Zur Startseite navigieren

Artikel 86 [Bundeseigene Verwaltung]

1 Führt der Bund die Gesetze durch bundeseigene Verwaltung oder durch bundesunmittelbare Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechtes aus, so erläßt die Bundesregierung, soweit nicht das Gesetz Besonderes vorschreibt, die allgemeinen Verwaltungsvorschriften. 2 Sie regelt, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, die Einrichtung der Behörden.

I. Allgemeines

Wie Art. 84 für die landeseigene Verwaltung und Art. 85 für die Auftragsverwaltung der Länder beschreibt Art. 86 mit der bundeseigenen Verwaltung einen der drei Grundtypen des Vollzugs von Bundesgesetzen. Da nach dem Grundsatz der Länderzuständigkeit gem. Art. 30 und 83 die Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder als eigene Angelegenheit die Regel ist, stellt der Vollzug von Bundesgesetzen durch den Bund selbst eine Ausnahme dar. Der Gesetzesvollzug in bundeseigener Verwaltung gelangt daher nach Art. 83 Hs. 2 nur zur Anwendung, wenn das GG dies bestimmt oder zulässt. Art. 86 selbst stellt jedoch keine Vorschrift iSv Art. 83 Hs. 2 dar, die eine bundeseigene Verwaltung anordnet (Dreier/Hermes Art. 86 Rn. 10; Jarass/Pieroth/Kment Art. 86 Rn. 1). Vielmehr enthält Art. 86 Regelungen über die Organkompetenz zum Erlass von Verwaltungsvorschriften und zur Behördeneinrichtung.

Soweit das GG für einen Sachbereich eine bundeseigene Verwaltung vorschreibt oder zulässt und der Bundesgesetzgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, bewirkt dies einen Ausschluss der Verwaltungskompetenz der Länder (BVerfGE 63, 1 (40)). Das GG eröffnet dem Bund jedoch in bestimmten Fällen die Möglichkeit, die Verwaltungskompetenz auf die Länder zurückzuübertragen (Rn. 3).

II. Anwendungsbereich

1. Obligatorische und fakultative Bundesverwaltung

Schreibt das GG sie vor, handelt es sich um obligatorische bundeseigene Verwaltung. Entspr. Regelungen finden sich in Art. 87 I 1, II, 87b I, 87d I 1, 87e I 1, 87f II 2, III, 88, 89 II 1, 90 II 1, 108 I und 130. In einigen Fällen kann jedoch durch Bundesgesetz eine Rückübertragung auf die Länder erfolgen. Dies ist vorgesehen in Art. 87d II, 87e I 2, 89 II 3, 3, 108 IV 1 Var. 2 und 130 I 2.

Regelt das GG, dass durch Gesetz bundeseigene Verwaltung angeordnet werden kann, spricht man von fakultativer bundeseigener Verwaltung. Es handelt sich um die Fälle des Art. 87 I 2, III, 87b I 3, II 1, 89 II 2, 90 IV, 108 IV 1 Var. 3 sowie 120a I 1.

2. Gesetzesausführende und gesetzesfreie Verwaltung

Art. 86 bezieht sich ungeachtet seines indifferenten Wortlauts nur auf Bundesgesetze (BVerwGE 114, 232 (238); MKS/Burgi Art. 86 Rn. 35; v. Münch/Kunig/Broß/Mayer Art. 86 Rn. 5), da ein Vollzug von Landesgesetzen durch den Bund grds. nicht in Betracht kommt (BVerfGE 12, 205 (221); 21, 312 (325)). Umfasst sind sowohl förmliche Bundesgesetze als auch materielle bundesrechtliche Regelungen (RVOen). Art. 86 gilt über den Wortlaut hinaus nicht nur für die gesetzesausführende oder gesetzesakzessorische Verwaltung, sondern in analoger Anwendung auch für die sog. gesetzesfreie Verwaltung (BVerfGE 22, 180 (217); 39, 96 (109)), die ohne gesetzliche Grundlage erfolgt. An die Stelle von Bundesgesetzen, die der Ausführung bedürfen, können andere vollzugsbedürftige Regelungsinstrumente treten. Es ist nicht ersichtlich, warum dort für die Verwaltung andere Grundsätze gelten sollen als beim Gesetzesvollzug (Dreier/Hermes Art. 86 Rn. 22; v. Münch/Kunig/Broß/Mayer Art. 86 Rn. 3; Sachs/Sachs Art. 86 Rn. 46; aA MKS/Burgi Art. 86 Rn. 39).

Analoge Anwendung findet Art. 86 auch auf die Ausführung von unmittelbar anwendbarem EU-Recht. Voraussetzung ist freilich, dass dem Bund innerstaatlich die Gesetzgebungskompetenz für die unionsrechtlich geregelte Materie zusteht und dass eine dem Unionsrecht entspr. bundesgesetzliche Regelung im Wege der Bundesverwaltung auszuführen wäre (DHS/Ibler Art. 86 Rn. 34; Dreier/Hermes Art. 86 Rn. 20; MKS/Burgi Art. 86 Rn. 36 f.).

3. Formen der bundeseigenen Bundesverwaltung

a) Unmittelbare Bundesverwaltung

Bundesverwaltung kann in zwei unterschiedlichen Formen organisiert werden, zum einen als unmittelbare Bundesverwaltung und zum anderen als mittelbare Bundesverwaltung. Bei der unmittelbaren Bundesverwaltung – Art. 86 spricht insoweit ungenau von „bundeseigener Verwaltung“ und verwendet den beiden Organisationsformen gemeinsamen Oberbegriff – handelt der Bund durch eigene Organisationseinheiten ohne selbständige Rechtspersönlichkeit, also durch Behörden oder Stellen, die direkt der Rechtsperson Bundesrepublik Deutschland zugeordnet sind. Nach der vertikalen Gliederung kann bei der unmittelbaren Bundesverwaltung nochmals unterschieden werden zwischen der Bundesverwaltung nur durch zentrale Stellen (Bundesoberbehörden) und der Bundesverwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau (Bundesmittel- und Bundesunterbehörden). Art. 86 besagt jedoch nichts über die Zulässigkeit der verschiedenen Organisationsformen.

b) Mittelbare Bundesverwaltung

Daneben spricht Art. 86 auch die mittelbare Bundesverwaltung durch bundesunmittelbare Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts an. Mittelbar ist diese Verwaltungsform deshalb, weil für den Bund rechtlich verselbständigte Verwaltungseinheiten mit eigener Rechtspersönlichkeit handeln. Bundesunmittelbar ist sie, weil diese Rechtsträger auf einer bundesgesetzlichen Grundlage beruhen, vom Bund errichtet worden sind und seiner Aufsicht unterstehen. Die für die Körperschaften und Anstalten tätigen Beamten sind Bundesbeamte (Dreier/Hermes Art. 86 Rn. 30). Mit der Nennung von Körperschaften und Anstalten umschreibt Art. 86 den Begriff der juristischen Person des öffentlichen Rechts, weswegen auch öffentlich-rechtliche Stiftungen unter diese Bestimmung zu fassen sind (DHS/Ibler Art. 86 Rn. 74; MKS/Burgi Art. 86 Rn. 52).

c) Privatrechtliche Organisationsformen

Keine Anwendung findet Art. 86 auf privatrechtliche Organisationsformen, etwa auf vom Bund getragene juristische Personen des Privatrechts. Dies gilt selbst dann nicht, wenn sie mit der Befugnis ausgestattet werden, Verwaltungsaufgaben in den Handlungsformen des öffentlichen Rechts wahrzunehmen. Auf Beliehene ist Art. 86 daher ebenfalls nicht anwendbar (MKS/Burgi Art. 86 Rn. 56; Sachs/Sachs Art. 86 Rn. 17, 45; aA Dreier/Hermes Art. 86 Rn. 35).

III. Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften

Im Bereich der bundeseigenen, sei es unmittelbaren oder mittelbaren Bundesverwaltung besitzt die BReg gem. Art. 86 S. 1 die Befugnis zum Erlass von allg. Verwaltungsvorschriften. Erlaubt sind wegen der geforderten Allgemeinheit nur generelle Regelungen ohne unmittelbare Außenwirkung (DHS/Ibler Art. 86 Rn. 137). Adressaten der allg. Verwaltungsvorschriften können Bundesbehörden oder Träger der mittelbaren Bundesverwaltung sein (Dreier/Hermes Art. 86 Rn. 54).

Art. 86 S. 1 ermächtigt die BReg als Kollegium. Es handelt sich dabei jedoch nicht um die Zuweisung einer ausschließlichen Kompetenz. Art. 86 S. 1 verdrängt die ministerielle Ressortkompetenz gem. Art. 65 S. 2 nicht vollständig. Soweit die BReg von ihrer Befugnis zum Erlass von Verwaltungsvorschriften keinen Gebrauch gemacht hat, bleibt das ministerielle Weisungsrecht gegenüber nachgeordneten Behörden und Stellen unangetastet (BVerwG NVwZ 1985, 497 (498)).

Die Befugnis zum Erlass von Verwaltungsvorschriften steht nach Art. 86 S. 1 unter dem Vorbehalt einer besonderen gesetzlichen Regelung. Der Bundesgesetzgeber besitzt danach ein Zugriffsrecht; einen Vorbehalt des Gesetzes normiert Art. 86 S. 1 jedoch nicht (Sachs/Sachs Art. 86 Rn. 24). Gegenstand der besonderen gesetzlichen Regelung nach Art. 86 S. 1 ist die Zuständigkeit zum Erlass von allg. Verwaltungsvorschriften, die der Gesetzgeber an Mitwirkungsbefugnisse, zB des BRats, knüpfen kann oder anderen Trägern der Bundesverwaltung zuweisen kann (Dreier/Hermes Art. 86 Rn. 56; MKS/Burgi Art. 86 Rn. 70). Dass der Bundesgesetzgeber auch inhaltlich von Verwaltungsvorschriften Abweichendes regeln kann, ergibt sich nicht aus Art. 86, sondern aus seinen allg. Gesetzgebungskompetenzen, zumeist als Annexkompetenz (Sachs/Sachs Art. 86 Rn. 30).

IV. Behördeneinrichtung

Art. 86 S. 2 ermächtigt die BReg im Falle der unmittelbaren Bundesverwaltung zur Einrichtung der Behörden. Der Begriff der Behördeneinrichtung ist dabei weit auszulegen und umfasst die gesamte Behördenorganisation unterhalb der Ministerialebene (Dreier/Hermes Art. 86 Rn. 60), also die Errichtung und die organisatorische Ausgestaltung von Behörden. In Bezug auf die mittelbare Bundesverwaltung erstreckt sich die Kompetenz jedoch nur auf die Ausgestaltung der selbständigen Verwaltungsträger, nicht auf deren Errichtung, da Art. 86 die Existenz dieser juristischen Personen tatbestandlich voraussetzt (Sachs/Sachs Art. 86 Rn. 33; Umbach/Clemens/Umbach/Clemens Art. 86 Rn. 29).

Art. 86 S. 2 ermächtigt die BReg als Kollegium. Auch hier gilt, dass die Befugnis nach Art. 86 S. 2 die ministerielle Ressortzuständigkeit gem. Art. 65 S. 2 nicht vollständig verdrängt, da Art. 86 S. 2 keine ausschließliche Kompetenz der BReg begründet. Soweit die BReg von ihrer Befugnis zur Behördeneinrichtung und -organisation keinen Gebrauch gemacht hat, verbleibt es bei der Organisationshoheit des zuständigen Ministers für den ihm nachgeordneten Bereich.

Auch die Behördeneinrichtung durch die BReg steht unter dem Vorbehalt einer anderweitigen gesetzlichen Regelung. Dem Bundesgesetzgeber wird die Möglichkeit eröffnet, die Zuständigkeit zur Behördeneinrichtung einem Minister, einer anderen Behörde oder einem anderen Verwaltungsträger zu übertragen, aber auch die Behördeneinrichtung durch Gesetz selbst zu regeln (MKS/Burgi Art. 86 Rn. 83; Sachs/Sachs Art. 86 Rn. 38 f.). Ob es insoweit einen Kernbereich exekutivischer Organisationsbefugnisse gibt, in den der Gesetzgeber nicht eingreifen darf, ergibt sich nicht aus Art. 86 S. 2.