Artikel 20 [Bundesstaatliche Verfassung; Widerstandsrecht]
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) 1 Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. 2 Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
I. Rechtsgeltung, Bedeutung des Art. 20
Art. 20 ist unmittelbar geltendes Verfassungsrecht, mit konkretisierungsfähigen, aber nicht durchgehend konkretisierungsbedürftigen, normativen Inhalten. Diese haben eigenständige Bedeutung, verbunden allerdings nicht selten mit grundrechtlichen Schutzbereichen, etwa Art. 3 I. Bei der Auslegung und Anwendung sämtlicher staatlicher Rechtsnormen und Rechtsakte wirken sie (zugleich) als Verdeutlichung und Sinnerfüllung, vor allem im Raum der Gestaltungsfreiheit der Verfassungsorgane. Bezeichnet werden diese Inhalte, insbesondere in der Verfassungsrechtsprechung Art. 20 I und II, als Staatsstrukturprinzipien (MKS/Sommermann Art. 20 Rn. 5), auch als Staatsgrund(satz)normen oder als Staatsformprinzipien. Ihr Grundsatzcharakter (vgl. Art. 28 I 1, 79 III; Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 3) steht ihrer vollen, unmittelbaren Rechtsgeltung nicht entgegen, betont lediglich ihre Ausgestaltungsfähigkeit iSe allg. Verfassungsrahmens; nichts anderes ist mit „Verfassungskern“ oder auch „Identitätskern der Verfassung“ (BVerfGE 129, 124 (177)) gemeint. Als ein solcher gelten sie in Bund und Ländern, was klarstellend – auch für die Staatlichkeit der Länder – in Art. 28 I 1 wiederholt wird. Art. 79 III verleiht ihnen übergeordneten normativen Verfassungsrang (BVerfGE 1, 14 (32); einschränkend allerdings BVerfGE 30, 1 (24) [Art. 79 Rn. 36]; 225, 231 f.).
Die Bezeichnung „Bundesrepublik Deutschland“, übergreifend für den aus Bund und Ländern gebildeten Staat, muss innerstaatlich wie nach außen (EU-, Völkerrecht) verwendet werden (vgl. auch Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 8 zur verfassungsrechtlichen Absicherung des Staatsnamens). Historische Kontinuitätsbedeutung, „Deutschland“ oder „Bund“ und „Republik“ besonders akzentuierende Wirkung kommt dem nicht zu, ebenso wenig territoriale Abgrenzungsfunktion.
II. Republik (Abs. 1)
Die Staatsform der Republik ist in Abs. 1 verankert; die Bedeutung dieser Entscheidung ist gering (Dreier/Dreier Art. 20 Rn. 16 und 18 ff.). „Monarchie“ soll nach hL (MKS/Sommermann Art. 20 Rn. 13; Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 9; vgl. Art. 79 Rn. 38) verboten sein. Ein derartiges Verfassungsverständnis schließt sowohl ein „Wahlkönigtum“ nach geschichtlichen deutschen Vorbildern oder auf Grund einer Volkswahl aus als auch eine demokratische Staatsform mit eingeschränkter Monarchenstellung, nach englischem oder schwedischem Muster.
Eine weitergehende Pflicht zur Gemeinwohlorientierung (so Hartmann AöR 2009, 3; MKS/Sommermann Art. 20 Rn. 14 ff.) dürfte der Entscheidung für die Republik nicht zu entnehmen sein (f. viele Dreier/Dreier Art. 20 Rn. 22). Ein notwendiger Gemeinwohlbezug jedes Staats- oder Bürgerverhaltens, wie er im Begriff der Republik zum Ausdruck kommen soll (str.), ist als solcher überdies kaum definierbar. Was Verfassungsrecht insoweit verlangt, ergibt sich bereits – näher – aus Demokratie- und Rechtsstaatsgebot (Rn. 5 ff.).
III. Demokratie (Abs. 1, 2)
1. Demokratie – nur im staatlichen Bereich
„Demokratie“ ist Bezeichnung der Staatsform und (zugleich) Verfassungsprinzip (BVerfGE 107, 59 (91)); letzteres ergibt sich speziell aus Art. 20 II (BVerfGE 130, 76 (124)). Der Demokratiebegriff selbst ist „offen“ (Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 12) und bedarf laufend verfassungsrechtlicher Konkretisierung. Grundkonzeptionen wie einzelne Ausgestaltungen variieren unübersehbar. „Staatszielbestimmung“ ist Demokratie nur als Strukturprinzip (iSd Rn. 5 ff.; vgl. MKS/Sommermann Art. 20 Rn. 88 ff.). Es überschneidet sich mit anderen Strukturentscheidungen des Art. 20. Die Gewaltenteilung ist unmittelbar mit dem Demokratieprinzip verbunden (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 1 und 7). Das Verfassungsrecht kann insgesamt aber nicht von einem konsensgetragenen allg. Demokratiebegriff ausgehen, ein solcher ergibt sich auch nicht aus Unionsrecht (vgl. die „partizipative“ Demokratie, Art. 11 EUV). Die Entwicklung der Rechtsordnung muss sich an der Verfassungsrechtsprechung orientieren, welche hier, gegenüber ausuferndem Schrifttum, Zurückhaltung zeigt.
Der Begriff Demokratie ist „entwicklungsoffen“ (BVerfGE 107, 59 (91)). Mögliche Kollisionen mit dem Bundesstaatsprinzip sind in verhältnismäßiger Zuordnung aufzulösen (BVerfGE 1, 14 (50)). Das Prinzip gilt nur im staatlichen Bereich (Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 15), für unterstaatliche öffentliche Träger (Personalräte) mit sachnotwendigen Modifikationen (vgl. BVerfGE 91, 367 (386); vgl. auch Rn. 12). Private oder gar „die Gesellschaft“ unterliegen keinem Demokratie- oder Demokratisierungsgebot; dies gilt insbes. für religiöse Vereinigungen (vgl. BVerfGE 102, 370 (397 ff.)) und für Kirchen. Nur im Rahmen der Grundrechte dient „Mehr Demokratie“ als verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Staatshandelns gegenüber Rechten Privater und staatsferner Träger.
2. Gebot periodischer Wahlen
Das Recht der Bürger, in Freiheit und Gleichheit durch Wahlen und Abstimmungen die öffentliche Gewalt personell und sachlich zu bestimmen, ist elementarer Bestandteil des Demokratieprinzips (BVerfGE 131, 316 (334)). Als Inhalt von „Demokratie“ ist rechtlich fassbar das Gebot periodischer freier und gleicher sowie öffentlicher Bürgerwahlen (Personalentscheidung), zu Volksvertretungen wie bei Abstimmungen (Sachentscheidung), als Grundlage der Ausübung aller staatlicher Gewalt (Art. 38 Rn. 24 ff.; BVerfGE 44, 125 (138 ff.); BVerfGE 129, 124 (177); Stern/Sodan/Möstl/Leisner § 31, Die Grundlagen des Wahlrechts)) und der dazu erforderlichen Informationsrechte (BVerfGE 137, 185 (230 ff.)). Erforderlich sind periodisch wiederkehrende Wahlen (Gebot der Periodizität; vgl. Jarass/Pieroth/Jarass Art. 39 Rn. 1), die durch Wahlprüfung gem. Art. 41 I 1 gesichert sein müssen; Demokratie bedeutet Herrschaft auf Zeit (BVerfGE 141, 1; Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 5). Aus Art. 20 II ergeben sich die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 I: Allgemeinheit, Freiheit, Gleichheit und Geheimheit als Kern des Demokratieprinzips (BVerfGE 129, 300 (317); 131, 316 (334); 134, 25; vgl. zum Verhältnis von Art. 38 I zu Art. 20 DHS/Grzeszick Art. 20 Rn. 1). Diese Wahlen setzen voraus: Geltung des für die Demokratie fundamentalen Mehrheitsprinzips (BVerfGE 29, 154 (164); 112, 118 (136 f.)), Rechte einer Opposition, ihre Standpunkte in die parlamentarische Arbeit einzubringen (BVerfGE 70, 324 (363); 123, 267 (341 ff.)), ferner Meinungs- und Kommunikationsfreiheit (BVerfGE 82, 272 (281); 93, 266 (292 f.) – stRspr), sowie Öffentlichkeit des Staatshandelns (BVerfGE 97, 350 (369)), insbes. der Beratungs- und Entscheidungsorgane (BVerfGE 103, 44 (63); 118, 277 (353)).
3. Volkssouveränität
„Alle Gewalt geht vom Volke aus“ („Volkssouveränität“, Art. 20 II 1, 2) ist als Verdeutlichung der Demokratie zu verstehen (vgl. DHS/Grzeszick Art. 20 Rn. 59). „Volk“ ist das jew. Bundes- oder Landesvolk (BVerfGE 83, 60 (74); 107, 59 (87)); es wird nur von Deutschen (Art. 116 Rn. 2 ff.) gebildet (vgl. DHS/Grzeszick Art. 20 Rn. 79). Eine Volksgesetzgebung kann allein durch einfaches Recht nicht eingeführt werden (Dreier/Dreier Art. 20 Rn. 106), außer punktuell und aus gewichtigen Gründen. „Gewalt“ ist alles amtliche Handeln von Staatsorganen und Beliehenen (BVerfGE 93, 37 (68); vgl. Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 29) sowie von EU-Instanzen auf Grund einer Übertragung von Hoheitsrechten (BVerfGE 142, 123 (186)) mit Entscheidungscharakter, einschließlich der Vorschlagsrechte (BVerfGE 107, 59 (87)). Jede Ausübung dieser Gewalt ist nur im Rahmen der verfassungsrechtlichen Kompetenzen zulässig (BVerfGE 8, 104 (115 f.)). Lediglich vorbereitende oder rein konsultative Tätigkeit (Art. 83, 60, 73 f.) ist nicht Gewaltausübung, ebenso wenig die Erfüllung unwichtiger Aufgaben (BVerfGE 47, 253 (274)). Im Übrigen wird dabei auf die Wahlrechtsgrundsätze (Art. 38 I, II) verwiesen; Unmittelbarkeit der Wahl ist aber kein allgemeines Demokratiegebot.
4. Demokratische Legitimation der Staatsorgane
Ausübung aller Staatsgewalt durch das Volk ist Rechtsgebot der „Demokratie“ durch Wahlen und Abstimmungen „und durch besondere Organe“ der drei Staatsgewalten (Art. 20 II 2; vgl. Rn. 28 ff.); denn „das Volk“ muss auch außerhalb der Wahlen stets präsent bleiben (BVerfGE 83, 60 (71 f.)), mit effektivem Einfluss auf die Gewaltausübung durch die Organe (BVerfGE 9, 37 (66) – stRspr; Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 35) Deren Akte müssen sich auf den Willen des Volkes zurückführen lassen und ihm gegenüber verantwortet werden (BVerfGE 147, 50 (127); 144, 20 (209)). Die Verbindung dieser Organe zum Volkswillen ergibt sich beim Parlament durch Wahl (BVerfGE 77, 1 (40)), für Exekutive und Judikative muss sie durch „demokratische Legitimation“ der Organe gewährleistet werden (können). Gewährleistet muss dabei ein bestimmtes Legitimationsniveau sein (BVerfGE 130, 76 (124); 139, 194 (225); 147, 50 (127 f.); dieses muss umso höher sein, je „intensiver eine in Rede stehende Maßnahme Grundrechte berührt oder von grundlegender Bedeutung für die Allgemeinheit ist“ (BVerfGE 135, 317 (429); MKS/Sommermann Art. 20 Rn. 186). Entscheidend ist die Effektivität, mit der die Entscheidungsprozesse demokratisch gesteuert werden (BVerfGE 93, 37 (67); 135, 155 (222); 146, 1 (39 f.); vgl. Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 7).
Als Arten der Legitimation ist zu differenzieren: a) „Organisatorisch-Personell“ sollen dazu Organbestellung durch demokratisch Gewählte (BPräsident Art. 54; BKanzler Art. 63) und deren Kontrollrechte über die Bestellten und alle von diesen wiederum Bestellten (Art. 64, 65) genügen (vgl. BVerfGE 92, 140 (152)), was in einer ununterbrochenen „Legitimationskette“ die Demokratizität aller nachgeordneten Exekutivorgane gewährleistet; die Entscheidungsrechte bei der Bestellung müssen (einer Mehrheit von) derart demokratisch Legitimierten zustehen (vgl. BVerfGE 93, 37 (67 f.); 107, 59 (87)). „Ein Amtsträger ist personell uneingeschränkt legitimiert, wenn er sein Amt im Wege einer Wahl durch das Volk oder das Parlament oder durch einen seinerseits personell legitimierten Amtsträger oder mit dessen Zustimmung erhalten hat“ (BVerfGE 136, 194 (262); 151, 202 (291)). Ministerialfreie, von parlamentarischer Kontrolle nicht erreichbare Räume verletzen das Demokratieprinzip (vgl. BVerfGE 83, 130 (150 f.)). Bei Mitbestimmungs-/Mitwirkungsrechten von öffentlichen Bediensteten muss jedenfalls das Letztentscheidungsrecht der demokratisch verantwortlichen Behördenleitung bei Außenwirkung der Entscheidungen gewährleistet sein; eine „betroffenendemokratische“ Berücksichtigung von Rechten der Bediensteten kann nur über deren Grundrechte gerechtfertigt werden (vgl. BVerfGE 93, 37 (70 ff.)). Der Begriff einer – derart langen – personellen demokratischen Legitimationskette (BVerfG NVwZ 2018, 51 (53)) verweist damit für die Exekutive im Ergebnis weitestgehend auf nähere Ausgestaltung der hierarchischen Kontrollorganisation durch den einfachen Gesetzgeber. Für die Judikative kann solche Legitimation nur hinsichtlich der durch Wahl bestimmten Richter (Art. 94, 95) gelten, weil durch die Exekutive bestimmte Urteiler wegen ihrer Unabhängigkeit (Art. 97) durch andere Organe nicht kontrolliert werden können; ihre Entscheidungen können nur durch ihre Bindung an demokratisch gesetztes Recht demokratisch legitimiert werden (Rn. 51). b) Ferner manifestiert sich die Legitimation „ sachlich-inhaltlich über eine strikte Bindung an die von der Volksvertretung erlassenen Gesetze oder durch eine sanktionierte demokratische Verantwortlichkeit, einschließlich der dazugehörigen Kontrolle, für die Wahrnehmung der zugewiesenen Aufgaben“ (BVerfGE 147, 50 (136)), also durch Vorgaben zum Inhalt und Umfang der Tätigkeit. Insb. folgt daraus die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung. Gleiches gilt für die Verantwortlichkeit der Regierung und der Verwaltung gegenüber dem Parlament (BVerfGE 135, 155 (221 f.); 137, 185 (232 f.); 147, 50 (128)), als Ausdruck des parlamentarischen Regierungssystems und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (vgl. Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 10). Demokratische Legitimation wird mithin sachlich aus der Gesetzesbindung der Exekutiv- und der nicht gewählten Judikativorgane hergeleitet; insoweit wird dann Demokratizität durch Wahllegitimation des Gesetzgebers iVm der Rechtsstaatlichkeit (vgl. Rn. 34 ff. sowie Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 41) gewährleistet. Dies kann aber nur für organisationsrechtlich bestellte Organe gelten (Rn. 10); denn Gesetzesbindung allein – der ja auch Bürger, ja alle Normadressaten, unterworfen sind – vermittelt als solche keine „demokratische Legitimation“. Öffentlichkeit der Gewaltausübung (Transparenz) ist, soweit nicht sachliche Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen, eine zulässige oder gar notwendige Folge der „Demokratie“, stellt aber als solche noch keine demokratische Legitimation dar. c) Abgeschwächte Anforderungen an das Legitimationsniveau gelten für die kommunlale (insb. funktionale iSe organisierten Beteiligung der sachnahen Betroffenen) Selbstverwaltung als deren Sonderform (BVerfGE 107, 59 (92 f.); 135, 155 (222 f.); 146, 164 (210 f.); BVerwG NVwZ 2005, 1185; Dreier/Dreier Art. 20 Rn. 128 ff.). Dabei werden Anforderungen des Demokratieprinzips durch die in Art. 28 I 2 vorgeschriebenen Volksvertretungen als Ausdruck demokratischer Partizipation erfüllt (Dreier/Dreier Art. 20 Rn. 125).
Gewaltausübung durch „kommunale Gebietskörperschaften“ ist demokratisch legitimiert (Art. 28 II) nach näherer Bestimmung durch einfaches Gesetzesrecht. Funktionale Selbstverwaltung ist (letztlich) nicht durch allg. Wahlen (Rn. 7), sondern durch Mitglieder-(Wahl-)Willen legitimiert (DHS/Grzeszick Art. 20 Rn. 192 f.). Dies lässt sich, insbes. für Kammern, unter besonderen Wahlkautelen, v. a. unter Hinweis vor allem auf spezielle Sach-(Bürger-)Nähe ihrer Verwaltungstätigkeit und der Wahrnehmung von öffentlichen und zugleich Mitglieder-Interessen rechtfertigen. Organbildungen, Aufgaben und Befugnisse müssen parlamentarisch hinreichend bestimmt sein, die Organe der Aufsicht generell demokratisch legitimierter Amtswalter unterliegen. (BVerfGE 107, 59 (86 ff.); 111, 191 (215 ff.)). Damit wird letztlich der Autonomiegedanke, näher ausgeformt durch einfache Gesetzgebung, als ein demokratisches (Sub-)Prinzip anerkannt (vgl. BVerfGE 33, 125 (156 ff.)), er ergänzt insoweit die allg. Wahldemokratie, erhält „Zwischengewalten“ (früher insbes. Zünfte) in gewissem Umfang aufrecht.
Demokratie verlangt Öffentlichkeit der staatlichen Beratungs- und Entscheidungsprozesse (BVerfG NVwZ 2018, 51 (53); BVerfGE 70, 324 (358); 118, 277 (353)). Dies gilt auch für Wahlen, insbes. für das Wahlvorschlagsverfahren und die Ermittlung der Wahlergebnisse (BVerfGE 121, 266 (291)), einschließlich der Beratung von Wahlausschüssen und Wahlvorständen. Demokratischer Parlamentarismus verlangt Öffentlichkeit der Verhandlungen des BTags (BVerfGE 40, 296 (327); 70, 324 (355); BVerfG NVwZ 2018, 51 (53)). Das Demokratieprinzip rechtfertigt auch Regelungen zur Transparenz der Nebentätigkeit von Abgeordneten (BVerfGE 118, 227 (353 ff.)). Die Exekutive, insbes. die BReg, ist nur zu sachgerechter Information über ihre Maßnahmen und Vorhaben verpflichtet (vgl. auch Rn. 15; BVerfGE 44, 125 (147); 63, 230 (243)). Die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung soll den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig erhalten (BVerfGE 44, 125 (147); 63, 230 (242 f.); s. zum Informationsrecht des einzelnen Abgeordneten und zu seinen Grenzen gegenüber der BReg als Ausfluss des Demokratieprinzips Rn. 15 sowie BVerfGE 147, 50 (126 ff., insbes. 128 f.).
Gerichtsöffentlichkeit hat als Konkretisierung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips Verfassungsrang (BVerfGE 103, 44 (63)), eine Beschränkung der Gerichtsöffentlichkeit auf die Saalöffentlichkeit und das ausnahmslose Verbot von Rundfunkaufnahmen dürften zulässig sein (BVerfGE 103, 44 (63 ff.); Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 19).
IV. Bundesstaat (Abs. 1)
1. Staatsqualität und Rechte der Länder
Der Bundesstaat führt als Verfassungsrechtsform zu einer Erhaltung der Vielfalt bei Bewahrung staatlicher Einheit (BVerfGE 134, 1 (21)), zu einer Machtbegrenzung (BVerfGE 55, 274 (318)), dient der (vertikalen) Gewaltenteilung (BVerfGE 108, 169 (181 f.)), der mit der Dezentralisierung verbundenen größeren Sachnähe und dem Wettbewerb (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 22). Dem Völkerrecht entspr. ist Bundesstaat die Zusammenfassung von (Glied-)Staaten, den „deutschen Ländern“ (nach dem GG nicht „Bundesländern“), ohne Verlust ihrer Staatlichkeit, in einem Oberstaat (BVerfGE 36, 324 (360 f.); 72, 330 (385 f.)), unter ausschließlicher Kompetenzverteilung in der Verfassung des Bundes (BVerfGE 103, 332 (349 ff.)), deren Ergebnis nicht zur einfach-gesetzlichen Disposition der Kompetenzträger steht (BVerfGE 5, 274 (301)). Zu vertraglichen Kompetenzklärungen zwischen ihnen (etwa die Lindauer Absprache; Art. 32 Rn. 7, vgl. BVerfGE 92, 203 (231 ff.)). Die Bundesverfassung kann Länderbeteiligung am Erlass von Bundesgesetzen vorsehen über den BR oder etwa nach Art. 29 II, 89 III, 91a III 2 (zu Schranken vgl. BVerfGE 94, 297 (311)). Im Bundesstaat gilt nur Staatsrecht, nicht Völkerrecht (BVerfGE 34, 216 (231)). Auszugehen ist vom zweigliedrigen Bundesstaat (Bundes-/Landesebene; BVerfGE 13, 54 (77 f.)). Die sog. „dritte Ebene“ – gemeinsame Einrichtungen der Länder – ist dem Landesbereich zuzuordnen; hier gilt das Einstimmigkeitsprinzip (BVerfGE 1, 299 (315); 41, 291 (308); zu den Problemen des kooperativen Föderalismus HStR VI/Rudolf § 141; MKS/Sommermann Art. 20 Rn. 44 ff. – „Bundesrepublik Deutschland“, als Zusammenfassung von Bund und Ländern, hat Bedeutung für unionsrechtliche oder internationale Beziehungen). Das Bundesstaatsprinzip wird durch viele Bestimmungen des GG konkretisiert (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 23), v. a. durch die Homogenitätsklausel (Art. 28 I), die Neugliederungsvorschriften (Art. 29, 118, 118a), die zahlreichen Regelungen zur Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern (allg. Art. 30), das grundsätzliche Verbot der Mischverwaltung (Art. 30 Rn. 10), die Kollisionsklauseln (Art. 31, 142), die Mitwirkung der Länder an der Willensbildung des Bundes durch den BRat (Art. 50) und die Finanzverfassung (Art. 104a).
Die Staatsqualität der Länder (vgl. auch Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 65 f.) ergibt sich aus der Bundesstaatlichkeit in deren Verfassungsrahmen. In ihm (Art. 28 I) genießen sie Verfassungsautonomie (BVerfGE 102, 224 (234); 103, 332 (349 f.) – stRspr), welche auch ihre Verfassungsgerichtsbarkeit einschließt (BVerfGE 60, 175 (209); 64, 301 (317 f.)); von ihnen darf nichts verlangt werden, was ein Staat nicht verantwortbar leisten kann (BVerfGE 81, 310 (324); Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 66). Einen Bundeseinfluss auf die Länder schließt dies nicht aus, soweit die Bundesverfassung ihn vorsieht oder zulässt.
Der Bund hat die Länder dabei untereinander gleich zu behandeln (BVerfGE 12, 205 (256); 95, 250 (265)), ebenso in ihrem Verhältnis zum Bund, etwa im Rahmen der Finanzverfassung (zB bei der Steuerverteilung; vgl. BVerfGE 72, 330 (404); 101, 158 (227) – stRspr). Diese föderale Gleichheit im Verhältnis zum Bund verlangt jedoch nicht gleiche Regelungen und/oder gleiche Verwaltungspraxis in den (allen) Ländern. Es können sich Ansprüche der Länder gegen den Bund aus dem „Gebot föderativer Gleichbehandlung“ ergeben, das den Bund zu materieller Gleichbehandlung der Länder verpflichtet (BVerfGE 116, 271 (382); 119, 394 (418); 122, 1 (38); 150, 1 (105); HStR VI/Isensee § 126 Rn. 137–153), dies jedoch nur dann, wenn das Land direkter Normadressat ist. Bundesstaatlichkeit ist eine Grundentscheidung für mögliche föderale Vielfalt nach Länderwillen, unter prinzipieller Ablehnung einer „Gleichschaltung“ nach früheren NS- oder DDR-Mustern. Art. 3 I gibt Bürgern des Bundes ein Recht auf Gleichbehandlung, nicht aber auf gleiche Rechtsordnungen (in allen Ländern). Bundesstaatliche Solidarität ist bei extremer Haushaltsnotlage eines Landes geboten (BVerfGE 86, 148 (264 f.); 116, 327 (386 f.)).
Den Ländern muss ein Mindestbestand („Kern“, „Hausgut“ vgl. auch DHS/Grzeszick Art. 20 Rn. 95) von staatlichen Kompetenzen bleiben (BVerfGE 34, 9 (20); 87, 181 (196)). Im Einzelnen lassen sich der Bundesstaatlichkeit aber keine Vorgaben dazu entnehmen (vgl. allerdings die Verschärfungen bei Art. 72 Rn. 2). Die „Ewigkeitsgarantie“ der Staatsform (Art. 79 III) sichert jedenfalls den gegenwärtigen Bestand der Länder nicht (Art. 79 Rn. 21 f.), damit auch nicht ihre konkreten Mindestkompetenzen (Fähigkeit zur Erfüllung (bundes)verfassungsrechtlicher Pflichten). Bei extremem Haushaltnotstand muss der Bestand eines Landes durch Finanzhilfen von Bund oder Ländern gesichert werden (BVerfGE 72, 330 (397); 86, 148 (263 ff.); 116, 327 (386); zur Bundestreue vgl. Rn. 17 ff.). Im Übrigen muss die grundgesetzliche Föderalordnung inhaltlich und verfahrensmäßig nur in ihren Grundzügen erhalten bleiben. Die jew. verfassungsrechtlich geltenden Ausformungen der Bundesstaatlichkeit (BR, Kompetenzverteilungen) verdeutlichen insoweit nur „alleräußerste“ rechtliche Grenzen einer Föderalismusreform (vgl. näher Leisner W. G., Föderalismus, Begründung – Bedeutung – Wirkung, 2018).
2. Bundestreue
Eine gegenseitige Treuepflicht der Länder zu Information, Rücksichtnahme und Kooperation der Glieder untereinander und mit ihrem Zusammenschluss ergibt sich rechtlich schon aus den allg. Rechtsbindungen im Bund (vgl. § 242 BGB). Im Bundesstaat ist deshalb (vgl. BVerfGE 8, 122 (144) zum Zusammenwirken) ein spezielles Rechtsprinzip der „Bundestreue“ oder des „bundesfreundlichen Verhaltens“ anerkannt (BVerfGE 92, 203 (234); DHS/Grzeszick Art. 20 Rn. 118). Dieses verlangt ein Verhalten in allen föderalen Rechtsbeziehungen – Bund zu Land, Land zu Land –, das stets die Wirkungen des Zusammenschlusses beachtet. Insoweit verpflichtet diese Föderaltreue auch den Bund zu „länderfreundlichem Verhalten“ (Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 68). Ein Verstoß gegen dieses Prinzip kann in einem Tun oder Unterlassen liegen (BVerfGE 8, 122 (131)), ein Verschulden wird nicht vorausgesetzt (BVerfGE 8, 122 (140)).
Bundestreue wirkt jedoch nicht als eigenständige Rechtsgrundlage von Bundes- oder Länderrechten und -pflichten, sondern nur akzessorisch (DHS/Grzeszick Art. 20 Rn. 122) zu verfassungs- oder einfachgesetzlichen Normen, welche spezifische Rechtsbeziehungen zwischen Bund und Ländern oder diesen letzteren ordnen (BVerfGE 13, 54 (75); 104, 238 (247) – stRspr), sowie für Gemeinden im Rahmen von Art. 28 I, II zur Gewährleistung der Bundestreue. Bundestreue gilt nicht für Rechtsbeziehungen innerhalb des Bundes oder eines Landes. Die konkrete Bedeutung der Bundestreue als einer derartigen lex interpretatoria kraft Art. 20 I – nicht als Verfassungsgewohnheitsrecht – lässt sich nur für rechtliche Einzelkonstellationen ermitteln.
Bundesfreundliches Verhalten fordert die Bundestreue durch positives Handeln wie Unterlassen seitens des Bundes oder der Länder (BVerfGE 8, 122 (131)), all ihrer Organe, durch Information, Abstimmung, Mitwirkung, Zusammenarbeit (BVerfGE 73, 118 (197); 104, 249 (271)), in allen rechtlichen Beziehungen, im Verfahren wie im Verhandlungsstil (BVerfGE 103, 81 (88)), auch bei Verfassungsänderungen (BVerfGE 34, 9 (20)) und innerstaatlichen Vertragsschlüssen. Sie beinhaltet allg. das Verbot missbräuchlichen (BVerfGE 81, 310 (377)) oder widersprüchlichen Verhaltens (BVerfGE 98, 265 (360)). Insbes. fordert Bundestreue eine Kompetenzausübung, die auf Interessen des Bundes und anderer Länder gebührende Rücksicht nimmt (BVerfGE 92, 203 (230); 104, 249 (269 f.) – stRspr; Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 70) und die Rechtsordnung nicht als widersprüchlich erscheinen lässt (BVerfGE 98, 106 (118 ff.)). Dies erfordert allg. kooperative Verständigung bei Erlass und Anwendung von Gesetzen (BVerfGE 92, 203 (234); für die Länder vgl. BVerfGE 6, 309 (362)). Vom Bund verlangt es insbes. Verzicht auf übermäßige Beschränkung der Regelungsrechte der Länder (BVerfGE 34, 9 (20); 81, 310 (337)), auf Direktverhandlungen mit den Gemeinden unter Umgehung der Länder (BVerfGE 56, 298 (320)), sowie eine angemessene Beteiligung der Länder im Verfahren der Bundesweisungen (BVerfGE 81, 310 (337 f.)) und im Regierungsbereich des Art. 23 (BVerfGE 92, 203 (234 ff.)). Bei Vertragsbeziehungen konkretisiert die Bundestreue den Grundsatz rebus sic stantibus (BVerfGE 34, 216 (232); 42, 345 (358)), nicht aber (steigernd) das allg. Prinzip der Vertragstreue (pacta sunt servanda). Ein besonderes föderales Verhältnismäßigkeitsprinzip lässt sich ihr nicht entnehmen (BVerfGE 86, 148 (211 f.); zu Einzelfällen vgl. Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 28 f.).
Bundestreue verlangt („bundesstaatlicher Gedanke der Solidargemeinschaft“) einen horizontalen Finanzausgleich (Art. 107 II; vgl. DHS/Grzeszick Art. 20 Rn. 135). Dieser muss die finanzielle Eigenverantwortung der Länder sichern, unterliegt aber einem Schwächungs- und Nivellierungsverbot derselben (BVerfGE 72, 330 (386 f.); 101, 158 (222); 116, 327 (380) – stRspr).
Verletzung der Bundes- sowie der Bund-Ländertreue kann Unbeachtlichkeit der (hierdurch) verfassungswidrigen Maßnahmen sowie Schadensersatzpflicht (BVerwGE 128, 99; Rn. 41) begründen, nicht aber finanzielle Haftung (BVerfGE 116, 234 (240 f.)) oder ein Recht zu entspr. Gegenmaßnahmen (BVerfGE 8, 122 (140)).
V. Sozialstaat (Abs. 1)
1. Geltung, Rechtswirkungen – Allgemeines
Aus der Formulierung „sozialer Bundesstaat“ (Art. 20 I) wird – ganz allg. – „Sozialstaat(lichkeit)“ abgeleitet, als unmittelbar geltendes Verfassungsprinzip (Rn. 1). Es bindet/berechtigt normativ alle Staatsgewalt(träger), Private (BVerfGE 35, 348 (355)), auch in Deutschland lebende Ausländer (BVerfGE 51, 1 (27 f.)), über seine Auswirkungen auf einfache Gesetzgebung (Rn. 25 ff.; BVerfGE 89, 214 (232), Miet- Arbeitsrecht). Grundrechtsbedeutung erlangt die Sozialstaatlichkeit über ihre Normwirkungen auf Grundrechte des GG (Rn. 26) oder in ihren zahlreichen Ausgestaltungen in den Landesverfassungen; soweit diese letzteren Derartiges in Form spezieller Grundrechtsverbürgungen vorsehen, bleiben sie im Rahmen von Art. 142 in Kraft. Das Sozialstaatsprinzip hat im Vergleich zum Rechtsstaatsprinzip deutlich weniger Wirkungen entfaltet; konkretisierende Teilprinzipien wurden nur begrenzt entwickelt (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 153).
Das Prinzip ist wegen seiner Unbestimmtheit konkretisierungsbedürftig (BVerfGE 65, 182 (193); 71, 66 (80)). Sozialstaatlichkeit als solche ist nicht Grundlage subjektiver Rechte (BVerfGE 27, 253 (283); 82, 60 (80); Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 50), insbes. auf bestimmte soziale Leistungen (BVerfGE 110, 412 (445)). Normwirkungen zu ihrer Verwirklichung ergeben sich nur aus einfachen Gesetzen (BVerfGE 5, 283 (298); 102, 258 (298) – stRspr), über deren Rechtfertigung gegenüber dem GG und ihrer „sozialstaatlichen“ Auslegung, im Sinne einer lex interpretatoria (Rn. 24 ff.). Missverständlich ist nicht selten von einer „Aufgabe“ die Rede, welche Sozialstaatlichkeit dem einfachen Gesetzgeber stelle (BVerfGE 65, 182 (193)), oder gar von einem „Auftrag“, in dessen Erfüllung der Gesetzgeber tätig werde (zB BVerfGE 68, 193 (209)); damit wird lediglich eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung der einfachgesetzlichen Normen angesprochen. Eine einklagbar e Rechtsverpflichtung des einfachen Gesetzgebers besteht nicht, es lässt sich alleine daraus „regelmäßig kein Gebot entnehmen, soziale Leistungen in einem bestimmten Umfang zu gewähren“ (BVerfGE 110, 412 (445); BSGE 97, 265 (275)), schon angesichts des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers (BVerfGE 39, 302 (314 f.); 52, 265 (274); 102, 254 (298) – stRspr; vgl. Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 48), anders aber, wenn das Sozialstaatsprinzip zusammen mit Grundrechten zur Forderungsgrundlage wird. Das verbreitete „Mitzitieren“ der Sozialstaatlichkeit bei der Anwendung von Verfassungs- und Gesetzesnormen, etwa „iVm“ Art. 1 I (Existenzminimum von Asylbewerbern, BVerfGE 132, 134 (159)) oder Art. 12 I (Studiengebühren, BVerfGE 134, 1 (13 f.)), wobei häufig kein spezifisch sozialstaatlicher Gehalt deutlich wird, sollte in seinem spezifischen Normgehalt jew. rechtsstaatlich präzisiert werden.
„Ansprüche auf staatliche Leistungen“ etwa iSd viel diskutierten, ins GG jedoch nicht aufgenommenen „sozialen Grundrechte“ (vgl. Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 52, 53), etwa Rechte auf Arbeit, Wohnung, Bildung, ergeben sich aus der Sozialstaatlichkeit als solcher nicht. Sie lassen sich allenfalls aus einer Chancengleichheit (Art. 3 I iVm sozialrechtlichen Vorgaben; Rn. 23) ableiten. Materielle Ansprüche auf Schaffung/Erhaltung von Grundlagen der Freiheitsausübung können sich nur aus Grundrechten ergeben, unter deren sozialstaatlicher Akzentuierung (BVerfGE 33, 303 (331)), insbes. bei notwendiger Sicherung des Existenzminimums.
2. Inhaltliche Verfassungsvorgaben
Verfassungsvorgaben der Sozialstaatlichkeit müssen in ihren Normwirkungen (Rn. 22) klar bestimmt werden. Dies wird durch die Doppeldeutigkeit des Begriffs erschwert: Sozial als „gemeinschaftsverpflichtet“ – sozial als „schwächerenschützend und daher insoweit umverteilend“. Auf letztere Zielsetzung/Vorgabe berufen sich, jedenfalls schwerpunktmäßig, sozialreformerische Bemühungen. Allerdings kann Umverteilung durch Sozialstaatlichkeit nur so weit gerechtfertigt werden, als sie unter Berücksichtigung/Beachtung aller anderen verfassungsrechtlichen Rechtspositionen zulässig ist (vgl. Enders VVDStRL 64 [2005], 7 (35 ff.)), insbes. des Eigentums Privater (Art. 14 Rn. 7 ff.).
Sozialstaatlichkeit soll einen Übergang vom liberalen zum sozialen Rechtsstaat statuieren, in dem nicht mehr nur formale, rechtliche, sondern reale, in der sozialen Wirklichkeit vorhandene Freiheit erreicht wird. Dies rechtfertigt jedoch nicht einen zentral gesteuerten Versorgungsstaat (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 117). Verfassungsgemäß ist vielmehr die freiheitliche Sozialstaatlichkeit (vgl. dazu MKS/Sommermann Art. 20 Rn. 107 ff. mwN).
Sozialstaatlichkeit ist – auch in diesem Rahmen – in besonderem Maße konkretisierungsbedürftig (BVerfGE 65, 182 (193)). Hinweise auf „gerechte Sozialordnung“ (BVerfGE 94, 241 (263); 110, 412 (445)) oder „Ausgleich sozialer Gegensätze“ (etwa BVerfGE 100, 271 (284)) geben dazu aber keine hinreichend rechtlich fassbaren Orientierungen. Deshalb betont die Verfassungsrechtsprechung zunehmend ein Kriterium des Schwächerenschutzes, soweit Hilfsbedürftigkeit besteht, durch Staat oder Dritte (BVerfGE 26, 16 (37); 103, 197 (221) – stRspr). Dafür genügt nicht, dass ein Bedarf vorhanden ist (vgl. BVerfGE 26, 16 (37)), es muss deshalb Schutzbedürftigkeit bestehen. Dies wird abgeleitet aus „persönlichen Umständen“, „Benachteiligung in der Gesellschaft“ (BVerfGE 100, 271 (284 f.)), oder „durch das Schicksal“ (BVerfGE 104, 74 (84)), im Krankheitsfall (BVerfGE 113, 88 (108 f.)) oder bei Gebrechen (BVerfGE 44, 353 (375)). Wenn die Sozialstaatlichkeit auch noch zur Rechtfertigung von Lastenausgleichs- und Wiedergutmachungsansprüchen bemüht wird, bei Belastungen durch ein „Gemeinschaftsschicksal“ (vgl. BVerfGE 102, 254 (298)), so soll hier dem Gesetzgeber sogar ein besonders weiter Gestaltungsspielraum offenstehen (vgl. auch BVerfGE 106, 201 (209)). Derartige sozialstaatliche Schutzbedürftigkeit soll globale soziale Schutzsysteme legitimieren, etwa die soziale Renten- und Unfallversicherung (BVerfGE 28, 234 (348 ff.); bzw. 68, 193 (209)) und die Pflegeversicherung (BVerfGE 103, 197 (221)). Allerdings dürfen nicht (nur) Härten und Unbilligkeiten im Einzelfall unter Berufung auf Sozialstaatlichkeit abgemildert (BVerfGE 59, 287 (301); 69, 272 (315)) und es dürfen Bürger nicht von privater Risikoübernahme abgehalten werden (BVerfGE 59, 172 (213)).
Die Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Lebens müssen gewährleistet sein (BVerfGE 82, 60 (80)). Aus Art. 1 I iVm dem Sozialstaatsprinzip wird die verfassungsrechtliche Grundlage für die Gewährleistung des Existenzminimums hergeleitet (Art. 1 Rn. 18, vgl. auch Rn. 21; DHS/Grzeszick Art. 20 Rn. 19). Dieses hat der Gesetzgeber hinsichtlich der notwendigen Aufwendungen näher zu bestimmen (BVerfGE 125, 175 (222 f.)), in einem transparenten und sachgerechten Verfahren, nach dem tatsächlichen Bedarf, also in „zeit- und realitätsgerechter Erfassung der sozialen Wirklichkeit“ (BVerfGE 132, 134 (160 f.)). Aus Art. 1 I, 2 I iVm der Sozialstaatlichkeit besteht darauf ein subjektiver grundrechtlicher Anspruch – aber nur dem Grunde nach. Gesetzgeberische Konkretisierungen finden sich insbes. im Sozialhilferecht (vgl. BVerfGE 99, 246 (260 f.)) und in der Sozialversicherung BVerfGE 134, 1 ff., aber etwa auch im Pfändungsschutz-, im Kündigungs- und im Steuerrecht.
Zur Begründung der Chancengleichheit, eines gesetzgeberischen Regelungsziels wird Sozialstaatlichkeit ebenfalls herangezogen (DHS/Grzeszick Art. 20 Rn. 37), als eine Grundlage für (möglichen) Gütererwerb, in realer Nutzung von Freiheitsrechten. Dies gilt allerdings nur unter dem Vorbehalt des Möglichen (BVerfGE 33, 303 (331 ff.)) und darf nicht zu einer staatlichen Bestimmung oder gar Einebnung der individuellen Entwicklungspotenziale der Grundrechtsträger führen (vgl. MKS/Sommermann Art. 20 Rn. 113). Nur in diesem Rahmen, wie in dem der Gewährleistung des Existenzminimums (Rn. 24a), kann Sozialstaatlichkeit zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Schutzes von Arbeitsplätzen, ja der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit herangezogen werden (BVerfGE 100, 271 (284); 103, 293 (307)).
3. Rechtsauslegung und -anwendung nach sozialstaatlichen Vorgaben
Berücksichtigung oder gar Beachtung der Vorgaben der Sozialstaatlichkeit bei der Normauslegung (Rn. 24 ff.) wird allg. gefordert (vgl. BVerfGE 1, 97 (105); 113, 88 (108 f.) – stRspr; vgl. Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 54); hier gehen jedoch Auslegung und Rechtfertigung von Entscheidungen des einfachen Gesetzgebers ineinander über. Andererseits wird die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers besonders betont (vgl. Rn. 21; vgl. etwa BVerfGE 134, 1 (16) „freier Gestaltungsspielraum“). Verwaltung und Gerichten soll eine solche Konkretisierung weniger aufgegeben sein (BVerfGE 65, 182 (193)); eine Grundrechtsbeschränkung allein unter Berufung auf Sozialstaatlichkeit ist jedoch unzulässig (BVerfGE 59, 231 (263)).
Grundrecht(sähn)liche Si cherungen werden, als solche, als Konkretisierungen der Sozialstaatlichkeit genannt. Bei Art. 3 II 2, III 2, 6 IV, V, 7 IV 3 legt der Wortlaut eine spezifische schwächerenschützende Gewichtung nahe (vgl. DHS/Grzeszick Art. 20 Rn. 36 f.). Rechtsgrundlage bleibt aber jew. das betr. Grundrecht. Art. 9 III, 29 I, 33 V, 109 II, 131 lassen dagegen als solche keinen spezifischen Sozialstaatsbezug erkennen, können und müssen allerdings unter Umständen im Licht von dessen Vorgaben ausgelegt und angewendet werden.
Die Sozialstaatlichkeit ist ein nicht unproblematisches Verfassungsprinzip. Aufgrund seiner hohen Unbestimmtheit ist die Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips v. a. dem Gesetzgeber als bindende Aufgabe übertragen (BVerfGE 51, 115 (125); 59, 231 (262 f.); 65, 182 (193); 71, 66 (80); BGHZ 108, 305 (310)). Während vollziehende Gewalt und Rechtsprechung wenig inhaltlich anreichernde Beiträge liefern (BVerfGE 65, 182 (193)), vermag die Ausstrahlungswirkung auf das Privatrecht, die Korrektur völlig ungleichwertiger Verträge zu erzwingen (BVerfGE 89, 214 (232); BAGE 76, 155 (167)). Es fehlen verfassungsrechtliche Handlungsvorgaben im Einzelnen, die sich „kaum zu definitiven Einzelkonsequenzen verdichten“ lassen (Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 47) Nach seinen Rechtswirkungen ist das Sozialstaatsprinzip eher als Staatszielbestimmung zu charakterisieren (Badura DÖV 1989, 491 (493); vgl. auch Degenhart Rn. 566). Zwar wird es als ein Auftrag an den Gesetzgeber zur Bewahrung und Verwirklichung einer „gerechten Sozialordnung“ verstanden (vgl. Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 119; vgl. Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 51; vgl. u. a. BVerfGE 110, 412 (445)). Was dies allerdings erfordert, etwa im Miet- und Arbeitsrecht, bestimmt konkret stets der Gesetzgeber. Die Vorgabe, dabei habe er für den „Ausgleich sozialer Gegensätze“ zu sorgen (BVerfGE 100, 271 (284); 22, 180 (204)), für eine „gerechte Sozialordnung“ (BVerfGE 69, 272 (314); 94, 241 (263); 110, 412 (445); bei Steuern, die an die Leistungsfähigkeit anknüpfen, ist die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte geboten (BVerfGE 135, 126 Rn. 55)), ist eine sehr allg., rechtlich schwer fassbare verfassungsrechtliche (Reserve-)Begründung, welche – u. a. – für alle staatlichen Grundrechtseingriffe gilt. Jedenfalls ermächtigt dies den Gesetzgeber „nicht zu beliebiger Sozialgestaltung“ (BVerfGE 12, 354 (367)).
VI. Gewaltenteilung (Abs. 2)
1. Wesen, Bedeutung
Eine „Gewaltenteilung“ – oder „Gewaltentrennung“, soweit Teilung besteht – ist ein tragendes Organisationsprinzip des GG (Art. 1 III, 20 II 2, III; BVerfGE 67, 100 (130); vgl. Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 81), organisatorische Voraussetzung der Gesetzes-/Rechtsbindungen der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 III); deren Bedeutung steht unter dem Vorbehalt wirksamer Gewaltenteilung, und dies gilt auch in den Ländern (Art. 28 I). Es „zielt auf Machtverteilung und die daraus sich ergebende Mäßigung der Staatsherrschaft“ (BVerfGE 124, 78 (120); 143, 101 (136); HStR II/Schmidt-Aßmann § 26 Rn. 49). Dabei geht es um sog. horizontale im Unterschied zur vertikalen Gewaltenteilung im Bundesstaat. Die Teilung in drei Gewalten ist in Deutschland erstmals im GG als solche festgelegt. Sie schließt an die als „klassisch“ bezeichneten Unterscheidungen der französischen (Montesquieu) und US-Verfassungstradition an, ohne dass deren rechtliche Einzelausprägungen insoweit ins GG übertragbar wären (vgl. allg. zur historischen Entwicklung DHS/Grzeszick Art. 20 Rn. 5 f.). Als Zielvorstellungen dieser Verfassungsorganisation werden genannt: Begrenzung/Mäßigung der Staatsgewalt, dadurch Freiheitsschutz der Bürger (BVerfGE 67, 100 (130); 95, 1 (15 ff.)), organisatorischer Grundrechtsschutz sowie optimal-rationale Staatsorganisation (BVerfGE 68, 1 (86)) durch Arbeitsteilung. Art. 20 II 2 erwähnt die funktionelle Teilung der drei „Gewalten“, welche organisatorisch jew. gesondert institutionalisierten Trägern zugeordnet werden; diese dürfen die funktionelle Gewalt aber auch in jew. funktionell verschränkter Zusammenarbeit (Rn. 29a) wahrnehmen. Das Prinzip erfasst sämtliche im GG geregelten Staatsfunktionen, wie immer sie dort zugeordnet werden.
„In ihrem Kern erhalten bleiben“ müssen die genannten „Gewalten“ (vgl. Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 24): Bestehen bleiben muss die grundgesetzliche Gewichtsverteilung zwischen den drei Gewalten, keine von ihnen „darf der für die Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben erforderlichen Zuständigkeiten beraubt werden“ (BVerfGE 34, 52 (59); vgl. BVerfGE 95, 1 (15)). Dies verlangt aber auch einen Kernbereichsschutz der „besonderen Organe“, denen – als solchen – die jew. Gewalt(ausübung) anvertraut ist. Art. 20 II wird damit zugleich zum Kern-Kompetenzschutz von BT, BR, BReg/Bundesverwaltung und Bundesgerichtsbarkeit, sowie über Art. 28 I, der entspr. Verfassungsorgane der Länder. Art. 20 II verweist zwar auf die entspr. verfassungsrechtlichen Kompetenz- und Organisationsnormen, gewährleistet aber aus deren jew. Regelungskomplexen nur einen Kernbestand. Dessen Sicherung durch Verfassungs-Einzeljudikatur darf in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden.
„Scharfe“ Gewaltentrennung gibt es nicht (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 24), sie ist nirgends rein verwirklicht (BVerfGE 9, 268 (279 f.); 96, 375 (394)). Art. 20 II soll eben (nur) staatliche Machtausübung in gegenseitiger Kontrolle und Hemmung, damit in Mäßigung gewährleisten (BVerfGE 64, 175 (179); 95, 1 (15)). Dies erlaubt nicht nur, es verlangt kooperative Gewaltwahrnehmung, damit vielfältige Gewaltenverschränkungen (BVerfGE 34, 52 (59); 95, 1 (15) – stRspr), ein häufig gebrauchter, inhaltsgewichtend aber nicht näher bestimmter Begriff. Er ist jew. für die drei funktional abgegrenzten Gewalten (Rn. 30 ff.) zu ermitteln.
2. Gesetzgebende Gewalt
Alle Gesetzesinhalte im materiellen Sinn, Normen mit rechtlicher Bindungswirkung gegenüber irgendwelchen Rechtsträgern, müssen sich aus Gesetzen im formellen Sinn (Parlamentsgesetzen) ergeben, sich auf solche über Ermächtigung(sketten) zurückführen lassen (Art. 80; BVerfGE 31, 357 (362 f.) – stRspr), oder auf eine in derartigen Gesetzen ausgeformte Autonomie (Satzungen; vgl. BVerfGE 111, 191 (215 ff.)). Völlig parlamentsunabhängige „Regierungsgesetze“ darf es nicht geben. Die BReg, damit die vollziehende Gewalt, gewinnt aber über technische Gesetzesvorbereitung in Ministerien, völkerrechtliche Vertragsschlüsse (Art. 59 II), Gesetzesinitiativen und (parteipolitische) Steuerung der Parlamentsarbeit in den meisten Fällen bestimmenden Einfluss auf die Gesetzgebung (Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 88). Eine „gesetzgebende Gewalt“ als solche wird also getragen von der Exekutive und dem Parlament, das herkömmlich als ihr Zentralorgan gilt. Ein Kern der gesetzgebenden Gewalt ist daher allenfalls funktional (Normerlass), nicht organisatorisch (nach den mitwirkenden Organen) zu bestimmen.
Deutliche Abgrenzung von Gesetzgebung und Exekutive verlangt – und rechtfertigt nicht nur – funktional die Gesetzesbindung der letzteren (Rn. 43 ff.), den Vorbehalt des Gesetzes (BVerfGE 20, 150 (157 f.)), die Bestimmtheit der VO-Ermächtigungen (BVerfGE 54, 143 (144)), die Unvereinbarkeit von Amt und Mandat (BVerfGE 48, 64 (82)) sowie (eine Begrenzung der) parlamentarische(n) Kontrolle der Regierung (vgl. BVerfGE 77, 1 (43); 147, 50 (126 ff.)).
Im Verhältnis Gesetzgebung – Rspr. ist der Bereich der Legislative dadurch gesichert, dass ihr der Normerlass, den Gerichten grds. nur die Einzelfallentscheidung anvertraut ist (vgl. Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 25). Dass Gerichte über Nichtanwendung untergesetzlicher Normen im Einzelfall (Verwerfung) diese im Ergebnis wirkungslos machen, steht der Gewaltenteilung ebenso wenig entgegen wie gerichtliche Rechtsfortbildung (BVerfGE 96, 375 (394 f.)). Die Verfassungsgerichtsbarkeit kann im Namen und im Rahmen der Normenkontrolle Fristen für Neuregelungen (BVerfGE 107, 150 (151 f.) – stRspr), ja Maßgaben für die (einstweilige Weiter-)Anwendung von Gesetzen (BVerfGE 101, 158 (159 f.) – stRspr), bestimmen.
3. Vollziehende Gewalt
Die Exekutive ist zwar in ihrem Kern funktional zu bestimmen (Normanwendung). Der verfassungsrechtlich geschützte „Bereich der Regierung“ betrifft jedoch nur (nicht näher bestimmte) „Kernelemente der Vollziehenden Gewalt“ (vgl. BVerfGE 67, 100 (139) – im Fall von UAen). Zulässig sind Verschränkungen mit der gesetzgebenden Gewalt, insbes. deren Zentralorgan, dem Parlament, etwa bei der Gesetzesvorbereitung (Rn. 30, vgl. Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 88). Darüber hinaus soll grds. aber auch jeder Entscheidungsbereich der Exekutive gesetzlich geregelt werden können (vgl. DHS/Grzeszick Art. 20 Rn. 136 ff.; BVerfGE 67, 100 (139)); eine Grenze zieht hier bei Grundrechtseingriffen das Verbot der Einzelfallgesetze, für diese sind jedenfalls „sachliche Gründe“ erforderlich (Art. 19 Rn. 3; BVerfGE 95, 1 (16)).
In Abgrenzung der vollziehenden von der gesetzgebenden Gewalt gilt im Einzelnen: Verteidigungskompetenz steht weithin unter Parlamentsvorbehalt (vgl. BVerfGE 90, 286 (384 f.), Auslandseinsätze, Verteidigungsfall), Auswärtige Gewalt (vgl. dazu BVerfGE 68, 1 (87)) unter parlamentarischem Regierungsvorbehalt (Art. 59 II). Gesetzesvollzugsrecht schließt Normwirkungen ohne Vollzugsakt (self-executing) nicht aus; lediglich Gesetzesdurchsetzung mit Zwangsgewalt ist Exekutivmonopol. Die Organisationsgewalt der Regierung schützt, kraft GG-Bestimmungen (Art. 64, 65), vor Ressortbildung durch Gesetz, nicht aber vor Kompetenzzuweisungen an Exekutivorgane durch Gesetz.
4. Richterliche Gewalt
Die Judikative ist in ihren Entscheidungen durch richterliche Unabhängigkeit (Art. 97) geschützt gegen die beiden anderen Gewalten, deren Einfluss sich dabei auf die Ausgestaltung der Gesetzesbindung der Richter beschränkt (Vorrang des Gesetzes [BVerfGE 9, 89 (102); 76, 100 (106) – stRspr]; DHS/Grzeszick Art. 20 Rn. 107). Diese schließt jedoch Gesetzesfortbildung durch „Richterrecht“ (BVerfGE 96, 375 (394)) nicht aus, was zu neuen „Gesetzeslagen“ führen kann. Die sachliche und personelle Unabhängigkeit der Richter ist zwar verfassungsrechtlich gewährleistet (Art. 97; BVerwGE 78, 216 (219)). Personell ist die Judikative jedoch nach Ernennung und Laufbahnfortschritt der Richter weitestgehend von der Exekutive abhängig; nur die Bundesrichter werden von Zentralorganen der Ersten (Art. 94 I 2) oder von dieser zusammen mit der Zweiten Gewalt bestimmt (Art. 95 II). Gesichert ist die organisatorische Selbständigkeit der Gerichte (BVerfGE 54, 159 (166); vgl. allerdings DHS/Grzeszick Art. 20 Rn. 108, wonach keine umfassende verfassungsrechtliche Garantie der organisatorischen Selbständigkeit der Gerichte bestünde).
Eigenständige Bedeutung soll dem Grundsatz der Gewaltenteilung als solchem nur in geringem Umfang zukommen (Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 93). Weithin erschöpft sie sich, nach Zielen wie Gestaltungsformen, in Verweisungen auf andere Verfassungsnormen. Die Kernbereiche der Gewalten wie die der Kompetenzen „der besonderen Organe“, welche sie ausüben, sind bisher nicht allg. bestimmt worden; einzelne Grenzkorrekturen von Gewicht sind jedoch festzustellen, vor allem zu Lasten der Exekutive. Gewaltenverschränkungen relativieren auch die Wirkungen der Rechtsstaatlichkeit.
VII. Rechtsstaat (Abs. 3)
1. Geltung, Inhalt, Bedeutung
Rechtsstaatlichkeit ist ein elementares Verfassungsprinzip (BVerfGE 20, 323 (331)), ein unmittelbar geltender allg. Rechtsgrundsatz (BVerfGE 52, 131 (144 f.); 133, 168 (198)). Er kommt aus einer zentralen geistesgeschichtlichen Verfassungsentwicklung seit dem 18. Jahrhundert, primär im deutschsprachigen Raum (vgl. MKS/Sommermann Art. 20 Rn. 228 ff.), iSe Rechts-/Gesetzesbindung aller staatlichen Gewalt zum Schutz der Gewaltunterworfenen (BVerfGE 144, 20 (210)), auch in den Ländern (BVerfGE 2, 380 (403)). Art. 20 III (hL nicht II – BVerfGE 106, 28 (49)) spricht aber nur ein Teilelement (BVerfGE 30, 1 (24)) des in Art. 28 I 1 genannten Begriffes an.
Viele wichtige Grundsätze/Normen des GG werden mit der Rechtsstaatlichkeit irgendwie in Zusammenhang gebracht (Überblick bei Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 77), meist ohne nähere Präzisierung, und dann als deren „Elemente“ oder „Konkretisierungen“ bezeichnet: Grundrechte, Gewaltenteilung, Vorrang von Verfassung und Gesetzen, Rechtsschutz gegen öffentliche Gewalt durch gesetzliches Gehör und Anspruch auf den gesetzlichen Richter. Dies schließt jedoch den eigenständigen Normgehalt der Rechtsstaatlichkeit, gerade zur näheren Bestimmung der einzelnen Konkretisierungen als solcher, nicht aus. Insoweit ist also ein Rückgriff auch auf das allg. Rechtsstaatsprinzip nicht unnötig und unzulässig (aA Anschütz/Thoma Dt. StaatsR-HdB/Schmidt-Aßmann § 26 Rn. 7). Die Rechtsstaatlichkeit ist als solche Grundlage subjektiver Rechte (BVerfGE 104, 332 (383 f.); 114, 258 (300 f.)), aber auch iVm Art. 2 I, 3 I (Willkürverbot) oder anderen Grundrechten (BVerfGE 91, 335 (388 f.)), in deren Inhalt sie als lex interpretatoria einfließt. Insoweit ist sie verfassungsbeschwerdefähig, auch für Ausländer (BVerfGE 51, 356 (362 f.); Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 29). In der Orientierung der Auslegung und Sinnerfüllung aller Normen der Rechtsordnung, als Grundlage subjektiven wie objektiven Rechts (BVerwGE 126, 14 Rn. 16), liegt ihre wichtigste Bedeutung. „Das Rechtsstaatsprinzip umfasst die Forderung nach materieller Gerechtigkeit“ (BVerfGE 74, 194 (196); 122, 248 (272); 133, 168 (198)). Das darf aber nicht bedeuten, dass das Prinzip mit überpositiven Gehalten aufgefüllt wird (MKS/Sommermann Art. 20 Rn. 267; vgl. insg. Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 38). Vom Bürger kann das Rechtstaatsprinzip über Art. 2 I (oder andere Grundrechte) geltend gemacht werden (BVerfGE 91, 335 (338 f.); auch von Ausländern (BVerfGE 51, 356 (362)). Generelle Bedeutung gewinnt es als objektives Recht (BVerwGE 126, 14 (17); vgl. Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 39).
Inhaltlich sind zwei Komplexe bei der Rechtsstaatlichkeit zu unterscheiden, die sich aber vielfältig überlagern: Die Normbindungen der Staatsgewalten (Art. 20 III; Rn. 37 ff.) und speziell/eigenständige Anforderungen an deren Verhalten materieller und formeller Art, welche Verfassungsgüter sichern, vor allem die Rechtssicherheit (Rn. 54 ff.). Konkrete Normwirkungen, insbes. Rechtsbindungen, dürfen jedoch in beiden Richtungen nur „behutsam“ aus dem Prinzip abgeleitet werden, das keine in allen Einzelheiten eindeutig bestimmten Gebote oder Verbote enthält (BVerfGE 5, 131 (144); 90, 60 (86) – stRspr) angesichts der „Weite und Unbestimmtheit der Rechtsstaatlichkeit“ (BVerfGE 57, 256 (276); 111, 54 (82)).
2. Normbindung der Staatsgewalten
a) Bindung der Gesetzgebung
Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung (Art. 20 III Hs. 1) bezieht sich nur auf geltende einfache Gesetze im formellen Sinn, nicht etwa auch auf RVOen (aA Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 100), bei denen sie sich aus Hs. 2 ergibt („Gesetz“). Von den Gerichten nicht angewendete (verworfene) Gesetze können inhaltsgleich/ähnlich neu erlassen werden (BVerfGE 96, 260 (263); Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 32). Gebunden sind daher im Bund (nur) Volk (Art. 29) und Parlament, auch der Landesgesetzgeber (BVerfGE 103, 332 (353)), dieser an seine Landesverfassung, aber nur im Rahmen von Art. 28 I. „Gesetzgebung“ sind nur normative Akte, nicht solche der Gesetzesanwendung (Gerichtsentscheidungen, VAe; § 79 II BVerfGG; BVerfGE 91, 83 (90 f.); 115, 51 (62 ff.); DHS/Grzeszick Art. 20 VI Rn. 36).
„Verfassungsmäßige Ordnung“ beinhaltet alle Bestimmungen des GG-Textes, nicht aber sämtliche formell oder inhaltlich verfassungsgemäßen Normen iSv Art. 2 I (DHS/Grzeszick Art. 20 VI Rn. 30). Dazu gehören auch sämtliche Bestimmungen des internationalen (Art. 25) und des Unionsrechts (Art. 23, 24), soweit das GG auf sie verweist, überpositives Recht (BVerfGE 34, 269 (286)), Grundsätze elementarer Gerechtigkeit (BVerfGE 95, 96 (134 f.)), sowie auch Verfassungsgewohnheitsrecht (aA die wohl hL; vgl. MKS/Sommermann Art. 20 Rn. 251 f.). Letzteres legt schon der Wortlaut – „verfassungsmäßige Ordnung“, nicht „Grundgesetz“ – nahe; eine Unbestimmtheit des Begriffs Gewohnheitsrecht steht dem nicht grds. entgegen.
Der Begriff „Bindung“ erweitert die Grundrechtsbindung nach Art. 1 III auf alle Normen des GG-Textes (DHS/Grzeszick Art. 20 VI Rn. 25). Er begründet Rechtswidrigkeit des einfachen Gesetzes bei Verstoß gegen letztere und verbietet daher den Erlass von „Verfassungsbestimmungen“ sowie deren „Durchbrechung“ für Fallkategorien oder Einzelfälle im Wege einfachen Gesetzesrechts. Dies sagt aber nichts aus über die Rechtsfolgen solcher Bindung im Einzelnen. Aus dem oft verwendeten Begriff der gesetzgebenden „Gestaltungsfreiheit“ lässt sich allerdings auch keine generelle Relativierung der Bindung ableiten. Nach ganz hL begründet die „Bindung“ grds. materielle Nichtigkeit, dh normative Wirkungslosigkeit des verfassungswidrigen Gesetzes (BVerfGE 84, 9 (20 f.)) seit seinem Erlass, ex tunc, und zwar endgültig und auf Dauer; bei Aufhebung der verfassungsrechtlichen Maßstabnorm lebt es nicht wieder auf (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 33). Teilnichtigkeit ist bei selbstständigem Regelungssinn der verbleibenden Normen möglich (BVerfGE 112, 226 (253)). Nichtigkeit des Gesetzes als dessen Bindungsfolge kann sich aus seiner inhaltlichen Unvereinbarkeit mit Verfassungsnormen wie aus offensichtlichen Verstößen gegen verfassungsrechtliche Verfahrensbestimmungen ergeben (BVerfGE 34, 9 (25 f.); 113, 348 (367)). Bei – bedeutsamer – Änderung der rechtlichen und/oder tatsächlichen Umstände kann Verfassungswidrigkeit auch nachträglich eintreten (BVerfGE 59, 336 (357)) oder entfallen; ein früher verfassungswidriges Gesetz darf dann erneut verabschiedet werden (BVerfGE 77, 84 (103 f.)).
Soweit verfassungskonforme Auslegung eines Gesetzes möglich und dann auch geboten ist (BVerfGE 95, 64 (81); 110, 226 (267); 112, 164 (182 f.) – stRspr) tritt Nichtigkeit eines Gesetzes nicht ein (DHS/Grzeszick Art. 20 VI Rn. 53). Dies ist der Fall, wenn grds. durch ordnungsgemäße Anwendung der anerkannten Auslegungsmethoden (BVerfGE 119, 247 (274)) eine unter mehreren Deutungen zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt (BVerfGE 88, 145 (166); 112, 164 (182 f.) – stRspr). Ein von der nach der Verfassung (noch) zulässigen Auslegung abweichender subjektiver Wille des Gesetzgebers ist unbeachtlich (BVerfGE 93, 37 (81)). Grenzen (auch) der verfassungskonformen Auslegung sind Wortlaut und klar erkennbarer Wille des Gesetzgebers (BVerfGE 101, 312 (329)); der Normgehalt darf nicht grdl. neu bestimmt oder das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden (BVerfGE 71, 81 (105); 109, 279 (316 f.)). Der Wortlaut allein ist nicht entscheidend (BVerfGE 97, 186 (196)).
Nur das BVerfG kann jedoch die Nichtigkeit eines formellen Gesetzes feststellen, nicht andere Gerichte, die das Gesetz jenem zur Entscheidung vorzulegen haben (Art. 100; Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 96); ihnen steht nur das Recht der Nichtanwendung untergesetzlicher Normen im zu entscheidenden Einzelfall zu. Erst recht hat die Verwaltung auch ein (offensichtlich) verfassungswidriges Gesetz anzuwenden – auch wenn dessen verfassungskonforme Auslegung nicht möglich ist –, bis dessen Nichtigkeit festgestellt ist; ein Vorlagerecht zum BVerfG steht ihr nicht zu.
(Nur) zu einer Unvereinbarkeit des Gesetzes mit der Verfassung kann die „Bindung“ der Gesetzgebung nach der Rspr. des BVerfG ausnahmsweise auch außerhalb der Regelkonstellation der Nichtigkeit führen, wenn bei dessen sofortiger Unwirksamkeit die Gesetzeslage der verfassungsmäßigen Ordnung noch ferner stünde (BVerfGE 84, 9 (20); 117, 163 (201); Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 98), oder eine Anpassungszeit zu einer dieser entspr. Regelung nötig ist (BVerfGE 103, 1 (19)); dann aber muss die Verfassungsverletzung durch Ergänzung oder Änderung des Gesetzes beseitigt werden, etwa bei Verstoß gegen Grundrechte, insbes. Art. 3 I, 12 (BVerfGE 81, 242 (243)) oder Art. 14 (BVerfGE 101, 397 (409)), oder auch gegen grundrechtliche Schutzaufträge (BVerfGE 114, 1 (17)) sowie gegen die Finanzverfassung (BVerfGE 72, 330 (333)). Gerichte und Behörden haben die Korrektur abzuwarten (BVerfGE 87, 114 (136) – Suspendierung des Gesetzes), soweit nicht das BVerfG während einer von ihm bestimmten Frist die weitere Anwendung gestattet (BVerfGE 81, 363 (384) – stRspr), etwa um ein gesetzgeberisches Vakuum zu vermeiden (BVerfGE 73, 40 (101 f.)) oder einen noch verfassungswidrigeren Zustand (BVerfGE 84, 9 (20)). Nach Fristablauf ist eine entspr. Lücke durch Gerichte (BVerfGE 98, 17 (46)) oder Verwaltung (BVerfGE 100, 195 (208)) zu schließen. – Die Korrekturnotwendigkeit kann bei weiter zurückliegenden Konstellationen bestandsschützend eingeschränkt werden (BVerfGE 94, 241 (266)); sie kann aber auch bereits bei zu erwartenden Entwicklungen absehbar sein, was dann zu „Appellentscheidungen“ des BVerfG führt (vgl. BVerfGE 78, 249 (251)), welche praktisch als Gesetzgebungsaufträge wirken. – Diese vom BVerfG ständig erweiterte Praxis der Befristung oder Suspension der Gesetzesgeltung, damit eine „Unvereinbarkeit statt Nichtigkeit“, ist nicht unbedenklich; sie soll self-restraint gegenüber der „Gestaltungsfreiheit“ des einfachen Gesetzgebers ermöglichen, relativiert aber die strenge Normstufenwirkung der Verfassungsebene, damit die Normwirkung des GG.
b) Bindung der vollziehenden Gewalt
Die „Bindung an Gesetz und Recht“ (Art. 20 III Hs. 2) bezieht sich auf sämtliche Tätigkeiten aller Organe der vollziehenden und der richterlichen Gewalt des Bundes (Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 109), der Länder im Rahmen von Art. 28 I und aller anderen öffentlichen Träger (Art. 1 Rn. 32), also der gesamten Staatsgewalt, mit Ausnahme der förmlichen (Parlaments-)Gesetzgebung (BVerfGE 2, 301 (403); implizit BVerfGE 102, 197 (222); offenlassend BVerfGE 90, 60 (86)). Dieser Kerninhalt der Rechtsstaatlichkeit wird als Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 110) und Gesetzesunterworfenheit der Gerichtsbarkeit bezeichnet. Er betrifft begünstigende wie belastende Akte, öffentlichrechtliche Tätigkeiten wie solche in privatrechtlicher Form. Zu unterscheiden ist die allg. Gesetzesbindung aller Staatsorgane – ihr unterliegen sie wie alle Privaten – von speziellen Ausprägungen der Rechtsstaatlichkeit, insbes. der Rechtssicherheit (Rn. 54 ff.) und der Verhältnismäßigkeit (Rn. 65 ff.). Diese gelten in besonders intensiver Wirkung für die parlamentarische wie für alle Formen untergesetzlicher Normsetzung (RVOen, Satzungen) sowie für Gesetzesergänzung/-fortbildung durch Richterrecht (aA Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 107) oder gewohnheitsrechtsbildende Verwaltungspraxis. Normfreie Staatstätigkeit gibt es nicht, auch nicht in Ausübung Auswärtiger oder der Verteidigungsgewalt.
Bereits seit dem 19. Jh. werden „Gesetz und Recht“ iSe einheitlichen zentralen Begriffs (vgl. Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 103) der Rechtstaatlichkeit gebraucht: Bindung (auch) der gesamten administrativen und judikativen Staatstätigkeit an alle geltenden Normen (Gesetze). Heute wird weithin unterschieden: „Gesetz“ ist jede Rechtsnorm im materiellen Sinn, also mit allg. Regelungsinhalt, und soweit dieser eben reicht, also Verfassungs-, RVO- und Satzungsrecht (BVerfGE 78, 214 (227); DHS/Grzeszick Art. 20 VI Rn. 62), einschließlich des jew. ergänzenden/fortentwickelnden Gewohnheitsrechts; dasselbe gilt für innerstaatlich unmittelbar anwendbares EU-Recht (BVerfGE 1, 74 (241, 248 f.)) und das innerstaatlich geltende Völkerrecht (BVerfGE 112, 1 (24 f.)). „Gesetze“ sind auch solche im rein formellen Sinn (Haushaltsplan) und Verwaltungsvorschriften – aber eben nur im Rahmen ihrer jew., etwa organisationsrechtlichen, ermessenslenkenden oder normkonkretisierenden Inhalte. Richterrecht bindet die Gerichtsbarkeit insoweit nicht, als es Rechtsfortbildung ausschließen würde (vgl. BVerfGE 84, 212 (227)). Die Bindung der Verwaltung an Richterrecht ist str. (vgl. Nichtanwendungserlasse), aber aus Gründen der Gleichheit (Art. 3 I) zu bejahen.
Auf ein Gesetz im formellen Sinn (zum Begriff vgl. BVerfGE 1, 184 (193 f.)) müssen sich alle Gesetze im materiellen Sinn zurückführen lassen oder dieses fortentwickeln (Parlamentsvorbehalt, BVerfGE 58, 257 (274); DHS/Grzeszick Art. 20 VI Rn. 76). Art. 80 beinhaltet also ein zentrales Gebot der Rechtsstaatlichkeit (Art. 80 Rn. 2). Wie weit die Regelung im Einzelnen im förmlichen Gesetz selbst enthalten sein muss, bestimmt sich nach der Wesentlichkeitstheorie beim Vorbehalt des Gesetzes (Rn. 48 f.): alle wesentlichen Entscheidungen muss der parlamentarische Gesetzgeber selbst treffen (BVerfGE 77, 170 (230 f.)).
Bindung an „Recht“ ist demgegenüber ein Pleonasmus und ohne selbständige Bedeutung (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 38). Eine – zu bejahende – Bindung an überpositives Recht, und/oder damit an Grundsätze elementarer Gerechtigkeit (BVerfGE 95, 96 (130 ff.)) ergibt sich auch hier, wie für die Gesetzgebung, bereits aus der verfassungsmäßigen Ordnung, welche durch den Begriff „Gesetz“ mit umfasst wird; alle diese Normen binden als „Gesetze“ und wie solche insbes. (auch) die Normanwendung durch Behörden und Gerichte, die eben der gesetzesbestimmten Gerechtigkeit verpflichtet ist (vgl. BVerfGE 34, 269 (286 f.)).
Diese Normbindung bei der Gesetzesanwendung begründet den Vorrang des Gesetzes im materiellen Sinn vor jeder anderen Willensäußerung eines Staatsorgans (BVerfGE 40, 237 (348 f.); 111, 307 (330 f.); DHS/Grzeszick Art. 20 VI Rn. 72), mit grds. gleicher Wirkung wie der des Vorrangs der Verfassung vor dem einfachen Gesetz (Rn. 39). Verwaltung und Gerichte dürfen in ihrem Verhalten Gesetze nicht durch eigene Entscheidungen ersetzen oder unterlaufen (BVerfGE 56, 216 (241)), sie müssen sie tatsächlich ausführen (BVerfGE 83, 182 (191)). Soweit Gesetze einen Sachverhalt regeln, besteht unbedingte Normbindung allen staatlichen Handelns. Ermessen (BVerfGE 78, 214 (226); 113, 348 (376) – stRspr), insbes. nach dem Grundsatz der gebundenen Genehmigung (BVerfGE 49, 89 (145)), und Beurteilungsspielräume (BVerfGE 64, 261 (279)) sind grds. zulässig, aber eben stets nur im Rahmen des Gesetzes; der Wille des Gesetzgebers darf in ihnen weitergedacht, nicht aber verändert oder ersetzt werden.
c) Vorbehalt des Gesetzes
Aus der Rechtsstaatlichkeit wird der Vorbehalt des Gesetzes abgeleitet, der vom Vorrang des Gesetzes zu unterscheiden ist (DHS/Grzeszick Art. 20 VI Rn. 75). Er verbietet Staatstätigkeit ohne eine Grundlage im förmlichen, im Parlamentsgesetz (BVerfGE 40, 237 (248); 98, 218 (151)); „Vorbehalt des Gesetzes“ bedeutet Parlamentsvorbehalt; notwendig ist also ein Gesetzesbeschluss des Parlaments (BVerwGE 147, 81 (96)), der Klarheit bringt über den „objektivierten Willen des Gesetzgebers“ (BVerfGE 119, 96 (179)). Unterschieden wird dabei der spezielle Parlamentsvorbehalt, wo das GG gesetzliche Regelung einer bestimmten Frage durch Gesetz vorsieht, und ein allg. Parlamentsvorbehalt, der sich aus Demokratie- und Rechtsstaatsgebot ergeben soll (BVerfGE 101, 1 (34); zur Wesentlichkeit Rn. 49 f.). Grds. gilt der Vorbehalt des Gesetzes bei Eingriffen in Grundrechte (Art. 1 III; BVerfGE 98, 218 (251 ff.); 101, 1 (34) – stRspr), insbes. – aber nicht nur – soweit diese unter „Gesetzesvorbehalt“ (Vor Art. 1 Rn. 50 ff.) stehen; deshalb werden gelegentlich „Vorbehalt des Gesetzes“ und „Gesetzesvorbehalt“ synonym gebraucht (vgl. BVerfGE 108, 292 (314)), was aber vermieden werden sollte, weil Gesetzesvorbehalt eine Eingriffserlaubnis für die Vollziehende Gewalt beinhaltet, Vorbehalt des Gesetzes umgekehrt ein Eingriffsverbot für diese ohne gesetzliche Grundlage (Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 113).
Notwendig ist eine gesetzliche Grundlage in diesem Sinn allg. für grdl. „Bereiche, in denen der Gesetzgeber alle wesentlichen Entscheidungen (DHS/Grzeszick Art. 20 VI Rn. 105) selbst treffen muss“ ( Wesentlichkeitstheorie, BVerfGE 49, 89 (126); 116, 24 (58)), wo andere Instanzen als Normgeber also nicht tätig werden dürfen (BVerfGE 95, 267 (307)), insbes. nicht die Exekutive (BVerfGE 116, 24 (58)). Dies bezieht sich auf Notwendigkeit wie Intensität der erforderlichen gesetzlichen Regelung (vgl. BVerfGE 83, 130 (142)) und soll grds. auch für Verfahren und Organisation gelten (BVerfGE 111, 191 (217); zum organisatorischen Gesetzesvorbehalt, vgl. BVerfGE 106, 1 (22)). Gesetzlicher Ordnung der Kompetenzen kommt dabei stets Vorrang zu (BVerfGE 68, 1 (109)). Dieser „Wesentlichkeits-Vorbehalt“ sollte nicht als ein „allgemeiner Gesetzesvorbehalt“ bezeichnet werden, schon weil dieser Begriff herkömmlich für den Eingriffsvorbehalt (nur) aufgrund eines Gesetzes (Rn. 48) gebraucht wird, der nicht notwendig bereichsmäßig spezialisiert ist („Das Nähere regelt ein Gesetz“). Vielmehr werden unter „Wesentlichkeit“ Fälle zusammengefasst, in denen (überhaupt, aber stets) eine gesetzliche Grundlage erforderlich ist. Diese stellen dann Konkretisierungen eben dieser Wesentlichkeit dar, lassen sich aber nur begrenzt in typischen Fallgruppen zusammenfassen (Rn. 49a, 49b).
Nach der Wesentlichkeitstheorie ist eine gesetzliche Grundlage stets erforderlich, soweit von Staatsorganen in die Grundrechtsausübung eingegriffen wird (BVerfGE 77, 170 (230 f.); 108, 282 (312) – stRspr; Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 48); das umfasst auch alles, was für die Grundrechtsverwirklichung von „erheblicher Bedeutung“ ist (BVerfGE 95, 267 (308)). Dies ist die neue Ausprägung des traditionellen Grundsatzes, dass eine gesetzliche Grundlage für „jeden Eingriff in Freiheit und Eigentum“ erforderlich ist (BVerfGE 8, 155 (167); 40, 237 (248 f.)). Für die „Wesentlichkeit“ dieses Eingriffes soll es nun auf die Intensität der Einwirkung auf den jew. grundrechtlichen Schutzbereich ankommen (BVerfGE 83, 130 (142); 98, 218 (252)). Ein grundrechtlicher Gesetzesvorbehalt kann auch organisatorische Regelungen durch Gesetz erfordern (BVerfGE 111, 191 (217 f.)). – Der grundrechtliche Vorbehalt des Gesetzes gilt jedoch nicht für faktisch-mittelbare Wirkungen staatlichen Handelns, weil – besser „soweit“ – diese „staatlicher Normierung nicht zugänglich sind“ (BVerfGE 105, 279 (303 f.)).
Gewährung staatlicher Leistungen unterliegt dem Vorbehalt des Gesetzes nur, soweit grundrechtliche Teilhaberechte (BVerfGE 58, 357 (368 f.)) oder der Grundrechtsschutz durch den Staat es verlangen (BVerfGE 97, 381 (403)), sowie bei der Ausgestaltung eines verfassungsrechtlich geregelten Status (Beamter; also etwa im Beihilferecht, BVerwGE 148, 1 (4 f.); stRspr). Der Vorbehalt gilt nicht generell für Verfahren und Zuständigkeit der Leistungsverwaltung (BVerfGE 8, 155 (167); 45, 8 (11); 58, 45 (48); vgl. auch BVerfGE 68, 1 (109)). Stets ist jedoch zu prüfen, ob er nicht doch wegen „faktisch-mittelbarer Einwirkungen“ (Rn. 49a) eingreift. – Der gesetzliche Haushaltsvorbehalt gilt nach Art. 110.
Im Straf(vollzugs)recht insbes. gilt der Vorbehalt des Gesetzes (ausreichende Begründung strafgerichtlicher Entscheidungen, BVerfGE 118, 212 (241); Jugendstrafvollzug BVerfGE 116, 69 (81); Bewährungsauflagen BVerfGE 58, 358 (367)), vor allem aber im Schulrecht (Pflichtfächerfestlegung, BVerfG 64, 308 (309 f.); Sexualkunde, BVerfGE 47, 46 (80); Schulentlassung, BVerfGE 58, 257 (275); Schulorganisation, BVerfGE 41, 251 (263); 51, 268 (287)).
Das Wesentlichkeitskriterium als solches hat wenig Klarheit in der zentralen Frage der Rechtsstaatlichkeit gebracht: was der (Parlaments-)Gesetzgeber selbst regeln muss, entspr. einem Genauigkeitsgebot nach Eingriffsschwere (BVerfGE 95, 267 (307)). Vor allem beim Grundrechtsvorbehalt hat das „Erheblichkeitskriterium“ (Rn. 49a) zu schwer vorhersehbarer Einzeljudikatur und zu diskutablen Entscheidungen geführt (vgl. etwa zur Rechtschreibreform, BVerfGE 98, 218 (251)).
d) Bindung der richterlichen Gewalt – Rechtsfortbildung
Die richterliche Gewalt unterliegt im Rechtsstaat, auch in ihrer Unabhängigkeit (Art. 97 I), der Bindung an das Gesetz (Rn. 44 ff.). Sie darf Normen nicht setzen (BVerfGE 96, 375 (394); 109, 190 (252)), hat diese vielmehr auszulegen und anzuwenden (Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 119). Soweit dies nicht (sachgerecht) möglich ist, gestattet ihr die Rechtsstaatlichkeit Rechtsfortbildung durch (oft) sog. Richterrecht (Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 120): Schließung planwidriger Lücken (BVerfGE 69, 315 (371); 108, 150 (160); 116, 69 (83); 122, 248 (267) – stRspr), etwa bei Wertungswidersprüchen. Dies kann zu Erweiterungen (Analogie, BVerfGE 108, 150 (160); 132, 99 (127 f.)) (auch im Grundrechtsbereich) oder zu Einschränkungen (teleologische Reduktion) führen. Besonders weit ist der Gestaltungsspielraum bei älteren Regelungen (BVerfGE 34, 269 (288 ff.)). Eine pauschale Rechtfertigung der Rechtsfortbildung durch „gesellschaftlichen Wandel“ (vgl. BVerfGE 96, 375 (394); 122, 248 (283)) ist nur möglich, wenn Auslegung oder die erwähnten Formen der Rechtsfortbildung versagen (BVerfGE 98, 59 ff.). Grundrechtseingriffe dürfen dabei jedoch nur in (engen Grenzen) gestattet werden (BVerfGE 71, 354 (362); 122, 248 (286)).
e) Normierung und Beachtung eines rechtsstaatlichen fairen Verfahrens
Der Gesetzgeber ist durch Art. 20 III verpflichtet, den Justizgewährungsanspruch zu regeln, uU auch durch die Möglichkeit letztinstanzlicher Entscheidungen (BVerfGE 19, 364 (367)). Im Rahmen seiner rechtsstaatlichen Regelungspflicht haben Gesetzgeber und, ihm folgend, die Gerichte die Erforschung der materiellen Wahrheit sicherzustellen (BVerfGE 133, 168 (199)), durch Normierung und Beachtung eines fairen rechtsstaatlichen Verfahrens (BVerfGE 122, 248 (271); 130, 1 (25) (Verwertung personenbezogener Daten im Strafprozess; BVerfG NStZ 2015, 170 (171) in Anwendung von § 243 StPO). Das Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 20 III iVm Art. 2 I wird entweder durch den Gesetzgeber oder ihm folgend durch die Gerichte dann verletzt, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde (BVerfG NJW Spezial 2015, 152 insbes. hinsichtlich der Problematik der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation mit neuer Tendenz hin zur Annahme eines Verwertungsverbotes, weg von der bislang geltenden Vollzugslösung). Über den Justizgewährungsanspruch iVm den Grundrechten, insbes. Art. 2 I, wird die Rechtsweggarantie aus Art. 19 IV dahingehend in ihrem Anwendungsbereich erweitert, dass nicht nur Akte öffentlicher Gewalt den Zugang zu den staatlichen Gerichten eröffnen, sondern auch dienstrechtliche Streitigkeiten zwischen Geistlichen bzw. Kirchenbeamten und ihrer Religionsgemeinschaft einen relevanten Eingriff darstellen, soweit die Verletzung staatlichen Rechts gerügt wird (vgl. unter Aufgabe der bisherigen Rspr. BVerwGE 149, 139 f.). Im Strafrecht ist das Schuldprinzip zugrunde zu legen (BVerfGE 133, 168 (199)). Der Justizgewährungsanspruch verlangt auch eine Gewährung von Prozesskostenbeihilfe (BVerfGE 85, 337 (345 f.)), unter umfassender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des Streitgegenstandes, wobei aber nicht bereits schwierige Rechts- und Tatsachenfragen geklärt werden dürfen (BVerfGE 81, 347 (359); BVerfG [K] NJW 2013, 1148 mwN). Nach Art. 3 I ist dabei die Situation Mittelloser weitgehend der von Bemittelten anzugleichen (BVerwG NVwZ-RR 2013, 387 (388)).
f) Grenzen für den Rechtsanwender
Diese Gesetzesbindung wird (nur) verletzt, wenn der Rechtsanwender sich eindeutig in die Rolle einer normsetzenden Instanz begibt (BVerfGE 87, 273 (280)), seine Gerechtigkeitsvorstellungen an die Stelle des Gesetzgebers setzen will (BVerfGE 82, 6 (12)).
g) Rechtsfolgen der Verletzung einer Normbindung
Die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Gesetzesbindung durch die vollziehende und richterliche Gewalt sind im GG nicht näher geregelt (vgl. dazu bereits Rn. 39 ff.; DHS/Grzeszick Art. 20 VI Rn. 141). Sie begründet jedenfalls die Rechts-(Verfassungs)widrigkeit des betr. Staatsakts. Deren Rechtsfolgen kann grds. der einfache Gesetzgeber regeln (BVerfG NJW 2006, 807 (810)). Dies geschieht insbes. in den Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsgerichtsgesetzen, in denen zugleich auch die Zuständigkeit zur Feststellung der Rechtsfolgen derartiger Bindungsverstöße geregelt ist. Meist führen sie (nur) zur Anfechtbarkeit (§ 42 VwGO), uU aber auch zur Nichtigkeit (Unbeachtlichkeit) der Staatsakte (§ 44 VwVfG). Soweit auf diese Privatrecht anzuwenden ist, sind sie in der Regel nichtig. Haftungs-, Schadensersatzfolgen sind hier, wie auch im Öffentlichen Recht (Art. 34 Rn. 1 (7)), im Einzelnen in einfachen Gesetzen geregelt. Die allg. Rechtsweggarantie (Art. 19 IV, Art. 19 Rn. 27 ff.) ist, als entscheidende Verfahrensregelung, ein Kernelement der Rechtsstaatlichkeit. – Rechtsfolgen von Verstößen der Judikative gegen das Gesetzmäßigkeitsgebot werden im gerichtlichen Instanzenzug, bei Verfassungsverstoß durch das BVerfG festgestellt.
Rechtsakte der vollziehenden Gewalt, insbes. VAe, sind idR bis zu ihrer behördlichen oder gerichtlichen Aufhebung zu beachten, ebenso deren untergesetzliche Rechtssetzung (RVOen, Satzungen); letzterer gegenüber haben Behörden, auch bei offensichtlicher Gesetzwidrigkeit, im Einzelfall kein Recht zur Nichtanwendung; ein solches steht aber allen Instanzgerichten zu, während das BVerfG die Nichtigkeit auch untergesetzlicher Normen aussprechen kann.
VIII. Rechtssicherheit
1. Rechtsbeständigkeit
Neben der Bindung der Staatsgewalten an das Recht ist dessen vertrauenswürdige Beständigkeit das zweite zentrale Gebot der Rechtsstaatlichkeit (vgl. allgemein Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 122); sie setzt Bestimmtheit staatlicher Rechtsakte voraus. Diese Rechtssicherheit als Verfassungswert (BVerfGE 80, 103 (107)) ist ein wesentliches Element des Rechtsstaatsprinzips (BVerfGE 126, 286 (313)). Sie muss gleichgewichtig gewahrt bleiben gegenüber dem der (Einzelfall-)Gerechtigkeit und der auf dem Demokratiegebot beruhenden Normgebungs- und -änderungsfreiheit (vgl. etwa BVerfGE 103, 310 (328)). Dieser müssen daher zeitliche Grenzen gezogen werden, hinsichtlich einer Rückwirkung (vgl. Rn. 59 ff.) wie auch in Fällen zeitlich unbegrenzter Fortwirkung; den Entscheidungen der Verwaltung und der Gerichte muss ab einem bestimmten Zeitpunkt, nach näherer einfachgesetzlicher Bestimmung, Bestands- bzw. Rechtskraft zukommen (BVerfGE 60, 253 (268 ff.) – zu Unterscheidungen zwischen beiden vgl. BVerfGE 103, 111 (139)). Die Rechtskraft darf nur auf gesetzlicher Grundlage eingeschränkt werden (BVerwGE 135, 137 (143). Dazu genügen aber auch (sehr) allgemeine gesetzliche Regelungen, etwa § 826 BGB (BVerwGE 148, 254 (262)).
2. Bestimmtheit (Rechtsklarheit)
Bestimmtheit iSd Klarheit (synonym, vgl. BVerfGE 93, 213 (238 f.)) verlangt die Rechtsstaatlichkeit für jede staatliche Anordnung, vor allem für gesetzliche Regelungen ( Normenklarheit, BVerfGE 99, 216 (243); 114, 1 (53) – stRspr). Der Adressat muss den Inhalt erkennen können, um sich nach ihm zu richten (BVerfGE 113, 348 (375) – stRspr), auch beim Zusammenwirken von Normen unterschiedlicher Regelungsbereiche (BVerfGE 108, 52 (75)). Widerspruchsfreiheit, innere wie äußere (gegenüber anderen Regelungen, BVerfGE 108, 169 (181 f.)) ist daher erforderlich. Dies ist notwendige Voraussetzung wirksamer (gerichtlicher) Kontrolle (BVerfGE 110, 33 (53 ff.)); „Messbar und in gewissem Ausmaß voraussehbar und berechenbar“ muss ferner der Anordnungsinhalt sein (BVerfGE 56, 1 (12)). Welches Maß an Bestimmtheit dies verlangt, ergibt sich aus der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts (BVerfGE 110, 33 (53 f.)), mit Rücksicht auf den Regelungszweck (BVerfGE 93, 213 (238) – stRspr; für das Haftungsrecht etwa BVerfGE 110, 370 (396); für das Abgabenrecht [„Tatbestandsmäßigkeit“], BVerfGE 108, 186 (235)). Überdies muss die Genauigkeit der gesetzlichen Vorgaben der Intensität der Regelungswirkungen entsprechen (BVerfGE 9, 213 (238); 110, 33 (53 f.) – stRspr). Entscheidend ist aber die rechtliche Regelungsfähigkeit der Materie/des Einzelfalls (BVerfGE 56, 1 (13)). Unbestimmte Rechtsbegriffe sind idR zulässig (BVerfGE 103, 21 (33); Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 58), ja sogar Generalklauseln (BVerfGE 56, 1 (12); 116, 24 (54) – stRspr). Ihr konkreter Inhalt muss aber nach herkömmlichen Auslegungsmethoden festgestellt werden können (BVerfGE 92, 262 (272 f.); vgl. Rn. 40); bei Einräumung von Beurteilungsspielräumen und Ermessen müssen kontrollfähige, äußerste Grenzen erkennbar sein (BVerfGE 21, 73 (78 ff.)). Neuerdings wird Normenwahrheit – insbes. bei abbildenden Regelungen – gefordert (BVerfGE 107, 218 (256)). Der Adressat muss auch den verantwortlichen Entscheidungsträger erkennen können (BVerfGE 33, 125 (158)).
Die Ermächtigung der Exekutive zum Erlass von VAen muss insbes. bestimmt sein nach Inhalt, Zweck und Ausmaß (BVerfGE 56, 1 (12) – stRspr; Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 60). Bei Genehmigungsvorbehalten mit Wirkung auf grundrechtliche Schutzbereiche ist grds. gebundene Erlaubnis erforderlich, Ermessen nur ausnahmsweise zulässig (BVerfGE 49, 89 (145)). Realakte der Verwaltung, welche Grundrechte beeinträchtigen (Überwachungsmaßnahmen, BVerfGE 113, 348 (376)) unterliegen besonderen Bestimmtheitsanforderungen.
Verweisungen (insbes. in Rechtsnormen) auf andere Normen sind zulässig (BVerfGE 78, 32 (35 f.) – stRspr), auch wenn diese nicht mehr gelten (BVerfGE 8, 274 (302)), ebenso auf ausländisches Recht (BVerfGE 67, 348 (363)). Der Verweisungsinhalt muss hinreichend bestimmt sein (BVerfGE 120, 274 (318)); dabei muss allerdings die Inhaltsfeststellung mit zumutbarem Aufwand möglich, sie darf nicht mit erheblichem Fehlerrisiko verbunden sein (BVerfGE 120, 274 (318); Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 64). „Dynamische Verweisung“ auf den jew. Regelungsinhalt einer anderen Norm ist zwar grds. möglich (BVerfGE 64, 208 (215) – stRspr); dies darf aber keine Verschiebung der Normsetzung(sbefugnis) auf eine andere Instanz bewirken (zu den Grenzen näher MKS/Sommermann Art. 20 Rn. 290); insbes. nicht auf nichtstaatliche Einrichtungen (BVerfGE 78, 32 (36)). Insoweit gilt gerade hier die Wesentlichkeitstheorie (vgl. Rn. 49).
Regelungen müssen dem Adressaten so bekannt gemacht sein, dass er Inhalt und Bedeutung ohne unzumutbare Anstrengung erkennen kann (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 66). Dies gilt für Verwaltungsakte (BVerfGE 84, 133 (159)), vor allem aber für Gesetze (Rn. 44), nicht jedoch für Verwaltungsverordnungen (BVerwG NJW 1985, 1234 – so allg. bedenklich); Gesetze müssen daher ordnungsgemäß (ausgefertigt und) verkündet sein (Normpublizität, BVerfGE 65, 283 (291)).
3. Vertrauensschutz, Rückwirkungsverbot
Vertrauensschutz (dazu auch Art. 2 Rn. 3, Art. 14 Rn. 36 ff.) ist ein zentraler Verfassungsgrundsatz mit rechtlich fassbarem normativem Inhalt und neben der Bestimmtheit eine wichtige Ausprägung der Wahrung der Rechtssicherheit in Rechtsstaatlichkeit (BVerfGE 78, 249 (283); 105, 317 (371)). Der Betroffene soll sich auf den (Fort-)Bestand einer rechtlichen Regelung verlassen können, solange sie gilt, nicht allerdings auf deren Unabänderlichkeit (Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 131). Vertrauensschutz greift nur ein, soweit bei objektiver Betrachtung nicht mit einer Änderung der Rechtslage gerechnet werden muss. Dies ist etwa nicht der Fall bei Anrechnung einer erst nach Ende einer psychiatrischen Unterbringung angeordneten Sicherungsverwahrung (BVerfGE 128, 326 (389 f.); 133, 40 (55)). Vertrauen in eine Rechtsprechung(slage) verlangt gefestigte höchstrichterliche Judikatur (BVerfGE 131, 20 (42)). Vertrauensschutz bewahrt aber Betroffene nicht vor jeder Enttäuschung (BVerfGE 76, 256 (349 f.)). Abzuwägen ist vielmehr zwischen dem Fortbestandsvertrauen und dem Wohl der Allgemeinheit (BVerGE 67, 1 (15); Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 135). Dabei kann sich die Notwendigkeit einer Übergangsregelung ergeben (BVerfGE 76, 256 (359)). Eine Tätigkeit („Inswerksetzung“) aufgrund des Vertrauens wird nach Art. 20 grds. nicht gefordert, ohne sie kommt es aber in sehr vielen Fällen nicht zu einem belastenden Eingriff. – IVm freiheitsrechtlichen Einzelgarantien ist dies eine Grundlage des gesamten Grundrechtsschutzes. Auch Ausländer können sich auf Vertrauensschutz berufen (BVerfGE 51, 356 (362)).
Der allg. rechtsstaatliche Vertrauensschutz sichert vor allem vor zu weitreichender Rückwirkung der (aller) Gesetze (iSv Rn. 44; BVerfGE 45, 142 (167 f.)). Dieses verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot soll Rechtssicherheit (vgl. Rn. 54) und Vertrauensschutz (vgl. Rn. 58) gewährleisten (BVerfGE 135, 1 (20 f.) – kumulativ). Ihm gehen spezielle Regelungen des GG vor (Art. 33 V für Beamte, BVerfGE 71, 255 (272); absolutes Rückwirkungsverbot im Strafrecht, Art. 103 Rn. 16 ff.). Rückwirkung liegt nicht vor bei lediglicher Verzinsungs-Belastung für die Vergangenheit (BVerfGE 133, 1 (32)). Die (viel kritisierte; vgl. Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 132) Rspr. des BVerfG unterscheidet zwischen der Zulässigkeit echter und unechter Rückwirkung (BVerfGE 57, 361 (391); 72, 200 (241 ff.); 114, 258 (300); Jarass Art. 20 Rn. 67 f.), wobei Formulierungsunterschiede zwischen den Senaten („Rückwirkung“, „Rückbewirkung von Rechtsfolgen“, „tatbestandliche Rückanknüpfung“) im Ergebnis vernachlässigt werden können (vgl. neuerdings etwa BVerfGE 109, 133 (181); 114, 258 (300)). Das Rückwirkungsverbot kann unter Berufung auf ein Grundrecht, auch allg. auf Art. 2 I iVm Art. 20 III im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden (BVerfGE 72, 175 (196)), auch von Ausländern (BVerfGE 51, 356 (362)).
Echte Rückwirkung greift in abgeschlossene Rechtsbeziehungen verändernd ein (BVerfGE 114, 258 (300)). Die echte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Norm Rechtsfolgen für einen Sachverhalt mit vor ihrer Verkündung liegender Wirkung bestimmt (BVerfGE 109, 133 (181)), obwohl die Rechtsbeziehung bereits „abgewickelt“, eine Änderung (Fortentwicklung) des zu ordnenden Sachverhalts also nicht mehr möglich ist (BVerfGE 89, 48 (66); Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 68), etwa weil vor Verkündung des Gesetzes die Anspruchsvoraussetzungen bereits vollständig erfüllt waren (BVerfGE 30, 367 (386 f.)). Geschützt wird auch das Vertrauen auf die Geltung eines später für verfassungswidrig erklärten Gesetzes (BVerfGE 53, 115 (128)). Bei Abgabennormen wird der (abgeschlossene) Sachverhalt durch die Entstehung der Steuerschuld bestimmt, es kann also eine während des Veranlagungszeitraums verkündete Norm bis zu dessen Beginn „zurückwirken“ (BVerfGE 97, 67 (80)).
Echte Rückwirkung ist grds. verboten (BVerfGE 114, 258 (300) – stRspr; Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 133). Dies soll jedoch nicht gelten gegenüber zwingenden Gründen des gemeinen Wohls (BVerfGE 88, 384 (404); 101, 239 (263 f.)), oder wenn ein nicht mehr vorhandenes schutzwürdiges Vertrauen des Einzelnen eine Durchbrechung gestattet (BVerfGE 101, 239 (263); Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 134 f.). Durch diese generalklauselähnlichen Ausnahmen wird der Vertrauensschutz nicht unerheblich entwertet. U. a. (vgl. BVerfGE 72, 200 (258)) greift nämlich Vertrauensschutz nicht ein, wenn der Betroffene bereits vor Inkrafttreten der rückwirkenden Norm mit deren Erlass rechnen musste (BVerfGE 103, 392 (404)). Dazu kann jedoch nicht schon eine ernsthafte Ankündigung einer Gesetzesänderung durch die BReg genügen (so jedoch BVerfGE 97, 67 (82)), sondern erst der Gesetzesbeschluss des BTags (BVerfGE 95, 64 (87)). Vertrauensschutz soll ferner entfallen, wenn in einem Gesetz die Änderung einer VO angekündigt wird (BGHZ 100, 1 (6 f.)), oder bei unionsrechtlicher Verpflichtung zur Normänderung (BVerfG[K] NJW 2001, 2323). Gleiches gilt wenn die Rechtslage unklar und verworren ist (BVerGE 98, 17 (39)), wenn eine Rechtsprechungsänderung durch Gesetz korrigiert (BVerfGE 75, 262 (267)), ja sogar verschärft wird (BVerfGE 67, 129 (131 f.)). Rückwirkende Bagatelländerungen sind zulässig (BVerfGE 95, 64 (86 f.)), ebenso Durchbrechungen bei verfahrensrechtlichen Regelungen (BVerfGE 63, 343 (359)) Vgl. allg. zu den Ausnahmen DHS/Grzeszick Art. 20 Rn. 84 f.
Weit schwächer ist der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz gegen unechte Rückwirkung, dagegen also, dass für die Zukunft Voraussetzungen verändert werden, von denen bei früheren, aber weiter wirkenden Dispositionen ausgegangen wurde (Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 136), insbes. bei Investitionen und Finanzierungen. Unechte Rückwirkung ist grds. zulässig (BVerfGE 105, 17 (44); 109, 96 (122); 131, 20 (39 f.): bei Wahrung von Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit – stRspr), weil niemand auf Fortgeltung von Normen vertrauen dürfe (BVerfGE 68, 193 (221 ff.); 103, 271 (287) – stRspr), diese vielmehr grds. jederzeit abänderbar seien. Die Verfassungsrechtsprechung lässt unechte Rückwirkung sehr weitgehend zu: Bei nur für die Zukunft geltenden Regelungen (vgl. BVerfGE 94, 241 (258)) oder solchen, die sich auf bisher nicht normierte, wenn auch abgeschlossene Sachverhalte beziehen (BVerfGE 109, 96 (121 f.)), gibt es keinerlei Vertrauensschutz. Zu weit geht ein Ausschluss des Vertrauensschutzes, wenn über eine Änderung nur öffentlich diskutiert wird (so aber BGHZ 158, 354 (359 f.)). Sehr bedenklich ist in ihrer Allgemeinheit die vom BVerfG laufend vertretene Auffassung, Vertrauensschutz trete stets zurück, wenn die mit dem Änderungsgesetz verfolgten Gründe gewichtiger seien als die Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Betroffenen (BVerfGE 89, 44 (66); 95, 64 (86); 103, 392 (403)). Ein derart unbestimmter Abwägungsvorbehalt gestattet unvorhersehbare Einzelfallentscheidungen und bedarf dringend einer Gewichtung durch nähere Kriterien. Ausnahmsweise soll ein Vertrauensschutz bei unechter Rückwirkung überhaupt nur gewährt werden können, wenn mit der Änderung nicht gerechnet zu werden brauchte (BVerfGE 68, 193 (221 ff.); Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 74), insbes. bei unecht rückwirkender weil vorzeitiger Änderung befristeter Gesetze (BVerfGE 102, 68 (97)). Allg. verweist aber neuerdings auf Vertrauensschutz BVerfGE 131, 20 (39 f.). Im Steuerrecht kommen die Wirkungen unechter Rückwirkung denen einer echten Rückwirkung allerdings „in vielerlei Hinsicht nahe“. An die Rechtfertigung jener sind insoweit also gesteigerte Anforderungen zu stellen (BVerfGE 132, 302 (319 f.)). Auch vertrauensabschwächende Äußerungen öffentlicher Stellen sind zu berücksichtigen (BVerfGE 105, 17 (39)).
Dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutz muss unter Umständen, insbes. bei einer Abwägung mit den Änderungsinteressen des Gesetzgebers (Rn. 62), unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit, durch eine Übergangsregelung entsprochen werden (BVerfGE 67, 1 (15); 58, 300 (351)), soweit dies nicht zu Gefahren für die Allgemeinheit führt (BVerfGE 68, 272 (286); Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 76). Übergangsregelungen waren etwa bei Änderungen des Rentenrechts erforderlich (BVerfGE 116, 96 (131 ff.)). Dem Gesetzgeber steht dabei aber ein erheblicher Regelungsspielraum zu (BVerfGE 43, 242 (288 f.)).
Vertrauensschutz gegenüber Verwaltungshandeln wird entspr. allg. (Rn. 58), insbes. den für Rückwirkung von Gesetzen geltenden Grundsätzen (Rn. 59 ff.) gewährt; VA dürfen auch nicht sachlich unterlaufen werden (BVerfGE 50, 244 (249 f.); 63, 215 (223 f.)). Der einfache Gesetzgeber kann daher die Bestandskraft von VAen im Zielkonflikt zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit/Gesetzmäßigkeit näher regeln (Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 140). Bestimmungen über Bestandskraft von VAen sind zulässig (BVerfGE 60, 253 (270); 117, 302 (315)), ebenso prozessuale Fristen (BVerfGE 60, 253 (269)). Die Anwendung von Abänderungs- und Bestandsschutzregelungen bei VAen, etwa §§ 48 f. VwVfG (vgl. BVerfGE 105, 48 (57 f.)), muss daher auf Beachtung des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes überprüft werden. Dieser kann bei Verwaltungsvorschriften eine normativ wirkende Selbstbindung der Verwaltung begründen (vgl. BVerfGE 104, 220 (223 ff.)). Einzelfolgerungen für Verwaltungsorganisation und Verwaltungsverfahren lassen sich aus der Rechtsstaatlichkeit dabei jedoch nicht ableiten (vgl. Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 161, 165).
Der Judikative gegenüber wird der Vertrauensschutz durch die Rechtskraft von Entscheidungen (BVerfGE 47, 146 (161)) und durch prozessuale Fristen (BVerfGE 60, 253 (269)) gewahrt (Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 142). Bei Rechtsprechungsänderungen, insbes. einer ständigen höchstrichterlichen Judikatur, die sich im Einzelfall als Rückwirkung (auch) von Gesetzen auswirken können, sind Vertrauensschutzgesichtspunkte zu berücksichtigen, als solche stellen derartige Entwicklungen aber keine Entscheidungen mit Rückwirkung dar (BVerfGE 84, 212 (227 f.)); Rechtsprechungsänderungen, auch einer gefestigten höchstrichterlichen Judikatur, sind zulässig, wenn sie ausreichend begründet sind und einer voraussehbaren Entwicklung entspr. (BVerfGE 122, 248 (277)). Entscheidungen aus überzeugenden Gründen verletzen den Vertrauensschutz nicht (BVerfG [K] NVwZ 2006, 449 f., nur Willkürprüfung). Die höchstrichterliche Rspr., insbes. des BGH (BGHZ 132, 6 (11 f.)), betont dagegen stärker auch hier die Vertrauensbindung der Judikative (vgl. auch Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 144).
IX. Verhältnismäßigkeit
1. Eingriffs-, insbesondere Normzweck
Verhältnismäßigkeit ist als Verfassungsgrundsatz aus der Rechtsstaatlichkeit in der Verfassungsrechtsprechung entfaltet und von der hL anerkannt worden (BVerfGE 7, 377 (407 f.); 90, 145 (173) – stRspr), mit Wirkungen vor allem gegenüber der Gesetzgebung auf allen Normstufen (vgl. allg. auch DHS/Grzeszick Art. 20 Rn. 107). Hauptsächlicher Anwendungsbereich ist der Schutz der Grundrechte gegen Eingriffe seitens der Staatsgewalt, in allen Ausprägungen derselben (dazu näher Vor Art. 1 Rn. 60 ff.). Überwiegend wird daher die Verhältnismäßigkeit aus (dem jew.) Grundrechtschutz begründet (BVerfGE 61, 126 (134); 80, 109 (120) – stRspr). Nur unter strenger Verhältnismäßigkeitsprüfung ist insbes. die Anordnung einer Sicherungsverwahrung nach einer psychiatrischen Unterbringung zulässig (BVerfGE 133, 40 (52)). Immerhin sind dabei gemeinsame Beurteilungskriterien entwickelt worden, die sich gerade aus der Rechtsstaatlichkeit ergeben sollen; diese wird daher bei Grundrechtsverletzungen regelmäßig mitzitiert. Verhältnismäßigkeit muss aber auch im Verhältnis der Staatsorgane untereinander iwS zur Anwendung kommen (DHS/Grzeszick Art. 20 Rn. 108), innerhalb von deren jew. verfassungskonform geregelten Kompetenzen, so im Bund-Länder-Verhältnis, vor allem jedoch zum Schutz der Rechte der Gemeinden (BVerfGE 103, 332 (366 f.)). Diese übergreifenden Wirkungen der Rechtsstaatlichkeit werden i. Folg. dargestellt.
Zunächst ist bei dieser rechtsstaatlichen Prüfung der von der jew. Staatsgewalt verfolgte, vor allem der Gesetzes-Zweck festzustellen (DHS/Grzeszick Art. 20 Rn. 111). Kommt ein solcher Zweck als Begründung des Eingriffs in eine Rechtsposition nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 115, 276 (304)), oder liegt er fern (BVerfGE 117, 163 (185 ff.)), so kann er von vorneherein nicht als Rechtfertigung dienen. Im Übrigen ist jeder legitime Zweck (BVerfGE 100, 313 (333)) des Staatsverhaltens ausreichend, dh er darf in einer im Übrigen verfassungsrechtlich zulässigen Weise verfolgt werden, wobei dem Gesetzgeber eine weite Gestaltungsfreiheit zusteht; unter pauschaler Berufung auf das „Gemeinwohl“ (BVerfGE 104, 357 (364 ff.)) darf diese allerdings nicht erweitert werden. Nach der Zweckfeststellung ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Zugrundelegung der ebenfalls vorgängigen Bestimmtheitsfeststellung (Rn. 55) in den drei Stufen der Untersuchung von Geeignetheit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn) des jew. staatlichen Eingriffs durchzuführen.
2. Geeignetheit, Erforderlichkeit, Zumutbarkeit
Geeignet ist ein Mittel, wenn sein Einsatz den legitimen Zweck fördern kann (BVerfGE 103, 293 (307)), wobei die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt (BVerfGE 67, 157 (175); 103, 293 (307) – stRspr; DHS/Grzeszick Art. 20 Rn. 112); bei Gesetzen reicht die abstrakte Möglichkeit aus (BVerfGE 100, 313 (373)). Wahrscheinlichkeit des Erfolges wird nicht gefordert, er muss nicht vollständig, insbes. nicht in jedem Einzelfall eintreten (BVerfGE 96, 10 (23 ff.)). Am besten geeignet muss das Mittel nicht sein. Nur selten ist Ungeeignetheit festgestellt worden (etwa BVerfGE 19, 320 (338 f.)), schon weil meist deren Evidenz verlangt wird (BVerfGE 39, 210 (230); 65, 116 (126)). Vgl. hierzu insbes. den Prognosespielraum (Rn. 70).
Erforderlichkeit verlangt die Rechtsstaatlichkeit bei jedem in Rechtspositionen, insbes. in den Schutzbereich von Grundrechten eingreifendem staatlichen Verhalten. Dieses darf nicht über den legitim verfolgten Zweck (Rn. 65) hinauswirken (BVerfGE 100, 226 (241)). Ferner – und vor allem – dürfen nicht staatliche Maßnahmen möglich sein, welche die von ihnen Betroffenen weniger schwer belasten, mögen sie auch zur Zweckerreichung ausreichen (Gebot des mildesten Mittels, BVerfGE 92, 262 (273); 110, 141 (164) – stRspr; DHS/Grzeszick Art. 20 Rn. 113). Die Belastung ist dabei nach der jew. Intensität der beeinträchtigten Rechtsposition zu bestimmen (BVerfGE 30, 292 (316)) sowie nach den jene rechtfertigenden Gründen (BVerfGE 118, 168 (192)); der Eingriff muss eindeutig der geringst mögliche sein (BVerfGE 81, 70 (91); 105, 17 (36)). Bei den Belastungsfolgen sind jedoch auch solche zu berücksichtigen, die bei Dritten eintreten oder zu Lasten der Allgemeinheit (BVerfGE 113, 167 (259)); zu letzteren gehört auch eine höhere finanzielle Staatsbelastung (BVerfGE 116, 96 (127)). – Eine Verletzung der Erforderlichkeit liegt aber nur in – seltenen – Fällen vor, in denen eindeutig nicht das mildeste Mittel zum Einsatz kommt (BVerfGE 110, 177 (195); 113, 167 (252 f.)).
Zumutbarkeit für die von staatlichem Verhalten Betroffenen (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn, Proportionalität – BVerfGE 102, 1 (20); 113, 167 (260)) muss selbst bei geeigneten und erforderlichen staatlichen Maßnahmen zusätzlich stets noch geprüft werden (DHS/Grzeszick Art. 20 Rn. 117). Das BVerfG hat dazu in stRspr vor allem folgende Grundsätze entwickelt: Allg. muss die Maßnahme „angemessen“ sein, sie darf nicht „außer Verhältnis“ zur Zweckerreichung stehen (BVerfGE 103, 197 (224)). Ihre positiven und negativen Auswirkungen sind gegenüberzustellen (BVerfGE 100, 313 (376)); zu ersteren gehören die fördernden Effekte, auch die einer Abwehr von Gefahren für Einzelne und die Allgemeinheit (BVerfGE 120, 274 (327)), nach Verdachts- und Schädigungsstufen (BVerfGE 115, 320 (361)). Die negativen Auswirkungen (Belastungen) sind nach der Schwere der Eingriffswirkungen zu bewerten (BVerfGE 113, 63 (80)), sowie nach ihren Voraussetzungen und der Zahl der Betroffenen (BVerfGE 100, 313 (376)). Erforderlich ist sodann eine Abwägung des Gewichts dieser Belange (BVerfGE 101, 331 (350); 120, 224 (241)). Für sie fehlen aber bisher überzeugende allg. Maßstäbe (vgl. idS auch DHS/Grzeszick Art. 20 Rn. 118). Berücksichtigt werden sollen die Besonderheiten des jew. Regelungsbereichs (BVerfGE 92, 277 (327 ff.)) sowie der Verfassungs-/Wertigkeitsrang der betroffenen Positionen, insbes. der Grundrechte (Menschenwürde, Wesensgehalt; BVerfGE 103, 293 (306)); bedeutsam ist dieser vor allem bei Strafvorschriften (BVerfGE 110, 226 (262)). – Ausreichen kann es, wenn diese Abwägung durch Rechtsanwendungsinstanzen sichergestellt wird (BVerfGE 93, 213 (238)).
3. Prognosen
Wirksamkeitsprognosen spielen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit, vor allem aber bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit (Rn. 65 ff.; BVerfGE 104, 337 (347 f.); Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 87 f.; vgl. auch W. Leisner, Die Prognose im Staatsrecht, 2015), eine besondere Rolle, als Voraussetzung für die Verhältnismäßigkeit des Staatshandelns; insbes. gilt eine „Einschätzungsprärogative“ des Gesetzgebers (BVerfGE 102, 179 (218)). Grds. steht den Staatsorganen ein weiter Prognosespielraum zu (BVerfGE 110, 177 (194)); zu beachten sind jedoch die Eigenart des Regelungsbereichs, die Vorhersehbarkeit der Auswirkungen und die Bedeutung des betroffenen Rechtsguts. Im Einzelnen gilt, nach Sachbereichen: weiter Prognosespielraum bei Regelungen der Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsordnung (BVerfGE 103, 293 (307); 113, 167 (252)); nach Vorhersehbarkeit: eine hinreichend sichere Prognose muss tatsächlich und mit rechtlich zulässigen Mitteln möglich sein, ein gewisses Experimentieren (Erprobung) eingeschlossen (BVerfGE 113, 167 (234)), insbes. (schon) bei der Gesetzesvorbereitung (BVerfGE 103, 242 (267)); nach Rechtsgutbedeutung, wobei auch Größe und Eigenständigkeit der betroffenen Gruppen von Bedeutung sein können (BVerfGE 68, 155 (173)). – Diese Grundsätze gelten auch für Beurteilungsspielräume und Ermessen (BVerfGE 69, 161 (169)).
X. Staatsorganisation, gerichtliches Verfahren
Anforderungen der Rechtsstaatlichkeit an die Verwaltungsorganisation konkretisieren die Art. 38 ff. an die Gerichtsorganisation Art. 19 (Art. 19 Rn. 27 ff.), Art. 101 (Art. 101 Rn. 3 ff.) und Art. 103 (Art. 103 Rn. 1 ff.).
XI. Widerstandsrecht (Abs. 4)
Der durch die Notstandsgesetzgebung 1968 (vgl. bereits BVerfGE 5, 85 (376 ff.)) eingefügte Abs. 4 (vgl. dazu grdl. Isensee, Das legalisierte Widerstandsrecht, 1969) soll ein grundrechtsähnliches Recht auf Widerstand allen Deutschen (Art. 116) – nicht (Trägern von) Staatsorganen als solchen – garantieren, gegen jede Art von staatlichem oder privatem Verhalten im Geltungsbereich des GG (Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 170 f.). Voraussetzung dafür ist, dass eine (nicht notwendig eine natürliche, trotz des Wortlauts „jeder“) Person es „unternimmt“, dh versucht, es nicht nur irgendwie vorbereitet, die Verfassungsordnung des Art. 20 I–III zu „beseitigen“, dh sie in ihren wesentlichen normativen Grundlagen aufzuheben; dazu kann ein Vorgehen gegen einzelne Verfassungsorgane idR nicht genügen (Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 171). Akte eines zivilen Ungehorsams, der etwa religiös/weltanschaulich motiviert ist, reichen nicht aus (vgl. BVerfGE 73, 206 (250)). Da jene Verfassungsordnung bis an die nach Art. 79 III zu wahrenden Grenzen durch Verfassungsrevision verändert werden kann, ist ein Widerstandsrecht nur zulässig, wenn das mit ihm abgewehrte Verhalten inhaltlich auf eine noch weitergehende Änderung abzielt, oder nach den eingesetzten Mitteln über das nach Verfassungsrecht rechtsstaatlich Zulässige hinausgeht, insbes. durch Formen der Gewaltsamkeit. Widerstand muss in der subjektiven Einstellung von Notwehr/Nothilfe geleistet werden. Mit Beseitigung der Ordnung oder dem endgültigen Scheitern des Versuches dazu erlischt das Widerstandsrecht. Als „subsidiäres Ausnahmerecht“ kann das Widerstandsrecht aber nicht in einem Verfahren geltend gemacht werden, „in dem gegen die behauptete Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung gerade gerichtliche Abhilfe gesucht wird“ (BVerfGE 132, 195 (236); 135, 317 (389)). Das Widerstandsrecht kommt im Ergebnis nur in Betracht, wenn die von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Rechtsbehelfe keine Aussicht auf wirksame Abhilfe bieten (BVerfGE 123, 267 (333); Jarass/Pieroth/Jarass Art. 20 Rn. 173).
Widerstand darf grds. mit allen individuellen oder kollektiven, bisher zulässigen oder auch unzulässigen Mitteln geleistet werden, die Erfolg versprechen, aber nur „wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“. Vorher sind also alle nach der Verfassung zulässigen tatsächlichen und vor allem rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, auch solche gegen die Unterdrückung eines (begonnenen) Widerstandes, wie etwa die Verfassungsbeschwerde (Art. 93 I Nr. 4a), solange sie auch nur entfernt Erfolg versprechen. Diese Subsidiarität des Widerstandsrechts (Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 172) bindet dessen Ausübung auch allg. an den unaufhebbaren Grundsatz der rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeit: Stets muss das mildeste (gerade) noch Erfolg versprechende Mittel auch im Widerstand gewählt werden.
Diese Positivierung eines Widerstandsrechts in der Verfassung ist problematisch (hL, vgl. Sachs/Sachs Art. 20 Rn. 167): Die Voraussetzungen seiner Ausübung lassen sich nicht rechtlich regeln. Das GG betont zudem seinen Geltungswillen wie dessen Grenzen hinreichend in Art. 1, 20, 79 III.