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Artikel 87e [Eisenbahnen des Bundes]

(1) 1 Die Eisenbahnverkehrsverwaltung für Eisenbahnen des Bundes wird in bundeseigener Verwaltung geführt. 2 Durch Bundesgesetz können Aufgaben der Eisenbahnverkehrsverwaltung den Ländern als eigene Angelegenheit übertragen werden.

(2) Der Bund nimmt die über den Bereich der Eisenbahnen des Bundes hinausgehenden Aufgaben der Eisenbahnverkehrsverwaltung wahr, die ihm durch Bundesgesetz übertragen werden.

(3) 1 Eisenbahnen des Bundes werden als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form geführt. 2 Diese stehen im Eigentum des Bundes, soweit die Tätigkeit des Wirtschaftsunternehmens den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen umfaßt. 3 Die Veräußerung von Anteilen des Bundes an den Unternehmen nach Satz 2 erfolgt auf Grund eines Gesetzes; die Mehrheit der Anteile an diesen Unternehmen verbleibt beim Bund. 4 Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.

(4) 1 Der Bund gewährleistet, daß dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird. 2 Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.

(5) 1 Gesetze auf Grund der Absätze 1 bis 4 bedürfen der Zustimmung des Bundesrates. 2 Der Zustimmung des Bundesrates bedürfen ferner Gesetze, die die Auflösung, die Verschmelzung und die Aufspaltung von Eisenbahnunternehmen des Bundes, die Übertragung von Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes an Dritte sowie die Stillegung von Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes regeln oder Auswirkungen auf den Schienenpersonennahverkehr haben.

I. Allgemeines

Art. 87e ist im Zuge der Bahnstrukturreform gemeinsam mit Art. 143a in das GG eingefügt worden (BGBl. 1993 I 2089). Art. 87e eröffnet dem Bund im Bereich der Eisenbahnverkehrsverwaltung eigene Verwaltungskompetenzen (Art. 87e I, II) und schafft die Grundlage für eine Privatisierung der Eisenbahnen des Bundes bei gleichzeitiger Übertragung der Gewährleistungsverantwortung auf den Bund (Art. 87e III, IV).

II. Verwaltungskompetenzen

1. Grundsatz der bundeseigenen Verwaltung

Art. 87e I 1 überträgt die Eisenbahnverkehrsverwaltung für Eisenbahnen des Bundes obligatorisch in die bundeseigene Verwaltung. Vorgeschrieben wird damit eine unmittelbare Bundesverwaltung, wobei dem Bund unbenommen bleibt, eine selbständige Bundesoberbehörde gem. Art. 87 III 1 Var. 1 zu errichten. Eine mittelbare Bundesverwaltung gestattet Art. 87e I 1 jedoch nicht (BeckOK GG/Remmert Art. 87e Rn. 3; MKS/Gersdorf Art. 87e Rn. 27; aA v. Münch/Kunig/Uerpmann-Wittzack Art. 87e Rn. 11). Mit der Wahrnehmung der Aufgaben der Eisenbahnverkehrsverwaltung hat der Bund das Eisenbahn-Bundesamt als selbständige Bundesoberbehörde betraut (vgl. Gesetz über die Eisenbahnverkehrsverwaltung des Bundes v. 27.12.1993, BGBl. 1993 I 2378 (2394); zul. geänd. BGBl. 2021 I 1614). Bestimmte Aufgaben werden von der Bundesnetzagentur wahrgenommen (vgl. Gesetz über die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen v. 7.7.2005, BGBl. 2005 I 1970 (2009); zul. geänd. BGBl. 2021 I 3026).

Art. 87e I 1 betrifft Eisenbahnen des Bundes. Der Begriff entspricht dem des Art. 73 I Nr. 6a (Art. 73 Rn. 15) und erfasst daher nur solche, die ganz oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen. Übertragen wird dem Bund allein die Eisenbahnverkehrsverwaltung. Art. 87e unterscheidet damit strikt die Aufgabe der Eisenbahnverkehrsverwaltung einerseits von der Erbringung unternehmerischer Eisenbahnverkehrsleistungen und dem Betreiben der Eisenbahnverkehrsinfrastruktur andererseits, die nicht von Art. 87e I erfasst sind. Der Begriff der Eisenbahnverkehrsverwaltung umschreibt alle hoheitlichen Ordnungs- und Steuerungsaufgaben, die das Eisenbahnwesen einschließlich des Baus und Betriebs der Eisenbahnen betreffen (BVerfGE 97, 198 (227)). Hierzu gehört auch die Bahnpolizei (Riegel DÖV 1995, 317 (319); Ronellenfitsch DÖV 1996, 1028 (1035 f.)).

2. Fakultative landeseigene Verwaltung

Art. 87e I 2 sieht vor, dass Aufgaben der Eisenbahnverkehrsverwaltung in die landeseigene Verwaltung gesetzlich überführt werden können. Ermöglicht wird mit dieser fakultativen landeseigenen Verwaltung eine Rückkehr zum Grundsatz des Art. 83 Hs. 1. Die Aufgabenübertragung bedarf eines Bundesgesetzes, das gem. Art. 87e V 1 mit Zustimmung des BRats ergehen muss. Eine vollständige Delegation auf die Länder ist nicht gestattet (Sachs/Windthorst Art. 87e Rn. 26; Dreier/Wieland Art. 87e Rn. 13). Von einer Übertragung ausgeschlossen sind Aufgaben, die Gegenstand des Infrastruktursicherungsauftrags des Bundes gem. Art. 87e IV sind, da insoweit eine Pflichtaufgabe des Bundes begründet wird (MKS/Gersdorf Art. 87e Rn. 28).

3. Erweiterte fakultative bundeseigene Verwaltung

Art. 87e II erlaubt eine Erweiterung der Verwaltungszuständigkeit des Bundes durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des BRats bedarf. Ermöglicht wird eine fakultative bundeseigene Verwaltung. Die Verkehrsverwaltungskompetenz des Bundes kann gesetzlich auf Eisenbahnen erstreckt werden, die nicht mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen. In Anbetracht des engen Regelungszusammenhangs mit Art. 87e I 1 ist auch hier nur eine unmittelbare bundeseigene Verwaltung zugelassen (Sachs/Windthorst Art. 87e Rn. 34; BeckOK GG/Remmert Art. 87e Rn. 7; aA v. Münch/Kunig/Uerpmann-Wittzack Art. 87e Rn. 11, 15).

III. Privatisierung

Nach Art. 87e III 1 sind die Eisenbahnen des Bundes als Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher Form zu führen. Diese Bestimmung betrifft nur die Erbringung von Eisenbahnverkehrsleistungen sowie das Betreiben der Eisenbahnverkehrsinfrastruktur, nicht hingegen die Eisenbahnverkehrsverwaltung gem. Art. 87e I (Sachs/Windthorst Art. 87e Rn. 35). Art. 87e III 1 normiert einen Verfassungsauftrag zur Organisationsprivatisierung, dem der Bund gem. Art. 87 III 4 mit dem Gesetz über die Gründung einer DB AG v. 27.12.1993 (BGBl. 1993 I 2378 (2386); zul. geänd. BGBl. 2021 I 1614) nachgekommen ist.

Die Entscheidung der Verfassung, Eisenbahnen des Bundes als Wirtschaftsunternehmen zu führen, verlangt eine an kaufmännischen Grundsätzen orientierte, auf Gewinnerzielung gerichtete Teilnahme am Wettbewerb (MKS/Gersdorf Art. 87e Rn. 47). Dies bedeutet, dass Art. 87e III 1 den auf seiner Grundlage errichteten Wirtschaftsunternehmen eine an der unternehmerischen Rationalität ausgerichtete Entscheidungsautonomie gewährleistet (BVerfGE 129, 356 (368); BVerwGE 155, 230 (236); Schmidt-Aßmann/Röhl DÖV 1994, 577 (581)).

Art. 87e III 2 bestimmt, dass die Eisenbahnunternehmen iSv Art. 87e III 1 im Eigentum des Bundes stehen, soweit die Tätigkeit des Unternehmens den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen, einschließlich der Bahnhöfe, umfasst (BVerwGE 155, 230 (236)). Eigentumsanteile an solchen Eisenbahninfrastrukturunternehmen darf der Bund nach Art. 87e III 3 Hs. 1 nur aufgrund eines Gesetzes veräußern, das gem. Art. 87e V 1 der Zustimmung des BRats bedarf. Zudem muss der Bund nach Art. 87e III 3 Hs. 2 Mehrheitseigentümer bleiben (BVerfGE 147, 50 (155 f.)). Die Veräußerung von Unternehmen, die Eisenbahnverkehrsleistungen erbringen, unterliegt hingegen keinen verfassungsrechtlichen Beschränkungen nach Art. 87e III; insoweit ist eine materielle Privatisierung statthaft (MKS/Gersdorf Art. 87e Rn. 61; BeckOK GG/Remmert Art. 87e Rn. 11).

IV. Gewährleistungsverantwortung

Im Gegenzug zur Privatisierung der Eisenbahnen des Bundes trifft den Bund eine Gewährleistungsverantwortung gem. Art. 87e IV 1, die ihn verpflichtet, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes sowie bei den Verkehrsangeboten dem Wohl der Allgemeinheit, insbes. den Verkehrsbedürfnissen zu entsprechen. Es handelt sich dabei um eine Staatszielbestimmung.

Gewährleistungsgegenstand sind dabei sowohl die Eisenbahninfrastruktur als auch die Eisenbahnverkehrsangebote mit Ausnahme des Schienenpersonennahverkehrs, nicht hingegen die Tätigkeit von Eisenbahnunternehmen insgesamt (BVerfGE 129, 356 (369)). Der Gewährleistungsauftrag des Bundes bezieht sich nur auf Eisenbahnen des Bundes. Während es sich bei Eisenbahninfrastrukturunternehmen aufgrund der Privatisierungsschranke des Art. 87e III 3 immer um solche handelt, ist dies bei Eisenbahnverkehrsunternehmen nicht notwendig der Fall. Steht ein solches nicht mehr mehrheitlich in Bundeseigentum, wird es vom Gewährleistungsauftrag nach Art. 87e IV nicht mehr erfasst (MKS/Gersdorf Art. 87e Rn. 68; Sachs/Windthorst Art. 87e Rn. 61; aA Ronellenfitsch DVBl 2008, 201 (207)).

Aufgrund seiner Gewährleistungsverantwortung trifft den Bund die Pflicht, eine Grundversorgung mit Eisenbahninfrastrukturangeboten und Eisenbahnverkehrsdienstleistungen sicherzustellen (Heinze BayVBl. 1994, 266 (269); MKS/Gersdorf Art. 87e Rn. 70). Er muss daher auf die in seinem Mehrheitseigentum stehenden Eisenbahnen des Bundes einwirken, dabei aber deren Privatwirtschaftlichkeit berücksichtigen. Art. 87 IV 1 lässt es offen, mit welchen Mitteln der Bund seine Gewährleistungsaufgabe wahrnimmt, und hat die Regelung der Einzelheiten gem. Art. 87 IV 2 dem Gesetzgeber übertragen (BVerwGE 155, 230 (237)). Der Bund muss dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung tragen (BVerfGE 147, 50 (162 f.)). Zur Erfüllung der Gewährleistungspflicht kommen neben regulatorischen auch planerische Maßnahmen in Betracht sowie die Bereitstellung von Finanzmitteln (SHH/Ruge Art. 87e Rn. 30). Aufgrund von Art. 87e III 1 ist der Bund jedoch daran gehindert, die entspr. Leistungen selbst zu erbringen. Keinesfalls verpflichtet die Gewährleistungsverantwortung den Bund selbst zum Ausbau des Schienennetzes oder zum Bau von Bahnhöfen (BVerwGE 155, 230 (237)). Gesetzliche Regelungen im Zusammenhang mit der Gewährleistungsverantwortung des Bundes, zu deren Erlass Art. 87e IV 2 ermächtigt, bedürfen gem. Art. 87e V 1 der Zustimmung des BRats.

V. Zustimmungsbedürftigkeit

Art. 87 V 1 bestimmt die Zustimmungsbedürftigkeit aller Gesetze auf der Grundlage von Art. 87e I, II, III und IV. Nach Art. 87e V 2 bedürfen darüber hinaus weitere Gesetze der Zustimmung des BRats. Im Einzelnen handelt es sich dabei um Regelungen, die die Auflösung, die Verschmelzung und die Aufspaltung von Eisenbahnunternehmen des Bundes, die Übertragung von Schienenwegen an Dritte sowie die Stilllegung von Schienenwegen betreffen oder Auswirkungen auf den Schienenpersonennahverkehr haben.