Artikel 39 [Zusammentritt und Wahlperiode]
(1) 1 Der Bundestag wird vorbehaltlich der nachfolgenden Bestimmungen auf vier Jahre gewählt. 2 Seine Wahlperiode endet mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages. 3 Die Neuwahl findet frühestens sechsundvierzig, spätestens achtundvierzig Monate nach Beginn der Wahlperiode statt. 4 Im Falle einer Auflösung des Bundestages findet die Neuwahl innerhalb von sechzig Tagen statt.
(2) Der Bundestag tritt spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl zusammen.
(3) 1 Der Bundestag bestimmt den Schluß und den Wiederbeginn seiner Sitzungen. 2 Der Präsident des Bundestages kann ihn früher einberufen. 3 Er ist hierzu verpflichtet, wenn ein Drittel der Mitglieder, der Bundespräsident oder der Bundeskanzler es verlangen.
Die vierjährige Funktionsdauer des BTags in seiner durch die jew. letzte Wahl bestimmten Zusammensetzung (Art. 39 I 1 – Wahl- oder Legislaturperiode – dh der Verfassungsgrundsatz der „Periodizität der Wahl“ (BVerfG NVwZ 1984, 1813)) wird als grds. unabdingbare Ausprägung der (parlamentarischen) Demokratie (Art. 20 I, II) angesehen (BVerfGE 1, 14 (33); 18, 151 (154); 77, 1 (40)). Die regelmäßige Wahlperiode des BTags – außerhalb der Parlamentsauflösung (Art. 63 IV, 68 I, 115h) – kann nur nach Art. 79 I, II verändert werden; dabei ist die Arbeitsfähigkeit des BTags (BVerfGE 62, 1 (32)) abwägend gegenüber dem Demokratieprinzip zu berücksichtigen (BVerfGE 13, 54 (91)), was generell im Parlamentsrecht gelten soll, aber keine klare Vorgabe bringt. Diese Periodizität steht jedoch dem Auflösungsrecht, auch einem (etwaigen oder „verschleierten“) Selbstauflösungsrecht des BTags, nicht entgegen. Sie verbietet auch nicht ein „Rotationsprinzip“ beim Abgeordnetenmandat (str. s. MKS/Achterberg/Schulte Art. 39 Rn. 19 ff.), das allerdings, soweit parteibestimmt, mit dem volksvertretenden Mandat unvereinbar ist (Art. 38 Rn. 5).
Die Wahlperiode des BTags beginnt stets, also auch bei Auflösung, mit dem „Zusammentritt“ eines neu gewählten BTags (Art. 39 I 2, II), dh mit dem Beginn von dessen erster ordnungsgemäß einberufener „Sitzung“. Einberufen wird er vom „bisherigen Präsidenten“ (§ 1 I GeschOBTag), in verfassungswidriger, aber ständiger Praxis, unter Verstoß gegen den Verfassungswortlaut – der BT „tritt zusammen“ – und in Verletzung der personellen Diskontinuität (Rn. 3). Als Verfassungsgewohnheitsrecht wird dies gerechtfertigt (MKS/Achterberg/Schulte Art. 29 Rn. 23), es ist aber nicht notwendig: Der an Jahren älteste neu gewählte Abgeordnete kann einberufen (vgl. § 1 II GeschOBTag). Ein Einberufungsrecht nach Art. 39 III 3 gibt es hier nicht. Der Zusammentritt muss spätestens am 30. Tag nach der Wahl erfolgen (Art. 39 II), möglich ist er schon, sobald feststeht wer gewählt ist, vorbehaltlich späterer Wahlprüfung. Die Wahlperiode des alten BTags endet (Art. 39 I 2) mit dem Zusammentritt des neuen BTags, eine „parlamentslose Zeit“ gibt es nicht. Diese Regelungen von Beginn und Ende der Wahlperiode gelten auch in den Fällen der Auflösung des BTags (Art. 63 IV, 68 I; vgl. dabei Fuchs/Fuchs DÖV 2009, 232).
„Der BTag“ als solcher bleibt in „Organkontinuität“ (BVerfGE 4, 144 (152)) erhalten, die außenwirksamen Handlungen des alten BTags (Verträge, Verwaltungsakte, gerichtliche Verfahrenshandlungen) bleiben rechtswirksam (BVerfGE 79, 311 (327)). Die Wirkungen des Zusammentritts eines neuen BTags fasst dagegen der Begriff Diskontinuität zusammen. Institutionelle Diskontinuität bedeutet, dass die nicht durch das GG vorgesehenen Unterorgane des alten BTags wie dieser wegfallen (Ausschüsse, Enquete-Kommissionen nach §§ 54 ff. GeschOBTag). Personelle Diskontinuität, dh Zusammensetzung durch neu gewählte Mandatsträger, tritt für den BT und alle seine Unterorgane ein. „ Sachliche Diskontinuität“ bewirkt die Unwirksamkeit sämtlicher innerparlamentarischer Vorgänge während der alten Wahlperiode („unerledigte Vorlagen“, § 125 GeschOBTag), soweit diese einer Beschlussfassung bedürfen, eine solche aber beim Ende der Wahlperiode (noch) nicht vorlag. Nicht behandelte Gesetzesvorlagen müssen also im neuen BT erneut eingebracht werden. Dies ist verfassungsrechtlich geboten, da Beschlussfassung nicht nur eine verfahrensabschließende Zuständigkeit des BTags ist, sondern erst den gesamten Verfahrensablauf im BT, in dessen jew. personeller Besetzung, wirksam werden lässt. Allenfalls könnte die GeschO vorsehen, dass bisherige Verfahrensabschnitte vom neuen BT in abgekürztem Verfahren oder global gebilligt werden können. Die Periodizität würde damit abgeschwächt.
Der Wahltermin wird vom BPräsidenten bestimmt (§ 16 S. 1 BWG); dies ist sachgerecht, da er vom alten wie neuen BT unabhängig ist. Erfolgen muss die Neuwahl in einer Zeit zwischen dem Ablauf des 46. und des 48. Monats nach Beginn der endenden Wahlperiode (Art. 39 I 3, 4), bei Auflösung des BTags innerhalb von 60 Tagen nach dieser. Die Terminfestlegung muss die erforderlichen Wahlvorbereitungen (vgl. §§ 17 ff. BWG) zeitlich ermöglichen. Eine Verlegung ist nur wegen außerordentlicher Umstände (Naturkatastrophen, Unruhen, Streiks; vgl. VerfGH RhPf DVBl 1984, 676 (678)) zulässig. Im Übrigen ist der BPräsident in der Bestimmung des Wahltags frei. Diese kann im Organstreit (Art. 93 I Nr. 1; BVerfGE 62, 1 (31 f.)) auf ihre Zulässigkeit überprüft werden. Wird ein Wahltag vor Beginn der Frist nach Art. 39 I Nr. 3 bestimmt, so ist die Wahl ungültig. Liegt er nach dem Ablauf der Frist, so soll die Wahl nach hL (Sachs/Magiera Art. 39 Rn. 19) verfassungswidrig, dennoch aber gültig sein, weil bei Ungültigkeit das Mandat des alten BTags entgegen Art. 39 I 2 noch weiter verlängert würde. Verspätete Terminbestimmung durch den BPräsidenten kann aber durch Eilantrag beim BVerfG im Organstreit (Art. 93 I Nr. 1) rechtzeitig verhindert werden.
Die Sitzungen des BTags werden zeitlich und nach ihrer Tagesordnung vom BT mit einfacher Mehrheit (Art. 42 II 1) festgelegt (Art. 39 III 1 – Selbstversammlungsrecht). Sie enden mit Erschöpfung der Tagesordnung (§ 20 GeschOBTag). Entscheidet der BT nicht vor Ende der Sitzung über deren „Wiederbeginn“ – also eine neue Sitzung und deren Tagesordnung – so setzt der BTagsPräsident Termin und Tagesordnung der nächsten Sitzung „selbständig“ fest, wozu ihn der BT ermächtigen oder bei Beginn der neuen Sitzung seine Entscheidung genehmigen muss (§ 21 GeschOBTag). Kommt es auch auf diesem Weg nicht zur Anberaumung einer neuen Sitzung, so wird deren Termin und Tagesordnung im Ältestenrat vereinbart (§ 20 I GeschOBTag) – angesichts der lückenhaften Regelung in Art. 39 III, die dem BTagsPräsidenten nur die „frühere Einberufung“ gestattet, eine sachgerechte Lösung. Der BTagsPräsident muss überdies einberufen auf Verlangen von 1/3 der Abgeordneten (Art. 121), des BPräsidenten oder des BKanzlers (Art. 39 III 3). Der BT kann aber eine solche Sitzung jederzeit (wieder) schließen. In sämtlichen Fällen, in denen der BTagsPräsident einberuft, setzt seine Entscheidung voraus, dass der BT nicht mehr versammelt ist, oder eine nächste Sitzung nicht festlegen will oder kann, etwa wegen Beschlussunfähigkeit.