Zur Startseite navigieren

Artikel 111 [Ausgaben vor Etatgenehmigung]

(1) Ist bis zum Schluß eines Rechnungsjahres der Haushaltsplan für das folgende Jahr nicht durch Gesetz festgestellt, so ist bis zu seinem Inkrafttreten die Bundesregierung ermächtigt, alle Ausgaben zu leisten, die nötig sind,

  • um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten und gesetzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen,
  • um die rechtlich begründeten Verpflichtungen des Bundes zu erfüllen,
  • um Bauten, Beschaffungen und sonstige Leistungen fortzusetzen oder Beihilfen für diese Zwecke weiter zu gewähren, sofern durch den Haushaltsplan eines Vorjahres bereits Beträge bewilligt worden sind.

(2) Soweit nicht auf besonderem Gesetze beruhende Einnahmen aus Steuern, Abgaben und sonstigen Quellen oder die Betriebsmittelrücklage die Ausgaben unter Absatz 1 decken, darf die Bundesregierung die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftsführung erforderlichen Mittel bis zur Höhe eines Viertels der Endsumme des abgelaufenen Haushaltsplanes im Wege des Kredits flüssig machen.

I. Regelungsgegenstand und systematische Stellung

Art. 111 ermächtigt die Bundesverwaltung, in Abs. 1 näher gekennzeichnete Arten von Ausgaben zu leisten, wenn entgegen dem Grundsatz der Vorherigkeit des Haushaltsgesetzes (Art. 110 II 1; →  Art. 110 Rn. 9) bis zum Schluss des Haushaltsjahres der Haushaltsplan für das folgende Jahr noch nicht durch Gesetz festgestellt worden ist (BVerfGE 45, 1 (31)). Abs. 2 regelt die Finanzierung der Nothaushaltsführung. Durch das Nothaushaltsrecht der BReg (BVerfGE 119, 96 (121)) wird eine vorläufige Haushaltsführung ermöglicht und so der etatlose Zustand überbrückt. Um nicht das Haushaltsbewilligungsrecht des Gesetzgebers zu ersetzen, ist die Vorschrift aber nur für kurzfristige Ausnahmesituationen gedacht und lässt die Verpflichtung aller Verfassungsorgane unberührt, das fehlende Haushaltsgesetz so zügig wie möglich zu verabschieden (BVerfGE 45, 1 (33); 119, 96 (121)). Die Alternative zu einem Vorgehen nach Art. 111 ist ein Nothaushaltsgesetz, das auch lediglich einzelne punktuelle Ausgabenbewilligungen enthalten kann und den Rückgriff auf Art. 111 nicht generell sperrt (DHS/Kube Art. 111 Rn. 17). Für einen verspäteten Nachtragshaushalt existiert keine Art. 111 entsprechende Vorschrift (BVerfG NVwZ 2023, 1892 (1905)).

Art. 111 dispensiert nicht von den Bindungen des Art. 109 II (DHS/Kube Art. 111 Rn. 7 f.). Art. 112 bleibt neben Art. 111 anwendbar (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 111 Rn. 4; Art. 112 Rn. 2).

II. Ausgaben (Abs. 1)

Art. 111 I ersetzt die Ermächtigung des Haushaltsgesetzes (BVerfGE 20, 56 (90)). So kann nicht nur die BReg, sondern die gesamte Bundesverwaltung (BK/Gröpl Art. 111 Rn. 45) nötige Ausgaben tätigen, wenn entgegen Art. 110 II 1 der Haushaltsplan noch nicht durch Gesetz festgestellt worden ist oder ein solches Gesetz für nichtig erklärt wurde (v. Münch/Kunig/Heintzen Art. 111 Rn. 6). Aus welchem Grund gegen den Grundsatz der Vorherigkeit des Haushaltsgesetzes verstoßen wurde, ist irrelevant (Dreier/Heun Art. 111 Rn. 6). Art. 111 ersetzt die Ermächtigung des Haushaltsgesetzes jedoch nur so lange, bis das Parlament, unter Wahrung seines Haushaltsbewilligungsrechts (BVerfGE 45, 1 (33); 66, 26 (38)), ein neues verabschiedet. Das verspätete Haushaltsgesetz absorbiert mit seinem Inkrafttreten nach Art. 111 geleistete Ausgaben, die vom Haushaltsplan gedeckt sind. Bei mangelnder Übereinstimmung wird das Nothaushaltsrecht nur für die Zukunft abgelöst (BVerfGE 119, 96 (121)). Die Ermächtigung beschränkt sich auf Zahlungen zur Erhaltung bestehender Einrichtungen, Durchführung gesetzlich beschlossener Maßnahmen (lit. a.), Erfüllung rechtlich begründeter Verpflichtungen (lit. b.) und Fortsetzungszahlungen (lit. c). Fortsetzungsmaßnahmen nach Art. 111 I lit. c dürfen nur für Bauten, Beschaffungen und sonstige Leistungen erfolgen. Voraussetzung ist, dass bereits in einem Vorjahr im Haushaltsplan Beträge zur Beihilfe oder für die Durchführung bewilligt und die Maßnahmen tatsächlich begonnen wurden (MKS/Schwarz Art. 111 Rn. 27). Die Aufzählung in Abs. 1 ist abschließend. Der Ausnahmecharakter der Vorschrift gebietet eine enge Auslegung (BVerfGE 45, 1 (32 f.)). Insbes. darf der Begriff der sonstigen Leistungen (lit. c) nicht als Generalklausel verstanden werden (Sachs/Siekmann Art. 111 Rn. 13). Eine Überschreitung der Vorjahresansätze ist möglich (DHS/Kube Art. 111 Rn. 66).

Nur Zahlungen, die zur Erfüllung einer dieser Aufgaben geeignet und erforderlich sind, sind nötig iSd Abs. 1. Die BReg entscheidet hierüber nach pflichtgemäßem Ermessen (MKS/Schwarz Art. 111 Rn. 17). Erforderlich sind Ausgaben, die unaufschiebbar sind (Sachs/Siekmann Art. 111 Rn. 12) – zeitliche Erforderlichkeit – und deren Unterbleiben eine Pflichtverletzung darstellte oder zu einem Schaden führte (BK/Gröpl Art. 111 Rn. 47) – sachliche Erforderlichkeit –. Dahingegen haben die Ausgaben zu unterbleiben, wenn das Parlament sie ablehnt, insbes. wenn das Haushaltsgesetz ihretwegen nicht verabschiedet worden ist (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 111 Rn. 4).

III. Einnahmen (Abs. 2)

Das Fehlen eines Haushaltsgesetzes lässt die Einnahmen des Bundes unberührt. Die Nothaushaltsführung ist vorrangig aus den in Abs. 2 genannten Einnahmen zu finanzieren. Für die Aufnahme von Krediten ist gem. Art. 115 I grds. eine gesetzliche Ermächtigung erforderlich. Soweit aber die Einnahmen des Bundes die Ausgaben nach Art. 111 I nicht decken, wird die bundesgesetzliche Ermächtigung durch Abs. 2 ersetzt, der eine sehr großzügig bemessene Kreditaufnahme bis zur Höhe von 1/4 der Endsumme des vorangegangenen Haushaltsplanes zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftsführung erlaubt. Unberührt hiervon bleiben die Vorgaben der Schuldenbremse gem. Art. 115 II (SHH/Kemmler Art. 111 Rn. 21).