Art 91c [Informationstechnische Systeme]
(1) Bund und Länder können bei der Planung, der Errichtung und dem Betrieb der für ihre Aufgabenerfüllung benötigten informationstechnischen Systeme zusammenwirken.
(2) 1 Bund und Länder können auf Grund von Vereinbarungen die für die Kommunikation zwischen ihren informationstechnischen Systemen notwendigen Standards und Sicherheitsanforderungen festlegen. 2 Vereinbarungen über die Grundlagen der Zusammenarbeit nach Satz 1 können für einzelne nach Inhalt und Ausmaß bestimmte Aufgaben vorsehen, dass nähere Regelungen bei Zustimmung einer in der Vereinbarung zu bestimmenden qualifizierten Mehrheit für Bund und Länder in Kraft treten. 3 Sie bedürfen der Zustimmung des Bundestages und der Volksvertretungen der beteiligten Länder; das Recht zur Kündigung dieser Vereinbarungen kann nicht ausgeschlossen werden. 4 Die Vereinbarungen regeln auch die Kostentragung.
(3) Die Länder können darüber hinaus den gemeinschaftlichen Betrieb informationstechnischer Systeme sowie die Errichtung von dazu bestimmten Einrichtungen vereinbaren.
(4) 1 Der Bund errichtet zur Verbindung der informationstechnischen Netze des Bundes und der Länder ein Verbindungsnetz. 2 Das Nähere zur Errichtung und zum Betrieb des Verbindungsnetzes regelt ein Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates.
(5) Der übergreifende informationstechnische Zugang zu den Verwaltungsleistungen von Bund und Ländern wird durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates geregelt.
I. Grundentscheidung für eine föderale Kooperation (Abs. 1)
Art. 91c I trifft eine Grundentscheidung für das tatsächliche und rechtliche Zusammenwirken bei der Planung, Errichtung und dem Betrieb informationstechnischer Systeme, die sowohl die Kooperation zwischen dem Bund und den bzw. einzelnen Ländern, aber auch die bloße Länderebene umfasst (BT-Drs. 16/12410, 9). Informationstechnische Systeme iSd Art. 91c I sind die technischen Mittel zur Verarbeitung und Übertragung von Informationen (BT-Drs. 16/12410, 8). Die Vorschrift ist bewusst weit gefasst, um dem ständigen Fortschritt der Informationstechnik auch zukünftig Rechnung tragen zu können sowie eine Umsetzung zunehmender EU-Vorgaben im IT-Bereich zu ermöglichen (BT-Drs. 16/12410, 9). Die Formen der Zusammenarbeit sind im Einzelnen in Abs. 2–5 ausgeformt. Die Beteiligung ist freiwillig (BT-Drs. 16/12410, 9). Abw. gilt aber für das vom Bund zu errichtende Verbindungsnetzwerk (Abs. 4; Rn. 5) sowie für den erst durch die Föderalismusreform III (Vor Art. 104a Rn. 4) eingefügten Abs. 5 (Rn. 7). Der Umsetzung der durch § 91a I eröffneten Kooperationsmöglichkeiten dient der Vertrag über die Errichtung des IT-Planungsrats und über die Grundlagen der Zusammenarbeit beim Einsatz der Informationstechnologie in den Verwaltungen von Bund und Ländern – Vertrag zur Ausführung von Artikel 91c GG ( IT-Staatsvertrag, BGBl. I 663 v. 2.6.2010; BT-Drs. 17/427). In dessen Zentrum steht die Einrichtung eines IT-Planungsrates (§ 1 IT-Staatsvertrag), der bereits in den Gesetzesmaterialien zu Art. 91c vorgesehen war (BT-Drs. 16/12410, 9) und der die bisherige zerklüftete Gremienstruktur abgelöst hat. Um auch unterhalb des IT-Planungsrates eine dauerhafte Projektstruktur zu schaffen, hat die Novelle des Staatsvertrages von 2019 (BGBl. I 2852 v. 20.12.2019) die FITKO (Föderale IT-Kooperation) als gemeinsame Anstalt eingerichtet und die frühere Geschäftsstelle des IT-Plans aufgelöst (BT-Drs. 19/9737, 6). Zentrale Aufgabe der FITKO ist es, den IT-Planungsrat organisatorisch und fachlich zu unterstützen (§ 5 IT-Staatsvertrag).
II. Datenaustausch (Abs. 2)
Regelungsgegenstand des Art. 91c II 1 ist das Zusammenwirken auf dem Gebiet des Datenaustauschs durch die Festlegung der für die Kommunikation erforderlichen Standards und Sicherheitsanforderungen. Hierzu können zwischen den Beteiligten vertragliche Vereinbarungen über Interoperabilitätsstandards geschlossen werden, die die Datenformate sowie das Verfahren zur Datenübertragung betreffen (BT-Drs. 16/12410, 9). Nicht erfasst ist hingegen die Entscheidung, welche technischen Mittel für die Aufgabenwahrnehmung eingesetzt werden. Art. 91c II 2 ermöglicht, eine nach S. 1 getroffenen Vereinbarung durch Mehrheitsentscheidungen zu konkretisieren (sog. „Passarelle-Klausel“; Vor Art. 91a Rn. 3). Hierzu müssen in der einstimmig getroffenen Vereinbarung nach S. 1 Inhalt und Ausmaß der Konkretisierungskompetenzen geregelt sowie das Mehrheitsquorum bestimmt werden. Durch das Abrücken vom Einstimmigkeitserfordernis soll die bisherige informelle Koordinierung, die auf einer schwerfälligen Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners beruhte (Heckmann K&R 2009, 1 (2)), beschleunigt und die Verbindlichkeit der beschlossenen Standards sichergestellt werden (BT-Drs. 16/12410, 9). Art. 91c II 3 Hs. 1 macht die Wirksamkeit entspr. Vereinbarungen von einer parlamentarischen Zustimmung des jew. Rechtsträgers abhängig, um die Passarelle-Klausel demokratisch zu legitimieren. Dem Schutz der demokratischen Selbstbestimmung und der Eigenstaatlichkeit der Länder dient auch das in Art. 91c II 3 Hs. 2 festgeschriebene Kündigungsrecht (BeckOK GG/Suerbaum Art. 91c Rn. 16). Art. 91c II 4 stellt klar, dass kostenrelevante Fragen nicht ausgeklammert, sondern in der Vereinbarung selbst geregelt werden müssen. Die Verteilung der Kosten kann frei vereinbart werden (BeckOK GG/Suerbaum Art. 91c Rn. 17). Für die Finanzierung der FITKO (Rn. 2) orientiert sich § 9 IT-Staatsvertrag im Ausgangspunkt am Königsteiner Schlüssel (Art. 91b Rn. 8).
III. Länderzusammenarbeit (Abs. 3)
Die in Art. 91c III normierten Vereinbarungen zwischen den Ländern über den gemeinschaftlichen Betrieb informationstechnischer Systeme sowie die Errichtung von dazu bestimmten Einrichtungen haben allein deklaratorische Bedeutung, weil sie vor Inkrafttreten des Art. 91c schon auf Grundlage von Staatsverträgen zwischen den Ländern zulässig waren (Siegel NVwZ 2009, 1128 (1130); Vor Art. 91a Rn. 3). Die Anforderungen an nach Abs. 3 getroffene Vereinbarungen müssen sich nach dem jeweiligen Landesverfassungsrecht bestimmen (BeckOK GG/Suerbaum Art. 91c Rn. 18). Die Institutionen können auch als Organisationsformen des öffentlichen Rechts ohne Gebietshoheit gegründet werden. Dies zielt auf eine Vermeidung der Rechtsfolgen des europäischen Vergaberechts, die jedoch nicht gelingen kann, wenn der Organisationsakt von einem ausschreibepflichtigen Beschaffungsvorgang überlagert wird (Siegel NVwZ 2009, 1128 (1130); SHH/Ruge Art. 91c Rn. 40). Art. 91c III lässt die Option der Länder unberührt, im Rahmen ihrer Aufgaben auch in anderen Bereichen zusammenzuwirken (BT-Drs. 16/12410, 9).
IV. Verbindungsnetzwerk (Abs. 4)
Art. 91c IV 1 weist dem Bund die Aufgabe zu, ein Verbindungsnetz, dh eine Plattform für den bund-/länderübergreifenden Datenaustausch, zu errichten und zu betreiben (BT-Drs. 16/12410, 9). Damit wird eine neue obligatorische unmittelbare Bundesverwaltungskompetenz begründet (Jarass/Pieroth/Kment Art. 91c Rn. 5). Das Verbindungsnetz steht nicht nur für die Verwaltungszusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, sondern auch dem länderübergreifenden Datenaustausch offen. Zudem soll es die Verbindung der deutschen Verwaltungsnetze mit den Netzen der EU sicherstellen (BT-Drs. 16/12410, 9 f.). Art. 91c IV 1 ist für den Betrieb des Verbindungsnetzes lex specialis zu Art. 83 ff. Die Kosten für die Errichtung und den Betrieb des Netzes hat der Bund gem. Art. 104a I zu tragen, die Anschlusskosten dagegen der Träger des angeschlossenen Netzes zu übernehmen (BT-Drs. 16/12410, 10).
Als lex specialis zu Art. 70 ff. weist Art. 91c IV 2 dem Bund die ausschließliche (BT-Drs. 16/12410, 10), an die Zustimmung des BRats gebundene Gesetzgebungskompetenz zu, Errichtung und Betrieb des Netzes im Einzelnen zu regeln. Die Zustimmungsbedürftigkeit soll die Berücksichtigung der Länderinteressen und deren Verwaltungskompetenzen hinsichtlich ihrer Landesnetze sicherstellen (BT-Drs. 16/12410, 21). Planung und Nutzung des Verbindungsnetzes bleiben dagegen nach Abs. 1 und 2 zu treffenden Vereinbarungen den Beteiligten vorbehalten (BeckOK GG/Suerbaum Art. 91c Rn. 21). Von der ihm durch Abs. 4 eingeräumten Kompetenz hat der Bund durch das IT-NetzG v. 10.8.2009 Gebrauch gemacht (BGBl. 2009 I 2706). Informationstechnische Netze sind in § 2 I IT-NetzG als die Gesamtheit von Übertragungssystemen, Vermittlungs- und Leitwegeinrichtungen sowie anderweitigen Ressourcen legaldefiniert, die die Übertragung von Signalen ermöglichen. Ausgenommen sind Telemedien, Rundfunk sowie Sprechfunk- und Telefonnetze. Die Aufgabe des in § 1 II IT-NetzG vorgesehenen Koordinierungsgremiums übernimmt nach Maßgabe des § 1 III IT-NetzG der IT-Planungsrat (Rn. 3).
V. Informationstechnischer Zugang zu Verwaltungsleistungen (Abs. 5)
Abs. 5 ist im Zuge der Föderalismusreform III (Vor Art. 104a Rn. 4) eingefügt worden. Nach der Vorschrift wird der übergreifende informationstechnische Zugang zu den Verwaltungsleistungen von Bund und Ländern durch ein mit Zustimmung des BRats zu erlassendes Bundesgesetz geregelt. Dies begründet einen Verfassungsauftrag, Verwaltungsleistungen des Bundes und der Länder auch elektronisch bereitzustellen und diese übergreifend, dh auch außerhalb des eigenen Verwaltungsportals online erreichbar zu machen (Guckelberger VVDStRL 78 (2019), 235 (254 f.); BeckOK GG/Suerbaum Art. 91c Rn. 31; s. BT-Drs. 18/11131, 16). Der übergreifende informationstechnische Zugang zwingt also zu einer umfassenden Online-Verfügbarkeit und damit faktisch zur Digitalisierung von Verwaltungsleistungen im Staat-Bürger-Verhältnis (Herrmann/Stüber NVwZ 2017, 1401 (1402 f.); iE auch Sachs/Siekmann Art. 91c Rn. 30; aA SHH/Ruge Art. 91c Rn. 48; v. Münch/Kunig/Martini Art. 91c Rn. 57 ff.).
Der Wortlaut der Vorschrift lässt auch eine deutlich engere Lesart zu. Demnach beschränkt sich der übergreifende informationstechnische Zugang darauf, bestehende Angebote zusammenzuführen, begründet aber keine Verpflichtung, elektronische Angebote zu schaffen (Martini DÖV 2017, 443 (449)). In diese Richtung deutet der Beschluss der Konferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs von Bund und Ländern vom 14.10.2016 (Presse- und Informationsamt der BReg, Pressemitteilung 369/2016). Dass der verfassungsändernde Gesetzgeber hierüber hinausgehen wollte, ergibt sich aber aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/11131, 16: „Die Gesetzgebungsbefugnis umfasst die Errichtung dieses Portalverbundes und die grundsätzliche Pflicht zur auch elektronischen Bereitstellung von Verwaltungsleistungen des Bundes und der Länder über ihre jeweiligen Verwaltungsportale und deren Verknüpfung zu dem deutschlandweiten Portalverbund.“) sowie aus dem Regelungszusammenhang zu dem parallel beschlossenen Onlinezugangsgesetz (OZG) v. 14.8.2017 (Herrmann/Stüber NVwZ 2017, 1401 (1404 ff.); BeckOK GG/Suerbaum Art. 91c Rn. 27), das der Umsetzung des Art. 91c V dient. Nach § 1 I OZG sind Bund und Länder verpflichtet, bis spätestens zum Ablauf des fünften auf die Verkündung dieses Gesetzes folgenden Kalenderjahres ihre Verwaltungsleistungen auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten. Als Teil der Landesverwaltung gilt die Verpflichtung auch für die kommunale Ebene (BT-Drs. 18/11131, 16; Herrmann/Stöber NVwZ 2017, 1401 (1403); aA SHH/Ruge Art. 91c Rn. 53). Die kommunale Ebene auszunehmen, würde das Regelungsziel des Portalverbundes verfehlen, „den übergreifenden informationstechnischen Zugang zu den Verwaltungsleistungen von Bund und Ländern (einschließlich Kommunen) zu ermöglichen“ (BT-Drs. 18/11131, 16; s. auch Peuker DÖV 2022, 275 (276)).
Die dem Bund nach Abs. 5 eingeräumte Gesetzgebungsbefugnis reicht sehr weit. Sie umfasst die Errichtung des Portalverbundes, die grundsätzliche Pflicht zur auch elektronischen Bereitstellung von Verwaltungsleistungen des Bundes und der Länder über ihre jeweiligen Verwaltungsportale, deren Verknüpfung zu dem deutschlandweiten Portalverbund, die Kostentragung für die Schnittstellen sowie einheitliche Vorgaben für IT-Anwendungen, die Kommunikation und die Sicherheit (BT-Drs. 18/11131, 17).
Unberührt bleiben die bereits bestehenden Gesetzgebungskompetenzen des Bundes nach Art. 84 I, 85 I für die elektronische Abwicklung von Verwaltungsverfahren, die der Ausführung von Bundesgesetzen dienen (BT-Drs. 18/11131, 17). Soweit der Bundesgesetzgeber untätig bleibt, steht weiterhin der Weg offen, die Digitalisierung der Verwaltung und die Vereinheitlichung informationstechnischer Standards im Wege der Verwaltungszusammenarbeit, insbes. im Rahmen des IT-Planungsrates, voranzutreiben (BT-Drs. 18/11131, 17).
Art. 91c hat 2009 mit der Föderalismusreform II (Vor Art. 91a Rn. 7; Vor Art. 104a Rn. 4) Eingang in das GG gefunden. Ziel der Neuregelung ist die Verbesserung der föderalen Zusammenarbeit bei der Nutzung informationstechnischer Systeme sowie beim Datenaustausch (BT-Drs. 16/12140, 7). Damit sollen bestehende Inkompatibilitäten der verwendeten Systeme und Koordinationsdefizite im föderalen System (Heckmann K&R 2009, 1) überwunden werden. Grundidee ist es, die IT der öffentlichen Verwaltung als Infrastruktur zu begreifen und diese auch unabhängig von einzelnen Fachaufgaben gemeinsam weiterzuentwickeln (BT-Drs. 16/12410, 8). Art. 91c ist lex specialis zu Art. 30, 83 ff. und 104a I (BeckOK GG/Suerbaum Art. 91c Rn. 8). Abs. 5 wurde mit Wirkung zum 20.7.2017 durch die Föderalismusreform III (Vor Art. 104a Rn. 4) eingefügt.