Artikel 126 [Streit über das Fortgelten des alten Rechts]
Meinungsverschiedenheiten über das Fortgelten von Recht als Bundesrecht entscheidet das Bundesverfassungsgericht.
I. Allgemeines
Zusammen mit §§ 86–89 BVerfGG regelt Art. 126 das sog. Normenqualifizierungsverfahren, das Art. 124 und Art. 125 in verfahrensrechtlicher Hinsicht ergänzt. In diesem Verfahren entscheidet das BVerfG darüber, ob Recht, welches nach Art. 123 fortgilt, als Bundesrecht zu qualifizieren ist. Streitgegenstand ist also die Frage nach dem Bundesrechtsrang einer fortgeltenden Norm, nicht dagegen, ob vorkonstitutionelles Recht überhaupt fortgilt (BVerfGE 3, 357 (358)). Letzteres kann das BVerfG lediglich als Vorfrage mitentscheiden (BVerfGE 4, 214 (216)). Keine Entscheidung trifft das BVerfG darüber, ob eine Norm als Landesrecht fortgilt oder welchen Rang eine als Bundesrecht fortgeltende Norm innerhalb des Bundesrechts einnimmt.
Nicht anwendbar ist Art. 126 auf die Fortgeltungsanordnungen der Art. 125a–125c, obwohl Wortlaut und systematische Stellung in diese Richtung deuten (SHH/Hopfauf Art. 126 Rn. 7; teilw. aA Hömig/Wolff/Antoni Art. 126 Rn. 1). Art. 126 trägt dem Umstand Rechnung, dass verschiedene Normen über Fortgelten (Art. 123) und Rang (Art. 124, 125) einer vorkonstitutionellen Norm entscheiden und so Meinungsverschiedenheiten über den (Bundesrechts-)Rang einer fortgeltenden Norm entstehen können. Gilt eine Norm dagegen gem. Art. 125a–125c fort, so ergibt sich ihr Rang unmittelbar aus dem Gesetz. Er ist mit dem bisherigen Rang der Norm identisch.
II. Abstraktes Normenqualifizierungsverfahren
§ 86 BVerfGG unterscheidet das abstrakte und das konkrete Normenqualifizierungsverfahren. Das abstrakte Normenqualifizierungsverfahren (§ 86 I BVerfGG) ist ein Antragsverfahren. Bestehen Meinungsverschiedenheiten über das Fortgelten von Recht als Bundesrecht, können BT, BR, BReg und die Landesregierungen unabhängig von einem konkreten Gerichtsverfahren eine Entscheidung des BVerfG herbeiführen. Mit dem Begriff der Meinungsverschiedenheiten bezeichnet der Gesetzgeber Rechtszweifel über den Bundesrechtsrang einer fortgeltenden Norm. Solche Rechtszweifel können zB durch abweichende Auffassungen in Wissenschaft und Rspr. hervorgerufen werden. Handelt es sich bei dem Antragsteller nicht um den BT, ist der Antrag nur zulässig, wenn von der Entscheidung des BVerfG die Zulässigkeit einer konkreten Maßnahme abhängt, § 87 I BVerfGG. Das Vorliegen dieser erschwerenden Voraussetzung muss der Begründung des Antrags dann zu entnehmen sein (§ 87 II BVerfGG).
III. Konkretes Normenqualifizierungsverfahren
Das konkrete Normenqualifizierungsverfahren (§ 86 II BVerfGG) ist ein Vorlageverfahren und setzt als solches ein anhängiges Gerichtsverfahren voraus. Ist dort str. und erheblich, ob ein Gesetz als Bundesrecht fortgilt, so ist das Ausgangsgericht berechtigt und verpflichtet, die Entscheidung des BVerfG einzuholen (§ 86 II BVerfGG). Str. ist der Bundesrechtsrang, wenn das vorlegende Gericht von sich aus ernstliche Zweifel hegt oder wenn es nicht entscheiden kann, ohne sich zu einer beachtlichen Meinung im Schrifttum oder eines Staatsorgans in Widerspruch zu setzen (BVerfGE 4, 358 (369 f.); 7, 18 (23 f.)). Erheblich ist der Bundesrechtsrang, wenn der Ausgang des Rechtsstreits davon abhängt, ob die anzuwendende Norm als Bundesrecht fortgilt (BVerfGE 2, 341 (346)). Das Vorliegen dieser Voraussetzung beurteilt das BVerfG auf Grundlage der Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts, es sei denn, diese ist offensichtlich unhaltbar.