Artikel 43 [Anwesenheit der Bundesregierung]
(1) Der Bundestag und seine Ausschüsse können die Anwesenheit jedes Mitgliedes der Bundesregierung verlangen.
(2) 1 Die Mitglieder des Bundesrates und der Bundesregierung sowie ihre Beauftragten haben zu allen Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse Zutritt. 2 Sie müssen jederzeit gehört werden.
I. Zitierungsrecht
Das sog. Zitier(ungs)recht (nach Art. 43 I, § 42 GeschOBTag „Herbeirufung“) dient der Information des BTages und seiner Mitglieder, als Voraussetzung wirksamer (BVerfGE 67, 100 (120); 110, 199 (215)) parlamentarischer Kontrolle, das Zutrittsrecht (Abs. 2) dagegen der Information von BReg und BR. Daher müssen diese Rechte grds. extensiv ausgelegt werden. Daran ändert eine Praxis nichts, in der es gegenüber anderen Kommunikationsformen zwischen Regierung und Parlament zurücktritt; auf sie entfaltet es, durch drohende Fernwirkung, einen Intensivierungseffekt.
Das Plenum und alle Ausschüsse des BTags (§§ 54 ff. GeschOBTag), auch dessen Unterausschüsse (§ 55 GeschOBTag; str.), können zitieren, weil ihnen vergleichbare Aufgaben obliegen, und auch eine Enquete-Kommission (§ 56 GeschOBTag), da sie in der GeschO als Ausschuss angesehen wird; dass ihr auch Nichtmitglieder des BTags angehören können, steht ihrer Ausschussqualität nicht entgegen (str.; aA MKS/Achterberg/Schulte Art. 43 Rn. 22). Gemischten Ausschüssen von BT und BR (Vermittlungsausschuss Art. 77 II; GA Art. 53a) wird das Zitierrecht zugesprochen, da es BR wie BT zustehe.
Zitiert werden können nur der BKanzler und alle BMinister (Art. 62) – Letztere nicht nur nach ihrer Ressort-Zuständigkeit –, nicht jedoch parlamentarische Staatssekretäre, auch nicht mit Zustimmung der BReg. Die Zitierten trifft unbedingte Anwesenheitspflicht, Entschuldigung ist nur wegen Krankheit oder höherer Gewalt, nicht wegen „dringenden“ oder „wichtigeren“ Amtsgeschäften zulässig; in einer parlamentarischen Demokratie kann es solche gegenüber parlamentarischen Kontrollrechten nicht geben, was allerdings faktische Rücksichtnahme nicht ausschließt. Antwortpflicht auf Fragen im BT ist Bestandteil der Anwesenheitspflicht (str.; vgl. MKS/Achterberg/Schulte Art. 43 Rn. 12 ff.); Grenzen zieht ihr nur zulässiger Geheimnisschutz und das allg. Persönlichkeitsrecht der Zitierten, was aber eng auszulegen ist (Rn. 1). Ein „Kernbereich der Regierung“ ist von der Antwortpflicht nicht ausgenommen; die Allgemeinheit des Zitierungsrechts und dessen Bedeutung (Rn. 1) schließt dies aus: der Begriff wäre nicht klar definierbar und ließe das Zitierungsrecht leer laufen.
Das Zitierrecht mit Antwortpflicht ist zu unterscheiden vom allg. Fragerecht des BTags und jedes seiner Mitglieder (Interpellationsrecht) (vgl. Art. 38 Rn. 15 sowie dazu BVerfGE 13, 123 (125); 67, 100 (129); 70, 324 (355)). Die Antworten können über Anfragen (§§ 100 ff. GeschOBTag) in Fragestunden des BTags, aber auch außerhalb derselben und in schriftlicher Form beantwortet werden. Dieses Interpellationsrecht wird durch die Möglichkeit einer Zitierung bei Verweigerung/Verzögerung der Antwort verstärkt.
Die Zitierung wird verfahrensmäßig durch den Antrag einer Fraktion oder von 5 vH in einer Plenar- oder Ausschusssitzung anwesender Mitglieder des BTags eingeleitet (§ 43 GeschOBTag); in den Ausschüssen kann ein entspr. Antrag (§ 68 GeschOBTag) von jedem Mitglied (§ 71 GeschOBTag) gestellt werden. Als GeschO-Antrag (§ 29 I GeschOBTag) muss er vorrangig gegenüber dem betr. TOP behandelt werden. Plenum oder Ausschuss entscheiden mit einfacher Mehrheit (Art. 42 II). Wird der Zitierung nicht Folge geleistet, so kann ein Organstreit darüber folgen (Art. 93 I Nr. 1), wenn nicht ein Misstrauensvotum des BTags (Art. 67) erfolgt.
II. Zutrittsrecht zu Sitzungen und Anhörungsrecht
Der Unterrichtung der Berechtigten und ihrer Organe dient das Zutrittsrecht (Art. 43 II). Zutrittsbere chtigt sind die Mitglieder der BReg (Art. 62: BKanzler und BMinister) und des BRats (Landesminister) sowie deren Vertreter, soweit diese für sie sprechen, wie die Parlamentarischen Staatssekretäre oder die Staatssekretäre nach § 14 II GeschOBTag. Zutritt haben überdies die von einem Zutrittsberechtigten oder dem betr. Verfassungsorgan Beauftragten, etwa Beamte. Zu Erklärungen für den Berechtigten oder dessen Organ müssen sie nicht speziell qualifiziert sein. Unterbeauftragung ist nicht zulässig. Die Zahl der Zutrittsberechtigten soll auf je eine Person für BReg und BR beschränkt werden dürfen (BVerfGE 74, 7 (8)), was aber im GG keine Stütze findet.
Zutrittsrecht besteht zu allen, auch den nicht öffentlichen Sitzungen des BTa gs und aller seiner Ausschüsse, auch wenn dort Geheimhaltungspflicht gilt (vgl. § 69 VII GeschOBTag iVm der Geheimschutzordnung des BTags). Dies gilt auch für Enquete-Kommissionen und Gemischte Ausschüsse (vgl. Rn. 2). Die BReg (vgl. §§ 20 II 1, 61 III GeschOBTag) und der BR müssen also rechtzeitig und vollständig über Ort, Zeit und TOPe sämtlicher Plenar- und Ausschusssitzungen unterrichtet werden. Ausgeschlossen werden können nach Art. 42 II 1 Berechtigte vom Zutritt nicht, außer im äußersten Fall eines Missbrauchs (BVerfGE 10, 4 (18)). Dies gilt auch, soweit ihr Verhalten oder ihre Rechte Gegenstand von Plenar- oder Ausschusssitzungen sind, etwa in einem Untersuchungs- oder im Wahlprüfungsausschuss, trotz § 10 WPG. Sie unterliegen jedoch der Haus- und Polizeigewalt des BTags-Präsidenten nach Art. 40 II 2. Werden Zutrittsrechte verletzt, so steht den Berechtigten das Organstreitverfahren (Art. 93 I Nr. 1) zu Gebote.
Das Recht, „jederzeit angehört zu werden“ (Art. 43 II 2) haben die Zutrittsberechtigten. Es steht auch den nach Art. 43 I Zitierten zu, aber nur, wenn sie ausdrücklich als Vertreter von BReg und BR, nicht als Mitglieder des BTags auftreten; im letzteren Fall gelten für sie ausschließlich die Rede-Bestimmungen der GeschOBTag für Abgeordnete. Angehört werden müssen sie, es muss ihnen aber nicht zugehört werden, vom Beginn bis zum Ende der betr. Sitzung, nicht: der Aussprache (vgl. § 44 I GeschOBTag). Sprechen dürfen sie dort für ihre Institution (BReg, BR), nicht für ihre Länder oder Parteien (vgl. BVerfGE 10, 4 (18 f.)). Jederzeit müssen sie zu Wort kommen, jew. als nächste Redner, nach Ende der bei ihrer Wortmeldung laufenden Redezeit, auch außerhalb der Tagesordnung. Sie müssen sich zu Wort melden, dieses muss ihnen aber sogleich erteilt werden. Die Regeln über Reden und Platz des Redners (§§ 33 f. GeschOBTag) gelten auch für sie.
Die Redezeit der Zutrittsberechtigten kann nur bei Missbrauch beschränkt werden (BVerfGE 10, 4 (18), etwa wenn andere Redner nur von günstigeren Sendezeiten verdrängt werden sollen). Die Regeln über Sach- und Ordnungsrufe sowie Wortentziehungen (§§ 36, 37 GeschOBTag), gelten auch für sie. Ihre Redezeit wird der Fraktion, der sie angehören oder nahestehen, nicht angerechnet, außer bei vereinbarter Redezeitverteilung. Nach Reden Zutrittsberechtigter haben Fraktionen, deren Redezeit bereits ausgeschöpft ist, das Recht auf deren Verlängerung (§ 44 II GeschOBTag).