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Artikel 140 [Übernahme von Artikeln der Weimarer Verfassung]

Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.

I. Übernahme von Bestimmungen der WRV

Mangels Einigung im ParlRat über eine Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften hat man sich für die Fortgeltung der „Kirchenartikel“ der WRV entschieden (näher Dreier/Morlok Art. 140 Rn. 11). Die religionsverfassungsrechtlichen (zum umstr. Begriff vgl. BVerfGE 102, 370 (387, 393); Heinig/Walter [Hrsg.], Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, 2007; zum Wandel der Religionsverfassung Dreier JZ 2019, 1005 (1006 ff.)) Vorschriften der Art. 136–139 und Art. 141 WRV werden über Art. 140 in das GG inkorporiert. Sie sind vollgültiges Verfassungsrecht (BVerfGE 19, 206 (219); 19, 226 (236); 53, 366 (400); 137, 273 (303); 139, 321 (349)) und haben denselben Rang wie die übrigen Vorschriften des GG (BVerfGE 19, 206 (219); 111, 10 (50); 139, 321 (349)). Sie stehen in engem Zusammenhang mit Art. 4 I, II (BVerfGE 99, 100 (119); 111, 10 (50)) und sind funktional auf die Verwirklichung der Glaubensfreiheit angelegt (BVerfGE 102, 370 (387); 137, 273 (303); Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Grundgesetzes, 2006, 340 ff.). Art. 140 und die inkorporierten Normen der WRV enthalten keine verfassungsbeschwerdefähigen Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte (BVerfGE 19, 129 (135); Jarass/Pieroth/Jarass Art. 140 Rn. 2; aA Sachs/Ehlers Art. 140 Rn. 3; diff. BK/Kästner Art. 140 Rn. 150 ff.; v. Münch/Kunig/Mager Art. 140 Rn. 5). Allerdings sieht das BVerfG die Gewährleistungen der Weimarer Bestimmungen als von Art. 4 miterfasst an (BVerfGE 19, 129 (132); 24, 236 (246 f.); 99, 100 (118); 137, 273 (303 f.)) und prüft daher jeden Verfassungsverstoß (BVerfGE 70, 138 (162); 102, 370 (384 ff.)).

II. Weitere Rechtsquellen des Staatskirchenrechts

Über Art. 140 hinaus prägt ein dichtes Netz von Verträgen ( Konkordate mit dem Hl. Stuhl und Staatskirchenverträge bzw. religionsverfassungsrechtliche Verträge mit anderen Glaubensgemeinschaften) das Rechtsverhältnis von Kirchen und Staat (näher Sachs/Ehlers Art. 140 Rn. 8; PRGM StaatskirchenR-HdB I/Mückl, 433 ff.). Die Verträge haben die Funktion, die Beziehungen abzusichern und die zT gemeinsame Aufgabenwahrnehmung zu koordinieren (Dreier/Morlok Art. 140 Rn. 49). Sie müssen materiell mit den Vorgaben des GG vereinbar sein (DHS/Korioth Art. 140 Rn. 24 f.). Soweit Landesverfassungen eine strikte Vertragsbindung vorsehen, sind diese Regelungen mit dem GG unvereinbar und nichtig (BVerfGE 6, 309 (365)). Konkordate und religionsverfassungsrechtliche Verträge haben den Rang des Zustimmungsgesetzes, dh sie nehmen, da die Vertragsschlusskompetenz idR bei den Ländern liegt (Friauf/Höfling/Muckel Art. 140 Rn. 61; SHH/Hofmann Art. 140 Rn. 9 ff.; Art. 32 Rn. 5), den Rang förmlichen Landesrechts ein. Deshalb kommt Bundesgesetzen generell Vorrang zu, auch wenn dadurch der Vertrag verletzt wird (BVerfGE 6, 309 (363); einschränkend MKS/Unruh Art. 140 Rn. 81). Soweit Konkordate ausnahmsweise in die Bundeskompetenz fallen sollten (etwa bei der Bundeswehrseelsorge nach Art. 73 I Nr. 1), werden sie, da der Hl. Stuhl Völkerrechtssubjekt ist, als völkerrechtliche Verträge des Bundes über Art. 32 I, Art. 59 II 1 abgeschlossen und stehen im Rang eines einfachen Bundesgesetzes (Art. 59 Rn. 23, 25). Als weitere Rechtsquellen des (deutschen) Religionsverfassungsrechts dienen völkerrechtliche Regelungen, insbes. Art. 18 IPbpR und Art. 9 EMRK (DHS/Korioth Art. 140 Rn. 34 ff.). Auch das EU-Recht wird mit fortschreitender europäischer Integration und der dynamischen EuGH-Judikatur im Antidiskriminierungsrecht (vgl. EuGH NJW 2019, 1869; NJW 2018, 3086; NZA 2019, 297; → Art. 137 WRV Rn. 5; → Art. 139 WRV Rn. 2) für die Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Religionsgesellschaften immer bedeutsamer (Dreier/Morlok Art. 140 Rn. 18 ff.; PRGM StaatskirchenR-HdB I/Classen, 483 ff.), wenngleich das Religionsverfassungsrecht des Grundgesetzes nicht unmittelbar durch unionsrechtliche Vorgaben bestimmt ist (BVerwG NVwZ 2017, 65 (69); Stern/Sodan/Möstl/Uhle § 29 Rn. 138 f.).