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Präambel

1 Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.

2 Die Deutschen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. 3 Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.

I. Normative Bedeutung

Die Präambel ist geltendes Verfassungsrecht (BVerfGE 5, 85 (126)). Sie orientiert normativ die Auslegung und Anwendung aller Rechtsbestimmungen und das Verhalten sämtlicher öffentlicher und privater Rechtsträger; diese Bindungswirkung unterliegt verfassungsgerichtlicher Kontrolle (BVerfGE 84, 90 (127); 94, 12 (35 f.)). Subjektive Rechte ergeben sich aus ihr (allein) nicht (BVerfGE 43, 203 (211)). Ihre Neufassung nach der Wiedervereinigung 1990 (Art. 4 Nr. 1 EinigungsV (BGBl 1990 II 889)) bekräftigt die volle normative Geltung des GG, das nicht (mehr) – als ein „Provisorium“ – unter einem Vorbehalt künftiger Verfassungs(gesetz)gebung steht (Art. 146 nF). Die rechtliche Bindungswirkung des GG unterliegt auch keinem Vorbehalt (mehr), der sich aus früherem Besatzungsrecht oder dessen Fortwirkungen ergäbe, es sei denn, die Bundesrepublik Deutschland habe dem völkerrechtlich wirksam zugestimmt. Die Bindungswirkung des GG nach der Präambel kann allerdings, wie deren Inhalt zeigt, nur einen „aller-äußersten“ rechtlichen Rahmen bieten (BVerfGE 1, 17), vor allem für das Verständnis grundgesetzlicher Normen; eine darüberhinausgehende Appellwirkung ist rechtlich nicht fassbar.

II. Staatsziele

Staatsziele von normativer Bedeutung werden festgelegt „im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen “. Dieser Invocatio Dei, eines allmächtigen, personalen Wesens, spricht die hL (vgl. etwa DHS/Herdegen Präambel Rn. 29 ff.; Sachs/P. M. Huber Präambel Rn. 38 f.; Jarass/Pieroth/Jarass Präambel Rn. 2) wegen der staatlichen Neutralität in religiös-weltanschaulichen Dingen (Art. 4, 140 GG iVm Art. 136 ff. WRV; vgl. BVerfGE 33, 23 (28); 41, 29 (50)) im Ergebnis rechtliche Bedeutung ab: eine solche könne ihr nicht als einer „Demutsklausel“ zukommen – die ihrerseits religiösen Inhalt hätte – und ein Bezug auf höheres Recht wäre nicht fassbar. Gewollt war aber – und sollte gelten – eine rechtliche Sicherung der Achtung vor gemeinsamen gottesbezogenen Grundvorstellungen.

„Dem Frieden der Welt dienen“ – das Friedensgebot des GG (DHS/Herdegen Präambel Rn. 66) – bezeichnet einen äußersten Verfassungsrahmen, der in Art. 1 II, 9 II, 24, 25, 26, 87a – wiederum (nur) sehr allg. – „konkretisiert“ sein soll (vgl. MKS/Starck Präambel Rn. 44). „Friedenschaffung auch mit Waffen“ ist zulässig (BVerfGE 90, 286 (345)). – „Gleichberechtigte Mitgliedschaft in einem vereinten Europa“ ist friedensbezogen und im GG konkretisiert (insbes. Art. 23; vgl. auch die „Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes“, BVerfGE 142, 123 (197)), lässt aber die endgültige politische Verfasstheit Europas offen (BVerfGE 123, 267 (347)). Zur Frage, was dem deutschen Volk in diesem Europa an Rechten bleiben muss/soll, sagt die Präambel im Einzelnen nichts aus.

III. Die verfassunggebende Gewalt

Die „verfassunggebende Gewalt“ (pouvoir constituant) (zu ihrer heutigen Bedeutung Jarass/Pieroth/Jarass Präambel Rn. 2) steht dem deutschen Volk zu. Da das GG aber „für das gesamte deutsche Volk“ gilt und die ursprüngliche Aufgabe der verfassunggebenden Gewalt, einer Novellierung nach der Wiedervereinigung, „vollendet“ ist (vgl. früher Präambel und Art. 146 aF), kann (Verfassungs-)Recht nur mehr durch die im GG vorgesehenen Gewalten (pouvoirs constitués) gesetzt werden. Sie können Verfassung und auch Präambel nach Art. 79 I, II jederzeit ändern, allerdings nur unter Beachtung der Ewigkeitsgarantie (Art. 79 III; vgl. BVerfGE 89, 90 (121)). Neben oder über ihnen gibt es keinen pouvoir constituant (mehr).

Das „deutsche Volk“ als Verfassunggeber waren „die Deutschen in den Ländern“. Nach dem klaren Wortlaut folgt daraus keine Feststellung zum bundesstaatlichen Verhältnis, etwa zu Länderrechten bei der Verfassungsgesetzgebung. „Deutsche“ wurde vor 1989 wie nachher, rechtlich stets als „Wahlberechtigte“ verstanden. Die Präambel verweist also auf das einfach-gesetzliche Wahlrecht, einschließlich des EuWG (vgl. Art. 28 I 3). Eine Aussage zu dessen Ausgestaltung trifft sie nicht.

IV. Vollendung der Einheit und Freiheit

Da die „Einheit Deutschlands vollendet“ ist, haben das (frühere) Wiedervereinigungsgebot (BVerfGE 1, 17; 77, 137 (149)) und die staatliche Lage Deutschlands zwischen 1945 und 1990 (vgl. dazu näher HStR I/Luchterhandt § 10; Jarass/Pieroth/Jarass Präambel Rn. 5) nur mehr Bedeutung, soweit (noch) Rechtsfolgen aus jener Zeit geregelt werden, im Übrigen in völkerrechtlicher und staatsgrundsätzlicher Sicht.

Ein Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland wird damit nicht festgelegt, denn die Präambel spricht hinsichtlich der Geltung des GG nicht die gebietliche Situation, sondern die Adressaten an – die Deutschen, die gehandelt haben und für die das GG gilt. Dessen Geltung im Ausland bestimmt sich nach deutschem Recht, im Rahmen des Völkerrechts (Art. 25, 59). In personeller Hinsicht gelten viele Normen des GG auch für Ausländer (Dreier/Dreier Präambel Rn. 87). In räumlicher Hinsicht ist das GG für die deutsche öffentliche Gewalt auch im Ausland bedeutsam (vgl. BVerfGE 154, (152)). So binden die Grundrechte die inländische öffentliche Gewalt auch insoweit, als die Aktivitäten dieser Gewalt im Ausland stattfinden bzw. sich dort auswirken (vgl. so diff. Jarass/Pieroth/Jarass, Präambel Rn. 5). Die staatliche Identität der Bundesrepublik Deutschland wurde durch den Beitritt der neuen Länder nicht berührt (BVerfGE 92, 277 (348); Dreier/Dreier Präambel Rn. 60); die DDR ist untergegangen (BVerfGE 96, 68 (94)).

„Einheit und Freiheit“, nicht „Einheit in Freiheit“ sind nach der Präambel vollendet. Freiheit ist daher das höchstrangige Verfassungsgut in der grundgesetzlichen Ordnung, neben der Einheit. Dies spricht deutlich für einen letzten normativen Höherrang der Freiheit gegenüber allen anderen Verfassungswerten, etwa auch der Gleichheit, soweit diese nicht ebenfalls notwendig eine Sicherung der Freiheit darstellt. Vollendetes muss bewahrt werden; insoweit ist Freiheit auch der Spitzenwert der „Ewigkeitsgarantie“ (Art. 79 III).