Artikel 61 [Anklage vor dem Bundesverfassungsgericht]
(1) 1 Der Bundestag oder der Bundesrat können den Bundespräsidenten wegen vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht anklagen. 2 Der Antrag auf Erhebung der Anklage muß von mindestens einem Viertel der Mitglieder des Bundestages oder einem Viertel der Stimmen des Bundesrates gestellt werden. 3 Der Beschluß auf Erhebung der Anklage bedarf der Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages oder von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates. 4 Die Anklage wird von einem Beauftragten der anklagenden Körperschaft vertreten.
(2) 1 Stellt das Bundesverfassungsgericht fest, daß der Bundespräsident einer vorsätzlichen Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes schuldig ist, so kann es ihn des Amtes für verlustig erklären. 2 Durch einstweilige Anordnung kann es nach der Erhebung der Anklage bestimmen, daß er an der Ausübung seines Amtes verhindert ist.
Die Bedeutung einer Präsidentenanklage, angelehnt an das US-Impeachment, liegt, wie nach Art. 59 WRV, in der Notwendigkeit staatsrechtlicher Sanktionen gegen den BPräsidenten, der als solcher, trotz Gegenzeichnung (Art. 58), gegenüber dem BT nicht verantwortlich ist; (frühere) Kanzler- und Ministeranklagen dagegen wurden wegen der Verantwortung des BKanzlers als überflüssig angesehen. Ein Anklageverfahren hat es noch nie gegeben; bedeutsam ist es jedoch als „Hintergrunddrohung“ bei Organstreitigkeiten (Art. 93 I Nr. 1) und anderen Verfassungsprozessen, die Akte des BPräsidenten zum Gegenstand haben.
Gegenstand der Entscheidung des BVerfG ist die Feststellung der (auch bedingt) vorsätzlichen Verletzung einer bundesgesetzlichen Norm, nicht aber von Gewohnheitsrecht (kein „Gesetz“) durch den BPräsidenten; besondere Schwere des Verstoßes ist nicht erforderlich. Zusätzlich kann deshalb Amtsenthebung ausgesprochen werden (Art. 61 II), wenn der Angeklagte als BPräsident untragbar ist. Die Gesetzesverletzung muss in Erfüllung präsidenzieller Aufgaben begangen sein; andere Gerichtsverfahren gegen seine Person bleiben unberührt.
Der (gleiche) Antrag muss von mindestens 1/4 der Mitglieder des BTags (Art. 121) und 1/4 der Stimmen des BRats (Art. 51) gestellt werden; der Anklagebeschluss bedarf in beiden Gremien einer 2/3 -Mehrheit (Art. 61 I 2). Schriftform ist nur für die auf der Grundlage des Antrags vom BTags-Präsidenten auszufertigende Anklage (§ 49 II BVerfGG) erforderlich; sie wird von je einem, auch externen, Beauftragten von BT und BR vertreten (Art. 61 I 4). Näheres regeln die §§ 49 ff. BVerfGG, u. a. eine Anklageerhebungsfrist von drei Monaten, § 50. Einleitung und Fortgang des Verfahrens werden durch Ausscheiden des BPräsidenten aus dem Amt oder Auflösung des BTags nicht berührt (§ 51 BVerfGG). Durch einstweilige Anordnung kann das BVerfG, je nach Erfolgsaussicht der Anklage, die vorläufige Verhinderung an der Amtsausübung aussprechen (Art. 61 II 2).