Artikel 17 [Petitionsrecht]
Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.
I. Allgemeines
Das Recht, sich mittels einer Petition Gehör zu verschaffen, ist in der europäischen Rechtskultur tief verwurzelt; ihm wird demokratisch-partizipatorische Dimension zugeschrieben (Bauer DÖV 2014, 453 ff.). Art. 17 soll sicherstellen, dass der Staat individuelle und allgemeine Anliegen auch außerhalb formaler Verwaltungs- oder Rechtsmittelverfahren zur Kenntnis nimmt, prüft und mit einem Bescheid versieht (OVG NRW NJW 1979, 281). Über die Norm hat die Volksvertretung das Recht, von der Exekutive Informationen zu erhalten, die zur Erledigung der Petition notwendig sind. Rechtswidrige Maßnahmen können aufgrund von Art. 17 nicht erfolgen (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 17 Rn. 1; vgl. hierzu auch Rn. 2). Im Falle einer Verletzung des Rechts auf Beantwortung einer Petition (HmbOVG DVBl 1967, 86) oder des Rechts auf ordnungsgemäße Behandlung einer Petition (BayVGH BayVBl. 1981, 211 (212)) kann der Betroffene mit der Erhebung einer allgemeinen Leistungsklage im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit Rechtsschutz einfordern (zu diesem Zusammenspiel von Art. 17 und Art. 19 BVerfG [K] NStZ-RR 2021, 324; s. zu dieser Klageart näher Sodan/Ziekow/Sodan VwGO § 42 Rn. 39 ff.). Soweit es um förmliche Rechtsbehelfe und -mittel geht, gilt ausschließlich Art. 19 IV (Sachs/Pagenkopf Art. 17 Rn. 19).
II. Schutzbereich
1. Sachlicher Schutzbereich
Der Sinn von Art. 17 besteht darin, dass sich die Bürger im Hinblick auf ihre Anliegen zumindest „Gehör“ bei den zuständigen staatlichen Stellen und der Volksvertretung verschaffen und diese ggf. Abhilfe leisten können. Die Bürger können sich an die jew. zuständige staatliche Stelle wenden, um ihr Abhilfeverlangen kundzutun, oder an die Volksvertretung mit dem Ziel, politisch Abhilfe herbeizuführen. Während zuständige staatliche Stellen nur im Rahmen ihrer jeweils sachlichen, örtlichen und instanziellen Zuständigkeit tätig werden, begründet das Petitionsrecht eine formelle Allzuständigkeit der Parlamente für alle in den Kompetenzbereich des Bundes oder der Länder fallenden Petitionen (BVerfG [K] NJW 1992, 3033; BVerwG NVwZ-RR 2021, 270 (271)). Erfasst werden die Parlamente des Bundes und der Länder; das BVerwG schließt überdies die Kreistage in den Begriff der Volksvertretungen ein (BVerwG NVwZ-RR 2021, 270 f.; krit. DHS/Klein/Schwarz Art. 17 Rn. 104). Dem Wortlaut nach beinhaltet das Recht, sich mit Bitten und Beschwerden an die jew. Stelle zu wenden. „Unter Bitten sind Forderungen und Vorschläge zu verstehen, die auf ein Handeln oder Unterlassen von staatlichen Organen, Behörden und sonstigen Einrichtungen, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen, gerichtet sind. Beschwerden sind Beanstandungen, die sich gegen ein Handeln oder Unterlassen dieser Stellen wenden. Gegenstand einer Petition kann eine Eingabe in eigener Sache, für andere oder im allgemeinen Interesse sein. Es steht jedermann frei, sich durch eine Petition für die Förderung welchen Anliegens auch immer einzusetzen“ (BVerwG NVwZ-RR 2021, 270). Petitionen sind formlose Rechtsbehelfe. Insoweit beinhaltet Art. 17 vor allem ein entspr. Leistungsrecht, hat aber auch abwehrrechtlichen Charakter gegenüber Beeinträchtigungen des Petitionsrechts. Eine Petition kann nur schriftlich erfolgen; die Bezeichnung als „Petition“ ist nicht erforderlich. Es muss aber ein Verfasser aus ihr hervorgehen; anonyme Eingaben sind daher keine Petitionen. Nach der Rspr. des BVerfG ist eine Petition dann nicht zulässig, wenn durch sie „etwas gesetzlich Verbotenes gefordert wird oder die Form der Petition den Anforderungen nicht entspricht, die an jede bei einer Behörde einzureichende Eingabe zu stellen sind“, sie „also etwa beleidigenden, herausfordernden oder erpresserischen Inhalt hat“ (BVerfGE 2, 225 (229); krit. Kingreen/Poscher Rn. 1293 ff.; zurückhaltend v. Münch/Kunig/Uerpmann-Wittzack/Edenharter Art. 17 Rn. 9). Da dem Begriff der Petition ein Abhilfeverlangen immanent ist, sollen bloße Eingaben ohne Reaktionsbegehren (Mitteilungen, Belehrungen, Vorwürfe etc) nicht dem Schutzbereich des Art. 17 unterfallen (BVerfG [K] NStZ-RR 2021, 324; DHS/Klein/Schwarz Art. 17 Rn. 44; v. Münch/Kunig/Uerpmann-Wittzack/Edenharter Art. 17 Rn. 18; aA Friauf/Höfling/Krings Art. 17 Rn. 31).
Zulässige Petitionen müssen von der zuständigen Stelle oder Volksvertretung nicht nur entgegengenommen werden, sondern es besteht auch ein Anspruch gegenüber der betr. Stelle auf inhaltliche Kenntnisnahme, sachliche Prüfung und Beantwortung der Petition (vgl. BVerfGE 2, 225 (230); BVerfG [K] NStZ-RR 2021, 324; BVerwG NJW 1977, 118; NVwZ 2017, 1459 f.; Sodan/Ziekow/Sodan VwGO § 42 Rn. 245). Eine bloße Empfangsbestätigung genügt nicht (BVerfGE 2, 225 (230)). „Daß ein auf eine zulässige Petition ergehender Bescheid eine besondere Begründung enthalten muß, wird allgemein verneint. In der Tat würde eine solche Forderung eine Überspannung des Grundrechts des Art. 17 GG bedeuten. Soweit daher nicht ein besonderes Gesetz eine Begründungspflicht statuiert, liegt den mit einer Petition angegangenen Verwaltungsbehörden und Verfassungsorganen eine Pflicht, ihre Bescheide mit einer Begründung zu versehen, nicht ob; es genügt im Rahmen des Art. 17 GG ein sachlicher Bescheid, aus dem ersichtlich ist, wie die angegangene Stelle die Petition zu behandeln gedenkt“ (BVerfGE 2, 225 (230)). Art. 17 verleiht „keinen Anspruch auf Erledigung i. S. des Petenten“ (BVerwG NJW 1977, 118; vgl. auch BVerwG NVwZ 2017, 1459 f. (Behandlung als „öffentliche Petition“ durch den Petitionsausschuss des BTags).
2. Personeller Schutzbereich
Grundrechtsberechtigt sind alle natürlichen und gem. Art. 19 III die juristischen Personen des Privatrechts, nicht jedoch die juristischen Personen des öffentlichen Rechts, sofern sich für sie keine grundrechtstypische Gefährdungslage (vgl. Art. 19 Rn. 25) feststellen lässt (Sachs/Pagenkopf Art. 17 Rn. 7). Zu den geschützten natürlichen Personen gehört auch ein im Ausland lebender Ausländer, der sich nach seiner Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland und Abschiebung ins Ausland gerade gegen diese Behandlung durch die Ausländerbehörde während seines Aufenthalts in der Bundesrepublik wendet, mit der er in den deutschen Rechts- und Verfassungsrahmen einbezogen worden war (BVerwG NJW 1981, 700; OVG NRW NJW 1979, 281).
III. Eingriffe
In das Petitionsrecht wird eingegriffen, wenn eine zulässige Petition nicht angenommen oder nicht in einer dem Schutzgehalt des Art. 17 entsprechenden Weise behandelt wird, ferner etwa dann, wenn die Erstellung einer Petition (zB das Sammeln von Unterschriften für eine Gemeinschaftspetition, vgl. v. Münch/Kunig/Uerpmann-Wittzack/Edenharter Art. 17 Rn. 14) oder die Werbung für die Petition vor und nach der Einreichung (BVerwG NVwZ 2017, 1459) behindert oder die Wahrnehmung des Petitionsrechts mit nachteiligen Folgen für den Petenten verbunden wird.
IV. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Art. 17 unterliegt – mit Ausnahme des für den Wehr- und Ersatzdienstbereich geltenden Art. 17a I – keinem Schrankenvorbehalt. Weder die Schranken des Art. 2 I noch diejenigen des Art. 5 II sind übertragbar (Dreier/Bauer Art. 17 Rn. 50; v. Münch/Kunig/Uerpmann-Wittzack/Edenharter Art. 17 Rn. 13; Jarass/Pieroth/Jarass Art. 17 Rn. 12). Zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung von Eingriffen kommen daher grds. nur verfassungsimmanente Schranken (vgl. Vor Art. 1 Rn. 53) in Betracht. Art. 17 kann seine Grenzen etwa in dem durch Art. 2 I iVm Art. 1 I geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht (vgl. Art. 2 Rn. 5 ff.) finden. Welche der beiden widerstreitenden Grundrechtspositionen vorrangig ist, muss im Wege einer Abwägung ermittelt werden, bei der alle Umstände des Einzelfalls, der Sinn und Zweck des Petitionsrechts sowie die Bedeutung des verfassungsrechtlichen Persönlichkeits- bzw. Ehrenschutzes zu berücksichtigen sind (BVerfG [K] NJW 1991, 1475 (1476)). Das BVerfG ist allerdings hinsichtlich der Anerkennung lediglich verfassungsimmanenter Schranken nicht unbedingt konsequent, wie sich aus folgenden Ausführungen ergibt: „Wenn Art. 17 GG seinem Wortlaut nach nicht die Möglichkeit vorsieht, das Petitionsrecht einzuschränken, so unterliegt dessen Ausübung im Bereich des Vollzugs der Untersuchungshaft und einer Freiheitsstrafe doch jedenfalls solchen Beschränkungen, die sich aus dem Haftzweck zwingend ergeben und den Gehalt des Rechts im Kern unangetastet lassen. Gefangene können deshalb aus Art. 17 GG keinen Anspruch auf Kontaktaufnahme zu Mitgefangenen zum Zwecke der Abfassung einer gemeinschaftlichen Petition herleiten, sofern und solange solche Kontakte mit dem Haftzweck unvereinbar sind. Darüber hinaus gewährleistet Art. 17 GG keinen absolut geschützten Anspruch auf sofortige Weiterleitung einer Petition. Vielmehr kann auch insoweit eine Güterabwägung im Interesse überragender Gemeinschaftswerte zu vorübergehenden Beschränkungen in der Grundrechtsausübung führen“ (BVerfGE 49, 24 (57 f.) – ohne die Hervorhebungen).