kirchenaustritts vor der zuständigen staatlichen Stelle ist dagegen verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfGE 30, 415 (426); BVerfG DVBl 2008, 1184; VerfGH Bln DVBl 2011, 782 (783); näher Unruh ReligionsverfassungsR, § 6 Rn. 184). Es ist nicht zulässig, einen aus der Kirche Ausgetretenen noch bis zum Ende des laufenden Steuerjahres zur Kirchensteuer heranzuziehen. Eine Nachbesteuerung bis zum Ende des auf die Austrittserklärung folgenden Monats ist aber statthaft (BVerfGE 44, 37 (55); 44, 59 (68); aA Dreier/Morlok WRV Art. 137 Rn. 125). Bei glaubensverschiedenen Ehen darf die steuerberechtigte Kirche nur den ihr angehörenden Ehegatten besteuern (BVerfGE 19, 226 (235 ff.); 19, 268 (273)). Die Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes, wonach die Kirchensteuer des steuerpflichtigen Mitglieds nach der Hälfte der zusammengerechneten Einkommensteuer beider Ehegatten erhoben wird, ist verfassungswidrig (BVerfGE 19, 268 (273 ff.)). Eine Ausnahme besteht nur, wenn die Ehegatten für die Einkommensteuer die Zusammenveranlagung gewählt haben (BVerfGE 20, 40 ff.). Bei konfessionsverschiedenen Ehen ist der Halbteilungsgrundsatz verfassungsrechtlich akzeptabel, wenn die Ehegatten die Möglichkeit zu einer getrennten Veranlagung zur Einkommensteuer haben (BVerfGE 20, 40 (42 ff.)). Kirchensteuerpflichtig sind nur natürliche Personen, die Heranziehung juristischer Personen zur Kirchensteuerpflicht ist unzulässig (BVerfGE 19, 206 (216 ff.)).

VI. Gleichstellung weltanschaulicher Vereinigungen und landesrechtlicher Regelungsauftrag

Gem. Art. 137 VII WRV werden Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zu eigen gemacht haben, den Religionsgesellschaften gleichgestellt. Diese Gleichstellung hat wegen des grundrechtlichen Gebotes der Gewährung gleicher Freiheit in religiös-weltanschaulicher Hinsicht (Art. 3 III, 4 I, II und 33 III 3) Rechtswirkung für alle Normen des GG, also auch für alle durch Art. 140 inkorporierten Normen (VerfG Bbg LVerfGE 16, 199 f.; ähnl. Friauf/Höfling/Muckel Art. 140 Rn. 119; aA Hömig/Wolff/Wolff Art. 140 Rn. 20). Eine Ungleichbehandlung wegen objektiv unterschiedlicher Aktivitäten ist dadurch aber nicht ausgeschlossen (BVerfGE 83, 130 (150 f.)). Art. 137 VIII WRV stellt deklaratorisch (vgl. Art. 30, 70 I) klar, dass die Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Religionsverfassungsrechts bei den Ländern liegt. Der Bund kann nur tätig werden, soweit andere Vorschriften des GG dies vorsehen (Dreier/Morlok WRV Art. 137 Rn. 139).

VII. Rechtsschutzfragen

Soweit Religionsgemeinschaften öffentliche Gewalt iSd Art. 19 IV GG ausüben, sichert diese Norm den Mitgliedern den Rechtsweg (Jarass/Pieroth/Jarass WRV Art. 137 Rn. 16). Darüber hinaus wird der Rechtsweg durch die allg. Justizgewährungspflicht des Staates (dazu allg. BVerfGE 107, 395 (401)) garantiert. Unproblematisch ist die Zuständigkeit staatlicher Gerichte, wenn das Handeln von Religionsgemeinschaften Nichtmitglieder betrifft (BVerwGE 68, 62 (63)). Auch im Fall von Streitigkeiten mit Mitgliedern muss die Zuständigkeit bejaht werden, wenn Fragen staatlichen Rechts zu klären sind und nicht nur rein interne Kirchenrechtsstreitigkeiten bestehen (BVerfGE 18, 385 (387 f.); BVerwGE 117, 145 (147 ff.); BGHZ 154, 306 (309 f.)). Dabei ist bei präjudiziellen Vorfragen des religionsgemeinschaftlichen Bereichs die Auffassung der Religionsgemeinschaft zugrunde zu legen, etwa bei der Entscheidung, ob eine Untergliederung noch der Religionsgemeinschaft angehört (BVerwG NVwZ 2009, 390 (391)). Rein innerkirchliche Maßnahmen (zB Ausgestaltung des Dienst- oder Amtsrechts) sollen nach der (älteren) Judikatur von BVerfG und BVerwG der staatlichen Gerichtsbarkeit entzogen sein (BVerfGE 18, 385 (387 f.); 42, 312 (334 f.); BVerfG [K] NJW 2009, 1195 (1196); BVerwGE 117, 145 (147 f.); offen gelassen in BVerfGE 111, 1 (5)). Der jüngeren Rspr. des BGH zufolge beschneidet das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen die Justizgewährleistungspflicht aber nicht, sondern schränkt nur das Maß der Justiziabilität der angegriffenen Maßnahme in der Begründetheitsprüfung ein (BGHZ 148, 307; 154, 306 (312); zust. DHS/Korioth WRV Art. 137 Rn. 57; Friauf/Höfling/Muckel Art. 140 Rn. 59; anders noch BGHZ 34, 372; 46, 95; krit. HStR VII/Mückl § 159 Rn. 121 f.). Mittlerweile folgt auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit der Ansicht des BGH (vgl. BVerwGE 149, 139 (148 f.); 153, 282 (287 ff.); BayVGH NJW 2015, 1625 (1625 f.); zust. Kirchberg NJW 2014, 2763 f.; Muckel NVwZ 2016, 457 ff.). Danach ist das gerichtliche Prüfprogramm immer dann zurückhaltend, wenn der jeweilige zur Überprüfung gestellte Akt dem Kernbereich des Selbstbestimmungsrechts, insbes. der Verkündigung der Glaubenslehre und der innerkirchlichen Organisation zuzuordnen ist (BayVGH NJW 2015, 1625 (1626); zust. Nickel/Schulten BayVBl. 2017, 116 (118 f.)). Einen per se unantastbaren Kernbereich kirchlichen Wirkens gibt es jedoch nicht (BVerwGE 149, 139 (147 ff.); 153, 282 (287 ff.); BayVGH NJW 2015, 1625 (1625 f.)). Auch kirchenrechtliche Ansprüche können im Klageverfahren vor staatlichen Gerichten geltend gemacht werden, wenn dies erforderlich ist, um sie zwangsweise durchsetzen zu können, und sie nicht auf einer Verletzung der fundamentalen Verfassungsprinzipien des Art. 79 III, des Willkürverbots oder elementarer Verfahrensgarantien beruhen (BVerwGE 153, 282 (284); Safoklov DÖV 2017, 99 (104 ff.)). Aufgrund des grundgesetzlichen Selbstbestimmungsrechts der Religionsgesellschaften ist der staatliche Rechtsschutz jedoch subsidiär. Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Anrufung der staatlichen Gerichte besteht erst dann, wenn ein von der Religionsgesellschaft eröffneter interner Rechtsweg erfolglos ausgeschöpft worden ist (BVerwGE 153, 282 (288); BVerfG [K] NJW 2019, 1866).