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Artikel 115h [Wahlperioden und Amtszeiten]

(1) 1 Während des Verteidigungsfalles ablaufende Wahlperioden des Bundestages oder der Volksvertretungen der Länder enden sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles. 2 Die im Verteidigungsfalle ablaufende Amtszeit des Bundespräsidenten sowie bei vorzeitiger Erledigung seines Amtes die Wahrnehmung seiner Befugnisse durch den Präsidenten des Bundesrates enden neun Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles. 3 Die im Verteidigungsfalle ablaufende Amtszeit eines Mitgliedes des Bundesverfassungsgerichtes endet sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles.

(2) 1 Wird eine Neuwahl des Bundeskanzlers durch den Gemeinsamen Ausschuß erforderlich, so wählt dieser einen neuen Bundeskanzler mit der Mehrheit seiner Mitglieder; der Bundespräsident macht dem Gemeinsamen Ausschuß einen Vorschlag. 2 Der Gemeinsame Ausschuß kann dem Bundeskanzler das Mißtrauen nur dadurch aussprechen, daß er mit der Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt.

(3) Für die Dauer des Verteidigungsfalles ist die Auflösung des Bundestages ausgeschlossen.

I. Bedeutung der Norm

Art. 115h trägt dem Umstand Rechnung, dass während einer Notstandslage ordnungsgemäße Vorbereitung und Durchführung von Wahlen nicht gewährleistet werden können, und macht insoweit eine – begrenzte – Ausnahme vom Grundsatz der Herrschaft auf Zeit (Stern StaatsR II, 1428; SHH/Wittenberg Art. 115h Rn. 1). Die Regelung soll sicherstellen, dass die Funktionsfähigkeit der einzelnen Verfassungsorgane auch im Verteidigungsfall erhalten bleibt (DHS/Gärditz Art. 115h Rn. 1). Bei der Verlängerung der Amtsperioden des BPräs und der Richter des BVerfG steht der Gedanke der Kontinuitätswahrung im Vordergrund (MKS/Grote Art. 115h Rn. 1).

II. Keine Wahlen zu Volksvertretungen

Die während des Verteidigungsfalls endende Wahlperiode des BT wird gem. Art. 115h I 1 Alt. 1 bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Beendigung des Verteidigungsfalls verlängert, um zu garantieren, dass für Neuwahlen ausreichende Vorbereitungen möglich sind (BT-Drs. V/1879, 29). Entspr. gilt nach Alt. 2 auch für die Wahlperioden aller Länderparlamente. Aufgrund der Abhängigkeit der Landesregierungen von den Länderparlamenten führt Art. 115h I mittelbar zu einer Stabilisierung des BR (BK/Rauschning Art. 115h Rn. 17). Ob die Verlängerung der Legislaturperioden auch für den Fall gilt, dass die normale Legislaturperiode innerhalb der Sechsmonatsfrist nach Beendigung des Verteidigungsfalls abläuft, wird nicht einheitlich beurteilt (dafür Dreier/Heun Art. 115h Rn. 4; dagegen Sachs/Robbers Art. 115h Rn. 3). Art. 115h I 1 dürfte entspr. auch für kommunale Vertretungen gelten (Dreier/Heun Art. 115h Rn. 4; aA MKS/Grote Art. 115h Rn. 6).

III. Amtszeitverlängerungen

Art. 115h I 2 und 3 bestimmt die Verlängerung der Amtsperioden von BPräs und Richtern des BVerfG. Soweit die Amtszeit des BPräs während des Verteidigungsfalls abläuft, wird sie bis zum Ablauf von neun Monaten nach Beendigung des Verteidigungsfalls verlängert. Dasselbe gilt für den Fall der Vertretung des BPräs durch den Präsidenten des BR nach Art. 57 (BT-Drs. V/2873, 18). Sofern die Umstände es zulassen, ist auch eine Neuwahl des BPräs nicht ausgeschlossen (Sachs/Robbers Art. 115h Rn. 6; aA MKS/Grote Art. 115h Rn. 8); sie erfolgt durch die BVersammlung (arg. e contrario Art. 115e I). Die Amtszeit von Bundesverfassungsrichtern endet sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalls. Wird deren Neuwahl wegen Todes, Dienstunfähigkeit oder vorzeitigen Rücktritts erforderlich, liegt diese Befugnis beim GA, sofern BT und BR ihre Kompetenzen nicht ausüben können (vgl. Art. 115e I).

IV. Neuwahl des Bundeskanzlers, Misstrauensvotum

Wird während des Verteidigungsfalls eine Neuwahl des BKanzlers durch den GA nötig, so wählt dieser gem. Art. 115h II 1 mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen neuen BKanzler. Dies gilt jedoch nur, wenn die Voraussetzungen des Art. 115e gegeben sind; das Wahlrecht des GA ist subsidiär (Dreier/Heun Art. 115h Rn. 9). Solange der BT handlungsfähig ist, verbleibt das Recht der Kanzlerwahl bei ihm und richtet sich nach Art. 63. Lediglich die Möglichkeit der BT-Auflösung gem. Art. 63 IV 3 (und auch gem. Art. 68) scheidet wegen Art. 115h III aus. Das Auflösungsverbot besteht aber nur für die Dauer des Verteidigungsfalls; eine Auflösung unmittelbar nach Beendigung des Verteidigungsfalls ist nicht ausgeschlossen (MKS/Grote Art. 115h Rn. 14; aA Dreier/Heun Art. 115h Rn. 13).

Die Wahl des BKanzlers durch den GA erfolgt gem. Art. 115h II 1 auf Vorschlag des BPräs. An den Vorschlag ist der GA beim ersten Wahlgang gebunden (Dreier/Heun Art. 115h Rn. 10; aA Hömig/Wolff/Wisser Art. 115h Rn. 2). In nachfolgenden Wahlgängen kann er – vergleichbar mit Art. 63 III – auch eine nicht vorgeschlagene Person wählen. Erforderlich ist in jedem Fall die absolute Mehrheit der Mitglieder des GA. Die Wahl eines Minderheitenkanzlers (Art. 63 IV) ist nicht zulässig (Sachs/Robbers Art. 115h Rn. 10). Mit der Neuwahl des BKanzlers ist auch die Neubildung der BReg verbunden; diese richtet sich nach Art. 64 I (DHS/Herzog Art. 115h Rn. 22). Der vom GA gewählte BKanzler verfügt über alle mit dem Amt verbundenen Befugnisse; er ist kein Notkanzler minderen Rechts (SHH/Wittenberg Art. 115h Rn. 16). Seine Amtsperiode richtet sich nach den allg. Vorschriften (vgl. insbes. Art. 69 II) und ist nicht auf die Dauer des Verteidigungsfalls begrenzt (Dreier/Heun Art. 115h Rn. 11).

Der GA hat gem. Art. 115h II das Recht des konstruktiven Misstrauensvotums, wobei im Unterschied zu Art. 67 eine Mehrheit von 2/3 seiner Mitglieder erforderlich ist. Durch das höhere Quorum wird sichergestellt, dass der Sturz des BKanzlers zumindest von der Hälfte der im GA sitzenden BT-Abgeordneten getragen wird (BK/Rauschning Art. 115h Rn. 33).