Artikel 139 WRV [Sonn- und Feiertagsruhe]
Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.
Art. 139 WRV enthält eine Institutsgarantie (BVerfGE 111, 10 (50)) und einen Schutzauftrag des Staates, aber ohne subjektive Berechtigung (BVerfGE 87, 363 (393); 125, 39 (79 ff.); 143, 161 (190 f.); aA Dreier/Morlok WRV Art. 139 Rn. 18 ff.; wohl auch BVerwGE 150, 327 (337 ff.); diff. Dietlein FS Morlok, 2019, 125 (134 ff.)). Die aus Art. 4 I, II folgende Schutzverpflichtung des Gesetzgebers wird jedoch durch den objektiv-rechtlichen Schutzauftrag für die Sonn- und Feiertage aus Art. 139 WRV konkretisiert (BVerfGE 125, 39 (79 ff.); weitergehend Wiebauer NVwZ 2015, 543 (545)). Der Schutz soll religiöse und seelische Erhebung, aber auch Erholung und individuellen Ausgleich vom Alltag in Form einer synchronen Taktung des weltlich-sozialen Lebens ermöglichen (BVerfGE 111, 10 (51); 125, 39 (80 ff.); eingehend PRGM StaatskirchenR-HdB II/Kästner, 1599 ff.). Art. 139 WRV bindet auch den Gesetzgeber (BVerfGE 87, 363 (393)), der Art und Ausmaß des Sonn- und Feiertagsschutzes auszugestalten hat (BVerfGE 111, 10 (50); 125, 39 (84 ff.)). Dabei verfügt er in den Grenzen des Unter- und Übermaßverbots über einen Ermessensspielraum (BVerfGE 111, 10 (50 ff.)). Nur ein Kernbestand ist unantastbar. Eine Ladenöffnung an allen Adventssonntagen unterschreitet den verfassungsrechtlich gebotenen Mindestschutz und ist damit unzulässig (BVerfGE 125, 39 (88 ff.); krit. Classen JZ 2010, 144 (145); Dietlein WiVerw 2018, 153 (173 ff.); ferner Kilic, Im Spannungsfeld zwischen Sonntagsschutz und Sonntagsöffnung, 2022, 299 ff.). Ebenso genügen ein bloß wirtschaftliches Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber und ein alltägliches Erwerbsinteresse potenzieller Käufer grds. nicht, um Ausnahmen von dem verfassungsunmittelbar verankerten Schutz von Sonn- und Feiertagen zu rechtfertigen (vgl. BVerfGE 125, 39 (87); BVerwGE 159, 27 (31); zust. Reimer/Roth DÖV 2020, 845 (855 f.); krit. Schmitz/Neubert NVwZ 2018, 704 (705 ff.)). Anderes dürfte allerdings bei Ladengeschäften gelten, bei denen dank digitalisierter Verkaufstechnologie kein Verkaufspersonal benötigt wird (Hippeli NVwZ 2024, 441 (442 f.); aA VGH Kassel NVwZ 2024, 440 (440 f.)). Eine auch nur mittelbare Drittwirkung im Privatrecht besteht nicht (DHS/Korioth WRV Art. 139 Rn. 44). Der individuelle Schutz des Genusses religiöser Feiertage folgt aus Art. 4 (Jarass/Pieroth/Jarass WRV Art. 139 Rn. 1). In diesem Sinne wirkt auch der Erlass von Bewilligungen nach dem Arbeitszeitgesetz, die das Beschäftigungsverbot an Sonn- und Feiertagen im Einzelfall durchbrechen, auf das Recht von Religionsgemeinschaften aus Art. 139 WRV unmittelbar rechtsgestaltend ein (BVerwGE 168, 103 (107)). Der Sonntag wird aufgrund seiner ausdrücklichen Nennung in Art. 139 WRV iSe verfassungsrechtlichen Status-quo-Garantie geschützt (SSM StaatsR I/Uhle, § 29 Rn. 126). Feiertage müssen hingegen durch Gesetz anerkannt werden, was auch bedeutet, dass einzelne Feiertage abgeschafft werden dürfen (Dreier/Morlok WRV Art. 139 Rn. 13; Hentzschel ZG 36 [2021], 179 (194)). Die Festlegung der Feiertage muss aber dem staatlichen Neutralitätsgebot in religiösen Fragen und der repräsentativen Religionszugehörigkeit der Bevölkerung Rechnung tragen (Dreier/Morlok WRV Art. 139 Rn. 15). Die Streichung des Buß- und Bettags als staatlich anerkanntem Feiertag war verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG [K] NJW 1995, 3378 (3379); VerfGH Bln NJW 1995, 3379). Eine Europäisierung des Sonn- und Feiertagsschutzes ist auf der Grundlage des geltenden EU-Rechts ausgeschlossen (EuGH Slg. 1989, 3851 (3888); 1996, I-5755 (5805)). Allerdings muss sich eine nationale Regelung zum Karfreitagsentgelt, die zwischen christlichen und nichtchristlichen Arbeitnehmern differenziert, am unionsrechtlichen Diskriminierungsverbot messen lassen (EuGH NZA 2019, 297 (298 ff.); EnzEuR II/Schmahl, § 20 Rn. 144).
Durch Art. 139 WRV können Grundrechtseinschränkungen gerechtfertigt sein, vorausgesetzt, die fragliche Tätigkeit beeinträchtigt die Funktion der Sonn- und Feiertagsruhe. Dies soll der Fall sein bei einem Betrieb eines Gebrauchtwagenmarktes (BVerwGE 79, 118 (126 f.)), einer Videothek (BVerwGE 79, 236 (241 f.)) oder beim Versandhandel (BVerwGE 150, 327 (340)), nicht aber beim Betrieb von Sonnenstudios (BVerwGE 90, 337 (348 f.)) oder bei Grundstücksauktionen im Internet (SächsOVG 16.11.2012 – 3 A 716/11 Rn. 8). Die Beschränkungen müssen auf einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage beruhen und verhältnismäßig sein (BVerwGE 79, 118 (123); 90, 337 (341)), was nicht immer umfänglich beachtet wird (vgl. DHS/Korioth 139 WRV Rn. 55). So sind zwar die Anerkennung des Karfreitags als gesetzlicher Feiertag sowie seine Ausgestaltung als Tag mit einem besonderen Stilleschutz und die damit verbundenen grundrechtsbeschränkenden Wirkungen dem Grunde nach gerechtfertigt (BVerfGE 143, 161 (194 ff.); krit. Schwarz/Sairinger BayVBl. 2018, 289 (290 ff.)). Der Gesetzgeber muss jedoch die Möglichkeit einer Ausnahme von stilleschützenden Unterlassungspflichten vorsehen. Vorschriften, die bestimmte Freizeitaktivitäten wie das Tanzen an Karfreitag ausnahmslos verbieten, ohne dass eine konkrete Störung der Feiertagsruhe vorliegt, verletzen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (BVerfGE 143, 161 (188, 199)). Umgekehrt widersprechen allerdings generelle Ausnahmen dem Zweck der Verbote sowie dem besonderen äußeren Ruherahmen, den der Gesetzgeber in Wahrnehmung seines verfassungsrechtlichen Auftrags zum Sonn- und Feiertagsschutz vorzusehen hat (OVG Münster GewA 2018, 304 (305)). Zu einer muslimischen Beschneidungsfeier am Karfreitag vgl. OVG NRW DVBl 2015, 721 (721 f.); OVG Münster GewA 2018, 304 (305); zur Öffnung des Lebensmittelladens eines islamischen Gemeindezentrums an Sonn- und Feiertagen vgl. VG Freiburg BeckRS 2018, 4187 Rn. 37.