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Artikel 58 [Gegenzeichnung]

1 Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidenten bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler oder durch den zuständigen Bundesminister. 2 Dies gilt nicht für die Ernennung und Entlassung des Bundeskanzlers, die Auflösung des Bundestages gemäß Artikel 63 und das Ersuchen gemäß Artikel 69 Abs. 3.

Die Gegenzeichnung bewirkt – wie im parlamentarischen Konstitutionalismus vor 1918 und unter der WRV (Art. 5) – die Übernahme der politischen Verantwortung durch den BKanzler, die BMinister und die BReg, gegenüber dem BT für zahlreiche Akte des diesem nicht verantwortlichen BPräsidenten. Zugleich kontrolliert der BPräsident in dieser Zusammenarbeit BKanzler, BMinister und BReg, was insoweit die Einheit der vollziehenden Gewalt (Art. 20 III) sicherstellt.

Nur „Anordnungen und Verfügungen“ des BPräsidenten – ein einheitlicher Begriff –, dh Akte mit Rechtswirkung, bedürfen der Gegenzeichnung wie der gesetzlichen Rechtsgrundlage, aber auch nur ihr Erlass, nicht ihre Unterlassung oder Verweigerung. Nicht gegenzeichnungsfähig ist ein Verhalten des BPräsidenten ohne rechtliche Bindungswirkung (etwa Reden, Briefe, hL; was unter der WRV angenommen wurde, vgl. Anschütz Art. 50 Rn. 3). Eine solche verstieße schon gegen den Wortlaut („Anordnungen“); auch darf der BPräsident eine andere Meinung vertreten als andere Verfassungsorgane, soweit das GG dies nicht ausschließt. Ein allg. Mäßigungsverbot nach Organtreue wäre kaum sanktionierbar.

BKanzler oder BMinister sind gegenzeichnungsberechtigt, grds. nicht kumulativ („oder“, nicht „und“, wie nach § 29 I GeschOBReg), jew. nach ihrer Zuständigkeit (Art. 62 ff., insbes. 65). Zeichnet der BKanzler allein oder neben einem BMinister, so zeigt dies, dass der Rechtsakt nur oder auch eine Richtlinienentscheidung (Art. 65 S. 1) beinhaltet. Wie Verfassungswortlaut und allg. Sprachgebrauch belegen, ist Schriftform erforderlich; auch muss der Akt des BPräsidenten bereits vorliegen („ Gegen -Zeichnung“), Vorzeichnung durch BKanzler/BMinister ist unzulässig.

Erzwungen werden kann die Gegenzeichnung nur – im Organstreit Art. 93 I Nr. 1 –, soweit zu ihr ausnahmsweise eine rechtliche Verpflichtung besteht, etwa ihre Verweigerung willkürlich wäre. Eine Frist zur Gegenzeichnung ist nicht vorgesehen; sie ergibt sich implizit aus den jew. Prüfungsnotwendigkeiten. Erfolgt die Gegenzeichnung nicht, so ist der Akt des BPräsidenten unwirksam. Heilung (§ 45 I 5 VwVfG) scheidet aus, da die Gegenzeichnungspflicht nicht (nur) auf einer Verfahrens- oder Formvorschrift beruht.

Nicht gegenzeichnungspflichtig sind, außer den Entscheidungen nach Art. 58 S. 2, die Akte des BPräsidenten aufgrund seiner Organisations- und Personalgewalt im BPräsidialamt, seine Rücktrittserklärung, Entscheidungen nach Art. 39 III 3, 63 I, 115h II 1 sowie die Prozessführungsentscheidungen des BPräsidenten nach Art. 93 I 1 und 61. Alle übrigen Rechtsakte sind gegenzeichnungspflichtig, auch die Auflösung des BTags nach Art. 68 I sowie insbes. Entscheidungen des BPräsidenten nach Art. 59 (Auswärtige Gewalt), 81 (Gesetzgebungsnotstand), 82 I 1 (Ausfertigung und Verkündung von Bundesgesetzen). Zur Begnadigung Art. 60 Rn. 4.