Artikel 91b [Bildungsplanung und Forschungsförderung]
(1) 1 Bund und Länder können auf Grund von Vereinbarungen in Fällen überregionaler Bedeutung bei der Förderung von Wissenschaft, Forschung und Lehre zusammenwirken. 2 Vereinbarungen, die im Schwerpunkt Hochschulen betreffen, bedürfen der Zustimmung aller Länder. 3 Dies gilt nicht für Vereinbarungen über Forschungsbauten einschließlich Großgeräten.
(2) Bund und Länder können auf Grund von Vereinbarungen zur Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich und bei diesbezüglichen Berichten und Empfehlungen zusammenwirken.
(3) Die Kostentragung wird in der Vereinbarung geregelt.
I. Wissenschaftsförderung (Abs. 1)
1. Grundtatbestand (Abs. 1 S. 1)
Seit der Novelle von 2014 (Rn. 1; Vorb. Art. 91a Rn. 7) umschreibt Art. 91b I die Kooperationsfelder generell mit Förderung von Wissenschaft, Forschung und Lehre in Fällen von überregionaler Bedeutung (Wolff DÖV 2015, 771 (772)). Vor der Novelle (Rn. 1; Vorb. Art. 91a Rn. 7) enthielt Art. 91b I Nr. 1–3 aF hingegen einen enumerativen Katalog von Kooperationsfeldern, der insbes. eine Beteiligung des Bundes bei der Grundfinanzierung der Hochschulen ausschloss und bei Kooperationen von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu schwierigen Abgrenzungsproblemen führte (BeckOK GG/Suerbaum Art. 91b Rn. 4a; Rn. 5). Künftig können Hochschulen durch Bundesmittel auch institutionell gefördert werden, um so ihre Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit weiter zu stärken (BT-Drs. 18/2710, 6). Förderungsfähig sind auch die Zusammenschlüsse von Hochschulen und außerhochschulischen Einrichtungen (v. Münch/Kunig/Mager/Vasel Art. 91b Rn. 22) ebenso wie eine reine Förderung außerhochschulischer Einrichtungen (BeckOK GG/Suerbaum Art. 91b Rn. 11). Ausgeklammert bleibt entgegen verschiedentlich erhobenen Forderungen aber der Schul- und der frühkindliche Bereich (Seckelmann NVwZ 2015, 248 (251)). Hier hat aber nunmehr die Föderalismusreform III (Vor Art. 104a Rn. 4) dem Bund in Art. 104c eine Finanzierungskompetenz eröffnet (Art. 104c Rn. 1). Der Begriff der Förderung ist weit zu verstehen (BT-Drs. 16/813, 17) und beschränkt sich nicht auf die Planung und Finanzierung, sondern erlaubt auch die Durchführung im Einzelfall (MKS/Volkmann/Kaufhold 23; aA Jarass/Pieroth/Kment Art. 91b Rn. 4; Sachs/Siekmann Art. 91b Rn. 12). Bei der Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der überregionalen Bedeutung steht Bund und Ländern ein weiter Spielraum zu, der im Rahmen der jeweiligen Bund-Länder-Vereinbarung auszufüllen ist (BT-Drs. 18/2710, 7). Von überregionaler Bedeutung soll nach der Gesetzesbegründung auszugehen sein, wenn es sich um eine Forschung handelt, die Ausstrahlungskraft über das einzelne Land hinaus hat und im nationalen oder int. Kontext bedeutend ist (BT-Drs. 16/883, 17; 18/2710). Eingeschlossen sind auch die Fälle, in denen ein Fördergegenstand von vornherein dem gesamten Bundesstaat zugutekommen soll (Wolff DÖV 2015, 771 (777)).
Die Kooperationsfelder sind in Abs. 1 S. 1 in Anlehnung an Art. 5 III umschrieben (BT-Drs. 16/813, 17 zum Begriff der Forschung) und lassen sich dementsprechend im Wege der systematischen Auslegung konkretisieren (BK/Glaser Art. 91b Rn. 17; DHS/Schwarz Art. 91b Rn. 15). Da Wissenschaft üblicherweise als Oberbegriff von Forschung und Lehre angesehen wird (Art. 5 Rn. 45), hat das Nebeneinander der drei Begriffe nur klarstellende Funktion (BT-Drs. 18/2710, 7) und führt zu Überschneidungen, die der verfassungsändernde Gesetzgeber aber bewusst in Kauf genommen hat. Wissenschaft ist alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist (BVerfGE 35, 79 (113); Art. 5 Rn. 45). Forschung ist die geistige Tätigkeit mit dem Ziele, in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen, Lehre die wissenschaftlich fundierte Übermittlung der durch die Forschung gewonnenen Erkenntnisse (BVerfGE 35, 79 (113); Art. 5 Rn. 45).
Der Begriff der Vereinbarungen deckt neben Verwaltungsabkommen und Staatsverträgen auch sonstige Absprachen, setzt aber wenigstens analog § 126 I BGB Schriftform voraus (Dreier/Heun Art. 91b Rn. 9). Bei den den Vereinbarungen vorausgehenden Verhandlungen ist das Gebot zu bundesfreundlichem Verhalten zu beachten, was eine etwa parteipolitisch motivierte Bevorzugung einzelner Länder verbietet. Im Umkehrschluss aus Art. 91b I 2 bedarf es für Vereinbarungen in anderen Bereichen keiner Einstimmigkeit, wohl aber einer Mehrheit von 13 Stimmen auf Länderseite (s. BT-Drs. 16/813, 16; aA BeckOK GG/Suerbaum Art. 91b Rn. 6 unter Hinweis, dass in der Gesetzesbegründung allein der Koalitionsvertrag zitiert ist). Art. 91b deckt im Einklang mit der bestehenden Verfassungspraxis auch die Schaffung von Institutionen (MKS/Volkmann Art. 91b Rn. 14), die verbindliche Entscheidungen treffen dürfen. Die gemeinsame Wissenschaftsförderung des Bundes und der Länder wird durch die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) koordiniert, die seit Anfang 2008 an die Stelle der früheren Bund-Länder-Kommission getreten ist. Rechtsgrundlage ist das GWK-Abkommen v. 11.9.2007 (BAnz S. 7787, zul. geänd. durch Beschl. der GWK v. 10.3.2023, BAnz AT 28.5.2023 B4). Die Homepage der GWK (www.gwk-bonn.de) verzeichnet die Rechtsgrundlagen und die Fördervolumina der Förderprogramme, zu denen u. a. auch die Exzellenzstrategie zählt.
2. Einstimmigkeitserfordernis im Hochschulbereich (Abs. 1 S. 2)
Prozedural dient das in Art. 91b I 2 normierte Erfordernis einer Zustimmung aller Länder für Vereinbarungen, die im Schwerpunkt Hochschulen betreffen, der Wahrung der föderalen Kompetenzordnung (BT-Drs. 18/2710, 7). Ausgenommen sind hiervon nach Art. 91b I 3 aber Vereinbarungen über Forschungsbauten einschließlich Großgeräten (Rn. 6). Hochschulen sind neben den wissenschaftlichen Hochschulen auch die Fach-, Gesamt-, Kunst- und Musikhochschulen sowie private und kirchliche Hochschulen (BeckOK GG/Suerbaum Art. 91b Rn. 11). Mit Rücksicht auf die föderale Gleichbehandlung löst auch eine Vereinbarung, die lediglich eine Hochschule betrifft, das Zustimmungserfordernis aus (aA Wolff DÖV 2015, 771 (779)). Das Schwerpunkterfordernis hat für die Förderung von Kooperationen von Hochschulen mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen Bedeutung. Vor der Novelle von 2014 führte diese zu Problemen, weil Art. 91b I 1 Nr. 2 aF nur eine Förderung thematisch und zeitlich begrenzter Projekte zuließ. Diese Einschränkung ist nunmehr entfallen (BT-Drs. 18/2710, 6), allerdings muss bei derartigen Zwittereinrichtungen (BeckOK GG/Suerbaum Art. 91b Rn. 11.1) mit Blick auf das Einstimmigkeitserfordernis immer bestimmt werden, ob die Förderung von außeruniversitären Forschungseinrichtungen „im Vordergrund“ steht (BT-Drs. 18/2710, 7). Damit bedarf es keiner Einstimmigkeit, solange die Hochschulseite nicht Leitungs- und Richtungsentscheidungen gegen den Willen der anderen Kooperationspartner durchsetzen kann.
3. Rückausnahme für Forschungsbauten und Großgeräte (Abs. 1 S. 3)
Die Rückausnahme vom Einstimmigkeitserfordernis für Forschungsbauten und Großgeräte nach Art. 91b I 3 führt zu Abgrenzungsschwierigkeiten, da Hochschulgebäude oftmals sowohl der Lehre wie der Forschung dienen. Entspr. Art. 91b I 2 ist auch hier auf den Schwerpunkt abzustellen (BeckOK GG/Suerbaum Art. 91b Rn. 15; krit. zu dem damit verbundenen politischen Spielraum Wolff DÖV 2015, 771 (775)). Keine Forschungsbauten sind bloße Nebenanlagen wie Mensen, Verwaltungsgebäude oder Wohnheime (SHH/Henneke Art. 91b Rn. 45). Die Begriffe Forschungsbauten und Großgeräte können in Anlehnung an die bereits 2007 geschlossene „Ausführungsvereinbarung Forschungsbauten an Hochschulen einschließlich Großgeräten“ durch eine „Bagatellgrenze“ von 5 Mio. Euro für Forschungsbauten und für Großgeräte in Abhängigkeit vom Hochschultyp durch Beschaffungskosten von über 100.000 bzw. 200.000 Euro quantifiziert werden (s. auch BT-Drs. 16/813, 17).
II. Vereinbarungen zur Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens (Abs. 2)
An die Stelle der umfassenden Bildungsplanung (Art. 91b S. 1 aF) ist mit der Föderalismusreform I (Vor Art. 91a Rn. 7; Vor Art. 104a Rn. 4) in Art. 91b II nF nunmehr einschränkend die Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im int. Vergleich getreten. Der Begriff des Bildungswesens kann in Anlehnung an den ersten, 1973 vorgelegten Bildungsgesamtplan konkretisiert werden, ist weit zu verstehen und umfasst sämtliche Institutionen des Lehrens und Lernens vom Kindergarten bis zur Erwachsenenbildung einschließlich der Weiterbildung im Sinne der Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach Abschluss einer ersten Bildungsphase und nach Aufnahme einer Berufstätigkeit (v. Münch/Kunig/Mager/Vasel Art. 91b Rn. 28; BT-Drs. 7/1474). Diese neue Gemeinschaftsaufgabe soll nach der Gesetzesbegründung über die gemeinsame Feststellung hinaus auch die gemeinsame Berichterstattung sowie die Möglichkeit gemeinsamer Empfehlungen umfassen (BT-Drs. 16/813, 17). Nur schwer mit dem Gesetzeswortlaut zu vereinbaren ist die Aussage, die bestehende Zusammenarbeit der Länder und des Bundes zur nationalen Bildungspolitik bleibe als notwendige Grundlage int. Berichtspflichten und int. Vergleiche unberührt (BT-Drs. 16/813, 17). Für Folgerungen aus dem Zusammenwirken sind allein die Länder zuständig (BT-Drs. 16/813, 17). Nicht eingeschlossen ist ein isolierter Vergleich zwischen den deutschen Bundesstaaten (Friauf/Höfling/Seckelmann Art. 91b Rn. 37).
III. Kostentragung (Abs. 3)
Die Kostentragung kann seit der Föderalismusreform I ganz flexibel im Rahmen der Vereinbarung geregelt werden. Möglich ist nach Art. 91b III die Kostentragung auch allein durch den Bund (BT-Drs. 16/813, 16; ausf. hierzu Korioth/Schwabenbauer, Jahrbuch für öffentliche Finanzen 2013, 429 ff.). In der Anlage zum GWK-Abkommen sind aber für größere Einrichtungen feste Finanzierungsschlüssel vorgesehen (sog. Königsteiner Schlüssel; v. Münch/Kunig/Mager/Vasel Art. 91b Rn. 28). Für Verwaltungskosten geht Art. 104a V der Regelung des Art. 91b III vor, sodass eine gemeinsame Finanzierung nur bei Zweckausgaben, nicht aber bei Verwaltungskosten zulässig ist (DHS/Schwarz Art. 91b Rn. 39; Art. 104a Rn. 13; aA MKS/Volkmann Art. 91b Rn. 20). Bei Forschungseinrichtungen zählen zu den Zweckausgaben aber auch Personalkosten (BeckOK GG/Suerbaum Art. 91b Rn. 17). Entspr. Art. 91a III 4 bleibt die Haushaltshoheit der Parlamente durch Vereinbarungen nach Art. 91b unberührt. Art. 114 II 2 Hs. 2 begründet eine Prüfungsbefugnis des BRH (BeckOK GG/Suerbaum Art. 91b Rn. 18; Art. 114 Rn. 13).
Art. 91b ist durch das Finanzreformgesetz von 1969 (Vor Art. 91a Rn. 5) eingefügt worden. Regelungsgegenstand der Vorschrift, die im Zuge der Föderalismusreform I und zuletzt Ende 2014 novelliert wurde (Vor Art. 91a Rn. 7), ist die Bund-Länder-Kooperation im Wissenschafts- und Forschungsbereich. Art. 91b gehört zu den Gemeinschaftsaufgaben im weiteren Sinne (zur Begrifflichkeit Art. 91a Rn. 1). Abw. zu Art. 91a besteht keine Verpflichtung zur Zusammenarbeit, zudem können die Länder auch bei der Aufgabenerfüllung durch den Bund mitwirken (Jarass/Pieroth/Kment Art. 91b Rn. 1). Anders als Art. 91a II begründet die Vorschrift auch keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Die Novelle von Ende 2014 (Vor Art. 91a Rn. 7) zielte auf eine Erweiterung der Kooperationsmöglichkeiten ab (BT-Drs. 18/2710, 6), um so die mit der Föderalismusreform I und II als zu weitgehend empfundene Entflechtung der Verantwortungsbereiche im Wissenschaftssektor zu korrigieren (Seckelmann NVwZ 2015, 248 (249); BeckOK GG/Suerbaum Art. 91b Rn. 4a; ausf. zur Entwicklungsgeschichte BK/Glaser Art. 91b Rn. 1 ff.). Gesetzessystematisch ist die Vorschrift lex specialis zu Art. 30, 83 ff. und 104a I. Zu Art. 91a bestehen keine Überschneidungen (BeckOK GG/Suerbaum Art. 91b Rn. 5). Wegen der Freiwilligkeit der Zusammenarbeit entfaltet Art. 91b keine Sperrwirkung hinsichtlich der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung gem. Art. 74 I Nr. 13 (BeckOK GG/Suerbaum Art. 91b Rn. 5). Wenn die Anteile an den Fördermitteln nach Art. 91b ihre Einwohneranteile unterschreiten, kann dies für ein leistungsschwaches Land im Rahmen des sekundären vertikalen Finanzausgleichs nach Art. 107 II 6 relevant werden (Art. 107 Rn. 17). Zu den Perspektiven der Forschungsförderung nach Art. 91b I vgl. Haug OdW 2017, 267 ff.