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Artikel 87a [Streitkräfte]

(1) 1 Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. 2 Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.

(1a) 1 Zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit kann der Bund ein Sondervermögen für die Bundeswehr mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro errichten. 2 Auf die Kreditermächtigung sind Artikel 109 Absatz 3 und Artikel 115 Absatz 2 nicht anzuwenden. 3 Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.

(3) 1 Die Streitkräfte haben im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle die Befugnis, zivile Objekte zu schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrzunehmen, soweit dies zur Erfüllung ihres Verteidigungsauftrages erforderlich ist. 2 Außerdem kann den Streitkräften im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle der Schutz ziviler Objekte auch zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen übertragen werden; die Streitkräfte wirken dabei mit den zuständigen Behörden zusammen.

(4) 1 Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 91 Abs. 2 vorliegen und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen. 2 Der Einsatz von Streitkräften ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen.

I. Bedeutung der Norm

Art. 87a wurde durch die Wehrnovelle (BGBl. 1956 I 111) in das GG eingefügt und durch die sog. Notstandsverfassung (BGBl. 1968 I 709) neu gefasst. Die Norm regelt – an systematisch unglücklicher Stelle (vgl. BK/K. Ipsen Art. 87a Rn. 2 ff.) – neben Verteidigungskompetenz und Wehretat (Abs. 1) vor allem den Einsatz der Streitkräfte in allen zulässigen Formen zum Zwecke einer funktionsfähigen militärischen Verteidigung (Art. 87a II–IV). Mit Gesetz v. 28.6.2022 (BGBl. I 968) wurde Art. 87a um Abs. 1a ergänzt, der die Ermächtigung zur Errichtung des Sondervermögens Bundeswehr enthält.

II. Verteidigungskompetenz und Wehretat

1. Aufstellung von Streitkräften

Nach Art. 87a I 1 stellt der Bund funktionstüchtige Streitkräfte zur Verteidigung auf. Streitkräfte idS sind alle militärischen Verbände, dh Verbände, die wirksame Waffen haben, aufgrund des Prinzips von Befehl und Gehorsam organisiert sind und der Befehls- und Kommandogewalt gem. Art. 65a unterstehen (MKS/Müller-Franken Art. 87a Rn. 36). Keine Streitkräfte sind die Polizeien des Bundes und der Länder, die Bundeswehrverwaltung nach Art. 87b, die Krankenhäuser der Bundeswehr (DHS/Depenheuer Art. 87a Rn. 71), die Rechtspflege der Bundeswehr (Art. 96 II, IV) und die Militärseelsorge gem. Art. 140 GG iVm Art. 141 WRV (Jarass/Pieroth/Kment Art. 87a Rn. 5). Der Militärische Abschirmdienst, bis 2017 eine unselbständige Einrichtung der Bundeswehr (Dau DÖV 1991, 661; Siems DÖV 2012, 425 (430)), fällt in der aktuellen Organisationsform als zivile Bundesoberbehörde (BT-Drs. 18/12703, 29) nicht länger unter den Streitkräftebegriff. Ob es sich bei Art. 87a I 1 um eine Verwaltungs- (BVerwGE 84, 247 (250)) oder Exekutivkompetenz (Dreier/Heun Art. 87a Rn. 8) handelt, ist verfassungsrechtlich irrelevant (Jarass/Pieroth/Kment Art. 87a Rn. 1). Jedenfalls umfasst die Aufstellung der Streitkräfte auch deren Organisation einschließlich der Truppenverwaltung (Friauf/Höfling/Grzeszick Art. 87a Rn. 10) und der militärspezifischen Gefahrenabwehr (BVerwG NVwZ-RR 1997, 351). Dazu zählt auch der Organisationsbereich „Cyber- und Informationsraum“ (Art. 65a Rn. 4), der dem BMVg unmittelbar nachgeordnet ist (näher Marxsen JZ 2017, 543 (544, 546 f.)). Nur wenn ein Soldat vollständig in einen nichtmilitärischen Geschäftsbereich eingegliedert ist, liegt keine Verwendung in den Streitkräften vor (BVerwGE 132, 110 (120)).

Einrichtung und Funktionsfähigkeit der Bundeswehr haben verfassungsrechtlichen Rang (BVerfGE 48, 127 (159 f.); 69, 1 (21)). Eine einfachgesetzliche Abschaffung der Bundeswehr ist wegen dieser institutionellen Garantie unzulässig (SHH/Krieger Art. 87a Rn. 5). Zum änderungsfesten Kern iSd Art. 79 III gehört das Vorhandensein von Streitkräften jedoch nicht (v. Münch/Kunig/Aust Art. 87a Rn. 30). Das Parlament darf aber über das Budgetrecht (Rn. 5) die Aufrechterhaltung einer effektiven Landesverteidigung keinesfalls unterlaufen (Friauf/Höfling/Grzeszick Art. 87a Rn. 12). Im Übrigen ist über Art und Umfang der Streitkräfte nach politischen Erwägungen zu entscheiden (BVerfGE 48, 127 (160); 105, 61 (73); BVerwGE 97, 203 (209)). Daher ist es dem Gesetzgeber anheimgestellt, ob er den Verfassungsauftrag durch eine Wehrpflichtigen- oder eine Freiwilligenarmee erfüllt (BVerfGE 48, 127 (160 f.)). Argumente für eine Beibehaltung der Wehrpflicht (Art. 12a I) sah das BVerfG in bestehenden Bündnisverpflichtungen, der demokratischen Kontrolle sowie der Rekrutierung von qualifiziertem Nachwuchs (BVerfGE 105, 61 (72)). Da in der jüngeren Vergangenheit jedoch nur ein geringer Teil der wehrpflichtigen Männer zum Wehrdienst herangezogen wurde, ist die Wehrpflicht durch das WehrrechtsänderungsG (BGBl. 2011 I 678) ausgesetzt worden. Diese Suspendierung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (Stern/Sodan/Möstl/Schwarz § 23 Rn. 51; Gramm NZWehrr 2011, 89 (94 f.)), zumal Pflichtdienste im Spannungs- und Verteidigungsfall wieder aufleben (BT-Drs. 17/4821, 13). Auch Rüstungsbeschränkungen und Abrüstungsmaßnahmen stehen nicht in Widerspruch zu Art. 87a I 1 (MKS/Müller-Franken Art. 87a Rn. 22). Hingegen wäre eine Privatisierung der Streitkräfte angesichts des Wehrmonopols des Staates unzulässig (SHH/Krieger Art. 87a Rn. 5; zur beschränkten Möglichkeit einer Privatisierung der Bundeswehrverwaltung Art. 87b Rn. 4).

Neben der Erteilung des Auftrags, Streitkräfte zur Verteidigung aufzustellen, erfüllt Art. 87a I 1 die Funktion einer Kompetenzzuweisung; die Vorschrift ordnet die Aufgabe allein dem Bund und nicht den Ländern zu (DFGH SicherheitsR-HdB/Weingärtner, § 52 Rn. 14). Art. 87a I 1 ist aber keine Eingriffs- oder Leistungsnorm. Er ermächtigt nicht zur Beschränkung vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte (Jarass/Pieroth/Kment Art. 87a Rn. 3; BVerwGE 127, 302 (362 ff.)). Das BVerfG hat dies jedoch mit Blick auf Art. 4 III angenommen (BVerfGE 69, 1 (21)). Art. 87a I 1 begründet auch kein Leistungsrecht, etwa auf unentgeltliche Hilfeleistung durch Kriegsschiffe (BGHZ 69, 197 (203)).

Art. 87a I 2 etabliert haushaltsrechtliche Maßgaben und bezweckt die parlamentarische Kontrolle der Streitkräfte (BVerwGE 15, 63 (65)). Aus der Vorschrift folgt eine „Grundsatzverantwortlichkeit“ des BT für die Streitkräfte (BVerwGE 132, 110 (116)). Zudem ist Art. 87a I 2 eine spezielle Regelung gegenüber Art. 110, die insbes. das Bepackungsverbot aufhebt. Die zahlenmäßige Stärke betrifft die Berufssoldaten, auf Zeit verpflichtete Soldaten sowie (frühere) Wehrpflichtige, nicht aber Reservisten (MKS/Müller-Franken Art. 87a Rn. 64). Wegen des strikten Wortlauts „müssen … sich ergeben“ darf die im Haushaltsplan festgelegte zahlenmäßige Stärke keinesfalls überschritten werden (allg. Ansicht, vgl. BK/K. Ipsen Art. 87a Rn. 21 mwN). Eine Unterschreitung ist aber zulässig, da der Haushaltsplan ermächtigende, aber keine verpflichtende Wirkung zeitigt (DHS/Depenheuer Art. 87a Rn. 161; aA Waldhoff/Yalçin JZ 2024, 8 (15 f.); unsicher Jarass/Pieroth/Kment Art. 87a Rn. 6). Art. 87a I 2 enthält eine Beschränkung auf die Friedenspräsenzstärke, versperrt im Verteidigungsfall aber die Einberufung von Reservisten auch ohne Haushaltsermächtigung nicht (Dreier/Heun Art. 87a Rn. 13). Im Übrigen kann im Verteidigungsfall im vereinfachten Verfahren ein Nachtragshaushalt verabschiedet werden (Art. 115d Rn. 1). Die Festlegung der Grundzüge der Organisation im Haushaltsplan beschränkt die Organisationsgewalt der BReg (HStR IV/F. Kirchhof § 84 Rn. 32). Durch entspr. Gliederung müssen Aufstellungszweck und Einsatzarten erkennbar sein (MKS/Müller-Franken Art. 87a Rn. 67).

2. Sondervermögen Bundeswehr

Vor dem Hintergrund des völkerrechtswidrigen Angriffs Russlands auf die Ukraine (Schaller NJW 2022, 832 ff.; Schmahl NJW 2022, 969 (969 f.)) hat der verfassungsändernde Gesetzgeber in Art. 87a Ia die Rechtsgrundlage für die Errichtung eines Sondervermögens Bundeswehr mit einer einmaligen Kreditermächtigung von bis zu 100 Mrd. € geschaffen; es ist die erste Verfassungsergänzung von Art. 87a seit 1968 (Rn. 1). Sondervermögen (vgl. Art. 110 I) sind für eine bestimmte Aufgabe auf gesetzlicher Grundlage eingerichtete Nebenhaushalte, die getrennt vom Bundeshaushalt bewirtschaftet werden (DHS/Kube Art. 110 Rn. 99). Als Zweck des Sondervermögens Bundeswehr definiert Art. 87a Ia 1 die Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit Deutschlands. Die Norm nimmt damit Bezug auf Art. 4 NATO-Vertrag und deren sog. 2 %-Ziel (vgl. § 1 II BwFinSVermG, BT-Drs. 20/1410, 8). Die allgemein gehaltene Zweckbestimmung in Art. 87a Ia (dazu Moser ZaöRV 82 [2022], 741 (743 f.)) liefert nur einen groben Anhaltspunkt für die Nutzung des Sondervermögens; konkretere Vorgaben erwachsen aus dem ursprünglich nicht vorgesehenen Zusatz „für die Bundeswehr“. Ein Einsatz etwa für den Zivilschutz, die nicht-militärische Cybersicherheit oder zur Ausstattung und Ertüchtigung der Sicherheitskräfte von Partnern, wie im Entwurf der BReg noch in Aussicht genommen (BT-Drs. 20/1410, 8), scheidet daher aus (vgl. § 1a I BwFinSVermG). Die Mittel müssen stattdessen im Bereich der Bundeswehr wirksam werden. Das ist namentlich bei der Lieferung zusätzlicher Ausrüstung an die Streitkräfte der Fall, aber auch bei der Erbringung von Dienstleistungen denkbar. Zulässig sind angesichts der weiten Formulierung „für die Bundeswehr“ nicht nur Beschaffungen für die Streitkräfte iSd Art. 87a I 1, sondern auch für andere, ggf. zivile Bereiche der Bundeswehr (zB Bundeswehrkrankenhäuser, -verwaltung, Art. 87b Rn. 1). Die selbständige Regelung in Art. 87a Ia war nicht schon wegen der Durchbrechung von Haushaltsgrundsätzen (Meyer NJW 2022, 2242 (2243 f.); allg. Meikmann NVwZ 2022, 106), aber aufgrund der haushaltsrechtlichen Mitwirkungsrechte des BT gem. Art. 87a I 2 erforderlich (BeckOK GG/Epping Art. 87a Rn. 15b), wobei die Kreditermächtigung aufgrund fehlender Befristung allerdings auch künftige Haushaltsgesetzgeber bindet (Weingärtner BWV 2022, 273 (277)). Art. 87a Ia ermöglicht zudem eine Kreditaufnahme ohne Rücksicht auf die Schuldbremse (Art. 109 III, 115).

Durch das Bundeswehrfinanzierungs- und -sondervermögensG v. 1.7.2022 (BwFinSVermG, BGBl. 2022 I 1030) hat der Bund von der Ermächtigung in Art. 87a Ia Gebrauch gemacht. Das nicht rechtsfähige Sondervermögen wird danach vom BMF verwaltet (§ 3) und soll der Finanzierung bedeutsamer Ausrüstungsvorhaben, insbesondere komplexer überjähriger Maßnahmen, dienen (§ 2). Die Kreditaufnahme ist zeitlich nicht befristet (Meyer NJW 2022, 2242 (2243)), die Tilgung soll spätestens 2031 beginnen (§ 8 II). Der dem Gesetz beigefügte Wirtschaftsplan zählt diverse konkret in Aussicht genommene Beschaffungen auf, namentlich solche aus den „Dimensionen“ Führungsfähigkeit/Digitalisierung, Land, See und Luft. Für die im Wirtschaftsplan dargestellten Vorhaben besteht gem. § 5 II Übertragbarkeit, aber keine gegenseitige Deckungsfähigkeit. Im Hinblick auf Art. 87a I 2 ist eine umfassende Parlamentsbeteiligung vorgesehen. Verträge mit einem Volumen von mehr als 25 Mio. € sind dem BT-Haushaltsausschuss vorzulegen und bis zu dessen Billigung schwebend unwirksam (§ 5 III); ein aus Mitgliedern des Haushaltsausschusses gebildetes Gremium wird vom BMVg über alle Fragen des Sondervermögens unterrichtet (§ 5 IV, V); näher Waldhoff/Yalçin JZ 2024, 8 (17 f.)).

III. Verfassungsvorbehalt für den Streitkräfteeinsatz

1. Einsatz der Streitkräfte außer zur Verteidigung

Nach Art. 87a II bedarf der Einsatz der Streitkräfte außer zur Verteidigung einer ausdrücklichen Regelung im GG. Die Norm verbietet also eine Ableitung ungeschriebener Zuständigkeiten aus der Natur der Sache (näher BeckOK GG/Epping Art. 87a Rn. 23 f.). Einsätze liegen vor, wenn die Streitkräfte unter Nutzung ihrer spezifischen militärischen Organisationsstruktur und der ihnen insoweit zur Verfügung stehenden Mittel hoheitlich tätig werden, unabhängig von der Frage der Bewaffnung oder eines bestimmten Einsatztyps (BVerfGE 121, 136 (163); restriktiver wohl Orthmann, Landesverteidigung, 2023, 200 ff.). Auch auf die Überwindung einer militärischen Erheblichkeitsschwelle kommt es nicht an (BVerfGE 140, 160 (192 ff.)). Die Androhung und Inanspruchnahme hoheitlichen Zwangs und das damit verbundene „Droh- und Einschüchterungspotential“ reichen für die Annahme einer tatsächlichen Gesamtgefährdungslage aus (BVerfGE 121, 136 (165 f.); 132, 1 (20); 133, 241 (269 f.); 140, 160 (206); BVerwGE 127, 1 (13); 132, 110 (119); vgl. allerdings auch BVerwGE 160, 169 (188 f.): kein Einsatz iSd Art. 87a bei der Verwendung eines Tornado-Aufklärungsflugzeugs im Vorfeld des G8-Gipfels von Heiligendamm). Verwendungen, die kein Einsatz der vollziehenden (militärischen) Gewalt sind – zB technische oder humanitäre Hilfeleistungen, Öffentlichkeitsarbeit (BVerwGE 127, 1 (13 f.)), militärische Auslandsaufklärung (BVerwGE 132, 110 (120 f.)) oder das Auftreten bei repräsentativen Anlässen –, steht Art. 87a II nicht entgegen (BT-Drs. 5/2873, 13). Derartige Verwendungen finden ihre Rechtsgrundlage idR in Art. 35 (BVerfGE 133, 241 (269)). Voraussetzung hierfür ist aber, dass die betr. Aktion ohne Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen stattfindet (BVerfGE 90, 286 (388); 121, 135 (155 f.); 140, 160 (193)). Cyberverwendungen können uU als Einsätze iSd Art. 87a II zu qualifizieren sein, wenn mit ihnen auf elektronische Attacken reagiert wird, die im Blick auf Intensität und Zerstörungskraft bewaffneten Angriffen vergleichbar sind (Marxsen JZ 2017, 543 (548 ff.); Schmahl BerDGIR 2016, 159 (168 ff.); aA DFGH SicherheitsR-HdB/Broemel, § 15 Rn. 80). Art. 87a II bezieht sich auch auf Einsätze im Ausland (Dreier/Heun Art. 87a Rn. 16; v. Münch/Kunig/Aust Art. 87a Rn. 43; DFGH SicherheitsR-HdB/Weingärtner, § 53 Rn. 42 f.). Dem Wortlaut, der systematischen Stellung und dem Telos von Art. 87a II lässt sich keine Begrenzung auf Einsätze im Innern entnehmen (BeckOK GG/Epping Art. 87a Rn. 19; MKS/Müller-Franken Art. 87a Rn. 73; vgl. auch BVerwGE 127, 1 (11); aA HMPG/Herdegen, VerfassungsR-HdB, § 27 Rn. 83; Sachs/Kokott/Hummel Art. 87a Rn. 14; offengelassen in BVerfGE 90, 286 (355 f.); 115, 118 (142); 132, 1 (9)). Vom Einsatzbegriff des Art. 87a II grds. erfasst werden daher auch Maßnahmen der kollektiven Selbstverteidigung nach Art. 51 SVN, militärische Zwangsmaßnahmen gem. Art. 42 SVN sowie Militäraktionen zum Schutz von deutschen Staatsangehörigen im Ausland (Umbach/Clemens/Hillgruber Art. 87a Rn. 30d ff.). Eine andere Frage ist, ob diese Einsätze auch der „Verteidigung“ iSd Art. 87a II dienen (Rn. 9 ff.). Die Frage, ob eine Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Unternehmungen besteht, ist gerichtlich voll überprüfbar (BVerfGE 121, 135 (168 f.)). Einfachgesetzlich wird der Einsatz in § 2 I ParlamentsbeteiligungsG (BGBl. 2005 I 775) definiert; ein 2016 eingebrachter Änderungsentwurf zum Einsatzbegriff (vgl. BT-Drs. 18/7360, 5 f.) ist nicht weiterverfolgt worden.

Die Aufgabe der Streitkräfte bei einem Einsatz (Rn. 8) ist in Übereinstimmung mit dem allg. Friedensgebot (vgl. Art. 26) auf die Verteidigung beschränkt (BVerfGE 48, 127 (160)). Der Begriff der Verteidigung ist dabei nicht identisch mit der Definition des Verteidigungsfalls in Art. 115a I 1, der weitere staatsrechtliche Konsequenzen, vor allem den Übergang zur Notstandsverfassung, zeitigt. Art. 87a unterscheidet in seinen Abs. 2 und 3 feinsinnig zwischen „Verteidigung“ und „Verteidigungsfall“, was für einen weiten Verteidigungsbegriff spricht (v. Münch/Kunig/Aust Art. 87a Rn. 33; BeckOK GG/Epping Art. 87a Rn. 7). Gleichwohl muss der bewaffnete Angriff wegen des systematischen Zusammenhangs mit Art. 87a IV von außerhalb der Landesgrenzen kommen (Schmidt-Jortzig DÖV 2002, 773 (777); v. Münch/Kunig/Aust Art. 24 Rn. 34). Nicht entscheidend ist freilich, ob der Angriff unmittelbar von einem Staat ausgeht oder diesem nur mittelbar zurechenbar ist, etwa weil er den Aufenthalt bewaffneter irregulärer Gruppen auf seinem Staatsgebiet duldet oder aktiv unterstützt (Oellers-Frahm ZEuS 2007, 71 (84 f.); ähnl. Sachs/Kokott/Hummel Art. 87a Rn. 17 ff.). Für sich genommen – also ohne jegliches staatliches Zurechnungssubjekt – können nichtstaatliche Organisationen jedoch nicht Angreifer iSd Art. 87a II sein, und zwar auch dann nicht, wenn sie über eine dem Staat vergleichbare Organisations- und Operationsstruktur verfügen (HStR XI/Fassbender § 244 Rn. 52 ff.; SHH/Krieger Art. 87a Rn. 13; DFGH SicherheitsR-HdB/Weingärtner, § 52 Rn. 40; aA BeckOK GG/Epping Art. 87a Rn. 11; DHS/Depenheuer Art. 87a Rn. 52; zu Status und Struktur der Terrororganisation IS vgl. Tomuschat Die Friedens-Warte 90 [2015], 223 ff.). Über die Landesverteidigung hinaus erfasst Verteidigung iSd Art. 87a II auch die Bündnisverteidigung gem. Art. 5 NATO-Vertrag sowie die individuelle und kollektive Selbstverteidigung gem. Art. 51 SVN (BVerwGE 127, 1 (11); 127, 302 (312)); dies gebietet eine völkerrechtskonforme Auslegung (BK/Tomuschat, Erstkomm., Art. 24 Rn. 173; vgl. auch BVerfGE 121, 135 (156 f.)). Nicht mehr mit dem Begriff der Verteidigung vereinbaren lassen sich dagegen militärische Zwangsmaßnahmen nach Art. 42 SVN und humanitäre Interventionen oder Rettungsoperationen (MKS/Müller-Franken Art. 87a Rn. 48, 54), selbst wenn sie völkerrechtsgemäß sein sollten. Friedenserhaltende Blauhelmmissionen oder anderweitige Aufgabenerfüllung im Rahmen der VN dienen erst recht nicht der Verteidigung (Jarass/Pieroth/Kment Art. 87a Rn. 12). Dies gilt grds. auch für die vom UN-Sicherheitsrat mandatierte Bekämpfung der Seepiraterie. In den letztgenannten Fällen kommt aber eine ausdrückliche Zulassung des Streitkräfteeinsatzes durch das GG in Betracht (Rn. 10).

Eine ausdrückliche Zulassung des Streitkräfteeinsatzes zu anderen Zwecken als der Verteidigung findet sich in Art. 35 II, III, 87a III, IV, die jedoch allesamt auf das Inland bezogen sind (Umbach/Clemens/Hillgruber Art. 87a Rn. 30 ff.; zum LuftSiG vgl. BVerfGE 115, 118 (141 f.); 132, 1 (9 f.)). Darüber hinaus enthält Art. 24 II eine eigenständige, dem Verteidigungsvorbehalt des Art. 87a II nicht unterliegende Einsatzermächtigung für eine Verwendung der Streitkräfte zu Einsätzen, die im Rahmen und nach den Regeln der VN und der NATO als Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit stattfinden (BVerfGE 90, 286 (349 f.); 104, 151 (195); 121, 135 (156 ff.); 123, 267 (360); BVerwGE 103, 361 (363 f.); 127, 1 (12); 127, 302 (312 f.); Art. 24 Rn. 22). Unter diesen Voraussetzungen sind auch nicht der Verteidigung dienende Einsätze wie etwa die Mitwirkung an friedenssichernden oder friedensschaffenden Operationen der VN – einschließlich der Pirateriebekämpfung durch die mandatierte Operation Atalanta – verfassungsgemäß (Sachs/Kokott/Hummel Art. 87a Rn. 15, 31 ff.; BeckOK GG/Epping Art. 87a Rn. 8 f.; Schmahl AöR 136 [2011], 44 (83 f.)). Selbst wenn eine Resolution des UN-Sicherheitsrates nicht zustande kommt, wird man den handelnden Sicherheitssystemen (insbes. NATO), denen sich die Bundesrepublik eingeordnet hat, jedenfalls nicht grds. den Friedenswahrungszweck absprechen können (E. Klein FS Bothe, 2008, 157 (172 f.)). Erst recht bestehen keine Bedenken an der Verfassungskonformität eines Streitkräfteeinsatzes, wenn dieser in Wahrnehmung des kollektiven Selbstverteidigungsrechts nach Art. 51 SVN von einer Sicherheitsratsresolution umfasst ist, wie dies bei der deutschen Beteiligung am Kampf gegen die Terrororganisation IS in Teilen des Irak und Syriens der Fall ist. Unbeschadet der Frage, ob insoweit auch Art. 87a II einschlägig ist (bejahend SHH/Krieger Art. 87a Rn. 14), erfolgt ein solches Vorgehen jedenfalls im Rahmen und nach den Regeln der VN iSd Art. 24 II (Art. 24 Rn. 22). Darüber hinaus bietet auch die Beistandsklausel des Art. 42 VII UAbs. 1 S. 1 EUV eine tragfähige Grundlage für den Einsatz deutscher Streitkräfte nach Maßgabe des Art. 24 II (Art. 24 Rn. 20).

Die einseitige militärische Evakuierung deutscher und ausländischer Staatsangehöriger aus Drittstaaten ist hingegen de constitutione lata problematisch. Obwohl auf Art. 87a II gestützt, war die „Operation Libelle“ in Albanien aus dem Jahr 1997 nicht nur wegen ihrer Unilateralität (Art. 24 Rn. 22), sondern auch mangels Vorliegens einer Landesverteidigung gegen Angriffe von außen fragwürdig (Dreier Macht und Ohnmacht des Grundgesetzes/Schmahl, 2009, 107 (124 f.); positiver Kreß ZaöRV 57 [1997], 329 (330 ff.)). Entspr. gilt für die „Operation Pegasus“, durch die im Frühjahr 2011 deutsche und ausländische Staatsbürger unter Beteiligung deutscher Streitkräfte aus Libyen ausgeflogen wurden, zumal eine Zustimmung des BT hierzu nicht vorlag (Payandeh DVBl 2011, 1325 ff.; Ehlers u. a. Rechtsfragen des int. Rohstoffhandels/Schmahl, 2012, 213 (233 f.)). Das BVerfG hat die Frage der materiell-rechtlichen Zulässigkeit des Evakuierungseinsatzes in Libyen offengelassen (BVerfGE 140, 160 (188 f.)); es erklärte allerdings die parlamentarische Zustimmung aufgrund der Unmöglichkeit der parlamentarischen Befassung im Rahmen eines bereits beendeten Einsatzes der Streitkräfte für entbehrlich (BVerfGE 140, 160 (199 ff.); Rn. 13) und akzeptierte damit wohl inzident die Zulässigkeit dieses unilateralen Einsatzes (Neubert DÖV 2017, 141 (147); Kleinlein AöR 142 [2017], 43 (58)). Dessen ungeachtet bleibt misslich, dass es an einer expliziten Erlaubnisnorm für derartige militärische Evakuierungseinsätze zugunsten deutscher – und im Verbund auch ausländischer – Staatsangehöriger fehlt, obwohl sie völkerrechtlich durchaus statthaft sein können (v. Münch/Kunig/Aust Art. 24 Rn. 50). Dies gilt vor allem bei Einsätzen in „failed/failing States“, wo eine Zustimmung des betroffenen Staates zur Rettungsaktion (vgl. Nolte, Eingreifen auf Einladung, 1999, 261 ff.) typischerweise nicht vorliegt, die Schutzpflichtendimension aus Art. 2 II sowie die grds. Sicherheitsverantwortung der Bundesrepublik aber für einen Rettungseinsatz streiten (Barth/Drohla GSZ 2021, 232 (234 ff.)). Seit der Rettungsaktion deutscher Staatsangehöriger und afghanischer Ortskräfte aus Kabul im August 2021 (BT-Drs. 19/32022, 1) wird auf dieses verfassungsrechtliche Defizit erneut nachdrücklich hingewiesen (Fuchs DVBl. 2022, 343 ff.; B. Walter DÖV 2022, 357 (361 ff.); B. Walter DVBl 2023, 390 (397 f.); aA Schäfer DVBl 2022, 689 ff.). Eine Änderung des GG, die derartige Rettungsoperationen auf eine sichere verfassungsrechtliche Grundlage stellt, erscheint geboten.

2. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt

Ob deutsche Streitkräfte eingesetzt werden, ist zunächst eine Entscheidung der BReg, die – als Kollegialorgan (Sachs JuS 2016, 94 (96)) – allein initiativberechtigt ist (BVerfGE 90, 286 (389); 121, 135 (160 f.)). Jedem militärischen Einsatz der Streitkräfte, dh bei ihrer Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen (BVerfGE 108, 34 (43); 121, 135 (164); 123, 267 (422); 132, 1 (20)), muss aber das Parlament im Einzelfall vorher zustimmen, und zwar durch einen in den Ausschüssen und im Plenum erörterten Beschluss gem. Art. 42 II (BVerfGE 90, 286 (387 f.); 121, 135 (153 ff., 167)) oder durch ein Gesetz. Ein erneuter Zustimmungsbeschluss ist bei Wegfall der ursprünglichen Einsatzvoraussetzungen erforderlich (BVerfGE 124, 267 (276 ff.), insbes. 280: „Evidenzmaßstab“). Dieses verfassungsgerichtlich entwickelte Zustimmungsgebot leitet sich weniger aus deutscher Verfassungstradition (zutr. BeckOK GG/Epping Art. 87a Rn. 25), denn vielmehr aus einer Zusammenschau der Art. 115a V, 115b, 115l III, 87a III und 45a, b her. Mittlerweile dürfte der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt sogar Verfassungsgewohnheitsrecht reflektieren (Paulus/Jacobs Die Friedenswarte 87 [2012], 23 (35)). Damit gilt der Parlamentsvorbehalt nicht nur im Fall der Erklärung des Verteidigungsfalls (Art. 115a), sondern bei jedem militärischen Einsatz der Streitkräfte, unabhängig von dessen materiell-rechtlicher Grundlage (BVerfGE 140, 160 (188)), und folglich zB bei Einsätzen im Rahmen der NATO oder der VN sowie bei (verfassungsrechtlich problematischen, Rn. 11) unilateralen Evakuierungsoperationen (BVerfGE 90, 286 (388); 104, 151 (208); 108, 34 (42 f.); 121, 135 (154); 126, 55 (69 f.); 140, 160 (188)). Auch für Cybereinsätze der Streitkräfte dürfte grds. das parlamentarische Zustimmungserfordernis bestehen; Geheimhaltungsinteressen und Effizienz der Einsatzplanung wiegen jedenfalls nicht generell schwerer als das Erfordernis effektiver parlamentarischer Beteiligung (Marxsen JZ 2017, 543 (551)). Ein Verstoß gegen Art. 87a II durch einen Einsatz der Streitkräfte, der nicht der Verteidigung dient und auch sonst nicht im GG ausdrücklich zugelassen ist, wird durch eine vorherige Zustimmung des BT allerdings nicht legitimiert (BVerfGE 126, 55 (69)). Der ungeschriebene allg. Parlamentsvorbehalt gilt nur für Auslands-, nicht aber für Inlandseinsätze (BVerfGE 126, 55 (68 ff.); vgl. auch BVerfGE 121, 135 (153 f.)). Das Verfahren ist – auf Anregung des BVerfG (BVerfGE 90, 286 (389)) – im ParlamentsbeteiligungsG (Rn. 8) geregelt. Eine durch die sog. Rühe-Kommission angeregte Reform zur Stärkung der Mitwirkungs- und Informationsrechte des BT bei Auslandseinsätzen von bewaffneten Streitkräften (BT-Drs. 18/5000) ist trotz Vorliegens eines entspr. Gesetzesentwurfs (vgl. BT-Drs. 18/7360) nicht weiterverfolgt worden.

Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt erfüllt die Funktionen eines Politik-, Verantwortungs-, Legitimations- und Einzelfallvorbehalts (Hufeld AVR 57 [2019], 383 (405 ff.)). Nach Ansicht des BVerfG stellt er ein wesentliches Korrektiv für die Grenzen der parlamentarischen Verantwortungsübernahme im Bereich der auswärtigen Sicherheitspolitik dar und ist damit weit und parlamentsfreundlich auszulegen (BVerfGE 121, 135 (162); 126, 55 (72)). Dies gelte umso mehr, als der Parlamentsvorbehalt ein prägender Teil der grundgesetzlichen Gewaltenteilung sei (BVerfGE 140, 160 (189)). Bei Gefahr im Verzug kann die BReg zwar vorläufig selbst entscheiden, muss aber umgehend den BT für eine endgültige Entscheidung einschalten (BVerfGE 90, 286 (388); 108, 34 (44 f.); 121, 135 (154); 123, 267 (423); 140, 160 (195); vgl. auch § 5 ParlBG). Ein pauschaler Verweis der BReg auf „Bündnisroutine“ genügt nicht, um von der Zustimmung des BT abzusehen (BVerfGE 121, 135 (163)). Auch kommt der BReg hinsichtlich des Vorliegens von Gefahr im Verzug grds. kein alleiniger Einschätzungsspielraum zu (BVerfGE 140, 160 (197 f.)). Ausnahmsweise kann aber eine nachträgliche Beteiligung des BT bei abgeschlossenen Einsätzen aufgrund einer Eilentscheidung dann unterbleiben, wenn der Einsatz bereits bei einer frühestmöglichen Befassung des Parlamentes beendet ist und somit eine parlamentarische Einflussnahme im konkreten Einsatz nicht mehr möglich erscheint (BVerfGE 140, 160 (200 f.); krit. Sauer JZ 2016, 46 (49 f.); Kleinlein AöR 142 [2017], 43 (72 f.)). Insoweit verwandelt sich die Beteiligungspflicht des Parlaments in ein unverzügliches und qualifiziertes Unterrichtungserfordernis durch die BReg (BVerfGE 140, 160 (202 f.)). Diese kompensatorische Unterrichtungspflicht besteht allerdings nicht nur nach, sondern bereits vor der Eilentscheidung (BVerfGE 140, 160 (196)). Eine weitergehende Unterrichtungspflicht für Maßnahmen der GASP und GSVP kann sich aus Art. 23 II, III ergeben; diese lässt die Voraussetzungen des Art. 87a III und den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt unberührt (BVerfGE 163, 298 (346 f.); Art. 23 Rn. 41).

Des Weiteren besteht eine enge Verbindung zwischen Demokratieprinzip und Parlamentsvorbehalt für den Streitkräfteeinsatz (SHH/Krieger Art. 87a Rn. 33; Ley AöR 146 [2021], 299 (307)). Da jeder Einsatz der Streitkräfte ein Eskalations- oder Verstrickungspotential birgt und individuelle Rechtsgüter der Soldaten gefährdet, gebietet die Wesentlichkeitstheorie eine Befassung des Parlaments (BVerfGE 121, 135 (161 ff.); 123, 267 (360 f.)). Nach Ansicht des BVerfG stehen Regierung und Parlament beim wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt in einem „Entscheidungsverbund“ (BVerfGE 140, 160 (189, 194); Krieger JZ 2022, 1013 (1016)). Selbst wenn die EU zu einem genuinen Verteidigungsbündnis ausgebaut würde (vgl. Art. 42 II EUV, Art. 24 Rn. 20), ist eine Supranationalisierung mit Anwendungsvorrang im Blick auf den konkreten Einsatz deutscher Streitkräfte nicht zulässig. Der konstitutive Parlamentsvorbehalt für den Auslandseinsatz der Bundeswehr ist insoweit integrationsfest (BVerfGE 123, 267 (361, 423); vgl. auch BVerfGE 152, 8 (33)). Er darf auch nicht aufgrund von sekundärrechtlich begründeten Handlungspflichten der Mitgliedstaaten oder durch eine ordentliche Vertragsänderung (Art. 48 II-V EUV) umgangen werden. Die Bundesrepublik dürfte sich von Verfassungs wegen an einer solchen Vertragsänderung nicht beteiligen (BVerfGE 123, 267 (424 ff.)). Dem widerspricht allerdings nicht, dass die EU im Blick auf die – lediglich intergouvernemental ausgerichtete – Beistandsklausel des Art. 42 VII UAbs. 1 S. 1 EUV bereits heute ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit iSd Art. 24 II darstellt (Art. 24 Rn. 20).

IV. Einsatz der Streitkräfte im äußeren Notstand

Nach Art. 87a III werden die Aufgaben und Befugnisse der Streitkräfte im Spannungsfall (Art. 80a) oder im Verteidigungsfall (Art. 115a) – nicht aber im Zustimmungs- oder Bündnisfall! – erweitert (Jarass/Pieroth/Kment Art. 87a Rn. 16). Gem. Art. 87a III 1 haben die Streitkräfte die Kompetenz, zivile, dh nichtmilitärische Objekte (MKS/Müller-Franken Art. 87a Rn. 128) vor Angriffen durch nichtkombattante Störer zu schützen (bei einem Angriff durch Kombattanten folgt die Befugnis der Streitkräfte aus Art. 87a II) und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrzunehmen (DFGH SicherheitsR-HdB/Hoppe/Risse, § 3 Rn. 105). Allerdings muss die Wahrnehmung der in Art. 87a III 1 genannten Befugnisse für die Erfüllung der eigentlichen Aufgabe der Streitkräfte erforderlich sein, vgl. Art. 87a III 1 Hs. 2. Dies bewirkt eine Beschränkung auf verteidigungsrelevante zivile Objekte (Hömig/Wolff/Wolff Art. 87a Rn. 11 f.) und eine Bindung an den polizeirechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, nicht bloß an das Prinzip der Zweckdienlichkeit kriegsnotwendiger Mittel (BK/K. Ipsen Art. 87a Rn. 79 f.). Die Wertungen des humanitären Völkerrechts können allerdings bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe der polizeirechtlichen Regeln zu berücksichtigen sein, sofern es sich um einen bewaffneten Konflikt iSd Genfer Konventionen von 1949 handelt (SHH/Krieger Art. 87a Rn. 42; v. Münch/Kunig/Aust Art. 87a Rn. 66). Von dieser Zweckbeschränkung unabhängig kann nach Art. 87a III 2 den Streitkräften die Aufgabe übertragen werden, die Polizei beim Schutz beliebiger ziviler Objekte im Wege der Amtshilfe zu unterstützen. Einer Regelung durch gesondertes Gesetz bedarf es dazu nicht; einzelne Eingriffsmaßnahmen bedürfen aber auch hier einer konkreten Befugnisnorm (Dreier/Heun Art. 87a Rn. 26; Hömig/Wolff/Wolff Art. 87a Rn. 13), insbes. dann, wenn sie, was zulässig ist (BVerfGE 132, 1 (11); BVerwGE 160, 169 (175 ff.)), über die Handlungsoptionen der Polizeibehörden hinausgehen.

V. Einsatz der Streitkräfte im inneren Notstand

Art. 87a IV betrifft den Einsatz der Streitkräfte im inneren Notstand nach Art. 91 für den Fall, dass die Polizeikräfte der Länder und des Bundes zur Abwehr der Gefahr nicht ausreichen (zum ultima ratio-Charakter der Norm Bäumerich/Schneider NVwZ 2017, 189 (192)). Die in Art. 87a IV 1 genannten Voraussetzungen sind kumulativer Art und restriktiv zu verstehen (Stern/Sodan/Möstl/Schwarz § 23 Rn. 37; DHS/Depenheuer Art. 87a Rn. 175 f.; vgl. auch BVerfGE 132, 1 (16)). Denn zum einen geht es um die Wahrung bundesstaatlicher Kompetenzzuweisungen; zum anderen soll verhindert werden, dass die Befugnisse von Polizeibehörden und Militär miteinander vermengt werden (BVerfGE 90, 286 (386 f.); HStR III/Götz, 2. Aufl., § 79 Rn. 35). Nur bei einem inneren Notstand hat daher die BReg als Kollegialorgan die Kompetenz, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes (Bundespolizei) beim Schutz von zivilen Objekten (zB Versorgungsanlagen) und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einzusetzen; eine Beteiligung des Parlaments hat nicht zu erfolgen (Sachs/Kokott/Hummel Art. 87a Rn. 67; Froese DVBl 2017, 546 (548)). Durch Art. 87a IV 2, wonach BT und BR jederzeit die Einstellung des Streitkräfteeinsatzes verbindlich verlangen können, wird die parlamentarische Verantwortlichkeit aber gewahrt (Jarass/Pieroth/Kment Art. 87a Rn. 18). Außerdem findet bei Einsätzen der Streitkräfte im inneren Notstand grds. Polizeirecht (BVerfGE 115, 118 (146 ff.); Sachs/Kokott/Hummel Art. 87a Rn. 68) und nicht Kriegsvölkerrecht (so aber noch SHH/Ruge, 12. Aufl., Art. 87a Rn. 6) Anwendung. Anderes gilt nur in Ausnahmefällen, in denen die völkerrechtlichen Grundsätze eine Anwendung des „ius in bello“ gebieten, weil die Schwelle zum nicht-internationalen bewaffneten Konflikt überschritten ist (v. Münch/Kunig/Aust Art. 87a Rn. 75 ff.). Nach früherer Ansicht des BVerfG sprengte diese Situation den Rahmen des Art. 87a IV (BVerfGE 115, 118 (148); vgl. auch Dreier/Heun Art. 87a Rn. 32). Nach jüngerer Ansicht des BVerfG sollen die Streitkräfte aber weder bei Art. 35 II, III noch bei Art. 87a IV auf die polizeirechtlich zulässigen Einsatzmittel beschränkt sein (BVerfGE 132, 1 (11 ff.); 133, 241 (262); aA abw. Meinung in BVerfGE 132, 1 (24, 27 ff.)). Dabei entfaltet Art. 87a IV prinzipiell Sperrwirkung gegenüber einer Inanspruchnahme von Art. 35 II 2 und III (BVerfGE 132, 1 (17 f.); 133, 241 (262 f.)).