Artikel 115i [Erweiterte Befugnisse der Landesregierungen]
(1) Sind die zuständigen Bundesorgane außerstande, die notwendigen Maßnahmen zur Abwehr der Gefahr zu treffen, und erfordert die Lage unabweisbar ein sofortiges selbständiges Handeln in einzelnen Teilen des Bundesgebietes, so sind die Landesregierungen oder die von ihnen bestimmten Behörden oder Beauftragten befugt, für ihren Zuständigkeitsbereich Maßnahmen im Sinne des Artikels 115f Abs. 1 zu treffen.
(2) Maßnahmen nach Absatz 1 können durch die Bundesregierung, im Verhältnis zu Landesbehörden und nachgeordneten Bundesbehörden auch durch die Ministerpräsidenten der Länder, jederzeit aufgehoben werden.
I. Bedeutung der Norm
Art. 115i I ist Spiegelbild zu Art. 115f I und trifft Vorsorge für den Fall, dass die BReg die ihr zugedachte Rolle einer zentralen Steuerungsinstanz des Militär- und Verwaltungsapparates im Verteidigungsfall nicht effektiv wahrnehmen kann (DHS/Herzog Art. 115i Rn. 1). Fällt das politische Zentrum aus, soll ein Minimum an staatlicher Handlungsfähigkeit dadurch gesichert werden, dass die in Art. 115f gebündelten Befugnisse der BReg auch den Landesregierungen oder von ihnen bestimmten Behörden oder Beauftragten zustehen (SHH/Wittenberg Art. 115i Rn. 2). Während die übrigen Vorschriften der Notstandsverfassung eine Zentralisierung vorsehen, geht Art. 115i den umgekehrten Weg. Hier soll bei einer „Insellage“ ein selbstständiges Handeln von örtlichen Behörden ermöglicht werden (v. Münch/Kunig/Versteyl/Fremuth Art. 115i Rn. 1).
II. Besondere Vollmachten der Landesregierung
Voraussetzung für das Handeln der Landesregierung ist – neben dem Vorliegen des Verteidigungsfalls (Dreier/Heun Art. 115i Rn. 4) –, dass die zuständigen Bundesorgane, dh die BReg, da nur sie die Notstandskompetenz nach Art. 115f besitzt, objektiv außer Stande sind, die notwendigen Gefahrenabwehrmaßnahmen zu treffen. Dies ist insbes. der Fall, wenn die Mitglieder der BReg gefangen genommen oder getötet worden sind (SHH/Wittenberg Art. 115i Rn. 5). Es genügt aber auch, dass die BReg zwar arbeitsfähig, aber durch Unterbrechung der Kommunikationsverbindungen von Teilen des Bundesgebietes abgeschnitten ist (BK/Rauschning Art. 115i Rn. 8). Bloße Beschlussunwilligkeit oder Entschlusslosigkeit der BReg reichen indes nicht (MKS/Grote Art. 115i Rn. 4).
Sind die Voraussetzungen des Art. 115i I gegeben, können die Landesregierungen oder die von ihnen bestimmten Behörden oder Beauftragten außer den eigenen Polizeikräften vor allem die Kräfte des Bundesgrenzschutzes (Bundespolizei) für polizeiliche Aufgaben einsetzen und den am Ort befindlichen Einrichtungen der Bundesverwaltung Weisungen erteilen (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 115i Rn. 1). Die Weisungsgewalt der Landesregierungen erstreckt sich indes nicht auf die Streitkräfte, da Art. 87a III nicht in die Verweisung des Art. 115i einbezogen ist (Sachs/Robbers Art. 115i Rn. 5). Ebenso wenig gehen Gesetzgebungskompetenzen von BT, BR oder des GA auf die Landesregierungen über (MKS/Grote Art. 115i Rn. 3). Grds. bezieht sich die Notzuständigkeit nur auf das Territorium des betroffenen Landes (Dreier/Heun Art. 115i Rn. 9).
Die von der Landesstaatsgewalt getroffenen Einzelmaßnahmen sind gem. Art. 115i II nur vorläufiger Natur und so schnell wie möglich wieder durch eine Zusammenfassung der Befugnisse bei der BReg zu ersetzen. Sie können nach Maßgabe des Art. 115i II jederzeit aufgehoben werden. Die Ersatzzuständigkeit der Landesregierung endet automatisch, wenn die Voraussetzungen des Art. 115i I entfallen, also bei Beendigung des Verteidigungsfalls, Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit der BReg oder bei Wegfall der Erforderlichkeit (Dreier/Heun Art. 115i Rn. 10).