Artikel 113 [Ausgabenerhöhungen; Einnahmeminderungen]
(1) 1 Gesetze, welche die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplanes erhöhen oder neue Ausgaben in sich schließen oder für die Zukunft mit sich bringen, bedürfen der Zustimmung der Bundesregierung. 2 Das gleiche gilt für Gesetze, die Einnahmeminderungen in sich schließen oder für die Zukunft mit sich bringen. 3 Die Bundesregierung kann verlangen, daß der Bundestag die Beschlußfassung über solche Gesetze aussetzt. 4 In diesem Fall hat die Bundesregierung innerhalb von sechs Wochen dem Bundestage eine Stellungnahme zuzuleiten.
(2) Die Bundesregierung kann innerhalb von vier Wochen, nachdem der Bundestag das Gesetz beschlossen hat, verlangen, daß der Bundestag erneut Beschluß faßt.
(3) 1 Ist das Gesetz nach Artikel 78 zustande gekommen, kann die Bundesregierung ihre Zustimmung nur innerhalb von sechs Wochen und nur dann versagen, wenn sie vorher das Verfahren nach Absatz 1 Satz 3 und 4 oder nach Absatz 2 eingeleitet hat. 2 Nach Ablauf dieser Frist gilt die Zustimmung als erteilt.
I. Regelungsgegenstand und Regelungssystematik
Ziel der Vorschrift ist die Sicherung der Bundesfinanzen, die durch die Finanzpolitik der Legislative aus dem Gleichgewicht gebracht werden könnte. Um dies zu verhindern, räumt Art. 113 der BReg einen Zustimmungsvorbehalt für die in Abs. 1 S. 1 und 2 bestimmten finanzwirksamen Parlamentsgesetze ein. Abs. 1 S. 3, 4, Abs. 2 und 3 modifizieren für diese Gesetze das übliche Gesetzgebungsverfahren und bestimmen, unter welchen Voraussetzungen die BReg ihre Zustimmung verweigern kann. Damit wird der BReg gegenüber der Legislative ein finanzwirtschaftliches Kontrollrecht zugebilligt (MKS/Schwarz Art. 113 Rn. 2). Art. 113 kommt bislang keine praktische Bedeutung zu, weil im parlamentarischen Regierungssystem des GG Regierung und Parlamentsmehrheit eine politische Einheit bilden. Relevanz könnte die Vorschrift aber im Falle einer Minderheitenregierung erlangen (Dreier/Heun Art. 113 Rn. 4).
II. Anwendungsbereich (Abs. 1 S. 1 und 2)
Art. 113 fordert ein finanzwirksames Gesetz als Tatbestandsvoraussetzung. Abs. 1 S. 1 enthält drei Gruppen finanzwirksamer Gesetze, die zu Mehrausgaben führen. Abs. 1 S. 2 wiederum sieht zwei Gruppen vor, die zu Mindereinnahmen führen. Maßstab der Finanzwirksamkeit ist das neue Gesetz als solches (BeckOK GG/Reimer Art. 113 Rn. 15); Saldierungen sind aber nur innerhalb eines Einzeltitels zulässig (DHS/Kube Art. 113 Rn. 27). Eine Überschneidung der Gruppen ist möglich (Karehnke DVBl 1972, 811 (812)). Aus Gründen der Praktikabilität und mit Blick auf die Ratio der Vorschrift sind bloße Bagatellbeträge irrelevant (Dreier/Heun Art. 113 Rn. 5; aA v. Münch/Kunig/Heintzen Art. 113 Rn. 7). Der Zustimmungsvorbehalt gilt für das ganze Gesetz, selbst wenn nur einzelne Teile finanzwirksam sind (v. Münch/Kunig/Heintzen Art. 113 Rn. 4). Er bezieht sich auf das Endstadium des Gesetzgebungsverfahrens, nicht auf die Gesetzesinitiative (BVerfGE 1, 144 (157)).
III. Gesetzgebungsverfahren (Abs. 1 S. 3, 4, Abs. 2)
Abs. 1 S. 3, 4, Abs. 2 eröffnen der BReg verschiedene Möglichkeiten, auf das Gesetzgebungsverfahren einzuwirken. Sofern die BReg von keiner dieser Optionen Gebrauch gemacht hat, entfällt nach Abs. 3 S. 1 ihr Recht, dem nach Art. 78 zustande gekommenen Gesetz die Zustimmung zu verweigern (Rn. 4). Sofern der BT noch keinen Beschl. gefasst hat, kann die BReg nach Abs. 1 S. 3 verlangen, dass der BT die Beschlussfassung aussetzt und die innerhalb von sechs Wochen abzugebende Stellungnahme der BReg nach Abs. 1 S. 4 abwartet (BeckOK GG/Reimer Art. 113 Rn. 32: Präventives Aussetzungsverlangen; MKS/Schwarz Art. 113 Rn. 27: Veto mit suspensivem Effekt ). Sofern der BT das Gesetz schon beschlossen hat, kann die BReg alternativ oder kumulativ zu einem Vorgehen nach Abs. 1 S. 3, 4 gem. Abs. 2 innerhalb von vier Wochen nach der Beschlussfassung verlangen, dass der BT erneut Beschl. fasst (BeckOK GG/Reimer Art. 113 Rn. 37: Wiederholungsverlangen; MKS/Schwarz Art. 113 Rn. 29: iteratives Vetorecht ). Die vorherige Beschlussfassung wird mit dem Verlangen unwirksam; der BT kann dann in eine erneute Beratung eintreten (Sachs/Siekmann Art. 113 Rn. 19).
IV. Entscheidung über die Zustimmung (Abs. 3)
Sofern ein Gesetz nach Art. 78 zustande gekommen ist, kann dessen Wirksamwerden nur durch die ausdrückliche Versagung der Zustimmung innerhalb der Sechswochenfrist des Art. 113 III 1 verhindert werden. Nach Ablauf der Frist gilt die Zustimmung gem. Abs. 3 S. 2 als erteilt; die BReg kann aber auch ausdrücklich oder konkludent zustimmen. Eine teilweise Zustimmung ist unwirksam (DHS/Kube Art. 113 Rn. 52). Die Ausübung ihres dezisiven Vetorechts (MKS/Schwarz Art. 113 Rn. 32) setzt nach Abs. 3 S. 1 voraus, dass die BReg wenigstens alternativ von einer der ihr in Abs. 1 S. 3, 4, Abs. 2 eingeräumten Möglichkeiten Gebrauch gemacht hat (Rn. 3). Wenn sie darauf verzichtet, gilt die Zustimmung schon nach Ablauf der Vierwochenfrist des Abs. 2 als fingiert (BeckOK GG/Reimer Art. 113 Rn. 31).
Für die Versagung ihrer Zustimmung dürfen ausschließlich finanzwirtschaftliche Erwägungen eine Rolle spielen (Sachs/Siekmann Art. 113 Rn. 10). Die Entscheidung über die Zustimmung steht im Ermessen der BReg; dagegen kommt ihr hinsichtlich des Tatbestandes kein Beurteilungsspielraum zu (v. Münch/Kunig/Heintzen Art. 113 Rn. 8).
Versagt die BReg ihre Zustimmung, muss sie dem BPräsidenten, dem BT und BR Mitteilung erstatten (DHS/Kube Art. 113 Rn. 53). Eine solche Begründungspflicht ist zwar nicht ausdrücklich vorgesehen, ergibt sich jedoch aus dem Umstand, dass ohne hinreichende Begründung der BT und der BR nur schwer eine Korrektur vornehmen können (MKS/Schwarz Art. 113 Rn. 21). Die Zustimmung, die durch die BReg als Kollegialorgan zu erfolgen hat, bedarf hingegen keiner Begründung (MKS/Schwarz Art. 113 Rn. 20). Folge einer Zustimmungsversagung ist die Unwirksamkeit des gesamten Gesetzes (DHS/Kube Art. 113 Rn. 56). Sofern der Bundesminister für Finanzen an der Zustimmung der BReg mitgewirkt hat, schließt dies die Verweigerung seiner Zustimmung nach Art. 112 aus (v. Münch/Kunig/Heintzen Art. 113 Rn. 5; aA Sachs/Siekmann Art. 112 Rn. 21).