Artikel 115l [Aufhebung von Maßnahmen und Beendigung des Verteidigungsfalls]
(1) 1 Der Bundestag kann jederzeit mit Zustimmung des Bundesrates Gesetze des Gemeinsamen Ausschusses aufheben. 2 Der Bundesrat kann verlangen, daß der Bundestag hierüber beschließt. 3 Sonstige zur Abwehr der Gefahr getroffene Maßnahmen des Gemeinsamen Ausschusses oder der Bundesregierung sind aufzuheben, wenn der Bundestag und der Bundesrat es beschließen.
(2) 1 Der Bundestag kann mit Zustimmung des Bundesrates jederzeit durch einen vom Bundespräsidenten zu verkündenden Beschluß den Verteidigungsfall für beendet erklären. 2 Der Bundesrat kann verlangen, daß der Bundestag hierüber beschließt. 3 Der Verteidigungsfall ist unverzüglich für beendet zu erklären, wenn die Voraussetzungen für seine Feststellung nicht mehr gegeben sind.
(3) Über den Friedensschluß wird durch Bundesgesetz entschieden.
I. Bedeutung der Norm
Art. 115l befasst sich mit der Aufhebung von Notstandsmaßnahmen und der Beendigung des Verteidigungsfalls. In dieser Norm kommt das Grundprinzip der Notstandsverfassung zum Ausdruck, den Ausnahmezustand schnellstmöglich wieder in den Normalzustand zurückzuführen (v. Münch/Kunig/Versteyl/Fremuth Art. 115l Rn. 1).
II. Aufhebung von Notstandsmaßnahmen
Art. 115l I geht davon aus, dass die Entscheidungen der beiden Gesetzgebungsorgane BT und BR Vorrang vor den Notgesetzen des GA haben (SHH/Wittenberg Art. 115l Rn. 4). Letztere können daher jederzeit – einzeln oder in Gesamtheit – vom BT mit Zustimmung des BR aufgehoben werden. Durch den Aufhebungsbeschluss wird das betr. Gesetz unmittelbar außer Kraft gesetzt (MKS/Grote Art. 115l Rn. 5). Voraussetzung ist die übereinstimmende Beschlussfassung in beiden Verfassungsorganen; fehlt es hieran, kann eine Aufhebung nicht erfolgen (MKS/Grote Art. 115l Rn. 4; aA wohl v. Münch/Kunig/Versteyl/Fremuth Art. 115k Rn. 3). Der BR kann nach Art. 115l I 2 eine entspr. Beschlussfassung fordern, nicht jedoch eine bestimmte Sachentscheidung erzwingen (SHH/Wittenberg Art. 115l Rn. 5). Im Übrigen sind BT und BR nach Art. 115l I nicht verpflichtet, die vom GA beschlossenen Gesetze aufzuheben (Dreier/Heun Art. 115l Rn. 6). Fassen sie keine entspr. Beschlüsse, treten die vom GA erlassenen Gesetze nach Maßgabe des Art. 115k II außer Kraft, es sei denn, sie werden im üblichen Gesetzgebungsverfahren beschlossen (v. Münch/Kunig/Versteyl/Fremuth Art. 115k Rn. 2).
Nach Art. 115l I 3 sind auch sonstige zur Abwehr der Gefahr getroffene Maßnahmen des GA und der BReg aufzuheben, wenn BT und BR dies beschließen. Maßnahmen sind alle Handlungen unterhalb der Gesetzgebung, also RVOen, Verwaltungsvorschriften und Maßnahmen gem. Art. 115f I (Sachs/Robbers Art. 115l Rn. 6). Entgegen der missverständlichen Formulierung (DHS/Herzog Art. 115l Rn. 16) sind nicht nur Maßnahmen zur Gefahrenabwehr ieS gemeint, sondern all jene, die in der Bewältigung des Verteidigungsfalls ihren Grund haben (Sachs/Robbers Art. 115l Rn. 5). Im Unterschied zu Art. 115 I 1 bewirkt nach dem Wortlaut von S. 3 der Aufhebungsbeschluss nicht unmittelbar die Außerkraftsetzung der betroffenen Maßnahmen. Der GA und die BReg werden hierzu nur verpflichtet. Im Blick auf Maßnahmen der BReg ist dies wegen des Prinzips der Gewaltenteilung folgerichtig. Dies gilt aber nicht im Blick auf den GA, da dessen Handlungskompetenz als Notparlament nach der wiedererlangten Handlungsfähigkeit des BT endet (SHH/Wittenberg Art. 115l Rn. 8). Daher ist Art. 115l I 3 berichtigend dahin auszulegen, dass Maßnahmen des GA durch den Aufhebungsbeschluss unmittelbar aufgehoben werden (MKS/Grote Art. 115l Rn. 8).
III. Beendigung des Verteidigungsfalls
Die Beendigung des Verteidigungsfalls kann auf zweierlei Weise geschehen: Nach Art. 115l II 3 ist der Verteidigungsfall unverzüglich für beendet zu erklären, wenn seine in Art. 115a I festgeschriebenen Voraussetzungen entfallen. Es besteht also eine Pflicht zur Feststellung der Beendigung, sobald die Voraussetzungen für den Gefahrenzustand nicht mehr bestehen (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 115l Rn. 2). Zuständig für den Aufhebungsbeschluss ist der BT, der hierfür der Zustimmung des BR bedarf. Der Beschluss des BT bedarf – im Unterschied zu Art. 115a I – nur der einfachen Mehrheit (BeckOK GG/Schmidt-Radefeldt Art. 115l Rn. 4); außerdem kann der BR gem. Art. 115l II 2 eine Beschlussfassung des BT verlangen. Sind die Bedingungen des Verteidigungsfalls entfallen, ist der BT aber noch nicht zur Beschlussfassung in der Lage, darf der Aufhebungsbeschluss vom GA gleichwohl nicht getroffen werden, da ansonsten kein parlamentarisches Organ mehr bestünde (zutr. Dreier/Heun Art. 115l Rn. 9; aA DHS/Herzog Art. 115l Rn. 25). Unabhängig von der Verpflichtung nach S. 3 kann der BT nach Art. 115l I 1 mit Zustimmung des BR jederzeit den Verteidigungsfall für beendet erklären, auch wenn dessen Voraussetzungen noch andauern. Dieses politische Ermessen beider Organe ist der Überlegung geschuldet, dass die Aufhebung des Verteidigungsfalls geeignet sein kann, in einer militärisch aussichtslosen Lage Menschenleben zu schonen (v. Münch/Kunig/Versteyl/Fremuth Art. 115l Rn. 8). Eine inhaltliche Überprüfung des Aufhebungsbeschlusses durch das BVerfG ist nicht möglich (MKS/Grote Art. 115l Rn. 11); lediglich die Verpflichtung nach Art. 115l II 3 ist gerichtlich nachprüfbar (Dreier/Heun Art. 115l Rn. 11). Der Beschluss über die Beendigung des Verteidigungsfalls ist der Regelung des Art. 115a III entspr. durch den BPräs zu verkünden (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 115l Rn. 2).
IV. Friedensschluss
Im Gegensatz zur Erklärung über die Aufhebung des Verteidigungsfalls, die nur innerstaatliche Konsequenzen hat, betrifft der in Art. 115l III geregelte Friedensschluss das völkerrechtliche Verhältnis der Bundesrepublik zu den kriegführenden Staaten (MKS/Grote Art. 115l Rn. 18). Der Friedensschluss gem. Abs. 3 setzt die Beendigung des Verteidigungsfalls nach Abs. 2 voraus. Über den Friedensschluss wird durch Bundesgesetz entschieden. Darin liegt eine Abweichung von Art. 59 II 1; nach Art. 115l III ist die Legislative eigentlicher Entscheidungsträger (MKS/Grote Art. 115l Rn. 19). Der BR ist nach Maßgabe von Art. 59 II 1 zu beteiligen (Friauf/Höfling/Thiel Art. 115l Rn. 29). Das Bundesgesetz über den Friedensschluss hat allerdings noch keine unmittelbare völkerrechtliche Bedeutung (MKS/Grote Art. 115l Rn. 19; aA v. Münch/Kunig/Versteyl/Fremuth Art. 115l Rn. 13). Hierzu bedarf es einer förmlichen Erklärung des BPräs, der ebenso wie bei Art. 59 (Art. 59 Rn. 2) auch nach der Spezialregel des Art. 115l III verpflichtet ist, den Friedensvertrag in der vom BT beschlossenen Form völkerrechtlich ordnungsgemäß zu ratifizieren (MKS/Grote Art. 115l Rn. 19). Sonstige Abmachungen – zB Waffenruhe oder Kapitulation – sind von Art. 115l III nicht erfasst (Dreier/Heun Art. 115l Rn. 12; Jarass/Pieroth/Jarass Art. 115l Rn. 3).