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Artikel 65a [Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte]

Der Bundesminister für Verteidigung hat die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte.

I. Bedeutung der Norm

Art. 65a wurde durch die Wehrnovelle (BGBl. 1956 I 111) in das GG aufgenommen und durch die sog. Notstandsverfassung (BGBl. 1968 I 709) geändert. Anders als in früheren deutschen Verfassungen (vgl. Art. 63 I iVm Art. 53 RV; Art. 47 WRV) hat nach dem GG nicht mehr das Staatsoberhaupt den Oberbefehl über die Streitkräfte. Vielmehr liegt in Friedenszeiten die Befehls- und Kommandogewalt beim BMin für Verteidigung (Art. 65a) und in Kriegszeiten beim BKanzler (Art. 115b; vormals Art. 65a II 2 aF). Beide Vorschriften garantieren, dass die oberste militärische Führung immer in den parlamentarisch verantwortlichen Händen eines Regierungsmitglieds ruht (DFGH SicherheitsR-HdB/Weingärtner § 52 Rn. 73). Dem Staatsoberhaupt verbleibt allenfalls ein „repräsentativer Oberbefehl“ (Dreier/Heun Art. 65a Rn. 5; krit. zum Begriff SHH/Müller-Franken/Uhle Art. 65a Rn. 5), der das Ernennungs- und Entlassungsrecht für Offiziere und Unteroffiziere (Art. 60 I), das Begnadigungsrecht (Art. 60 II), das Recht zur Stiftung und Verleihung von Orden und Ehrenabzeichen sowie das Recht zu Festlegung von Uniformen und Rangabzeichen einschließt (Stern StaatsR II, 872).

II. Befehls- und Kommandogewalt

Angesichts historischer Unklarheiten wird die Rechtsnatur der Befehls- und Kommandogewalt unterschiedlich verstanden (vgl. v. Münch/Kunig/Zeccola Art. 65a Rn. 8 ff.). Sie ist jedoch weder eine Gewalt sui generis (aA Schmidt FS Arndt 1969, 437 (448)) noch ist sie der Richtlinienkompetenz des BKanzlers vergleichbar (aA v. d. Heydte GS Peters 1967, 526 ff.). Es handelt sich vielmehr um normale Ressortbefugnisse, die im GG lediglich besonders zugewiesen sind (SHH/Müller-Franken/Uhle Art. 65a Rn. 2, 22).

Der in Art. 65a verwendete begriffliche Unterschied zwischen Befehlsgewalt einerseits und Kommandogewalt andererseits soll in erster Linie Entwicklungen verhindern, die in der Weimarer Republik durch die Unterscheidung der „Befehlsgewalt“ des Reichswehrministers von der „Kommandogewalt“ des Chefs der Heeresleitung möglich gewesen sind (Lorse DÖV 2004, 329 (331)). Inhaltlich sind beide Begriffe aber als Ganzes zu sehen (Sachs/Brinktrine Art. 65a Rn. 16; weitergehend Friauf/Höfling/Busse Art. 65a Rn. 11). Sie bezeichnen die Summe der militärischen Rechte zur Gewährleistung des Auftrages der Streitkräfte, wie Führung und Organisation der Streitkräfte und die lückenlose Weisungsbefugnis über ihre Tätigkeit (DHS/Epping Art. 65a Rn. 25, 27).

Die Befehls- und Kommandogewalt beschränkt sich auf den militärischen Zweig der Ressortleitung (v. Münch/Kunig/Zeccola, Art. 65a Rn. 9). Dazu zählen insbes. Heer, Luftwaffe, Marine, Streitkräftebasis, Zentraler Sanitätsdienst sowie Cyber- und Informationsraum, nicht aber die zivile Verwaltung nach Art. 87b sowie die Militärseelsorge und die Rechtspflege durch Truppendienstgerichte (Stern/Sodan/Möstl/Schwarz § 23 Rn. 13; Sachs/Brinktrine Art. 65a Rn. 19). Auch nicht erfasst ist die zivile Verteidigung, die dem Bundesministerium des Innern zugeordnet ist (BVerwG NZWehrr 2011, 256 (258); weitergehend Dreier/Heun Art. 65a Rn. 11). Die Organisation des Bundesministeriums für Verteidigung beruht ebenfalls nicht auf Art. 65a, sondern auf Art. 65 S. 2 (MKS/Schröder Art. 65a Rn. 13).

III. Ressortzuständigkeit des Verteidigungsministers

In Friedenszeiten ist der Verteidigungsminister alleiniger Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt. Der BKanzler hat keine Befugnis, während dieser Zeit das Verteidigungsressort zu übernehmen oder direkte Weisungen an die Streitkräfte zu erteilen (Dreier/Heun Art. 65a Rn. 6; Dreist NZWehrr 2015, 133 (142)). Erst im Verteidigungsfall kommt es zu einer Vereinigung von politischer und militärischer Führung beim BKanzler (Art. 115b).

Da der Verteidigungsminister ein BMin wie alle anderen ist, unterliegen seine Kompetenzen den allg. verfassungsrechtlichen Grenzen, die für jedes Ressort gelten (DHS/Epping Art. 65a Rn. 48). Insbes. unterliegt er der Richtlinienkompetenz des BKanzlers (BK/W.-R. Schenke Art. 65a Rn. 82). Der BMin für Verteidigung entscheidet beim Streitkräfteeinsatz nicht über das „Ob“, sondern nur über das „Wie“ (BVerfGE 90, 286 (338)). Die Entscheidung, ob ein Streitkräfteeinsatz erfolgt, fällt nach gängiger Praxis in die Kompetenz der BReg (BeckOK GG/Schmidt-Radefeldt Art. 65a Rn. 15; krit. Umbach/Clemens/Deiseroth Art. 65a Rn. 54; aA Ladiges JuS 2015, 598 (600); zur Widerspruchspflicht des BMin bei militärisch aussichtslosen Einsatzaufträgen vgl. Dietz DÖV 2015, 585 (588 ff.)). Darüber hinaus darf der Verteidigungsminister die Befehls- und Kommandogewalt an nachgeordnete Stellen – einschließlich Generalinspekteure – nicht delegieren; seine Ressortgewalt ist insoweit begrenzt (BVerwGE 127, 1 (24); MKS/Schröder Art. 65a Rn. 10; näher Dreist NZWehrr 2012, 221 (223 ff.)). Eine Beschränkung der Befehls- und Kommandogewalt durch die Einordnung der Bundesrepublik in ein System kollektiver Sicherheit nach Art. 24 II ist hingegen zulässig (SHH/Müller-Franken/Uhle Art. 65a Rn. 20), wodurch freilich die parlamentarische Kontrolle der Streitkräfte geschwächt wird, da der Bundesverteidigungsminister nicht mehr für alle Maßnahmen der militärischen Führung verantwortlich zeichnet (BeckOK GG/Schmidt-Radefeldt Art. 65 Rn. 18 f.).

Eine Personalunion des Verteidigungsministers und des BKanzlers ist unzulässig (Dreier/Heun Art. 65a Rn. 6; aA Friauf/Höfling/Busse Art. 65a Rn. 8). Gem. Art. 66 darf der Verteidigungsminister nicht gleichzeitig aktiver Soldat sein; dies gilt auch für seine Staatssekretäre (v. Münch/Kunig/Zeccola Art. 65a Rn. 4; eingehend Gramm NZWehrr 2011, 89 (98 f.); aA Hömig/Wolff/Küster Art. 65a Rn. 3). Wehrdienst muss er nicht geleistet haben.

IV. Vertretung des Bundesministers für Verteidigung

Da Art. 65a keine Regelung über die Vertretung des BMin für Verteidigung bei der Ausübung der Befehls- und Kommandogewalt trifft, wurde die Frage der Vertretung in der Vergangenheit kontrovers diskutiert (hierzu Dreier/Heun Art. 65a Rn. 12 mwN). Vor dem Hintergrund, dass Art. 65a verhindern will, dass der Bundeswehr eine Sonderbehandlung im Rahmen der Staatsverfassung widerfährt, dürften die allg. Vertretungsregeln gelten: Ständiger Vertreter des BMin für Verteidigung ist der Staatssekretär (BVerwGE 127, 1 (24); krit. BK/W.-R. Schenke Art. 65a Rn. 78 ff.); in der BReg wird der Verteidigungsminister durch einen Ministerkollegen vertreten (DHS/Epping Art. 65a Rn. 70 ff.).