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Vorbemerkungen vor Artikel 1: Allgemeine Grundrechtslehren

I. Begriff und Arten der Grundrechte

1. Begriff

Die Grundrechte des Grundgesetzes werden zumeist definiert als die von der Verfassung garantierten, gerichtlich durchsetzbaren subjektiven Rechte, welche den Einzelnen berechtigen und den Staat verpflichten (vgl. etwa Katz/Sander Rn. 612) Grundrechte (ausf. zu deren Einteilung Stern/Sodan/Möstl/Sauer § 64 Rn. 1 ff.) zeichnen sich jedoch nicht nur durch subjektiv-rechtliche, sondern auch durch objektiv-rechtliche Dimensionen aus (Rn. 10 ff., 20 ff.).

2. Arten

a) Bundes- und Landesgrundrechte sowie europäische Grundrechte

Grundrechtsvorschriften existieren auch auf landesverfassungsrechtlicher Ebene. Die Kompetenz der Länder zur Regelung von Landesverfassungsrecht ergibt sich aus ihrer Eigenstaatlichkeit. Die Staatsqualität der Länder beruht darauf, dass die Ausübung der auch im Bundesstaat einheitlichen Staatsgewalt (die vom Gesamtvolk ausgeht) zwischen dem Bund und den Ländern nach Aufgabengebieten aufgeteilt ist und jeder Verband im Rahmen seiner Zuständigkeit diese Staatsgewalt unabhängig von den anderen Verbänden ausübt, insbes. sich die (beschränkten) staatlichen Hoheitsbefugnisse der Länder nicht vom Bund ableiten (vgl. BVerfGE 1, 14 (34); 60, 175 (207)). Nach Art. 142 bleiben ungeachtet der Vorschrift des Art. 31 („Bundesrecht bricht Landesrecht“) Bestimmungen der Landesverfassungen auch insoweit in Kraft, als sie in Übereinstimmung mit den Art. 1–18 Grundrechte gewährleisten. Dies gilt nicht nur für diejenigen subjektiven Verfassungsrechte, welche bereits im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Grundgesetzes in Landesverfassungen geregelt waren (Art. 142 Rn. 2). Insgesamt gesehen sind die Landesgrundrechtskataloge den Grundrechtsnormen der Bundesverfassung sehr ähnlich (Dreier/Dreier Vorb. Art. 1 Rn. 61; s. etwa zum Schutz der Berufsfreiheit durch die Landesverfassungen Stern/Sodan/Möstl/Sodan § 125 Rn. 138 ff.).

Art. 23 I 1 erlaubt nur die Mitwirkung an einer EU, die „einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet“; der Grundrechtsschutz auf der Ebene der EU wird materiell-rechtlich durch Art. 6 III EUV und die GRCh gesichert (dazu näher Art. 23 Rn. 13 ff., Art. 93 Rn. 42a ff.). Art. 6 I 1 EUV stellt die GRCh in Rang und Rechtsverbindlichkeit mit dem primären Unionsrecht auf eine Stufe. Das BVerfG hat mit Beschl. v. 6.11.2019 in Bezug auf unionsrechtlich nicht vollständig determiniertes innerstaatliches Recht entschieden, dass es dieses „primär“ auch dann am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes prüft, wenn das innerstaatliche Recht der Durchführung des Unionsrechts iSv Art. 51 I 1 GRCh dient, also dem Anwendungsbereich der GRCh unterfällt (BVerfGE 152, 152 (Ls. 1 lit. a, 169) – „Recht auf Vergessen I“). Das BVerfG begründete dies u. a. damit, dass „im Rahmen gestaltungsoffener Regelungen regelmäßig auch grundrechtlich Raum für Vielfalt eröffnet“ sei (BVerfGE 152, 152 (170)). Es stellte die Vermutung auf, dass eine Prüfung am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes das Schutzniveau der GRCh „mitgewährleistet“ (BVerfGE 152, 152 (175, 181 f.) – ohne die Hervorhebung). Die Grundrechte des Grundgesetzes sind damit grds. alleiniger Prüfungsmaßstab für innerstaatliches Recht auch im Bereich der Durchführung „gestaltungsoffenen“ Unionsrechts (bei „paralleler Geltung“ der GRCh; vgl. BVerfGE 152, 152 (179)). Nur, wenn „konkrete und hinreichende Anhaltspunkte“ dafür vorliegen, dass das unionsgrundrechtliche Schutzniveau im konkreten Fall „ausnahmsweise nicht gewährleistet ist“, gilt die Vermutung eines hinreichenden Grundrechtsschutzes durch die Grundrechte als widerlegt; im Interesse eines vollständigen Grundrechtsschutzes sind die entsprechenden Rechte der CRCh vom BVerfG in den „Prüfungsmaßstab einzubeziehen und grundsätzlich auch zur Geltung zu bringen“ (BVerfGE 152, 152 (179, 182 f.)). „Soweit die Grundrechte des Grundgesetzes durch den Anwendungsvorrang des Unionsrechts verdrängt werden,“ prüft das BVerfG „dessen Anwendung durch deutsche Stellen am Maßstab der Unionsgrundrechte “ und nimmt auf diese Weise seine Integrationsverantwortung nach Art. 23 I wahr (BVerfGE 152, 216 (Ls. 1 – „Recht auf Vergessen II“ – ohne die Hervorhebungen). Art. 6 II EUV verpflichtet die EU, der EMRK beizutreten. Die Grundrechte, wie sie in der EMRK gewährleistet sind und wie sie sich aus dem gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, sind als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts (Art. 6 III EUV). Zur Bedeutung der EMRK für die Auslegung des Grundgesetzes (s. auch Art. 59 Rn. 23 ff.) hat das BVerfG in seinem Urt. v. 4.5.2011 bzgl. der Sicherungsverwahrung (dazu ferner Art. 1 Rn. 31, Art. 2 Rn. 39, Art. 103 Rn. 16) folgende Leitsätze formuliert: „Die Europäische Menschenrechtskonvention steht zwar innerstaatlich im Rang unter dem Grundgesetz. Die Bestimmungen des Grundgesetzes sind jedoch völkerrechtsfreundlich auszulegen. Der Konventionstext und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dienen auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes […] Die völkerrechtsfreundliche Auslegung erfordert keine schematische Parallelisierung der Aussagen des Grundgesetzes mit denen der Europäischen Menschenrechtskonvention […] Grenzen der völkerrechtsfreundlichen Auslegung ergeben sich aus dem Grundgesetz. Die Berücksichtigung der Europäischen Menschenrechtskonvention darf nicht dazu führen, dass der Grundrechtsschutz nach dem Grundgesetz eingeschränkt wird; das schließt auch die Europäische Menschenrechtskonvention selbst aus (vgl. Art. 53 EMRK). Dieses Rezeptionshemmnis kann vor allem in mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen relevant werden, in denen das ‚Mehr‘ an Freiheit für den einen Grundrechtsträger zugleich ein ‚Weniger‘ für den anderen bedeutet. Die Möglichkeiten einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung enden dort, wo diese nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation nicht mehr vertretbar erscheint“ (BVerfGE 128, 326, Ls. 2).

b) Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte

Trotz der Überschrift zum Abschn. I („Die Grundrechte“) gewährleisten nicht alle nachfolgenden Artikel Grundrechte, wie etwa aus den Art. 1 III, 12a, 15, 17a, 18 sowie 19 I–III ersichtlich ist, welche lediglich Vorschriften über Grundrechte, aber keine Grundrechtsfestlegungen selbst enthalten. Auch außerhalb der Art. 1–19 normiert das Grundgesetz Rechte, die sich mit denjenigen vergleichen lassen, welche die Verfassung ausdrücklich als „Grundrechte“ bezeichnet. Es handelt sich um die sog. grundrechtsgleichen Rechte, die in Art. 93 I Nr. 4a und § 90 I BVerfGG genannt sind. Gem. diesen Vorschriften kann eine Verfassungsbeschwerde auch auf die Behauptung der Verletzung eines der dort näher bezeichneten Rechte gestützt werden. Danach enthalten grundrechtsgleiche Rechte Art. 20 IV, 33 I–III und V, 38 I 1 und II, 101 sowie 103. Der ebenfalls in Art. 93 I Nr. 4a und § 90 I BVerfGG aufgeführte Art. 104 statuiert genau genommen keine eigenständigen Rechte, sondern legt Verfahrensregeln bei Eingriffen in die durch Art. 2 II 2 geschützte Freiheit der Person fest (Art. 2 Rn. 32).

Die grundrechtsgleichen Rechte lassen sich materiell als Grundrechte qualifizieren; sie stehen, wie sich gerade auch aus Art. 93 I Nr. 4a ergibt, den (formellen) Grundrechten in den Art. 1–19 von Rang und Schutzwirkung her nicht nach, sind also keine „Grundrechte minderer Qualität“ (Dreier/Dreier Vorb. Art. 1 Rn. 65).

c) Menschen- und Bürgerrechte

Eine klassische Unterscheidung trifft das Grundgesetz, indem es Grundrechte teilw. als Menschenrechte und teilw. als Bürgerrechte gewährleistet. Menschenrechte sind diejenigen Grundrechte, die allen Personen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit zustehen, Bürgerrechte hingegen diejenigen Grundrechte, die nur den Staatsangehörigen gewährleistet sind (s. etwa Badura C Rn. 12, L Rn. 35; Katz/Sander Rn. 640). Letztere werden im Falle des Grundgesetzes auch als „Deutschen-Grundrechte“ bezeichnet. So garantiert das Grundgesetz die Versammlungsfreiheit in Art. 8 I, die Vereinigungsfreiheit in Art. 9 I, die Freizügigkeit in Art. 11 I sowie die Berufsfreiheit in Art. 12 jeweils ausdrücklich nur allen Deutschen iSd Art. 116 I. In Art. 16 I 1 wird der Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit verboten; gem. Art. 16 II 1 darf kein Deutscher an das Ausland ausgeliefert werden. Nach hM wird das in den sachlichen Schutzbereich spezieller Deutschen-Freiheitsrechte fallende Verhalten zugunsten von Ausländern durch das in Art. 2 I garantierte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in seiner Funktion als „Auffanggrundrecht“ geschützt (Rn. 36 ff., Art. 2 Rn. 1 ff., 8). Keine Probleme entstehen insoweit im Hinblick auf die – zahlenmäßig überwiegenden – Grundrechte, welche das Grundgesetz allen Menschen einräumt und die somit als Menschenrechte oder auch „Jedermann-Grundrechte“ bezeichnet werden. Dies ergibt sich etwa aus Formulierungen, dass jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hat (Art. 2 II 1), alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind (Art. 3 I) und niemand wegen seines Geschlechtes oder eines anderen in Art. 3 III genannten Gesichtspunktes benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Teilw. folgt der Menschenrechtscharakter einer Grundrechtsgewährleistung auch aus dem Fehlen einer Eingrenzung für das Schutzgut: So heißt es etwa in Art. 4 I, dass die Freiheit des Glaubens, des Gewissens sowie des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich sind – ohne personelle Beschränkung auf Deutsche iSd Art. 116 I.

d) Freiheits- und Gleichheitsrechte

Grdl. ist ferner die Unterscheidung zwischen Freiheits- und Gleichheitsrechten. Nicht nur zahlenmäßig dominieren im Grundgesetz die Freiheitsrechte. Schon früh hat das BVerfG vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung der Grundrechte deren primäre Funktion als Abwehrrechte zur Sicherung der Freiheitssphäre des Einzelnen vor staatlichen Eingriffen betont (s. BVerfGE 7, 198 (204 f.) und näher Rn. 11 ff.). Bestimmte Betätigungsmöglichkeiten zur Entfaltung der Freiheit (s. zur Diskussion über den Freiheitsbegriff des Grundgesetzes Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, 47 ff.) schützt das Grundgesetz durch besondere Freiheitsrechte wie die Gewährleistungen der Versammlungs-, Vereinigungs- und Berufsfreiheit. Bereits im sog. Elfes-Urteil aus dem Jahr 1957 formulierte das BVerfG, das Grundgesetz habe „die Freiheit menschlicher Betätigung für bestimmte Lebensbereiche, die nach den geschichtlichen Erfahrungen dem Zugriff der öffentlichen Gewalt besonders ausgesetzt“ seien, „durch besondere Grundrechtsbestimmungen geschützt“; soweit ein solcher Schutz nicht gegeben sei, könne sich der Einzelne gegenüber Freiheitseingriffen auf das in Art. 2 I gewährleistete Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit berufen (BVerfGE 6, 32 (37)), welches daher als allgemeines Freiheitsrecht gilt (Art. 2 Rn. 1). Nach ganz überwiegend vertretener Auffassung ist auch jeweils eine „negative“ Freiheit grundrechtlich geschützt, also die Freiheit, von einer Gewährleistung keinen Gebrauch machen zu müssen (vgl. etwa BVerfGE 93, 1 (22) zur Religionsfreiheit).

Gleichheitsrechte hingegen sollen bewirken, dass Regelungen nicht zu Privilegierungen oder Diskriminierungen von Einzelnen oder Gruppen im Vergleich zu anderen führen; Schutzgut ist demnach „ein gewisses Mindestmaß an formal-rechtlicher Gleichbehandlung als Ausdruck einer egalitären Staatsbürgergesellschaft“, sodass Ungleichbehandlungen einer Rechtfertigung bedürfen (Dreier/Dreier Vorb. Art. 1 Rn. 76). Das Grundgesetz enthält neben dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I auch spezielle Gleichbehandlungsgebote bzw. Diskriminierungsverbote in Art. 3 II und III, 6 V, 33 I–III und Art. 38 I 1.

e) Materielle und prozessuale Grundrechte

Während materielle Grundrechte „einen bestimmten Freiheits- und Gleichheitsstandard“ gewährleisten, sollen prozessuale Grundrechte „deren Geltungskraft absichern, flankieren, ihnen zur Durchsetzung verhelfen“ (Dreier/Dreier Vorb. Art. 1 Rn. 77). Als prozessuales Hauptgrundrecht gilt Art. 19 IV 1: Danach steht jedem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen. Die Norm hat damit elementare Bedeutung für das Rechtsstaatsprinzip, indem sie ein Grundrecht auf gerichtlichen Individualrechtsschutz gegenüber Maßnahmen der öffentlichen Gewalt gewährleistet; sie enthält primär ein Leistungsgrundrecht, gleichzeitig aber auch die institutionelle Garantie einer Gerichtsbarkeit, welche diesen Rechtsschutzauftrag in angemessener und effektiver Weise zu erfüllen hat (Art. 19 Rn. 27). In teilweiser Konkretisierung des Art. 19 IV 1 treten hinzu die als „Justizgrundrechte“ bezeichneten grundrechtsgleichen Gewährleistungen des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101) und des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 I) sowie des Gesetzlichkeitsprinzips hinsichtlich Strafen (Art. 103 II) und des Verbots der Doppelbestrafung (Art. 103 III).

II. Dimensionen der Grundrechte

Insbes. durch die Rspr. des BVerfG wurden in den letzten Jahrzehnten verschiedene Schutzrichtungen der durch das Grundgesetz gewährleisteten Grundrechte aufgezeigt, welche sich als „Dimensionen“ (s. etwa Dreier, Dimensionen der Grundrechte, 1993, 27 ff., 41 ff.; H. H. Klein DVBl 1994, 489 (492 f.); Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, 289, 300, 384 f.) dieser Grundrechte bezeichnen lassen.

1. Subjektiv-rechtliche Dimensionen

Grundrechte sind „ subjektive öffentliche Rechte par excellence“ (Schmitt Glaeser/Horn Rn. 157; Sodan NVwZ 2000, 601 (602) – jew. ohne die Hervorhebungen). „Mit subjektiv-rechtlichen Dimensionen sind Gehalte der Grundrechtssätze gemeint, die den Grundrechtsträgern unmittelbar einen Rechtsanspruch gegen den Staat einräumen“ (Dreier/Dreier Vorb. Art. 1 Rn. 83). § 194 I BGB definiert für das Zivilrecht den Anspruch als das „Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen“. Überträgt man diese Legaldefinition sinngemäß auf den Grundrechtsbereich, so geht es also im Bereich der subjektiv-rechtlichen Dimensionen jew. um die Frage, ob der Grundrechtsträger vom Staat ein Tun oder Unterlassen verlangen kann.

a) Grundrechte als Abwehrrechte

Das BVerfG sieht die „Sinnmitte“ der „vom Grundgesetz verbürgten materiellen Grundrechte“ in dem „Schutz der privaten natürlichen Person gegen hoheitliche Übergriffe“ (BVerfGE 61, 82 (101)). In stRspr bezeichnet es daher die Abwehr von Staatsmacht als zwar nicht ausschließliche, aber doch primäre Funktion der Grundrechte (s. etwa BVerfGE 7, 198 (204 f.); 21, 362 (369); 68, 193 (205)). Zur Begründung dient insbes. die historische Entwicklung der Grundrechte (s. dazu Sodan/Ziekow § 20). Der auf Unterlassen staatlicher Maßnahmen gerichtete Abwehrcharakter der Grundrechte wird plastisch etwa in den Worten, dass „dem Einzelnen um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit willen ein ‚Innenraum‘ verbleiben muß, in dem er ‚sich selbst besitzt‘ und ‚in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat, in dem man in Ruhe gelassen wird und ein Recht auf Einsamkeit genießt‘“ (BVerfGE 27, 1 (6)).

Eine pointiert liberale Grundrechtssicht liegt etwa auch der „Sphärentheorie“ zugrunde, welche das BVerfG im sog. Elfes-Urteil (BVerfGE 6, 32 (41)) und fortan fast wortgleich in stRspr (s. etwa BVerfGE 6, 389 (433); 7, 198 (220 f.); 39, 1 (42)) für das in Art. 2 I gewährleistete Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit vertritt: Danach sei dem einzelnen Bürger eine Sphäre privater Lebensgestaltung verfassungskräftig vorbehalten, sodass „ein letzter unantastbarer Bereich menschlicher Freiheit“ bestehe, welcher der Einwirkung der gesamten öffentlichen Gewalt entzogen sei; ein Gesetz, das in ihn eingreife, könne nie Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung sein. Speziell in Art. 12 I sieht das BVerfG die primäre Funktion verankert, „die eigenpersönliche, selbstbestimmte Lebensgestaltung abzuschirmen, also Freiheit von Zwängen oder Verboten im Zusammenhang mit Wahl und Ausübung des Berufes zu gewährleisten“ (BVerfGE 33, 303 (331)).

Das klassisch-liberale Grundrechtsverständnis gründet auf der konstitutionellen Staatsrechtslehre (s. dazu Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, 3 ff., 158 ff.) und geht von dem „fundamentalen Verteilungsprinzip des bürgerlichen Rechtsstaates“ aus: Danach ist „die Freiheit des Einzelnen prinzipiell unbegrenzt, während die Befugnis des Staates zu Eingriffen in diese Sphäre prinzipiell begrenzt ist“ (C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, 126). „Auf der einen Seite also die ursprunghafte, nicht rechtfertigungsbedürftige, grundsätzlich umfassende Freiheit des Individuums, auf der anderen die notwendig rechtlich gebundene und beschränkte, auf Rechtfertigung verwiesene Staatsgewalt“ (HStR IX/Isensee § 191 Rn. 9). Die Grundrechte werden insoweit als „rechtliche Umhegungen vorstaatlicher, natürlicher Freiheit“ angesehen, die als „staatsfreie Sphäre“ des Individuums gegen den staatlichen Herrschaftsbereich abgegrenzt wird (Ossenbühl NJW 1976, 2100 (2101)). Zur Sicherung einer möglichst ungehinderten Entfaltung des einzelnen Bürgers durch größtmögliche Freiheitsschonung sind der Betätigung des Staates rechtliche Schranken gesetzt; in die Freiheit darf also nur unter Wahrung bestimmter formeller und materieller Anforderungen – insbes. des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – eingegriffen werden (Rn. 54 ff.). Das Abwehrrecht soll dem Bürger einen status negativus iSd Lehre von Georg Jellinek gewährleisten, der folgende „allumfassende Formel“ entwickelt hat: „Das Individuum soll vom Staate zu keiner gesetzwidrigen Leistung herangezogen werden und hat demnach einen auf Anerkennung seiner Freiheit beruhenden Anspruch auf Unterlassung und Aufhebung der diese Norm überschreitenden obrigkeitlichen Befehle. Alle Freiheit ist einfach Freiheit von gesetzwidrigem Zwange“ (Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, 103). Die Freiheitsrechte erhalten auf diese Weise die Funktion, die Bürger vor dem Missbrauch staatlicher Macht zu schützen. Nach diesem Verständnis tritt der Staat „einseitig als möglicher Widerpart der Grundrechte in Erscheinung“ (HStR IX/Isensee § 191 Rn. 2). Dem entspricht die Vorstellung, dass Staat und Gesellschaft zwei zu unterscheidende und strukturell gegensätzliche „Sphären“ darstellen (Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, 50).

b) Grundrechte als originäre Leistungsrechte

Zurückhaltung ist im Hinblick auf die Herleitung von originären Leistungsansprüchen aus Grundrechtsnormen geboten, sofern das Grundgesetz diese Ansprüche nicht ausdrücklich einräumt (s. dazu Stern/Sodan/Möstl/Sodan § 66 Rn. 1 ff.). Darunter sind Leistungsrechte zu verstehen, die unabhängig von bereits vorhandenen Leistungssystemen bestehen, also auf Schaffung bestimmter Leistungen gerichtet sind. ISd Lehre von Georg Jellinek gewährleistet ein Leistungsrecht – im Gegensatz zum soeben erörterten Abwehrrecht – nicht einen status negativus (Rn. 13), sondern einen status positivus. Der „bedeutsamste gleichsam aus dem Zentrum des positiven Status entspringende Anspruch“ ist für Jellinek derjenige auf Rechtsschutz (Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, 124). So enthält die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV 1 primär ein Leistungsgrundrecht (Rn. 8), welches durch die grundrechtsgleichen Gewährleistungen des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101) und des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 I) verstärkt wird. Art. 6 IV spricht ausdrücklich von einem Anspruch jeder Mutter auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Aus Art. 1 I iVm dem Sozialstaatsprinzip folgt der Leistungsanspruch auf Sicherung des Existenzminimums (Art. 1 Rn. 18; s. zu einer Übersicht über Leistungsrechte der Verfassung Stern/Sodan/Möstl/Sodan § 66 Rn. 10 ff.).

Abgesehen von solchen Sonderfällen sprechen gegen die Ableitung originärer leistungsstaatlicher Verbürgungen aus Grundrechtsnormen wegen der haushaltsrechtlichen Konsequenzen das Budgetrecht des Parlaments (vgl. Art. 110 II 1) und generell die damit verbundene Einschränkung der Gestaltungsfreiheit des demokratischen Gesetzgebers (Dreier/Dreier Vorb. Art. 1 Rn. 90; vgl. auch BVerfGE 33, 303 (333)). Das Grundgesetz verzichtet gerade auf die Statuierung „sozialer Grundrechte“ wie etwa eines Rechts auf Arbeit, das sich auch nicht aus dem in Art. 12 I 1 allen Deutschen gewährleisteten Recht herleiten lässt, den Arbeitsplatz frei zu wählen (vgl. Hesse Rn. 208; auch Art. 12 Rn. 6).

c) Grundrechte als Gleichbehandlungsrechte

Zu einer eigenen Kategorie innerhalb der subjektiv-rechtlichen Dimensionen der Grundrechte führen die Gleichbehandlungsrechte. Diese lassen sich weder dem status negativus noch dem status positivus ausschließlich zuordnen, weil der grundrechtlich verbürgte Anspruch auf Gleichbehandlung vom Staat entweder ein Unterlassen oder ein zusätzliches Tun verlangen kann (Dreier/Dreier Vorb. Art. 1 Rn. 91).

Eine Abwehrfunktion kommt ihnen zu, wenn es um die Verhinderung oder Beseitigung einer gleichheitswidrigen Belastung geht. Praktisch bedeutsam sind insbes. verwaltungsgerichtliche Klagen von Konkurrenten im wirtschaftlichen Wettbewerb, die darauf gerichtet sind, sachlich nicht zu rechtfertigende wettbewerbsbeeinflussende Begünstigungen anderer Marktteilnehmer durch den Staat abzuwehren; ein diesbezüglicher Abwehranspruch kann sich vor allem aus dem in Art. 12 I gewährleisteten Grundrecht der Berufsfreiheit iVm dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I ergeben (vgl. dazu näher Sodan/Ziekow/Sodan VwGO § 42 Rn. 446 f.).

Aus Gleichbehandlungsrechten lassen sich jedoch auch derivative Leistungs- und Teilhaberechte herleiten. So können aus Art. 3 I gegenüber dem Staat Ansprüche auf gleiche Begünstigung hinsichtlich bestehender öffentlicher Leistungen resultieren (vgl. dazu Stern/Sodan/Möstl/Sodan § 66 Rn. 36 ff.), etwa auf gleichen Zugang zu öffentlichen Einrichtungen (Art. 3 Rn. 5). „Je stärker der moderne Staat sich der sozialen Sicherung und kulturellen Förderung der Bürger zuwendet, desto mehr tritt im Verhältnis zwischen Bürger und Staat neben das ursprüngliche Postulat grundrechtlicher Freiheitssicherung vor dem Staat die komplementäre Forderung nach grundrechtlicher Verbürgung der Teilhabe an staatlichen Leistungen“ (BVerfGE 33, 303 (330 f.)).

Nach der Rspr. des BVerfG ergibt sich aus der Ausbildungs- und Berufswahlfreiheit des Art. 12 I 1 iVm dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I „für diejenigen, die dafür die subjektiven Zulassungsvoraussetzungen erfüllen, ein Recht auf gleiche Teilhabe am staatlichen Studienangebot und damit ein derivativer Anspruch auf gleichheitsgerechte Zulassung zum Studium ihrer Wahl […]. Bei der Ausgestaltung der Zulassungsregeln für das Hochschulstudium ist auch dem Sozialstaatsprinzip Rechnung zu tragen“ (BVerfGE 147, 253 (305 f.) – ohne die Hervorhebungen; vgl. auch bereits BVerfGE 33, 303 (331 f.); 85, 36 (53 f.); 134, 1 (13); BVerwGE 134, 1 (7 f.); BVerwG NVwZ 2011, 1272 (1273)). Dieses derivative Teilhaberecht reicht aber „nicht so weit, dass es einen individuellen Anspruch begründen könnte, Ausbildungskapazitäten in einem Umfang zu schaffen, welcher der jeweiligen Nachfrage gerecht wird. Die Frage der Bemessung der Anzahl verfügbarer Ausbildungsplätze obliegt der Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, der bei seiner Haushaltswirtschaft neben den Grundrechten der Studienplatzbewerberinnen und -bewerber auch andere Gemeinwohlbelange berücksichtigt […]. Das Recht auf chancengleichen Zugang zum Hochschulstudium besteht damit nur in dem Rahmen, in dem der Staat tatsächlich Ausbildungskapazitäten zur Verfügung stellt“ (BVerfGE 147, 253 (306 f.)). Teilhaberechte stehen also „unter dem Vorbehalt des Möglichen“ und sind „notwendig regelungsbedürftig“ (BVerfGE 33, 303 (336); vgl. auch BVerwGE 134, 1 (7 f.) betr. allgemeine Studienabgaben). „In Fächern wie der Humanmedizin, in denen die Anzahl an Bewerbungen das Angebot an Studienplätzen weit übersteigt, kann der Teilhabeanspruch die tatsächliche Studienzulassung von vornherein nicht garantieren“ (BVerfGE 147, 253 (307); vgl. auch bereits BVerfGE 43, 291 (316)). Der Gesetzgeber ist jedoch verpflichtet, „Regeln für die verfassungsgemäße Verteilung knapper Studienplätze“ zu „schaffen, die dem Grundrecht auf gleiche Teilhabe an staatlichen Studienangeboten […] genügen. Er muss die Vergabe knapper Studienplätze auf solche Weise regeln, dass deren gleichheitsgerechte Verteilung sichergestellt ist […]. Die gesetzlichen Regelungen müssen zudem dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts genügen“ (BVerfGE 147, 253 (307)).

2. Objektiv-rechtliche Dimensionen

„Grundrechtswirkungen, die nicht unmittelbar subjektive Rechtsansprüche gewährleisten, lassen sich unter dem Sammelbegriff der objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalte bzw. der objektiv-rechtlichen Dimensionen zusammenfassen“ (Dreier/Dreier Vorb. Art. 1 Rn. 94). Bereits im sog. Lüth-Urteil des BVerfG aus dem Jahr 1958 folgt der Betonung der primären Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat der Hinweis auf eine im Grundrechtsabschnitt des Grundgesetzes auch errichtete „objektive Wertordnung“, in der „eine prinzipielle Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte zum Ausdruck kommt“ (BVerfGE 7, 198 (205)). Teilw. spricht das BVerfG auch vom „objektiv-rechtlichen Gehalt“ (BVerfGE 53, 30 (57)), von „objektivrechtlichen Elementen“ (BVerfGE 57, 295 (320)) oder von einer „objektiv-rechtlichen Wertentscheidung“ eines Grundrechts (BVerfGE 77, 170 (214)).

Eine gewisse Zurückhaltung bringt das BVerfG im Zusammenhang mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit wirtschaftsordnender Gesetze im sog. Mitbestimmungs-Urteil aus dem Jahr 1979 wie folgt zum Ausdruck: „Nach ihrer Geschichte und ihrem heutigen Inhalt sind“ die Einzelgrundrechte „in erster Linie individuelle Rechte, Menschen- und Bürgerrechte, die den Schutz konkreter, besonders gefährdeter Bereiche menschlicher Freiheit zum Gegenstand haben. Die Funktion der Grundrechte als objektiver Prinzipien besteht in der prinzipiellen Verstärkung ihrer Geltungskraft […], hat jedoch ihre Wurzel in dieser primären Bedeutung […]. Sie läßt sich deshalb nicht von dem eigentlichen Kern lösen und zu einem Gefüge objektiver Normen verselbständigen, in dem der ursprüngliche und bleibende Sinn der Grundrechte zurücktritt“ (BVerfGE 50, 290 (337); vgl. auch BVerfGE 115, 320 (358)). Diese Äußerung fügt sich in die mehrheitlich vertretene neuere Grundrechtsdogmatik ein, der es „nicht um eine Ablehnung oder Zurückdrängung der Abwehrfunktion, sondern um ihre Ergänzung durch weitere Funktionen“ geht (Jarass AöR 120 [1995], 345 (347)).

a) Geltung der Grundrechte im Privatrecht

Das Verständnis der im Grundgesetz verankerten Grundrechte als Elemente einer objektiven Werteordnung (s. dazu näher Di Fabio JZ 2004, 1 ff.; Stern/Sodan/Möstl/Cornils § 69 Rn. 19 f.) führt zu Konsequenzen für die Beantwortung der Frage, ob und ggf. inwieweit Grundrechte zwischen Privatpersonen gelten (sog. Drittwirkung der Grundrechte ).

Nur in wenigen Vorschriften ordnet das Grundgesetz eine solche Wirkung eines Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechts auf Private bzw. ein Privatrechtsverhältnis ausdrücklich an: Nach Art. 9 III 2 sind Abreden, welche das in Art. 9 III 1 garantierte Grundrecht der Koalitionsfreiheit einschränken oder zu behindern suchen, nichtig; hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Wegen des damit umfassend gewährleisteten Schutzes im Privatrechtsverkehr handelt es sich um eine unmittelbare Drittwirkung. Auch das in Art. 20 IV geregelte grundrechtsgleiche Widerstandsrecht entfaltet unmittelbare Wirkungen im Privatrecht; da Angreifer nach dem Wortlaut „jeder“ sein kann, besteht das Widerstandsrecht gegenüber Angriffen nicht nur durch staatliche Stellen, sondern grds. auch durch Private (DHS/Grzeszick Art. 20 Abschn. IX Rn. 17). Eine unmittelbare Drittwirkung ergibt sich ferner aus Art. 38 I 1 iVm Art. 48 II (vgl. BVerfGE 42, 312 (328)). Nach letzterer Vorschrift darf niemand gehindert werden, das Amt eines Abgeordneten zu übernehmen und auszuüben; eine Kündigung oder Entlassung aus diesem Grund ist unzulässig. Die soeben genannten Festlegungen unmittelbarer Drittwirkung sind besondere Regelungen und daher nicht verallgemeinerungsfähig. Sie belegen gerade, dass im Übrigen Grundrechte zwischen Privatpersonen nicht direkt gelten. Dafür spricht ferner die aus der historischen Entwicklung abzuleitende primäre Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat (Rn. 11 ff.). Zudem bindet Art. 1 III ausdrücklich nur Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rspr. an die nachfolgenden Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht. Schließlich ist zu bedenken, dass eine vollständige Grundrechtsbindung der Privatrechtssubjekte die auch grundrechtlich geschützte „Privatautonomie im Kern zerstören und die grundrechtlichen Freiheiten zu einer umfassenden Pflichtenordnung denaturieren“ würde (Dreier/Dreier Vorb. Art. 1 Rn. 98). Ansätze zur Herleitung einer unmittelbaren Drittwirkung von Grundrechten, wie sie in der frühen Rspr. des BAG und des BGH vertreten worden sind (s.etwa BAGE 1, 185 (192 ff.); 13, 168 (174 ff.); BAG NJW 1973, 77 f.; BGHZ 24, 72 (76 f.); 38, 317 (319 f.)), wurden daher von diesen Gerichten zu Recht mittlerweile nicht wieder aufgegriffen (s. zB BAGE 48, 122 (138 f.); 52, 88 (97 f.); BGHZ 70, 313 (324); 202, 242 (250 f.); BGH NJW 1986, 2944 f.).

Andererseits spricht gerade die in Grundrechten zum Ausdruck kommende objektive Werteordnung gegen eine generelle Verneinung grundrechtlicher Drittwirkung. Die heute ganz hM folgt daher einem vermittelnden Ansatz und befürwortet eine „Ausstrahlungs- oder mittelbare Drittwirkung der Grundrechte“ (BVerfGE 73, 261 (269)): Danach gelten die im Grundrechtsabschnitt des Grundgesetzes enthaltenen verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen „für alle Bereiche des Rechts“ und damit auch für das Privatrecht; sie „entfalten sich durch das Medium derjenigen Vorschriften, die das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschen, und haben vor allem auch Bedeutung bei der Interpretation zivilrechtlicher Generalklauseln“, wie sie etwa § 138 I BGB in Bezug auf ein sittenwidriges Rechtsgeschäft und § 242 BGB hinsichtlich der Leistung nach Treu und Glauben enthalten (BVerfGE 89, 214 (229); vgl. ferner etwa BVerfGE 7, 198 (205 f.); 103, 89 (100 f.); BVerfG [K] NJW 2013, 3086 (3087)). Auch die in § 826 BGB zum Schadensersatz verpflichtende sittenwidrige vorsätzliche Schädigung ist als Generalklausel eine „Einbruchstelle“ der Grundrechte in das bürgerliche Recht (BVerfGE 7, 198 (206)). In seiner jüngeren Rspr. stellt das BVerfG klar: „Der Einfluss der Grundrechte auf die Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Normen ist nicht auf Generalklauseln beschränkt, sondern erstreckt sich auf alle auslegungsfähigen und -bedürftigen Tatbestandsmerkmale der zivilrechtlichen Vorschriften“ (BVerfGE 129, 78 (102); fast wortgleich BVerfGE 142, 74 (101)). Es geht also jew. um eine grundrechts- und damit verfassungskonforme Auslegung (vgl. Kulick NJW 2016, 2236 (2238 ff.) und allg. Sodan/Ziekow § 2 Rn. 13 ff.). In einem Beschl. v. 11.4.2018 betont das BVerfG, dass die Grundrechte „hier nicht auf eine möglichst konsequente Minimierung von freiheitsbeschränkenden Eingriffen“ zielen, sondern „als Grundsatzentscheidungen im Ausgleich gleichberechtigter Freiheit zu entfalten“ sind (BVerfGE 148, 267 (280)). „Grundsätzlich gehört es zur Freiheit jeder Person, nach eigenen Präferenzen darüber zu bestimmen, mit wem sie wann unter welchen Bedingungen welche Verträge abschließen und wie sie hiermit auch von ihrem Eigentum Gebrauch machen will. […] Ein allgemeiner Grundsatz, wonach private Vertragsbeziehungen jeweils den Rechtfertigungsanforderungen des Gleichbehandlungsgebots unterlägen, folgt […] aus Art. 3 Abs. 1 GG auch im Wege der mittelbaren Drittwirkung nicht. […] Gleichheitsrechtliche Anforderungen für das Verhältnis zwischen Privaten können sich aus Art. 3 Abs. 1 GG jedoch für spezifische Konstellationen ergeben. Eine solche Konstellation liegt“ einem „bundesweit gültigen Stadionverbot zugrunde. Maßgeblich für die mittelbare Drittwirkung des Gleichbehandlungsgebots ist dessen Charakter als einseitiger, auf das Hausrecht gestützter Ausschluss von Veranstaltungen, die aufgrund eigener Entscheidung der Veranstalter einem großen Publikum ohne Ansehen der Person geöffnet werden und der für die Betroffenen in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheidet. Indem ein Privater eine solche Veranstaltung ins Werk setzt, erwächst ihm von Verfassungs wegen auch eine besondere rechtliche Verantwortung. Er darf seine hier aus dem Hausrecht – so wie in anderen Fällen möglicherweise aus einem Monopol oder aus struktureller Überlegenheit – resultierende Entscheidungsmacht nicht dazu nutzen, bestimmte Personen ohne sachlichen Grund von einem solchen Ereignis auszuschließen“ (BVerfGE 148, 267 (283 f.) – ohne die Hervorhebung; s. dazu näher Jobst NJW 2020, 11 ff.).

b) Grundrechtliche Schutzpflichten

Eine wichtige Konsequenz der Deutung der Grundrechte als objektive Werteordnung ist die Begründung von Schutzpflichten (ausf. dazu Stern/Sodan/Möstl/Möstl § 68 Rn. 1 ff.). Eine ausgeprägte Judikatur des BVerfG besteht insoweit vor allem zu den Grundrechten auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Danach folgt aus dem „objektiv-rechtlichen Gehalt die Pflicht der staatlichen Organe, sich schützend und fördernd vor die in Art. 2 Abs. 2 GG genannten Rechtsgüter zu stellen und sie insbesondere vor rechtswidrigen Eingriffen von seiten anderer zu bewahren“ (BVerfGE 56, 54 (73); vgl. ferner etwa BVerfGE 39, 1 (41); 46, 160 (164); 115, 25 (44 f.); 115, 118 (152); 140, 229 (237); 142, 313 (337); BVerfG [K] NVwZ 2013, 502; NJW 2015, 150; DVBl 2015, 700; NJW 2015, 3500 (3501)). Der Staat ist insoweit also nicht zur Unterlassung verpflichtet, sondern zum Handeln aufgefordert. In diesem Zusammenhang hebt das BVerfG auch Art. 1 I 2 hervor, wonach es Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen: „Daraus können sich verfassungsrechtliche Schutzpflichten ergeben, die es gebieten, rechtliche Regelungen so auszugestalten, daß auch die Gefahr von Grundrechtsverletzungen eingedämmt bleibt“ (BVerfGE 49, 89 (142); vgl. auch BVerfGE 88, 203 (251); BVerfG [K] NVwZ 2009, 1489; 2009, 1494 (1495); NVwZ 2011, 991 (993)).

Das BVerfG legt nach der Ableitung verfassungsrechtlicher Schutzpflichten aus der objektiv-rechtlichen Wertentscheidung der Verfassung die subjektiv-rechtliche Bedeutung dieser Schutzpflichten wie folgt dar: „Werden diese Schutzpflichten verletzt, so liegt darin zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, gegen die sich der Betroffene mit Hilfe der Verfassungsbeschwerde zur Wehr setzen kann“ (BVerfGE 77, 170 (214)). Aus der staatlichen Schutzpflicht erwächst also ein Schutzrecht des betroffenen Bürgers. „Schutzpflicht des Staates und Schutzanspruch des Bürgers für die Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit und Eigentum bilden den Kern der mit der modernen Staatlichkeit unabdingbar verbundenen Friedens- und Sicherheitsgewährleistung. Traditionell bildet ihre Erfüllung die Legitimationsgrundlage des staatlichen Anspruchs auf Loyalität und Rechtsgehorsam“ (Link VVDStRL 48 [1990], 7 (52), Ls. 10). Grds. besteht allerdings kein subjektives Recht auf eine bestimmte gesetzliche Maßnahme, sondern nur „auf ein Tätigwerden des Gesetzgebers überhaupt“ (Stern DÖV 2010, 241 (248)).

Die gerichtliche Überprüfbarkeit der Erfüllung von Schutzpflichten stößt auf Grenzen (s. dazu im Einzelnen Sodan NVwZ 2000, 601 (603 ff.)). „Die aus den Grundrechten folgenden subjektiven Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe einerseits und die sich aus der objektiven Bedeutung der Grundrechte ergebenden Schutzpflichten andererseits unterscheiden sich insofern grundlegend voneinander, als das Abwehrrecht in Zielsetzung und Inhalt ein bestimmtes staatliches Verhalten verbietet, während die Schutzpflicht grundsätzlich unbestimmt ist“ (BVerfGE 142, 313 (337); vgl. auch bereits BVerfGE 115, 118 (160)). Dem Gesetzgeber und der vollziehenden Gewalt kommen daher nach der Rspr. des BVerfG bei der Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten „ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich zu, der auch Raum läßt, etwa konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen“ (BVerfGE 77, 170 (214 f.); 79, 174 (202); BVerfG [K] NVwZ 2009, 1489 f.; 2009, 1494 (1495); 2011, 991 (993); vgl. ferner BVerfGE 142, 313 (337)). Die staatlichen Organe haben „prinzipiell in eigener Verantwortung zu entscheiden“, wie sie ihren Schutzpflichten nachkommen; sie dürfen zu deren Erfüllung aber nur Mittel wählen, „deren Einsatz mit der Verfassung in Einklang steht“ (BVerfGE 115, 118 (160); 115, 320 (358); s. auch Papier NJW 2017, 3025 (3026 f.)). Die „ weite Gestaltungsfreiheit kann von den Gerichten je nach Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden und der Bedeutung der auf dem Spiele stehenden Rechtsgüter nur in begrenztem Umfang überprüft werden“ (BVerfGE 77, 170 (215) – ohne Hervorhebung).

Das BVerfG hat in seiner Judikatur für eine Feststellung der Verletzung einer grundrechtlichen Schutzpflicht wiederholt zur Voraussetzung erhoben, dass die staatlichen Organe entweder „gänzlich untätig geblieben“ oder „die bisher getroffenen Maßnahmen evident unzureichend sind“ (BVerfG [K] NJW 1996, 651; 1998, 2961 (2962); vgl. etwa auch BVerfGE 142, 313 (337 f.); BVerfG [K] NVwZ 2010, 702 (703); NJW 2010, 1943 (1944 f.); NVwZ 2013, 502; 2016, 841 (842)). Auf der Grundlage einer solchen Evidenzkontrolle verneinte das BVerfG in zahlreichen Fällen Verletzungen der Schutzpflicht für Leben und körperliche Unversehrtheit (dazu näher Art. 2 Rn. 23, 24). Einen strengeren Maßstab legte das Gericht nicht nur in seiner Judikatur zum Atomrecht (vgl. BVerfGE 49, 89 (142 f.); 53, 30 (57 ff.)), sondern vor allem auch in Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch an (vgl. BVerfGE 39, 1 (51 ff.); 88, 203 (251 ff.)). Im jüngeren „Nasciturus-Urteil“ von 1993 wich das BVerfG ausdrücklich vom Maßstab einer Evidenzkontrolle unter Hinweis auf den Schutz menschlichen Lebens ab (BVerfGE 88, 203 (262 f.)); es machte dem zur Neuregelung verpflichteten Gesetzgeber außerordentlich detaillierte Vorgaben (BVerfGE 88, 203, insbes. 270 ff.). In dieser Entscheidung wurde dem Gesetzgeber die Beachtung des Untermaßverbotes auferlegt: „Notwendig ist ein – unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter – angemessener Schutz; entscheidend ist, daß er als solcher wirksam ist. Die Vorkehrungen, die der Gesetzgeber trifft, müssen für einen angemessenen und wirksamen Schutz ausreichend sein und zudem auf sorgfältigen Tatsachenermittlungen und vertretbaren Einschätzungen beruhen […] Soll das Untermaßverbot nicht verletzt werden, muß die Ausgestaltung des Schutzes durch die Rechtsordnung Mindestanforderungen entsprechen“ (BVerfGE 88, 203 (254 f.); vgl. etwa auch BVerfG [K] NVwZ 2009, 1489 (1490); 2009, 1494 (1495)). Aus der zum Übermaßverbot entwickelten Terminologie (Rn. 64 ff.) können zur Anwendung des Untermaßverbotes die Begriffe der Eignung, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit unter Berücksichtigung der Besonderheiten grundrechtlicher Schutzpflichten verwandt werden (s. dazu näher Sodan NVwZ 2000, 601 (605 f.); vgl. auch Cremer DÖV 2008, 102 ff.).

Auch in anderen Verfassungsbestimmungen als den Grundrechten auf Leben und körperliche Unversehrtheit sind staatliche Schutzpflichten verankert. Dazu gehören etwa das in Art. 7 IV 1 gewährleistete Recht zur Errichtung von privaten Schulen (Art. 7 Rn. 15) und die in Art. 12 I 1 geschützte freie Wahl des Arbeitsplatzes (Art. 12 Rn. 7, 17; s. zu weiteren grundrechtlichen Schutzpflichten Stern DÖV 2010, 241 (246 f.)).

c) Institutionelle Gewährleistungen

In einigen Verfassungsnormen werden institutionelle Garantien gesehen, deren Anerkennung auf grundrechtstheoretische Entwicklungen aus der Zeit der Weimarer Republik zurückgeht (s. dazu im Einzelnen Mager, Einrichtungsgarantien, 2003, 21 ff.). So sieht man etwa in Art. 6 I Ehe und Familie sowie in Art. 14 I Eigentum und Erbrecht als jew. privatrechtliche Institute verankert, während öffentlich-rechtliche institutionelle Garantien für die kommunale Selbstverwaltung aus Art. 28 II und für das Berufsbeamtentum aus Art. 33 V hergeleitet werden (s. zu weiteren institutionellen Gewährleistungen Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, 51). Dabei geht es jew. im Kern „um eine Art von objektiver Bestandsgarantie für verfassungsrechtlich verbürgte und einfachgesetzlich auszuformende Einrichtungen oder Regelungskomplexe. Normgeprägte und daher besonders ausgestaltungsbedürftige Grundrechte wie Ehe und Familie […], Eigentum und Erbrecht […] erfahren so – neben ihrem weiterhin bestehenden subjektiv-abwehrrechtlichen Gehalt – einen gewissen objektiv-rechtlichen Kernbereichs- oder Substanzschutz. Allerdings verschwimmen Prägung, Konkretisierung, Ausgestaltung bis hin zur Inhaltsbestimmung von Grundrechten in dieser Kategorie auf kaum vermeidbare Weise“ (Dreier/Dreier Vorb. Art. 1 Rn. 107). Die institutionellen Garantien scheinen jedenfalls vor allem wegen der allgemeinen Anerkennung objektiv-rechtlicher Grundrechtsgehalte an Bedeutung verloren zu haben. Diese Entwicklung kommt auch in der Judikatur des BVerfG zum Ausdruck, die in jüngerer Zeit seltener auf institutionelle Garantien eingeht (vgl. Stern/Sodan/Möstl/Cornils § 67 Rn. 45 ff. s. zu Ausnahmen BVerfGE 103, 332 (376) in Bezug auf Art. 28 II und BVerfGE 105, 313 (342) hinsichtlich Art. 6 I).

d) Grundrechtssicherung durch Organisation und Verfahren

Nach gefestigter Rspr. des BVerfG beeinflussen „die Grundrechte nicht nur die Ausgestaltung des materiellen Rechts“, sondern setzen „zugleich Maßstäbe für eine den Grundrechtsschutz effektuierende Organisations- und Verfahrensgestaltung sowie für eine grundrechtsfreundliche Anwendung vorhandener Verfahrensvorschriften“ (BVerfGE 69, 315 (355); vgl. ferner etwa BVerfGE 58, 30 (65 f.); 84, 59 (72); 90, 60 (96)). „Erfüllt das vom Gesetzgeber geschaffene Verfahrensrecht seine Aufgabe nicht oder setzt es der Rechtsausübung so hohe Hindernisse entgegen, daß die Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition entsteht, dann ist es mit dem Grundrecht, dessen Schutz es bewirken soll, unvereinbar“ (BVerfGE 63, 131 (143); vgl. aus dem Schrifttum etwa Bethge NJW 1982, 1 ff.; Goerlich, Grundrechte als Verfahrensgarantien, 1981). Zum Kern grundrechtlicher Verfahrensgarantien gehört etwa, dass „die betroffenen Bürger ihren Standpunkt wirksam vertreten können. Sie müssen rechtzeitig über den Verfahrensstand informiert werden und die Möglichkeit haben, Einwände wirksam vorzubringen“ (BVerfGE 84, 59 (72)). Grundrechtsschutz durch Organisation wird bspw. über Regelungen im Hochschulrecht sichergestellt (dazu näher Art. 5 Rn. 46).

III. Grundrechtsverpflichtete und Grundrechtsträger

1. Grundrechtsverpflichtete

Grundrechtsverpflichtet, dh an die Grundrechte gebunden, ist jegliche staatliche Gewalt (vgl. Art. 1 III). Dabei kommt es nicht auf die Organisations- oder Handlungsform staatlicher Aufgabenerfüllung an (näher Art. 1 Rn. 32). Gerade die Verwaltung darf sich bei der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben grds. auch des Privatrechts bedienen (sog. Verwaltungsprivatrecht, s. dazu etwa Sodan/Ziekow § 67 Rn. 15 ff.). Anerkanntermaßen bleibt aber auch hier die Grundrechtsbindung bestehen, um eine „Flucht aus der Grundrechtsbindung in das Privatrecht“ zu verhindern (BVerfGE 128, 226 (245); s. näher Sodan/Ziekow/Sodan VwGO § 40 Rn. 312 ff., insbes. 314 ff.). Gleiches wird mittlerweile verstärkt und zu Recht auch für den Bereich des fiskalischen Staatshandelns vertreten (ausführl. und mit Nachw. Sodan/Ziekow/Sodan VwGO § 40 Rn. 357). Privatpersonen werden hingegen grds. nicht unmittelbar durch die Grundrechte gebunden; allerdings können die Grundrechte zwischen Privatpersonen eine mittelbare Drittwirkung entfalten (Rn. 22 ff.).

2. Grundrechtsträger

Träger eines Grundrechts ist derjenige, der aus ihm eine Berechtigung (etwa einen Abwehranspruch, Rn. 11 ff.) herleiten kann. Anstelle von Grundrechtsträgerschaft wird insoweit häufig auch von „Grundrechtsberechtigung“ oder von „Grundrechtsfähigkeit“ gesprochen. Prozessual verleiht die Grundrechtsberechtigung die Antragsbefugnis bzw. Beteiligtenfähigkeit im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde (Sodan/Ziekow § 51 Rn. 7 f.). Welche Personen Grundrechtsträger sein können, bestimmt sich im Einzelnen nach dem jeweiligen personellen Schutzbereich der Grundrechte (Rn. 46). Die nachfolgenden Erörterungen zur Grundrechtsträgerschaft zeigen allgemeine Maßstäbe auf.

a) Natürliche Personen

Grundrechtsträgerinnen sind prinzipiell zunächst alle natürlichen Personen.

aa) Deutsche und Ausländer

Auf alle Grundrechte – dh sowohl auf die „Jedermann-Grundrechte“ als auch die „Deutschen-Grundrechte“ (zur Unterscheidung Rn. 5) – können sich nur die Deutschen iSd Art. 116 I berufen.

Ausländer sind hingegen lediglich Grundrechtsträger der „Jedermann-Grundrechte“. Hinsichtlich derjenigen Freiheitsbereiche, für welche den Deutschen exklusiver Schutz durch die diesbezüglichen Bürgerrechte gewährt wird, können sich Ausländer indes auf die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 I berufen; denn das Grundgesetz trifft nach hM mit den „Deutschen-Grundrechten“ keine Entscheidung zum Ausschluss des Schutzes von deren Freiheitsgehalten durch das Auffanggrundrecht des Art. 2 I für Nicht-Deutsche (s. etwa BVerfGE 78, 179 (196 f.); 128, 1 (68)). Dabei darf aber nicht das Spezialitätsverhältnis zwischen dem jeweiligen „Deutschen-Grundrecht“, das den betreffenden Freiheitsbereich schützt, und Art. 2 I außer Acht gelassen werden; insoweit kann der Nicht-Deutsche also nicht den gleichen Schutz über Art. 2 I beanspruchen (etwa im Hinblick auf engere Beschränkungsmöglichkeiten) wie ein Deutscher über das für ihn einschlägige „Deutschen-Grundrecht“ (s. BVerfGE 78, 179 (197)).

Teilw. wird hingegen die Ansicht vertreten, die Auffangfunktion des Art. 2 I greife in solchen Fällen nicht zugunsten von Ausländern, da ein solcher Rückgriff nur zulässig sei, wenn ein spezielles Freiheitsrecht tatbestandsmäßig nicht einschlägig sei; mit der Beschränkung auf Deutsche werde jedoch vom Grundrechtstatbestand her eine negative Regelung zu Lasten von Ausländern getroffen (so etwa Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 9 Rn. 30). Daraus ergäbe sich aber als Konsequenz, dass für Ausländer über Art. 2 I gerade nicht die besonders bedeutenden, für die Deutschen spezialgrundrechtlich geschützten Freiheiten wie etwa die durch Art. 12 I gewährleistete Berufsfreiheit, sondern alle übrigen von Art. 2 I erfassten Freiheiten wie etwa das Autofahren oder das Reiten im Walde (Art. 2 Rn. 3) grundrechtlich geschützt wären.

Problematisch ist, ob hinsichtlich der in den „Deutschen-Grundrechten“ geschützten Freiheitsgehalte auch für EU-Ausländer „nur“ eine Berufung auf Art. 2 I möglich ist oder diesen in Bezug auf insbes. das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV der gleiche Schutz wie den Deutschen durch Anwendbarkeit der „Deutschen-Grundrechte“ eingeräumt werden muss. Soweit Letzteres vertreten wird (s. Ehlers JZ 1996, 776 (781); Jarass/Pieroth/Jarass Art. 19 Rn. 14; Wernsmann Jura 2000, 657 ff.), ist dem schon der klare Wortlaut derjenigen Grundrechtsvorschriften entgegenzuhalten, die ausdrücklich nur für Deutsche gelten; ob sich das BVerfG der soeben genannten, in der Literatur vertretenen Auffassung anschließen wird, bleibt abzuwarten; ein Beschl. v. 19.7.2011 (BVerfGE 129, 78 (97)) betrifft ausdrücklich nur eine mit den Grundfreiheiten und dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV begründete „Anwendungserweiterung“ des Art. 19 III auf juristische Personen mit einem Sitz im EU-Ausland (näher Art. 12 Rn. 19, Art. 14 Rn. 20, Art. 19 Rn. 18). Nach einer auch im Schrifttum vertretenen Ansicht (Dreier/Dreier Vorb. Art. 1 Rn. 116; HStR V/Rüfner, 2. Aufl. 2000, § 116 Rn. 12) soll zwar nur die Berufung auf Art. 2 I möglich sein; dabei seien aber die – regelmäßig engeren – Beschränkungsmöglichkeiten des betreffenden „Deutschen-Grundrechts“ auf Art. 2 I zu übertragen, damit für die EU-Ausländer ein dem jeweiligen „Deutschen-Grundrecht“ entspr. Schutz erreicht werde. Eine solche „Schrankenübertragung“ ist indes ebenfalls abzulehnen; vielmehr gilt Art. 2 I in den betreffenden Fällen – genauso wie für Nicht-EU-Ausländer – ohne dogmatische Besonderheiten (so auch DHS/Di Fabio Art. 2 I Rn. 35). Denn die unionsrechtlich gebotene Gleichbehandlung erfordert nur eine iE gleiche Reichweite der geschützten Betätigungsmöglichkeiten. Dies lässt sich aber bereits durch eine entspr. Auslegung des „einfachen“ Rechts nach Maßgabe des unionsrechtlichen Diskriminierungsverbotes bzw. auf der Grundlage des Anwendungsvorranges des Unionsrechts (s. dazu Sodan/Ziekow § 5 Rn. 12 ff.) erreichen, ohne dass es einer überdehnenden Auslegung der nationalen Grundrechte bedarf. Im Übrigen bleibt es unbenommen, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Rn. 62 ff.) bei Art. 2 I zu untersuchen, ob die „verfassungsmäßige Ordnung“ im konkreten Fall eine Ungleichbehandlung von Deutschen und EU-Ausländern erlaubt.

bb) Geschäftsunfähige, insbes. Minderjährige

Die Grundrechtsfähigkeit hängt nicht vom Alter, der Geschäftsfähigkeit oder der Einsichtsfähigkeit ab (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 19 Rn. 16). Gleichwohl wird unter dem Stichwort der „Grundrechtsmündigkeit“ gelegentlich diskutiert, inwieweit insbes. Minderjährige Grundrechte selbständig ausüben dürfen. Soweit hiermit eine über die Frage der Prozessfähigkeit (s. dazu Sodan/Ziekow § 51 Rn. 10) hinausgehende materielle Einschränkung der Grundrechtsgeltung gemeint ist, verdient dieser Ansatz keine Zustimmung. Denn eine solche Einschränkung wäre mit dem Wesen der Grundrechte nicht zu vereinbaren (s. Sachs/Sachs Vorb. Art. 1 Rn. 75). Wenn also insoweit bestimmte Grenzen für die Grundrechtsausübung bestehen (zB durch die Altersgrenze in § 5 RelKiErzG), handelt es sich nicht um eine Geltungseinschränkung der Grundrechte, sondern um einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff (Sachs/Sachs Vorb. Art. 1 Rn. 76). Auch die „Kollision“ von Grundrechten eines Kindes mit dem elterlichen Erziehungsgrundrecht (Art. 6 II 1) macht eine Einschränkung der Geltung der Grundrechte von Minderjährigen nicht notwendig; denn solche Fälle können sachgemäß über die allgemeinen Grundsätze gelöst werden, welche bei Grundrechtskollisionen gelten (zur Grundrechtsbeschränkung durch „kollidierendes Verfassungsrecht“ Rn. 53).

cc) Ungeborenes Leben und Verstorbene

Grds. beginnt die Grundrechtsfähigkeit mit der Geburt und endet mit dem Tod, da die Grundrechte in ihrer Schutzfunktion für natürliche Personen auf deren personale Substanz und damit das menschliche Leben abstellen (Stern III/1, 1045). In bestimmten Fällen nimmt das BVerfG eine Geltung einzelner Grundrechte auch für das ungeborene Leben (nasciturus) oder für Verstorbene an: So leitet es für das sich im Mutterleib entwickelnde ungeborene Leben eine staatliche Schutzpflicht aus Art. 1 I und 2 II 1 her (Art. 1 Rn. 24). Bzgl. der Menschenwürde erkennt es an, dass diese auch über den Tod einer Person hinaus fortwirkt; allerdings liegt es nahe, als Grundrechtsberechtigten nicht den Verstorbenen selbst, sondern die Hinterbliebenen anzuerkennen (Art. 1 Rn. 26).

b) Juristische Personen

Unter bestimmten Voraussetzungen können juristische Personen Grundrechtsträgerinnen sein. Nach Art. 19 III gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Insofern ist zwischen juristischen Personen des Privatrechts und solchen des öffentlichen Rechts zu differenzieren (näher Art. 19 Rn. 14 ff.).

3. Grundrechtsverwirkung

Ein Grundrechtsträger kann bestimmte in den politischen Raum hineinwirkende, in Art. 18 abschließend aufgezählte Grundrechte verwirken, wenn er sie zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht. Das Entscheidungsmonopol hierüber liegt beim BVerfG. Die Verwirkung führt dazu, dass sich der Grundrechtsträger nicht mehr auf das betreffende Grundrecht berufen kann, soweit er es im genannten Sinne missbraucht. Die Praxisbedeutung des Art. 18 ist gering; bisher wurde noch keine einzige Grundrechtsverwirkung ausgesprochen (Art. 18 Rn. 1).

4. Grundrechtsverzicht

Unter Grundrechtsverzicht versteht man die bewusste Preisgabe des Grundrechtsschutzes durch den Einzelnen. Rechtsfolge eines wirksamen Verzichts ist die Rechtmäßigkeit der betreffenden staatlichen Maßnahme. Aufgrund des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen ist dessen Dispositionsbefugnis über seinen Schutz durch die Grundrechte im Grundsatz anzuerkennen (Sachs/Sachs Vorb. Art. 1 Rn. 57). Die erforderliche Einwilligung muss aber jedenfalls frei von Willensmängeln sein, im Bewusstsein der Tragweite des Grundrechtsschutzes erfolgen und darf sich nur auf einzelne grundrechtsbeeinträchtigende Maßnahmen beziehen; ein Total- oder „Blanko“-Verzicht ist ausgeschlossen (MKS/Starck Art. 1 Rn. 301). Die bloße Duldung stellt keinen Verzicht dar. Ferner liegt kein Verzicht vor, wenn der Grundrechtsberechtigte von einer ihm grundrechtlich eingeräumten Freiheit einen „negativen“ Gebrauch macht (vgl. Rn. 6), also etwa einer Versammlung nicht beiwohnt oder für sich in Anspruch nimmt, keinen (bestimmten) Glauben zu haben. Ein Verzicht ist ausgeschlossen, wenn dem die Funktion des betreffenden Grundrechts entgegensteht. So kann etwa nicht durch öffentliche Stimmabgabe auf das Wahlgeheimnis (Sodan/Ziekow § 6 Rn. 49) verzichtet werden, da hierdurch der Prozess der freien politischen Willensbildung beeinträchtigt würde.

Dogmatisch gesehen betrifft der Grundrechtsverzicht nicht die Frage nach der Grundrechtsberechtigung, da diese erhalten bleibt. Vielmehr führt ein wirksamer Verzicht in der Regel dazu, dass die betreffende staatliche Maßnahme keinen Grundrechtseingriff (dazu Rn. 47 ff.) darstellt.

IV. Struktur der Grundrechtsprüfung bei Freiheitsrechten

Entspr. der in Art. 1 III angeordneten Bindung an die Grundrechte können diese nicht nur durch die Gesetzgebung, sondern auch durch die vollziehende Gewalt und Rspr. verletzt werden. Die Feststellung einer Grundrechtsverletzung setzt mehrere Prüfungsschritte voraus. Diese bilden zusammen eine Struktur der Grundrechtsprüfung. Für die Prüfung, ob ein Akt der öffentlichen Gewalt mit einem Freiheitsrecht vereinbar ist, hat sich ein dreistufiger Aufbau durchgesetzt: Ist 1. der Schutzbereich des jeweiligen Grundrechts einschlägig (Rn. 46), folgt 2. eine Untersuchung der Frage, ob ein Eingriff in diesen Schutzbereich vorliegt (Rn. 47 ff.); ist diese Frage zu bejahen, bedarf es 3. der Klärung, ob sich eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs feststellen lässt (Rn. 50 ff.).

1. Sachlicher und personeller Schutzbereich

Die Grundrechte schützen bestimmte Lebensbereiche, die damit jeweils den Schutzbereich oder Tatbestand des einzelnen Grundrechts markieren, wobei teilw. auch vom Norm-, Gewährleistungs- oder Regelungsbereich gesprochen wird; die Untersuchung des Schutzbereichs dient der Beantwortung der Frage, ob eine Grundrechtsvorschrift in sachlicher und personeller Hinsicht einschlägig ist (Dreier/Dreier Vorb. Art. 1 Rn. 119 f. mwN). Der sachliche Schutzbereich betrifft die thematische Seite und somit die gegenständliche Reichweite einer Grundrechtsgewährleistung. Zu klären ist also etwa, welche Verhaltensweisen unter das in Art. 2 I garantierte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit oder die in Art. 2 II 2 geschützte Freiheit der Person fallen. Der personelle Schutzbereich betrifft hingegen die jeweilige Grundrechtsträgerschaft und damit die Frage, wer durch die sachlich einschlägige Grundrechtsnorm berechtigt ist (Rn. 33 ff.) und damit durch einen Akt der öffentlichen Gewalt in diesem Grundrecht verletzt sein kann.

2. Eingriff

Beeinträchtigungen des Schutzbereichs erfolgen in den meisten Fällen durch „klassische Grundrechtseingriffe“, die in Ge- oder Verboten bestehen, welche den Betroffenen staatlicherseits zielgerichtet mit unmittelbarer Wirkung auferlegt werden (Sodan SGb. 1992, 200 (201)). IdS versteht das BVerfG in einem Beschl. aus dem Jahr 2002 „unter einem Grundrechtseingriff im Allgemeinen“ einen rechtsförmigen Vorgang, „der unmittelbar und gezielt (final) durch ein vom Staat verfügtes, erforderlichenfalls zwangsweise durchzusetzendes Ge- oder Verbot, also imperativ, zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt“ (BVerfGE 105, 279 (300)). Die unmittelbare Beeinträchtigung ist dadurch gekennzeichnet, dass eine beeinträchtigende Wirkung ohne Hinzutreten weiterer Faktoren bereits im Verhalten öffentlicher Gewalt selbst liegt (Sodan/Ziekow/Sodan VwGO § 42 Rn. 395). Ein Bsp. für einen solchen „klassischen“ Grundrechtseingriff ist die unter Einsatz körperlichen Zwanges und Handschellen erfolgende Verhaftung eines Bürgers, der einer Straftat verdächtig ist, durch Polizeibeamte. An der Eingriffsqualität dieser Maßnahme im Hinblick auf das sachlich einschlägige Grundrecht der Freiheit der Person (Art. 2 II 2) bestehen keine Zweifel. Speziell zum Grundrecht der Berufsfreiheit formuliert das BVerfG bereits in einem Beschl. aus dem Jahr 1961: „In aller Regel kommt Art. 12 Abs. 1 GG als Maßstabsnorm nur für solche Bestimmungen in Betracht, die sich gerade auf die berufliche Betätigung beziehen und diese unmittelbar zum Gegenstand haben. Dieser unmittelbare Bezug zu der beruflichen Betätigung besteht namentlich bei solchen Vorschriften, die in Form von Zulassungsvoraussetzungen die Ausübung eines Berufes bei ihrem Beginn oder bei ihrer Beendigung regeln oder die als sogenannte reine Ausübungsregelungen die Art und Weise bestimmen, wie die Berufsangehörigen ihre Berufstätigkeit im einzelnen zu gestalten haben“ (BVerfGE 13, 181 (185)). Regelt also der Gesetzgeber etwa durch verbindliche Vorgaben den Zugang zu einem Beruf oder stellt für die Ausübung eines Berufs bestimmte Anforderungen auf, bestehen an der Eingriffsqualität der Maßnahmen keine Zweifel. „Normen, welche die Errichtung und den Betrieb einer Anlage einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt unterwerfen, greifen unmittelbar in die Berufsfreiheit ein, wenn die Anlage die maßgebliche Grundlage einer Berufsbetätigung bildet und im Mittelpunkt dieser Tätigkeit steht“ (BVerfGE 155, 238 (277); vgl. auch bereits BVerfGE 25, 1 (10 f.)).

Eine mittelbare Beeinträchtigung liegt vor, wenn ein bestimmtes Verhalten öffentlicher Gewalt eine – ggf. die maßgebende – von mehreren Ursachen setzt, deren Zusammenwirken den nachteiligen Effekt auslöst. Versteht man unter faktischen Beeinträchtigungen diejenigen, denen mindestens eines der beiden Elemente „Finalität“ und „Unmittelbarkeit“ fehlt (so Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen des Eigentums, 1980, 30), unterscheidet sich der Anwendungsbereich der faktischen Beeinträchtigungen von demjenigen der mittelbaren insoweit, als zu den faktischen auch solche Beeinträchtigungen gehören, die nicht final, aber doch unmittelbar erfolgen (Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987, 496 f.). Bei den faktischen Beeinträchtigungen können die nachteiligen Wirkungen für den oder die Betroffenen in Folgeerscheinungen einer jeweils rechtlich bindenden Anordnung oder in einer tatsächlichen Betroffenheit aufgrund nicht regelnden Verhaltens öffentlicher Gewalt liegen (vgl. Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen im Bereich der Grundrechte, 1970, 12). In Bezug auf bloß faktische, mittelbare Beeinträchtigungen bedarf es sorgfältiger Prüfung, ob das sachlich einschlägige Grundrecht nach seinem Schutzzweck und damit seiner Funktion darauf gerichtet ist, auch eine Beeinträchtigung dieser Qualität abzuwehren (vgl. zur „funktionalen“ Seite des Grundrechtsschutzes etwa Schwerdtfeger/Schwerdtfeger Rn. 448; Sodan DÖV 1987, 858 (860, 862 ff.)).

Wesentlich ist insbes. der grundrechtswidrige Effekt: So kann etwa ein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts der Berufsfreiheit (dazu näher Art. 12 Rn. 20 ff.) jedenfalls durch diejenigen mittelbaren Beeinträchtigungen vorliegen, deren belastender Effekt für die Betroffenen jeweils der Wirkung einer entspr. unmittelbaren Beeinträchtigung freier Berufsausübung gleich- oder zumindest nahekommt; anderenfalls könnte die Exekutive dem nach Art. 12 I 2 bestehenden Erfordernis gesetzlicher Ermächtigung durch Wahl der Handlungsform ausweichen, indem sie die angestrebte Beeinträchtigung nicht unmittelbar, sondern eben nur mittelbar herbeiführte – ggf. mit dem aus staatlicher Sicht gleichen Erfolg und mit der gleichen belastenden Wirkung für die Betroffenen (Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987, 503 f.). Eine hinreichende Beeinträchtigungsintensität genügt allerdings allein noch nicht zur Feststellung eines Grundrechtsschutzes gegen mittelbare Beeinträchtigungen; zusätzlich muss der entscheidende Anstoß zu dem Ereignis, welches den Effekt unmittelbar verursacht, von einem Verhalten öffentlicher Gewalt ausgehen. Je länger die „Kausalkette“ zwischen einer beeinträchtigenden Wirkung und dem betreffenden Verhalten öffentlicher Gewalt ist, desto schwerer wird ein zur Grundrechtsbetroffenheit erforderlicher Ursächlichkeitszusammenhang zu belegen sein (Sodan/Ziekow/Sodan VwGO § 42 Rn. 398). Das BVerfG formuliert in seiner neueren Judikatur: „Der Grundrechtsschutz ist nicht auf Eingriffe im herkömmlichen Sinne beschränkt […]. Vielmehr kann der Abwehrgehalt der Grundrechte auch bei faktischen oder mittelbaren Beeinträchtigungen betroffen sein, wenn diese in der Zielsetzung und in ihren Wirkungen Eingriffen gleichkommen“ (BVerfGE 116, 202 (222); vgl. auch BVerfGE 110, 177 (191); 118, 1 (20); 148, 40 (51); 153, 182 (265); BVerwGE 131, 171 (176); BVerwG NVwZ-RR 2015, 425 (426)). „Durch Wahl eines solchen funktionalen Äquivalents eines Eingriffs können die besonderen Bindungen der Rechtsordnung nicht umgangen werden; vielmehr müssen die für Grundrechtseingriffe maßgebenden rechtlichen Anforderungen erfüllt sein“ (BVerfGE 105, 252 (273) – ohne die Hervorhebungen; vgl. ferner BVerfG [K] NVwZ 2007, 1168 (1169); BVerwG NVwZ-RR 2015, 425 (426)).

3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs

Führt die Grundrechtsprüfung zu dem Ergebnis, dass ein Eingriff in den Schutzbereich eines Freiheitsrechts vorliegt, ist damit die Frage noch nicht beantwortet, ob das Grundrecht auch tatsächlich verletzt ist. Eine Grundrechtsverletzung ist erst dann gegeben, wenn der Eingriff unzulässig ist. Wegen einer Grundrechtsschranke kann der Eingriff jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt und damit zulässig sein.

a) Grundrechtsschranken

Grenzen für grundrechtliche Freiheiten sind im Interesse eines geordneten Zusammenlebens in einem Staat unvermeidlich. Diesem Gedanken trägt das Grundgesetz zunächst durch zahlreiche ausdrücklich geregelte Schranken bzw. Schrankenvorbehalte Rechnung. Abgesehen von den seltenen Fällen, in denen das Grundgesetz bereits selbst die konkrete Eingriffsgrundlage enthält (sog. verfassungsunmittelbare Schranken, s. etwa Art. 9 II und 13 VII Hs. 1), beinhalten die meisten Grundrechtsvorschriften Gesetzesvorbehalte. „Einfache“ Gesetzesvorbehalte stellen nach ihrem Wortlaut keine besonderen Anforderungen an Gesetze, welche in Grundrechte eingreifen. So bestimmt etwa Art. 2 II 3, dass in die Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit „nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden“ darf. Für Versammlungen unter freiem Himmel kann nach Art. 8 II das Grundrecht der Versammlungsfreiheit „durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden“. Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses dürfen gem. Art. 10 II 1 „nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden“. Die Berufsausübung kann nach Art. 12 I 2 „durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden“. Zu beachten ist allerdings der sich aus der „Wesentlichkeitstheorie“ ergebende sog. Parlamentsvorbehalt, der einen zum Delegationsverbot verdichteten Gesetzesvorbehalt darstellt (Rn. 55 ff.).

„Qualifizierte“ Gesetzesvorbehalte bewirken, dass Eingriffe nur unter bestimmten Voraussetzungen, zu näher bezeichneten Zwecken oder mit bestimmten Mitteln zulässig sind. Solche Vorbehalte finden sich in den Art. 5 II, 10 II 2 und 11 II.

Einige Grundrechte sind im Grundgesetz nach dem Wortlaut der einschlägigen Vorschriften vorbehaltlos garantiert. Dies gilt etwa für die in Art. 5 III 1 geschützte Kunst- und Wissenschaftsfreiheit oder die in Art. 9 III gewährleistete Koalitionsfreiheit. Dass ein Grundrecht trotz seiner normtextlich vorbehaltlosen Garantie „nicht schrankenlos sein kann, ist die logische Folge eines geordneten menschlichen Zusammenlebens“ (BVerfGE 77, 240 (253)). Grenzen lassen sich nur auf der Ebene der Verfassung ermitteln; es handelt sich also um verfassungsimmanente Schranken. Eine sinngemäße Anwendung der in Art. 2 I enthaltenen Schrankentrias verbietet sich bereits wegen der Subsidiarität des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gegenüber den speziellen Freiheitsrechten (BVerfGE 30, 173 (192)). „Nur kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte sind mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Wertordnung ausnahmsweise imstande, auch uneinschränkbare Grundrechte in einzelnen Beziehungen zu begrenzen. Dabei auftretende Konflikte lassen sich nur lösen, indem ermittelt wird, welche Verfassungsbestimmung für die konkret zu entscheidende Frage das höhere Gewicht hat […]. Die schwächere Norm darf nur so weit zurückgedrängt werden, wie das logisch und systematisch zwingend erscheint; ihr sachlicher Grundwertgehalt muß in jedem Fall respektiert werden“ (BVerfGE 28, 243 (261); vgl. etwa auch BVerfGE 30, 173 (193); 84, 212 (228); BVerfG [K] NJW 2008, 2568 f.). Ein Konflikt ist nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz zu lösen (BVerfGE 93, 1 (21)). Danach werden verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter in der Problemlösung einander so zugeordnet, dass jedes von ihnen Wirklichkeit gewinnt; aus dem Prinzip der Einheit der Verfassung folgt die Aufgabe einer Optimierung (Hesse Rn. 72). Sonstige mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter wurden durch die Rspr. des BVerfG „in zum Teil bedenklicher Weite und Allgemeinheit anerkannt“ (so zutr. Dreier/Dreier Vorb. Art. 1 Rn. 140). Beispielhaft zu nennen sind die „Einrichtung und Funktionsfähigkeit der Bundeswehr“ (BVerfGE 28, 243 (261); 69, 1 (21)), „eine bestmögliche Krankenversorgung“ (BVerfGE 57, 70 (99)) und eine „funktionstüchtige Rechtspflege“ (BVerfGE 33, 23 (32)). Das BVerfG hat sogar dem Ziel der Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit in Herleitung aus dem Sozialstaatsprinzip iVm Art. 1 I, 2 I und 12 I Verfassungsrang zugesprochen (BVerfGE 100, 271 (284); 103, 293 (307)).

b) Formelle Grenzen der Einschränkbarkeit von Grundrechten

Beim Gebrauchmachen von Grundrechtsschranken stößt der Gesetzgeber auf Grenzen. Ein Gesetz vermag ein Grundrecht nur dann wirksam einzuschränken, wenn es formell und materiell verfassungsgemäß ist (vgl. etwa BVerfGE 13, 181 (190); 32, 319 (326); 40, 371 (378); BVerfG [K] DVBl 2006, 244 (245)). In formeller Hinsicht muss ein Gesetz die Vorschriften über die Gesetzgebungszuständigkeit und das Gesetzgebungsverfahren sowie das in Art. 19 I 2 geregelte Zitiergebot (Art. 19 Rn. 5 ff.) wahren. Nach einem verbreiteten Sprachgebrauch handelt es sich beim Zitiergebot und bei einigen anderen, nachfolgend zu erörternden materiellen Anforderungen (Rn. 55 ff.) um „Schranken-Schranken“ (s. etwa Dreier/Dreier Vorb. Art. 1 Rn. 144). Dieser Begriff bringt plastisch zum Ausdruck, dass die Inanspruchnahme von Grundrechtsschranken ihrerseits Schranken unterliegt, die dem Schutz der Grundrechte dienen.

c) Materielle Grenzen der Einschränkbarkeit von Grundrechten

aa) Parlamentsvorbehalt

Nach stRspr des BVerfG folgt aus den Staatsstrukturprinzipien von Demokratie und Rechtsstaat, dass der parlamentarische Gesetzgeber die „grundlegenden“ (BVerfGE 33, 303 (346)), „wesentlichen Entscheidungen“ (BVerfGE 45, 400 (417 f.); 82, 209 (224); 98, 218 (251)) selbst treffen muss und diese nicht der Exekutive überlassen darf (sog. Parlamentsvorbehalt; auch Art. 20 Rn. 31a, 45, 48 ff.). Dem vom Parlament beschlossenen Gesetz kommt nämlich „gegenüber dem bloßen Verwaltungshandeln die unmittelbarere demokratische Legitimation zu, und das parlamentarische Verfahren gewährleistet ein höheres Maß an Öffentlichkeit der Auseinandersetzung und Entscheidungssuche und damit auch größere Möglichkeiten eines Ausgleichs widerstreitender Interessen“ (BVerfGE 40, 237 (249)). Das Rechtsstaatsprinzip fordert, „die öffentliche Gewalt in allen ihren Äußerungen auch durch klare Kompetenzordnung und Funktionentrennung rechtlich zu binden, so daß Machtmißbrauch verhütet und die Freiheit des Einzelnen gewahrt wird“ (BVerfGE 33, 125 (158)). „Die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, der Vorrang des Gesetzes also, würden ihren Sinn verlieren, wenn nicht schon die Verfassung selbst verlangen würde, daß staatliches Handeln in bestimmten grundlegenden Bereichen nur Rechtens ist, wenn es durch das förmliche Gesetz legitimiert wird“ (BVerfGE 40, 237 (248 f.)).

Die damit begründete sog. Wesentlichkeitstheorie hat das BVerfG in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert. Es hielt zur Bestimmung des „Wesentlichen“ ein Vorgehen „mit großer Behutsamkeit“ für geboten und sprach von den „Gefahren einer zu weitgehenden Vergesetzlichung“ (BVerfGE 47, 46 (79); s. zur gegenläufigen Praxis indessen Sodan NVwZ 2009, 545 (548)). „Im grundrechtsrelevanten Bereich bedeutet […] ‚wesentlich‘ in der Regel ‚wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte‘“ (BVerfGE 47, 46 (79)). „Die Tatsache, dass eine Frage politisch umstritten ist, führt dagegen für sich genommen nicht dazu, dass diese als wesentlich verstanden werden müsste“ (BVerwG NVwZ-RR 2015, 15 (16); vgl. auch bereits BVerfGE 49, 89 (126)).

Die Wesentlichkeitstheorie lässt sich nicht nur zur Beantwortung der Frage, ob überhaupt eine formell-gesetzliche Grundlage geboten ist, sondern gerade auch zur Klärung der notwendigen Regelungsdichte fruchtbar machen: Da die wesentlichen Entscheidungen dem Parlament selbst vorbehalten bleiben und als „parlamentarische Leitentscheidungen“ (BVerfGE 47, 46 (83); 58, 257 (271)) somit durch formell-gesetzliche Festlegungen erfolgen sollen, wird der traditionelle Vorbehalt des Gesetzes für einen bestimmten Bereich zum Parlamentsvorbehalt fortentwickelt. Bei diesem handelt es sich demnach um einen „zum Delegationsverbot verdichteten Gesetzesvorbehalt“ (Krebs Jura 1979, 304 (312)), also um einen Gesetzesvorbehalt „im engeren“ (Falckenberg BayVBl. 1978, 166 (167)) oder „strengen Sinn“ (Listl DVBl 1978, 10 (12)). Auf diese Weise wirkt der Parlamentsvorbehalt für den Gesetzgeber als „Schranken-Schranke“.

Der Umfang des parlamentarischen Regelungsvorbehalts bemisst sich „nach der Intensität, mit welcher die Grundrechte der Regelungsadressaten betroffen werden“ (BVerfGE 58, 257 (274) – ohne die Hervorhebung). So ist etwa die zwangsweise Entlassung aus dem Gymnasium, welche in das Grundrecht des betroffenen Schülers auf freie Berufswahl und freie Wahl der Ausbildungsstätte gem. Art. 12 I eingreift, eine für den weiteren Berufs- und Lebensweg „sehr einschneidende Maßnahme“, sodass der parlamentarische Gesetzgeber die wesentlichen Bestimmungen über die zwangsweise Schulentlassung selbst zu regeln hat; dazu „sind zu rechnen: die Voraussetzungen für die zwangsweise Entlassung aus der Schule und den Ausschluß des Schülers von allen Schulen einer bestimmten Schulart sowie die Zuständigkeiten für eine derartige Maßnahme und die Grundsätze des dabei einzuhaltenden Verfahrens“ (BVerfGE 58, 257 (273 ff.)).

bb) Bestimmtheitsgebot

Der Parlamentsvorbehalt wird durch das aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Bestimmtheitsgebot (Art. 20 Rn. 55) ergänzt und konkretisiert: Das Parlament darf sich nämlich seiner Verpflichtung zur Regelung des Wesentlichen nicht etwa dadurch entziehen, dass es wesentliche Entscheidungen „der Sache nach durch nicht hinreichend bestimmte Normierungen“ der Exekutive überlässt (BVerfGE 57, 295 (321)). Das allgemeine Bestimmtheitsgebot zwingt den Gesetzgeber, Vorschriften so klar zu fassen, dass die Rechtslage für den Betroffenen erkennbar ist und er sein Verhalten daran ausrichten kann (BVerfGE 8, 274 (325); 21, 73 (79); 108, 186 (235)). Es gilt auch für Einzelfallregelungen durch die öffentliche Verwaltung (Sodan/Ziekow § 7 Rn. 39).

cc) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Eine geradezu überragende Bedeutung als „Schranken-Schranke“ kommt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (s. aus der Fülle des Schrifttums etwa Grabitz AöR 98 [1973], 568 ff.; Kloepfer FG 50 Jahre BVerwG, 2003, 329 ff.; Stern/Sodan/Möstl/Sodan § 87 Rn. 1 ff.) zu, der teilweise als „Übermaßverbot“ (s. zB Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961; Remmert, Verfassungs- und verwaltungsrechtsgeschichtliche Grundlagen des Übermaßverbotes, 1995) bezeichnet wird. Diese starke Bedeutung ist auch im Zuge der Corona-Pandemie deutlich geworden; Gesetz- und Verordnungsgeber hatten mit einer großen Regelungsdichte eine Vielzahl von Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie getroffen und damit erhebliche Grundrechtseingriffe vorgenommen, die immer häufiger die Frage nach der Verhältnismäßigkeit aufwarfen (s. dazu insbes. BVerfGE 159, 223 ff.; 159, 355 ff.; 161, 299 ff.; vgl. ferner Stern/Sodan/Möstl/Sodan § 87 Rn. 73 ff. mwN). Auch ohne ausdrückliche Erwähnung im Grundgesetz ist die Existenz des Verhältnismäßigkeitsprinzips allgemein anerkannt. Mittlerweile übt dieser Grundsatz einen wesentlichen Einfluss nicht nur auf das Verfassungs- und Verwaltungsrecht, sondern auch auf das Zivil- und Strafrecht (vgl. Canaris JuS 1989, 161 ff.) sowie das europäische Unionsrecht (vgl. Pache NVwZ 1999, 1033 ff.) aus. Das BVerfG spricht vom „allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ (BVerfGE 103, 332 (366 f.)), den es „zum wichtigsten Element seiner Kontrolle von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gemacht“ hat (Schlink FS 50 Jahre BVerfG II, 2001, 445). Das Verhältnismäßigkeitsprinzip bindet also alle Staatsfunktionen (vgl. BVerfGE 76, 1 (50)) und damit nicht nur die Gesetzgebung (s. zur unterschiedlichen Reichweite des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hinsichtlich der Legislative, Exekutive und Judikative Stern/Sodan/Möstl/Sodan § 87 Rn. 5 ff.). Nach einer verbreiteten Metapher verbietet es, mit „Kanonen auf Spatzen zu schießen“ (s. zu dieser sprichwörtlichen Redensart Henne DVBl 2002, 1094 ff.).

Zur Herleitung dieses Prinzips äußerte sich das BVerfG bislang eher zurückhaltend. In einer frühen Entscheidung heißt es: „In der Bundesrepublik Deutschland hat der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verfassungsrechtlichen Rang. Er ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip, im Grunde bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur so weit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerläßlich ist“ (BVerfGE 19, 342 (348 f.); vgl. auch BVerfGE 61, 126 (134); 113, 154 (162); s. zur Entwicklung der Rspr. näher Dumbs DVBl 2016, 691 ff.).

Verbreitet ist mit der Untersuchung von Geeignetheit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit der staatlichen Maßnahme (Verhältnismäßigkeit ieS) ein dreistufiger Aufbau der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Da die Wahrung dieser Anforderungen nur unter Bezugnahme auf einen konkreten Zweck ermittelt werden kann, ist – was nicht selten übersehen wird – die Prüfung der Verfolgung eines legitimen Zwecks voranzustellen (Dreier/Dreier Vorb. Art. 1 Rn. 146).

Der Gesetzgeber hat hinsichtlich der Frage, welche Zwecke er verfolgen darf, eine weitgehende Gestaltungsfreiheit. Unterscheiden lassen sich „absolute“, dh von der Verfassung selbst vorgegebene Gemeinschaftswerte (Rn. 53), von „relativen“ Gemeinschaftsinteressen, die erst vom „einfachen“ Gesetzgeber in einen solchen Rang erhoben werden (vgl. BVerfGE 13, 97 (107); Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, 65 f.; Sodan, Berufsständische Zwangsvereinigung auf dem Prüfstand des Grundgesetzes, 1991, 51 f.). Eine Verpflichtung zum Tätigwerden kann sich für den Gesetzgeber insbes. aus grundrechtlichen Schutzpflichten ergeben (Rn. 25 ff.). Das BVerfG prüft speziell im Hinblick auf Regelungen der Berufsausübung, ob diese „durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden“ (so etwa BVerfGE 61, 291 (312); 68, 272 (282); 71, 162 (173)). Es muss sich also um „legitime Gemeinwohlzwecke“ (BVerfGE 101, 331 (348)) handeln. In deren Bestimmung ist der Gesetzgeber weitgehend frei, solange sich aus dem Grundgesetz nichts Gegenteiliges ergibt. Eine solche Freiheit lässt sich für andere Staatsfunktionen hingegen nicht feststellen: Der Verwaltung sind „die zu verfolgenden Zwecke durch die gesetzlich bestimmten Aufgaben vorgegeben, und die Rechtsprechung ist noch enger darauf verpflichtet, für einen vorgegebenen Fall aus dem vorgegebenen Recht die Lösung zu finden“ (Schlink FS 50 Jahre BVerfG II, 2001, 445 (450)). Das BVerfG nimmt gelegentlich für sich die Befugnis in Anspruch, die Überprüfung eines Gesetzes auf alle denkbaren Zwecke zu erstrecken und damit nicht nur auf diejenigen, welche der Gesetzgeber ausweislich der einschlägigen Gesetzesmaterialien tatsächlich verfolgt (vgl. etwa BVerfG [K] NJW 1998, 1776 (1777); NZS 2008, 311 (312); s. zur Kritik Sodan JZ 1999, 864 (872)). Es spielt sich mit dem „Nachschieben“ eigener „Gesetzesbegründungen“ jedoch faktisch zum Gesetzgeber auf und überschreitet auf diese Weise die Grenzen, die seinem Wirken durch die Verfassung – insbes. durch den Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Rn. 28 ff.) – gezogen sind.

An die Feststellung, dass die zu kontrollierende staatliche Maßnahme einen legitimen Zweck verfolgt, schließt sich die Prüfung der Geeignetheit dieser Maßnahme an. Ein Mittel ist iSd Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geeignet, „wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann“ (BVerfGE 30, 292 (316); 115, 276 (308); BVerfG [K] NJW 2011, 1578 (1580); fast wortgleich BVerfGE 126, 112 (144)). Das Mittel muss also nicht optimal, sondern nur der Zweckerreichung dienlich sein (Dreier/Dreier Vorb. Art. 1 Rn. 147). Zwar hat das BVerfG dem Gesetzgeber im Rahmen von dessen wirtschafts-, arbeits- und sozialpolitischen Entscheidungsfreiheit einen grds. nicht nachprüfbaren Prognosespielraum bzw. eine Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Ungewissheit über die Auswirkungen eines Gesetzes eingeräumt und sich darauf beschränkt, unter Berücksichtigung des zu prüfenden Sachbereichs, der Beurteilungsmöglichkeit und der Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter eine Evidenzkontrolle (vgl. BVerfGE 37, 1 (20); 40, 196 (223)), eine Vertretbarkeitskontrolle (vgl. BVerfGE 25, 1 (2 ff.); 77, 84 (106)) oder eine weitgehende inhaltliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 7, 377 (415); 45, 187 (237 ff.)) durchzuführen. Der vom Gesetzgeber angestrebte Erfolg muss aber bei einer ex-ante-Betrachtung zumindest als möglich erscheinen (vgl. BVerfGE 25, 1 (12 f.); 96, 10 (23)). Das eingesetzte Mittel ist also nicht geeignet und daher unverhältnismäßig, wenn es „objektiv untauglich“ (BVerfGE 16, 147 (181); BVerfG [K] NJW 2011, 1578 (1580)), „objektiv ungeeignet“ (BVerfGE 17, 306 (317) betr. Mitfahrerzentralen – Untauglichkeit des Mittels bejaht) oder „schlechthin ungeeignet“ (BVerfGE 19, 119 (127); 73, 301 (317)) ist. Es kommt folglich darauf an, ob sich der Gesetzgeber an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung des erreichbaren Datenmaterials orientiert und die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausgeschöpft hat, um die voraussichtlichen Auswirkungen der Regelung so zuverlässig wie möglich abschätzen zu können (BVerfGE 50, 290 (333 f.); vgl. dazu ferner BVerfGE 90, 145 (173)). Über Wertungen und tatsächliche Beurteilungen des Gesetzgebers kann sich das BVerfG jedenfalls dann „hinwegsetzen, wenn sie widerlegbar sind“ (BVerfGE 45, 187 (238)). Die Anforderungen an die Geeignetheit einer Maßnahme und damit an den Grad der Sicherheit einer Prognose „steigen proportional zur Intensität der Freiheitsbeschränkung“ (SG München SGb. 1996, 134 (135)).

Erweist sich das staatliche Mittel als geeignet, so folgt die Prüfung der Erforderlichkeit. Das gewählte Mittel ist erforderlich, wenn sich der Zweck der staatlichen Maßnahme nicht durch ein anderes, gleich wirksames Mittel erreichen lässt, welches das betroffene Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkt (vgl. etwa BVerfGE 30, 292 (316); 78, 38 (50); 90, 145 (172); 126, 112 (144 f.); 135, 90 (118)). Es kommt also darauf an, ob ein „milderes Mittel“ ersichtlich ist (BVerfGE 91, 207 (222)), welches aber eben die gleiche Effektivität aufweisen muss. Auf dieser Stufe liegt erfahrungsgemäß ein Schwerpunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung. So hat das BVerfG etwa ein in der Kakaoverordnung enthaltenes absolutes Verkehrsverbot für Lebensmittel, die infolge ihrer sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften mit bestimmten Erzeugnissen verwechselbar sind, als nicht erforderlich angesehen; um den Zweck des Schutzes der Verbraucher vor Täuschung zu erreichen, genügt nämlich regelmäßig ein Kennzeichnungsgebot (BVerfGE 53, 135 (145 f.)).

Erweist sich die staatliche Maßnahme zur Erreichung des erstrebten Zwecks als erforderlich, so bedarf es als letzten Schrittes in der Verhältnismäßigkeitsprüfung der Untersuchung der Zumutbarkeit des Betroffenen. Diese wird auch als Angemessenheit, Proportionalität oder Verhältnismäßigkeit ieS bezeichnet. Dabei geht es um die Herstellung einer Zweck-Mittel-Relation, um eine übermäßige Belastung des Betroffenen ermitteln zu können. Das BVerfG sieht den Sinn dieser letzten Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung darin, „die als geeignet und erforderlich erkannten Maßnahmen einer gegenläufigen Kontrolle im Blick darauf zu unterwerfen, ob die eingesetzten Mittel unter Berücksichtigung der davon ausgehenden Grundrechtsbeschränkungen für den Betroffenen noch in einem angemessenen Verhältnis zu dem dadurch erreichbaren Rechtsgüterschutz stehen. […] Daraus folgt, daß unter Umständen der an sich in legitimer Weise angestrebte Schutz zurückstehen muß, wenn das eingesetzte Mittel zu einer unangemessenen Beeinträchtigung der Rechte des Betroffenen führen würde“ (BVerfGE 90, 145 (185)). Die (verfassungs)gerichtliche Überprüfungszuständigkeit darf nicht mit der Abwägungszuständigkeit gleichgesetzt werden; denn es ist eine prinzipiell vom demokratischen Gesetzgeber zu beantwortende „Frage der Wertung, in welcher die aufeinandertreffenden Gesichtspunkte und Rechtsgüter gewichtet und gegeneinander abgewogen werden“ (Schwerdtfeger/Schwerdtfeger Rn. 465). Demgemäß beschränkt sich das BVerfG auf die Prüfung, ob „bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt“ ist (BVerfGE 68, 272 (282); vgl. etwa auch BVerfGE 61, 291 (312); 102, 197 (220)). Mit anderen Worten: Es kommt darauf an, ob das Maß der den Einzelnen „treffenden Belastung noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen“ steht (BVerfGE 76, 1 (51)). Im Rahmen der Abwägung dürfen die Gemeinwohlbelange bzw. öffentlichen Interessen nicht nach ihrer abstrakten Bedeutung, sondern nur mit dem Gewicht, welches sich im konkreten Einzelfall ergibt, der Belastung des betroffenen Grundrechtsträgers gegenübergestellt werden (Kluckert JuS 2015, 116 ff.; s. zu möglichen Abwägungsparametern im Rahmen der Angemessenheitsprüfung Stern/Sodan/Möstl/Sodan § 87 Rn. 27). Nach einem Urt. des BVerfG v. 10.6.2009 ist es grds. „möglich, dass verschiedene einzelne, für sich betrachtet geringfügige Eingriffe in grundrechtlich geschützte Bereiche in ihrer Gesamtwirkung zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung führen, die das Maß der rechtsstaatlich hinnehmbaren Eingriffsintensität überschreitet“ (BVerfGE 123, 186 (265 f.); s. dazu näher Sodan/Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 3. Aufl. 2018, § 2 Rn. 78 f.; vgl. ferner Art. 12 Rn. 31b). Grundrechtsdogmatisch hat das BVerfG damit der Figur des „additiven“ Grundrechtseingriffs wohl endgültig zum Durchbruch verholfen (vgl. zuvor schon BVerfGE 112, 304 (319 f.); 114, 196 (247) und nunmehr auch BVerfGE 141, 220 (280 f.); s. zum grundrechtserheblichen Kumulationseffekt wirtschaftsbeeinflussender Maßnahmen bereits Peter/Rhein/Sodan, Wirtschaft und Recht, 1989, 69 (94 ff.) und speziell zu kumulativen Grundrechtseingriffen in das Grundeigentum C. Kreuter-Kirchhof NVwZ 2019, 1791 ff.). Ein früherer Vizepräsident des BVerfG erläuterte in einem Aufsatz: „Unter der Bezeichnung des additiven Grundrechtseingriffs werden […] Einzelmaßnahmen, die alle dasselbe Rechtsverhältnis betreffen und sich an dieselbe Person richten, verfassungsrechtlich erfasst und in ihrer Gesamtheit bewertet. Man wird künftig derartige additive Grundrechtseingriffe verfassungsrechtlich näher beleuchten müssen“ (F. Kirchhof NZS 2015, 1 (7)).

dd) Weitere materielle Anforderungen

Auch aus der in Art. 19 II enthaltenen Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 Rn. 9 ff.), dem Verbot von Einzelfallgesetzen (Art. 19 Rn. 1 ff.), dem Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung (s. dazu BVerfGE 98, 83 (97); 98, 106 (118 f.); 98, 265 (301); 108, 169 (181 f.); Sodan JZ 1999, 864 ff.) sowie dem Vertrauensschutz und Rückwirkungsverbot (Art. 20 Rn. 59 ff.) ergeben sich materielle Grenzen der Einschränkbarkeit von Grundrechten.

V. Struktur der Grundrechtsprüfung bei Gleichheitsrechten

Der Prüfung von Gleichheitsrechten liegt ein anderer Aufbau zugrunde als bei Freiheitsrechten, für die das vorstehend erörterte (Rn. 45 ff.) dreistufige Schema („Schutzbereich“ – „Eingriff“ – „Verfassungsrechtliche Rechtfertigung“) üblich ist; denn Gleichheitsrechte schützen im Gegensatz zu Freiheitsrechten nicht ein bestimmtes Rechtsgut oder eine näher bezeichnete Sphäre gegen ungerechtfertigte Eingriffe, sondern enthalten regelmäßig das Gebot der Gleichbehandlung bzw. das Verbot unsachgemäßer Differenzierungen, betreffen also eine Relation zwischen Bezugsgrößen bzw. Vergleichsgruppen (Dreier/Dreier Vorb. Art. 1 Rn. 151). Die Prüfung erfolgt daher im Grundsatz zweistufig: Auf der ersten Stufe wird nach dem Vorliegen einer Ungleichbehandlung von vergleichbaren Sachverhalten oder Personengruppen gefragt; auf der zweiten Stufe wird untersucht, inwieweit eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung gegeben ist. Die diesbezüglichen inhaltlichen Anforderungen sind unterschiedlich und richten sich nach den Besonderheiten des jew. einschlägigen Gleichheitsrechts (näher Art. 3 Rn. 13 ff., 25 ff.).

VI. Grundrechtskonkurrenzen

Das Problem einer Grundrechtskonkurrenz tritt auf, wenn eine staatliche Maßnahme mehrere Grundrechte betrifft. Fraglich kann dann sein, welche dieser Grundrechte tatsächlich maßgeblich für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Maßnahme sind.

1. Spezialitätsverhältnis

Nach der Kollisionsregel „lex specialis derogat legi generali“ (spezielles Recht verdrängt allgemeines Recht) tritt in Fällen eines Spezialitätsverhältnisses das allgemeinere hinter das speziellere Grundrecht zurück. Spezialität in diesem Sinne liegt vor, wenn eine Norm alle Tatbestandsmerkmale einer anderen beinhaltet und noch zusätzliche Tatbestandsmerkmale aufweist bzw. eine Norm einen näheren inhaltlichen Bezug zu der zu beurteilenden Sachverhaltskonstellation hat als eine andere. Spezieller sind etwa die besonderen Gleichheitssätze des Art. 3 II und III gegenüber dem allgemeinen des Art. 3 I (Art. 3 Rn. 1, 3 ff., 22 ff.), Art. 5 III gegenüber Art. 5 I, soweit eine Meinung in künstlerischer Form kundgegeben wird (BVerfGE 81, 278 (291)), oder die besonderen Freiheitsrechte gegenüber der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 I (Art. 2 Rn. 1; s. zu weiteren Spezialitätsverhältnissen Stern/Sodan/Möstl/Berger § 96 Rn. 22). Die Spezialität schließt das allgemeinere Grundrecht nur insoweit aus, als der Schutzbereich des spezielleren Grundrechts einschlägig ist.

2. Idealkonkurrenz (einschließlich Schrankendivergenz)

Liegt kein Spezialitätsverhältnis vor, sind die einschlägigen Grundrechte grds. nebeneinander anwendbar (sog. Idealkonkurrenz ); unterliegen hierbei die betreffenden Grundrechte unterschiedlichen Schranken, spricht man zugleich von einer „Schrankendivergenz“. Die in Frage stehende Maßnahme ist verfassungswidrig, wenn sie auch nur eines der einschlägigen Grundrechte – regelmäßig wird dies das am schwersten einschränkbare sein – verletzt (Sachs/Sachs Vorb. Art. 1 Rn. 137; Stern III/2, 1391 f.). Dies kann allerdings bei Schrankendivergenz dazu führen, dass ein lediglich „am Rande“ einschlägiges, aber schwer begrenzbares Grundrecht zur Verfassungswidrigkeit einer Maßnahme führt, obwohl das „schwerpunktmäßig“ einschlägige, jedoch leichter einschränkbare Grundrecht die Maßnahme an sich erlauben würde (s. näher hierzu und mit Bsp. Stern III/2, 1406 f.). Wohl deshalb stellt das BVerfG mitunter nur auf das „im Vordergrund“ stehende, „vorrangig“ zu prüfende oder „in erster Linie“ heranzuziehende Grundrecht ab (s. die Formulierungen in BVerfGE 38, 61 (79); 39, 334 (360); 77, 308 (332); 92, 191 (196); vgl. aber auch BVerfGE 82, 236 (258)). Diese Vorgehensweise sollte jedoch wegen der hiermit mangels stichhaltiger Kriterien verbundenen Gefahr einer vorschnellen Aussonderung an sich einschlägiger Grundrechte restriktiv erfolgen (krit. auch Stern III/2, 1407 f.).