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Artikel 59 [Völkerrechtliche Vertretungsmacht]

(1) 1 Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich. 2 Er schließt im Namen des Bundes die Verträge mit auswärtigen Staaten. 3 Er beglaubigt und empfängt die Gesandten.

(2) 1 Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes. 2 Für Verwaltungsabkommen gelten die Vorschriften über die Bundesverwaltung entsprechend.

I. Bedeutung der Norm

Aufgrund seiner systematischen Stellung gehört Art. 59 zu den Regelungen des GG über den BPräs. Die Vorschrift entfaltet aber eine weit darüber hinausgehende Bedeutung, indem sie die völkerrechtliche Vertretungsmacht des Bundes regelt. Art. 59 unterteilt sich in zwei Zuständigkeitsbereiche: Art. 59 I normiert als funktionale Kompetenznorm innerhalb der Exekutive die völkerrechtliche Vertretung des Bundes durch den BPräs und folgt damit deutscher Verfassungstradition (§ 75 S. 1 PaulskirchenVerf., Art. 11 II RV, Art. 45 I WRV). Zudem steht die Vorschrift im Einklang mit der Verfassungspraxis der meisten Staaten, das Staatsoberhaupt zum vertretungsbefugten Organ zu bestellen (Dreier/Heun Art. 59 Rn. 11; zur Position im Völkerrecht Kau JöR 70 [2022], 15 ff.). Art. 59 II bestimmt die Beteiligungsrechte der gesetzgebenden Körperschaften des Bundes beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge und regelt das Zusammenwirken von Exekutivgewalt und legislativer Kontrolle bei den auswärtigen Beziehungen. Die Beteiligung des Reichstags für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge war ebenfalls – zT jedoch in anderem Ausmaß – bereits in § 102 Nr. 5 PaulskirchenVerf., Art. 11 III RV und Art. 45 III WRV enthalten (vgl. MKS/Kempen Art. 59 Rn. 27 f.).

Anders als Art. 32, der die Verteilung der Kompetenzen von Bund und Ländern bei den auswärtigen Beziehungen zum Gegenstand hat, regelt Art. 59 die Zuweisung von Befugnissen zwischen Organen des Bundes, setzt also das Vorliegen der Verbandskompetenz des Bundes voraus. Die Vertragsabschlusskompetenz der Länder gem. Art. 32 III bleibt somit von Art. 59 unberührt (BVerfGE 2, 347 (371); SHH/Butzer/Haas/Deutelmoser Art. 59 Rn. 6). Art. 24 und Art. 23 stellen keine Spezialvorschriften zu Art. 59 II dar (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 59 Rn. 1; aA Dreier/Heun Art. 59 Rn. 54). Vielmehr handelt es sich bei allen Gründungsverträgen um völkerrechtliche Verträge, für die gem. Art. 59 II 1 ein Vertragsgesetz erforderlich ist (vgl. BVerfGE 73, 339 (375); 75, 223 (242); 89, 155 (183 f.); 123, 267 (351)). Art. 23 und 24 verdeutlichen lediglich, dass mit einem schlichten Vertragsgesetz keine hoheitsrechtsübertragende Wirkung herbeigeführt werden kann, sondern dass es zusätzlich eines aufgrund verfassungsrechtlicher Ermächtigung erlassenen Integrationsgesetzes bedarf (Art. 23 Rn. 20 ff.; Art. 24 Rn. 7). Ein zweimaliges Tätigwerden der Legislative ist aber nicht erforderlich, da die beiden unterschiedlichen Funktionen – Vertragsgesetz und Integrationsgesetz – in einem Gesetz zusammengefasst werden können (MKS/Kempen Art. 59 Rn. 44). Art. 115a V und Art. 115l III sind leges speciales zu Art. 59 (Friauf/Höfling/Fastenrath/Groh Art. 59 Rn. 26 ff.; Art. 115a Rn. 9; Art. 115l Rn. 5).

II. Repräsentationsaufgaben des Bundespräsidenten

1. Völkerrechtliche Vertretung des Bundes

a) Vertretung durch den Bundespräsidenten

Nach Art. 59 I ist der BPräs für die Kundgabe des innerstaatlich gebildeten Willens nach außen und für die Repräsentation des Staates in der int. Staatengemeinschaft zuständig (Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 1986, 210). Die Vertretungsbefugnis des BPräs ist ausschließlich und umfassend (Dreier/Heun Art. 59 Rn. 20; aA DHS/Nettesheim Art. 59 Rn. 40 f.). Die Erwähnung des Rechts zum Vertragsschluss (Art. 59 I 2) sowie des Rechts zur Beglaubigung und zum Empfang von Gesandten (Art. 59 I 3) sind nur exemplarische Spezifizierungen (v. Münch/Kunig/Starski Art. 59 Rn. 15). Andere Akte wie zB die Abgabe von Anerkennungserklärungen oder Erklärungen über Aufnahme oder Abbruch von diplomatischen Beziehungen sind gleichfalls von Art. 59 I erfasst (BeckOK GG/Pieper Art. 59 Rn. 9). Inhaltlich bezieht sich die Vertretungsbefugnis auf die von Art. 32 erfassten Materien der Bundeskompetenz; die Länder handeln im Bereich ihrer Kompetenz nach Art. 32 III durch eigene Organe (BVerfGE 2, 347 (369, 378 f.)). Die Reichweite der Vertretungsmacht erstreckt sich auf Beziehungen zu allen Völkerrechtssubjekten; eine Begrenzung auf auswärtige Staaten besteht nicht (v. Münch/Kunig/Starski Art. 59 Rn. 15).

Die Handlungsbefugnis gem. Art. 59 I bezieht sich nur auf rechtserhebliche Erklärungen im Außenverhältnis. Auch einseitige völkerrechtlich bedeutsame Erklärungen – wie die Anerkennung von Staaten – sind der Vertretungsmacht des BPräs unterworfen (Friauf/Höfling/Fastenrath/Groh Art. 59 Rn. 37). Die „Vertretung“ bei informellem oder zeremoniellem Handeln, also bei außenpolitischen Akten ohne rechtliche Bindungskraft (zB Grußbotschaften), ist aber von der Norm nicht erfasst (Dreier/Heun Art. 59 Rn. 22; aA BK/Kleinlein Art. 59 Rn. 198) mit der Folge, dass sie auch von anderen Staatsorganen im Rahmen ihres jew. Zuständigkeitsbereichs vorgenommen werden kann (MKS/Kempen Art. 59 Rn. 8; aA BeckOK GG/Pieper Art. 59 Rn. 8). Der BPräs bleibt freilich seinerseits zur Abgabe von politischen Erklärungen in auswärtigen Angelegenheiten befugt. Wegen der fehlenden rechtlichen Verbindlichkeit solcher Erklärungen unterliegt er nicht der Pflicht zur Gegenzeichnung gem. Art. 58 I, sondern allein dem Gebot der Organtreue, das ihn zur Abstimmung seines Verhaltens mit der BReg verpflichtet (Sachs/Streinz Art. 59 Rn. 17, 19).

Der BPräs ist auf formelle Repräsentationsbefugnisse beschränkt. Die völkerrechtliche Vertretungsbefugnis des BPräs in Art. 59 I erstreckt sich auf die bloße Kundgabe staatlicher Erklärungen nach außen. Materielle außenpolitische Gestaltungs- und Entscheidungskompetenzen sind dem BPräs verwehrt (BVerfGE 2, 347 (379); Sachs/Streinz Art. 59 Rn. 18). Die interne Willensbildung liegt bei der BReg und in bestimmten Fällen (Rn. 10 ff.) zudem beim Parlament (DHS/Nettesheim Art. 59 Rn. 53). Bei rechtserheblichen Erklärungen bedarf der BPräs der Zustimmung der BReg; Art. 58 I gilt auch im Bereich der auswärtigen Gewalt (v. Münch/Kunig/Starski Art. 59 Rn. 16, 18; Jarass/Pieroth/Jarass Art. 59 Rn. 6). Umgekehrt darf der BPräs die Abgabe einer von der BReg beschlossenen Erklärung nicht verweigern (Friauf/Höfling/Fastenrath/Groh Art. 59 Rn. 30). Grund für diese bloß „notarielle Funktion“ ist die fehlende parlamentarische Verantwortlichkeit des BPräs (MKS/Kempen Art. 59 Rn. 10; krit. AK/Zuleeg Art. 59 Rn. 9). Nicht berührt wird davon jedoch die Bindung des BPräs an die Verfassung und seine Pflicht zur Kontrolle der formellen und materiellen Verfassungsmäßigkeit der von ihm vorzunehmenden Akte (HStR VII/Bernhardt, 1. Aufl. 1992, § 174 Rn. 8). Insbes. bei Vertragsgesetzen nach Art. 59 II 1 wirkt der BPräs gem. Art. 82 I 1 mit und kann von seinem Ausfertigungsverweigerungsrecht in demselben Umfang Gebrauch machen wie im regulären Gesetzgebungsverfahren (Dreier/Heun Art. 59 Rn. 21). Bei Anhängigkeit eines Verfahrens über die Verfassungsmäßigkeit eines Vertragsgesetzes iSd Art. 59 II 1 vor dem BVerfG muss der BPräs die Ratifikation aussetzen, um den Prozess nicht zu unterminieren (SHH/Butzer/Haas/Deutelmoser Art. 59 Rn. 16; Bspe.: BVerfGE 123, 267 (304); Antragsbegehren in BVerfGE 132, 195 (197); Hängebeschluss in BVerfG BeckRS 2021, 5519 (Rn. 1)).

b) Delegation der Vertretungsbefugnis

Trotz des eindeutigen Wortlauts von Art. 59 I 1 delegieren die BPräs in der Staatspraxis ihre Vertretungsbefugnis vielfach ausdrücklich oder stillschweigend auf andere Staatsorgane des Bundes (Umbach/Clemens/Hartwig Art. 59 Rn. 22 f.). So werden insbes. die Abgabe einseitiger Akte und der Abschluss von Verwaltungsabkommen idR von der BReg oder dem Außenminister vorgenommen (Sachs/Streinz Art. 59 Rn. 9). Durchgreifende Bedenken gegen diese Delegationspraxis bestehen nicht (HStR IV/Calliess § 83 Rn. 19; BeckOK GG/Pieper Art. 59 Rn. 11; aA MKS/Kempen Art. 59 Rn. 18). Sie entspricht sowohl praktischen Notwendigkeiten als auch der völkerrechtlichen Übung, nach der die Aushandlung von Verträgen durch Vertreter der Regierung erfolgt (vgl. Art. 7 II lit. a WVK; Dreier/Heun Art. 59 Rn. 23). Solange von einer hinreichend bestimmten Vollmacht des BPräs im Einzelfall ausgegangen werden kann, muss der BPräs nicht jede völkerrechtliche Erklärung nach außen persönlich abgeben (vgl. BVerfGE 68, 1 (82); v. Münch/Kunig/Starski Art. 59 Rn. 20; diff. SHH/Butzer/Haas/Deutelmoser Art. 59 Rn. 23 ff.). Anderer Legitimationsversuche – wie etwa eines Rückgriffs auf Art. 59 II 2 (so Stern StaatsR II, 226; ähnl. Stern/Sodan/Möstl/Puttler § 19 Rn. 83 f.) – bedarf es daher nicht.

2. Abschluss von Verträgen im Namen des Bundes

Art. 59 I 2 nennt den Abschluss völkerrechtlicher Verträge im Namen des Bundes als ein Bsp. der völkerrechtlichen Vertretungsbefugnis des BPräs. Auch hier ist der BPräs nur auf die formelle Repräsentation des Bundes beschränkt (Rn. 5). Wie bei Art. 32 ist die nicht mehr zeitgemäße Begrifflichkeit „Verträge mit auswärtigen Staaten“ auch auf andere Völkerrechtssubjekte auszudehnen (Dreier/Heun Art. 59 Rn. 24; BK/Kleinlein Art. 59 Rn. 245 ff.). Außerdem sind Form oder Bezeichnung des Vertrags unerheblich (BVerfGE 90, 286 (359)). Entscheidend ist allein die durch übereinstimmende Willenserklärungen erzielte Einigung zwischen Völkerrechtssubjekten über bestimmte völkerrechtliche Rechtsfolgen (BVerfGE 90, 286 (359 ff.)). Verträge iSv Art. 59 I 2 sind damit sowohl Staatsverträge als auch Verwaltungsabkommen nach Art. 59 II 2 (BeckOK GG/Pieper Art. 59 Rn. 16). Auch der Beitritt zu int. Organisationen, der rechtstechnisch nichts anderes ist als die Annahme eines Vertragsangebotes (Wolfrum VVDStRL 56 [1997], 38 (51)), ist vom BPräs zu erklären. Nicht erfasst von Art. 59 I 2 sind idR Konkordate mit dem Hl. Stuhl, da sie sich nach der innerstaatlichen Gesetzgebungskompetenz richten und deshalb zumeist Ländersache sind (BVerfGE 6, 309 (362); Art. 32 Rn. 5, vgl. aber auch Rn. 25), sowie Vereinbarungen, durch die der Bund im internationalen Bereich privatwirtschaftlich tätig wird (v. Münch/Kunig/Starski Art. 59 Rn. 29).

Die Befugnis des BPräs umfasst jede auf den Abschluss eines Vertrags gerichtete Erklärung. Abschluss bedeutet die Herbeiführung der völkerrechtlichen Wirksamkeit, die im einfachen Verfahren durch Unterzeichnung, im zusammengesetzten Verfahren durch Ratifikation erfolgt (ausf. Sachs/Streinz Art. 59 Rn. 14 ff.). Letzteres findet statt bei Verträgen, die gem. Art. 59 II 1 eines Zustimmungsgesetzes bedürfen. Das parlamentarische Zustimmungsverfahren erfolgt im Anschluss an die Unterzeichnung; erst das von den gesetzgebenden Körperschaften beschlossene Vertragsgesetz ermächtigt den BPräs zur Ratifikation (BVerfGE 1, 396 (410)). In der Praxis liegt freilich in den Verfahrensstadien vor der Ratifikation die Verhandlungsführung aufgrund gesonderter, vom BPräs erteilter Verhandlungsvollmachten zumeist bei der BReg (Rn. 6), die ihrerseits gem. § 11 II GOBReg Untervollmachten erteilen kann (Dreier/Heun Art. 59 Rn. 25). Bei der Ratifikation kommt der Prüfungskompetenz des BPräs besondere Bedeutung zu. Er darf die völkerrechtliche Bindung erst eingehen, wenn ein wirksames Vertragsgesetz nach Art. 59 II 1 vorliegt (BVerfGE 1, 396 (410 f.)) und ggf. ein Verfahren vor dem BVerfG über dessen Gültigkeit abgeschlossen ist (BVerfGE 36, 1 (15); 89, 155 (164 f.); 123, 267 (304) Rn. 5, 27). Es handelt sich dabei um eine Ausnahme des grds. nachgelagerten, kassatorischen Rechtsschutzes, um eine sonst nur schwer revidierbare völkerrechtliche Bindung zu verhindern (BVerfGE 152, 55 (62); BeckOK GG/Pieper Art. 59 Rn. 24.3). Dies kann im Einzelfall bei Zeitmangel oder fehlendem Entgegenkommen des BPräs so weit gehen, dass das BVerfG bereits vor der Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Anordnung einen „Ausfertigungsstopp“ in der Form eines Hängebeschlusses verhängt (BVerfG BeckRS 2021, 5519 (Rn. 1); zur negativen Entscheidung bzgl. der einstweiligen Anordnung BVerfGE 157, 332 (390 ff.); zur nachfolgenden Verfassungsbeschwerde BVerfG NJW 2023, 425 ff.). Der Hängebeschluss dient sowohl der Sicherung der Rechtslage bis zur Entscheidung in der Hauptsache als auch als „Minus“ bis zur Entscheidung über den Eilantrag; formal ergeht er gem. § 32 BVerfGG (BVerfG BeckRS 2021, 5519 (Rn. 1); näher Guber NJW 2021, 1854 (1855 f.)). Damit wird garantiert, dass sich die Exekutive nicht über das parlamentarische Beteiligungsrecht hinwegsetzt (Rn. 20). Der Vertrag wird mit dem Austausch der vom BPräs unterzeichneten Ratifikationsurkunde oder, bei mehrseitigen Verträgen, mit ihrer Hinterlegung bei einer vereinbarten Stelle völkerrechtlich wirksam (Art. 14 WVK), es sei denn, sein Inkrafttreten ist von weiteren Bedingungen abhängig (Art. 16 WVK). Für die innerstaatliche Geltung und Anwendbarkeit des Vertrags bedarf es zusätzlich noch der Bekanntmachung des Zustandekommens (BVerfGE 63, 343 (354)).

3. Beglaubigung und Empfang der Gesandten

Als weiteres Bsp. für die Vertretungsbefugnis nennt Art. 59 I 3 die Beteiligung des BPräs am diplomatischen Verkehr durch Wahrnehmung des aktiven und passiven Gesandtschaftsrechts des Bundes. Unter Gesandten iSv Art. 59 I 3 sind nur die beiden höheren Rangklassen der ordentlichen diplomatischen Vertreter fremder Staaten und int. Organisationen zu verstehen (vgl. Art. 14 I lit. a und b WÜD). Diplomatische Vertreter einer niederen Rangklasse (Art. 14 I lit. c WÜD) werden ebenso wie Sonderbotschafter beim Bundeskanzleramt oder Auswärtigen Amt akkreditiert (MKS/Kempen Art. 59 Rn. 24). Für die Gesandten der Bundesrepublik spricht der BPräs in einem förmlichen Beglaubigungsschreiben aus, dass diese Deutschland im Empfangsstaat oder gegenüber einer int. Organisation völkerrechtlich vertreten (v. Münch/Kunig/Starski Art. 59 Rn. 38). Das Beglaubigungsschreiben wird dem Staatsoberhaupt des Empfangsstaates in einem feierlichen Akt übergeben, nachdem man sich zuvor vergewissert hat, dass die betr. Person genehm ist (SHH/Butzer/Haas/Deutelmoser Art. 59 Rn. 36; vgl. auch Art. 4 II WÜD). Der Empfang ausländischer Gesandter im Rechtssinne (Akkreditierung) erfolgt durch die Entgegennahme der Beglaubigungsschreiben fremder diplomatischer Vertreter durch den BPräs (Dreier/Heun Art. 59 Rn. 26). Über die Erteilung des Agrément nach Art. 4 WÜD entscheidet die BReg; der BPräs vollzieht bloß die Erklärung nach außen.

III. Beteiligung der Legislative bei Vertragsabschlüssen

1. Bedeutung des Gesetzesvorbehalts

Nach Ansicht des BVerfG sind die Akte des auswärtigen Verkehrs grds. dem Kompetenzbereich der Exekutive zugeordnet (BVerfGE 68, 1 (87 f.); 90, 286 (357); 104, 151 (207); 121, 135 (158 ff.); 143, 101 (140 f.); krit. BeckOK GG/Pieper Art. 59 Rn. 28). Allerdings will Art. 59 II 1 die gesetzgebenden Körperschaften in die wichtigsten rechtsverpflichtenden Entscheidungen der Außenpolitik einschalten (SHH/Butzer/Haas/Deutelmoser Art. 59 Rn. 36 ff.; vgl. auch BVerfGE 104, 151 (209); 118, 244 (260); 152, 8 (24): „Recht auf Teilhabe an der auswärtigen Gewalt“). Daher lässt sich von einer „gesamthänderischen Verantwortung“ von Regierung und Parlament für die auswärtige Staatsleitungsbefugnis sprechen (SHH/Butzer/Haas/Deutelmoser Art. 59 Rn. 43). Das Zustimmungserfordernis in Art. 59 II 1 verfolgt vor allem das Ziel einer demokratischen Kontrolle der Regierung (v. Münch/Kunig/Starski Art. 59 Rn. 41 ff.) und einer dauerhaften Übernahme von Verantwortung für das im Vertrag festgelegte politische Programm (BVerfGE 118, 244 (259 f.); 121, 135 (157); 126, 55 (71); 152, 8 (23); Sachs/Streinz Art. 59 Rn. 24 f.). So vermittelt etwa das für das CETA-Freihandelsabkommen erforderliche Zustimmungsgesetz nach Art. 59 II 1 dem gemischten Vertrag die demokratische Legitimation für diejenigen Bereiche, die in der alleinigen Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland verblieben sind (v. Arnauld AöR 141 [2016], 268 (278 f.); Holterhus EuR 2017, 234 (240 ff.); Schroeder EuR 2018, 119 (125 ff.); zur vorläufigen Anwendung Rn. 11, Art. 23 Rn. 2). Zugleich sichert das Vertragsgesetz den innerstaatlichen Vollzug, da durch die Zustimmung die Gefahr eines späteren Konflikts zwischen Exekutive und Legislative gebannt wird (BVerfGE 108, 34 (44 f.); 141, 1 (19)). Darüber hinaus enthält das Vertragsgesetz die Ermächtigung zur völkerrechtlichen Ratifikation und erteilt den speziellen Rechtsanwendungsbefehl, durch den die vertragliche Regelung in die innerstaatliche Rechtsordnung einbezogen wird (BVerfGE 104, 151 (209); 118, 244 (258 f.); 123, 267 (355); Rn. 22). Die gesetzesförmliche Zustimmung steht also auch im Dienst eines ungestörten völkerrechtlichen Vertragswesens und eines Gleichklangs der innerstaatlichen mit der völkerrechtlichen Rechtsordnung (MKS/Kempen Art. 59 Rn. 37; zur Völkerrechtsfreundlichkeit des GG vgl. BVerfGE 111, 307 (317 f.); 112, 1 (26); 123, 267 (344 ff.); 141, 1 (26 ff.); 148, 296 (350 ff.); 151, 1 (27); 152, 8 (31 f.); 156, 182 (210); 160, 208 (253); Payandeh ZaöRV 83 [2023], 609 (615 ff.)). Auch über den Geltungsbereich von Art. 59 II 1 hinaus kann der BT – nicht aber der BR (Art. 59 Rn. 11) – durch Fragen, Debatten, Entschließungen und schlichte Parlamentsbeschlüsse auf das auswärtige Handeln der BReg einwirken (BVerfGE 131, 152 (196); 163, 298 (326); v. Münch/Kunig/Starski Art. 59 Rn. 111).

2. Mitwirkung bei bestimmten Rechtsakten

Die Beteiligung der gesetzgebenden Körperschaften ist nach dem Wortlaut von Art. 59 II 1 nur für das Eingehen von zwei- oder mehrseitigen völkerrechtlichen Verträgen vorgesehen. Auch Verträge, die einen bestehenden Vertrag abändern, sind darunter zu subsumieren (BVerfGE 90, 286 (361); 104, 151 (200)). Die Zustimmungspflicht gilt sogar für solche Vertragsänderungen, die selbst nicht dem Beteiligungserfordernis unterliegen, da der Gesetzgeber völkerrechtlichen Verträgen immer nur als rechtliche Einheit zustimmt. Nur so können die Kontrollfunktion der gesetzgebenden Körperschaften über den Vertrag als Ganzes gewahrt bleiben und missbräuchliche Aufspaltungen des Vertrages verhindert werden (v. Münch/Kunig/Starski Art. 59 Rn. 47; diff. MKS/Kempen Art. 59 Rn. 50; aA AK/Zuleeg Art. 59 Rn. 30). Auf der Ebene des Völkerrechts sind die Grenzen zwischen Vertragsänderung und dynamischer Vertragsauslegung häufig fließend; deshalb werden auch informelle und konkludente Vertragsänderungen als zulässig angesehen (HStR VII/Bernhardt, 1. Aufl. 1992, § 174 Rn. 2). Auf der innerstaatlichen Ebene bereitet diese Vertragspraxis allerdings Schwierigkeiten. Bei der Abgrenzung zwischen mitwirkungsbedürftiger Vertragsänderung und mitwirkungsfreier Vertragsauslegung griff das BVerfG zunächst maßgeblich auf das subjektive Kriterium des Vertragsänderungswillens zurück (BVerfGE 90, 286 (361 ff.); 101, 151 (202 f.)). Fehle dieser, liege kein Änderungsvertrag vor; selbst wenn die einverständliche Begründung einer Vertragspraxis über den Vertragsinhalt hinausgehe, unterliege sie nicht der Zustimmungspflicht (BVerfGE 90, 286 (363); 104, 151 (206); 118, 244 (259 f.); 121, 135 (158 f.)). Diese Ansicht überzeugt nicht. Die Zweckrichtung des Art. 59 II 1 gebietet eine Interpretation anhand objektiver und nicht subjektiv-eigendynamischer Kriterien (abw. Meinung in BVerfGE 90, 286 (372, 377); Dreier/Heun Art. 59 Rn. 36; DHS/Nettesheim Art. 59 Rn. 116). Inzwischen hat das BVerfG das subjektive Element zwar nicht verworfen, bezieht aber objektive Anhaltspunkte immerhin stärker ein als früher (BVerfGE 152, 8 (24); vgl. auch BK/Kleinlein Art. 59 Rn. 413). Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt (Art. 87a Rn. 12 ff.) schützt nur den BT, nicht aber den BR vor der Aushöhlung von Rechten, ist also kein wirksames Korrektiv zu Art. 59 II 1 (Dreier Macht und Ohnmacht des Grundgesetzes/Schmahl, 2009, 107 (133 f.); aA BVerfGE 121, 135 (160 ff.)). Das Fehlen einer Ratifikationsklausel (so BVerfGE 104, 151 (200)) kann allenfalls ein Indiz gegen den Vertragscharakter sein. Ferner bedarf es einer (erneuten) Beteiligung der Gesetzgebungsorgane auch dann, wenn der völkerrechtliche Vertrag aus sich heraus eine wesentliche inhaltliche Änderung erfährt, etwa weil der vom Vertrag eingesetzte und mit eigenen Befugnissen versehene „Gemischte Ausschuss“ bindende Entscheidungen zur vertraglichen Fortentwicklung trifft (Plate DÖV 2011, 606 (608 f.)). Nicht von Art. 59 II 1 erfasst wird indes das bloße Wiederaufleben eines suspendierten Vertrags (BVerwGE 80, 233 (241)). Hingegen unterfällt die vorläufige Anwendung von Verträgen iSd Art. 25 WVK regelmäßig bereits ab der Vertragsunterzeichnung der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit einer parlamentarischen Zustimmung (Kleinlein JZ 2017, 377 (383 f.); DHS/Nettesheim Art. 59 Rn. 95; aA Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, 1986, 207 ff.), da vorläufig anwendbare Verträge im Prinzip dieselben völkerrechtlichen Rechte und Pflichten entfalten wie endgültig in Kraft getretene Abkommen (Kempen/Schiffbauer ZaöRV 77 [2017], 95 (109 ff.)). Zur vorläufigen Anwendung des CETA-Freihandelsabkommens vgl. Stützel NVwZ 2022, 693 (694 f.); ferner Art. 23 Rn. 2.

Vereinbarungen, die keine völkerrechtliche Vertragsbindung herbeiführen, sondern bloß politische Verpflichtungen enthalten (soft law), sind nicht zustimmungsbedürftig (BVerfGE 68, 1 (87 f.); 90, 286 (358); weitergehend Reiling ZaöRV 78 [2018], 311 (320 ff.)). Dies gilt trotz des Umstandes, dass die weichen Vereinbarungen den harten völkerrechtlichen Verträgen in ihrer praktisch-politischen Wirkung oft nicht nachstehen, was etwa die Schlussakte der KSZE v. 1.8.1975 verdeutlicht (Tomuschat VVDStRL 36 [1978], 7 (33)). Auch die inzwischen häufigen Abschlusserklärungen hochpolitischer Gipfel von Staats- und Regierungschefs wirken auf bestehende völkervertragliche Regelungen ein und sind oftmals sogar Vorboten späterer Kodifizierungen (Kadelbach/Kleinlein RphZ 2020, 263 (264 f.); Petrig ZaöRV 78 [2018], 93 (96 ff.)). Gleichwohl würde es den Wortlaut überdehnen, weitete man den Anwendungsbereich von Art. 59 II 1 allein wegen der politischen Wirkung außerrechtlicher Erklärungen aus (BVerfGE 68, 1 (109); MKS/Kempen Art. 59 Rn. 54; Dreier/Heun Art. 59 Rn. 43; aA Dreier/Pernice, 2. Aufl. 2006, Art. 59 Rn. 45; diff. HStR XI/Vöneky § 236 Rn. 24 f.; Starski Der Staat 62 [2023], 373 (412 ff.)). Diskutabel erscheint aber eine Verrechtlichung der „politischen Bringschuld“ der BReg und ein parlamentarisches Recht zu Information und Stellungnahme (Fuchs DVBl 2019, 668 (669 ff.); Schorkopf ZAR 2019, 90 (91 ff., 95); aA Schwarz NVwZ 2021, 860 (862 f.)). Die mehrfachen Initiativen für ein „Gesetz zur Sicherung der Gewaltenteilung bei internationalen Entscheidungsprozessen“ unter Berücksichtigung der Kontrollfunktion des Parlaments (BT-Drs. 19/6399 v. 11.12.2018; BT-Drs. 19/11151 v. 25.6.2019) waren jedoch nicht erfolgreich.

Bei einseitigen völkerrechtlichen Rechtsakten ist in Bezug auf ihren Inhalt und ihre Tragweite zu differenzieren. Werden zB einseitige Erklärungen im Rahmen eines Vertragsverhältnisses abgegeben, die auf dieses einwirken und Rechte und Pflichten der Bundesrepublik begründen (zB Beitritt zu Verträgen, Einlegen oder Rücknahme von Vorbehalten), darf die Legislative nicht unbeteiligt bleiben (v. Münch/Kunig/Starski Art. 59 Rn. 54; umfassend Hettche, Die Beteiligung der Legislative bei Vorbehalten zu und Kündigung von völkerrechtlichen Verträgen, 2018, 70 ff.; aA BVerfGE 68, 1 (83 f.)). Dies greift auch, wenn der BT seine Zustimmung zum Vertrag bereits erteilt hat und die BReg sich anschließend entscheidet, einen Vorbehalt einzulegen (Sauer StaatsR III § 4 Rn. 59), wie dies bei der Ratifikation des ESM-Vertrags (Art. 23 Rn. 2) der Fall war. Gleiches gilt für die Anerkennung von Ansprüchen und für Versprechen, die in ihrer Reichweite Verträgen gleichstehen (Sachs/Streinz Art. 59 Rn. 44; HStR IV/Calliess § 83 Rn. 48; aA BVerfGE 90, 286 (358)). Auch einseitige Erklärungen, die die Beendigung völkerrechtlicher Vertragspflichten herbeiführen, sind teleologisch jedenfalls dann unter Art. 59 II 1 zu fassen, wenn es sich um Kündigungen völkerrechtlicher Verträge ordnungsrechtlicher oder gesetzesinhaltlicher Natur handelt (DHS/Nettesheim Art. 59 Rn. 140; Lange AöR 142 [2017], 442 (462 ff.); aA SHH/Butzer/Haas/Deutelmoser Art. 59 Rn. 66). Dies gebieten der Vorbehalt des Gesetzes (Steiger FS Fastenrath, 2019, 137 (155)) und die Wesentlichkeitstheorie (Ley AöR 146 [2021], 299 (347 f.); Starski Der Staat 62 [2023], 373 (407 ff.); tendenziell wohl auch Grzeszick AVR 58 [2020], 123 (177 ff.)). Rechtsakte selbständiger Art, selbst wenn sie im hochpolitischen Bereich getroffen werden (zB Anerkennung von Staaten, Regierungen oder Grenzen) unterfallen Art. 59 II 1 indes nicht. Hier behauptet sich das aus Art. 59 II 1 folgende grds. Regierungsmonopol in auswärtigen Angelegenheiten (BVerfGE 108, 34 (44)). Die Einführung eines parlamentarischen Informations- und Stellungnahmerechts (Rn. 12) wäre allerdings auch insoweit sinnvoll.

3. Mitwirkung bei bestimmten Vertragsgegenständen

Die Beteiligung der gesetzgebenden Körperschaften ist nach Art. 59 II 1 nur für bestimmte Arten von Verträgen vorgesehen. Gem. Alt. 1 sind dies zunächst die Verträge, die die politischen Beziehungen des Bundes regeln. Da der Begriff nicht definiert ist, bedarf es einer Interpretation nach dem Telos von Art. 59 II 1. Dieser gebietet eine enge Interpretation der politischen Beziehungen, da anderenfalls das Unterscheidungskriterium zu Alt. 2 konturenlos würde (MKS/Kempen Art. 50 Rn. 63; krit. DHS/Nettesheim Art. 59 Rn. 101 f.). Gemeint sind daher Verträge, die sich mit öffentlichen Angelegenheiten, dem Gemeinwohl oder den Staatsgeschäften befassen, wobei die Beziehungen jedoch wesentlich und unmittelbar die Existenz des Staates, seine territoriale Integrität, seine Unabhängigkeit oder seine Stellung innerhalb der Staatengemeinschaft betreffen müssen (BVerfGE 1, 372 (381 f.)). Dazu gehören etwa Verteidigungsbündnisse, Friedens- oder Abrüstungsverträge, also alle Verträge, die die Grundentscheidungen der Staatsleitung betreffen, einschließlich Verträge gem. Art. 24 (BVerfGE 1, 372 (381); 36, 1 (13 ff.); 40, 141 (164); 90, 286 (359); vgl. auch BVerfGE 104, 151 (194); 121, 135 (157)). Handelsverträge sind keine politischen Verträge, wenn nicht besondere Umstände des Einzelfalls eine andere Beurteilung erfordern (BVerfGE 1, 351 (370)). Das Gewicht und die Bedeutung des Vertrags ist aus der Sicht der Bundesrepublik und nicht aus der Sicht des auswärtigen Vertragspartners zu beurteilen (v. Münch/Kunig/Starski Art. 59 Rn. 82; diff. BVerfGE 1, 372 (383)). Politische Nebenwirkungen, die der Vertrag zeitigen mag, genügen nicht (Friauf/Höfling/Fastenrath/Groh Art. 59 Rn. 58). Das BVerfG hat bisher in drei Fällen die Einordnung als politischer Vertrag iSv Art. 59 II 1 abgelehnt (BVerfGE 1, 351 (366 f.); 1, 372 (380); 2, 347 (378 f.)).

Eine weitere Gruppe bilden gem. Art. 59 II 1 Alt. 2 die Verträge, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen. Wenn dabei von Bundesgesetzgebung die Rede ist, wird nur der Hauptanwendungsbereich beschrieben. Da der Bund auch im Bereich der Landesgesetzgebung völkerrechtliche Verträge schließen kann (Art. 32 Rn. 7), erstreckt sich Art. 59 II 1 Alt. 2 zur Sicherung des Gesetzesvorbehalts auch auf die Landesgesetzgebung, sofern der Bund von seiner Abschlusskompetenz Gebrauch macht (HStR IV/Calliess § 83 Rn. 28; aA Dreier/Pernice, 2. Aufl. 2006, Art. 59 Rn. 34). Auf einen Gegenstand der Gesetzgebung bezieht sich ein Vertrag, wenn der Bund durch den Vertrag Verpflichtungen übernimmt, deren Erfüllung allein durch den Erlass eines formellen Gesetzes möglich ist (BVerfGE 1, 372 (388 f.); 4, 276 (250); Friauf/Höfling/Fastenrath/Groh Art. 59 Rn. 60). Damit richtet sich der Anwendungsbereich des Art. 59 II 1 Alt. 2 nach den allg. verfassungsrechtlichen Grundsätzen zum Gesetzesvorbehalt, insbes. der Wesentlichkeitstheorie (Sachs/Streinz Art. 59 Rn. 26 f., 32; BK/Kleinlein Art. 59 Rn. 302).

Problematisch ist die Rechtslage bei sog. Parallelabkommen. Solche liegen vor, wenn der beabsichtigte Vertrag zu einem innerstaatlichen Rechtszustand verpflichtet, dem dieses Recht bereits entspricht (Sachs/Streinz Art. 59 Rn. 35). Auch hier ist eine gesetzesförmige Zustimmung der Legislative zu fordern (HStR XI/Vöneky § 236 Rn. 19). Obgleich der Zweck der Vollzugssicherung entfällt, ist die Entscheidungsfreiheit des Parlaments beeinträchtigt, da es sich mit dem Vertragsschluss der Möglichkeit begibt, die mit dem Vertrag bereits übereinstimmende innerstaatliche Rechtslage ohne Verstoß gegen völkerrechtliche Verpflichtungen abzuändern (MKS/Kempen Art. 59 Rn. 71; Jarass/Pieroth/Jarass Art. 59 Rn. 13a; vgl. aber auch Rn. 25). Daher werden Parallelverträge in der Praxis nur nach Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften abgeschlossen (Kadelbach/Gutermann AöR 126 [2001], 563 (571 ff.)).

Keines Vertragsgesetzes bedarf es hingegen, wenn die Exekutive durch eine gesetzliche Ermächtigung in die Lage versetzt wird, die in einem Vertrag getroffene Regelung im Wege der Rechtsverordnung innerstaatlich durchzuführen (BVerfGE 1, 372 (390)). Es handelt sich dann um ein sog. normatives Verwaltungsabkommen; durch die Verordnungsermächtigung begibt sich der Gesetzgeber der unmittelbaren Kontrolle der Exekutive nach innen und nach außen (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 59 Rn. 14). Die gesetzliche Ermächtigung muss allerdings hinreichend konkret (BVerfGE 1, 372 (395)) und auslandsbezogen sein, dh sie muss – zumindest implizit (DHS/Nettesheim Art. 59 Rn. 141) – zum Ausdruck bringen, dass sie auch der Durchführung international vereinbarter Regeln dient (BSGE 85, 256 (265); MKS/Kempen Art. 59 Rn. 68; strenger v. Münch/Kunig/Starski Art. 59 Rn. 87). Außerdem muss der Gesetzgeber bei der Erteilung der Verordnungsermächtigung die Möglichkeit gehabt haben, einen Aufhebungsvorbehalt anzubringen, der ihn in die Lage versetzt, durch schlichten Parlamentsbeschluss die Aufhebung der Verordnung zu verlangen (MKS/Kempen Art. 59 Rn. 68). Ein Gesetz ist auch entbehrlich, wenn die RVO der Zustimmung des BR, etwa gem. Art. 80 II, bedarf (Sachs/Streinz Art. 59 Rn. 37; aA wohl BVerfGE 1, 372 (390)).

Die parlamentarische Zustimmungsbedürftigkeit finanzwirksamer Verträge richtet sich nach ihren Auswirkungen auf den Haushaltsplan (SHH/Butzer/Haas/Deutelmoser Art. 59 Rn. 78). Werden zur Erfüllung der durch den Vertrag geschaffenen finanziellen Belastungen neue Haushaltstitel geschaffen, ist das Haushaltsrecht des Parlaments betroffen, so dass eine gesetzesförmige Zustimmung schon wegen Art. 110 I, II unumgänglich ist (Dreier/Heun Art. 59 Rn. 33). Können hingegen die zur Vertragserfüllung erforderlichen Mittel mit den der BReg zur Verfügung stehenden Haushaltsinstrumentarien akquiriert werden oder sieht der Haushaltsplan die entspr. Mittel bereits vor, sind finanzwirksame Verträge zustimmungsfrei (MKS/Kempen Art. 59 Rn. 72; Friauf/Höfling/Fastenrath/Groh Art. 59 Rn. 62).

4. Verfahren und Form der Beteiligung von Bundestag und Bundesrat

Art. 59 II 1 schreibt vor, dass die für die Gesetzgebung zuständigen Körperschaften in Form der Zustimmung oder der Mitwirkung zu beteiligen sind. Mit dieser Vorgabe verweist die Norm auf Art. 76–78. Der Zustimmung des BR bedarf ein völkerrechtlicher Vertrag daher auch dann, wenn nur eine einzige Bestimmung des Vertrags eine Sachmaterie betrifft, zu deren gesetzlicher Regelung die Zustimmung erforderlich ist (BVerfGE 8, 274 (294 f.); 55, 274 (326 f.)). Bei Verträgen, die allein die politischen Beziehungen des Bundes regeln, dürfte die Zustimmung des BR jedoch generell nicht erforderlich sein; diese unterliegen idR (Ausnahme: Art. 23 I 2) nur einer Einspruchsmöglichkeit (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 59 Rn. 15; SHH/Butzer/Haas/Deutelmoser Art. 59 Rn. 84). Verträge über Gegenstände der Landesgesetzgebung bedürfen zwar der Zustimmung des BT, mangels verfassungsrechtlicher Anordnung aber nicht derjenigen des BR (Sachs/Streinz Art. 59 Rn. 49). Bei Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen, die materiell eine Verfassungsänderung bewirken, sind die Vorgaben des Art. 79 zu beachten (BVerfGE 36, 1 (14); Jarass/Pieroth/Jarass Art. 59 Rn. 15). Inwieweit ein Zustimmungsgesetz selbst unmittelbar die Verfassung ändern kann, sofern keine spezifische verfassungsrechtliche Legitimation besteht, wie sie etwa im Wiedervereinigungsgebot gesehen wurde (BVerfGE 82, 316 (320); 84, 90 (118)), ist nicht abschließend geklärt. Für Verträge zur Gründung oder Änderung der EU ist Art. 23 I 3 lex specialis (Art. 23 Rn. 22 f.).

Eine verfahrensrechtliche Besonderheit gegenüber dem „normalen“ Gesetzgebungsverfahren liegt in der Einbringung des Gesetzentwurfs zu einem Vertragsgesetz. Nach Ansicht des BVerfG (BVerfGE 90, 286 (358); zust. AK/Zuleeg Art. 59 Rn. 47) soll von den in Art. 76 I genannten Initiativberechtigten mit Blick auf den außenpolitischen Gestaltungsspielraum der Exekutive nur die BReg das Vertragsgesetz einbringen dürfen. Dies deckt sich freilich nicht mit der Staatspraxis, in der schon mehrfach Gesetzesvorlagen zu völkerrechtlichen Verträgen aus der Mitte des BT eingebracht wurden (Wolfrum VVDStRL 56 [1997], 38 (48); SHH/Butzer/Haas/Deutelmoser Art. 59 Rn. 87). Weiterhin unterscheidet sich das Zustimmungsverfahren bei völkerrechtlichen Verträgen vom regulären Gesetzgebungsverfahren dadurch, dass BT und BR die Zustimmung zu dem Gesetz nur im Ganzen (en bloc) erteilen oder verweigern dürfen. Es besteht ein sog. Bepackungsverbot (§ 82 II GOBT). Dadurch soll sichergestellt werden, dass die außenpolitische Handlungsfähigkeit der BReg nicht beeinträchtigt wird, indem sie einen bereits unterzeichneten Vertrag mit ihrem Vertragspartner erneut aushandeln müsste (BVerfGE 77, 170 (231)). Das innerstaatliche Schicksal des Vertrags verbleibt aber in den Händen der gesetzgebenden Körperschaften; verweigern diese die erforderliche Zustimmung zum Vertragsgesetz, darf der BPräs den von der BReg unterzeichneten Vertrag weder ausfertigen noch ratifizieren (Schmahl JuS 2013, 961 (964 f.); Rn. 8). Erfolgt die Ratifikation unter Vorbehaltserklärung, soll nach einer Ansicht der Vorbehalt der Mitwirkung der Gesetzgebungsorgane nicht bedürfen (so zB v. Münch/Kunig/Starski Art. 59 Rn. 54). Dies ist wenig überzeugend, da Vorbehalte in ihren Auswirkungen der Neubegründung einer Rechtslage durch Vertragsschluss ähneln (Wolfrum VVDStRL 56 [1997], 38 (50); DHS/Nettesheim Art. 59 Rn. 121). Art. 59 II 1 ist daher teleologisch erweiternd auszulegen.

Die Zustimmung oder Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften erfolgt in der Form eines formellen Bundesgesetzes, das in der Terminologie des BVerfG als Vertrags- oder Zustimmungsgesetz bezeichnet wird (BVerfGE 73, 339 (375); 104, 151 (213); 118, 244 (261); 152, 8 (26)) und funktionell einen Regierungsakt darstellt (BVerfGE 1, 372 (395)). Der Begriff „Zustimmungsgesetz“ ist etwas unglücklich, da die Gefahr einer Verwechslung mit dem Zustimmungsgesetz nach Art. 77 II, III besteht (AK/Zuleeg Art. 59 Rn. 20). Materiell muss das Zustimmungsgesetz den Anforderungen des GG genügen; insbes. das Bestimmtheitsgebot muss beachtet sein (Sachs/Streinz Art. 59 Rn. 56; aA BVerfGE 77, 170 (231)).

5. Rechtswirkungen des Vertragsgesetzes

Das Vertragsgesetz nach Art. 59 II 1 ermächtigt die Exekutive, insbes. den BPräs, zur Ratifikation, ohne sie dazu zu verpflichten oder eine sonstige Bindungswirkung zu erzeugen (BVerfGE 68, 1 (85 f.); 90, 286 (358)). Außerdem bewirkt das Vertragsgesetz den innerstaatlichen Vollzug des Vertragsinhalts: Mit dem Vertragsgesetz öffnet die Bundesrepublik ihren Rechtsraum dem Vertrag, der sodann im Innern gilt und, sofern er self-executing ist (Rn. 26), auf die von ihm erfassten Sachverhalte unmittelbar anwendbar ist. Dieser Vorgang wird überwiegend so verstanden, dass der Gesetzgeber dem völkerrechtlichen Vertrag einen Rechtsanwendungsbefehl erteilt (grdl. Partsch BerDGVR 6 [1964], 13 ff.; ferner BK/Kleinlein Art. 59 Rn. 493 f. mwN). Diese sog. Vollzugslehre, die dem Völkerrecht die Auswirkung im innerstaatlichen Rechtsraum gestattet, ohne seine völkerrechtliche Rechtsnatur anzutasten (HStR VII/Steinberger, 1. Aufl. 1992, § 173 Rn. 42), hat gegenüber der Transformationstheorie, die völkerrechtliche Normen in deutsches Recht umwandelt (dargestellt bei Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, 1967, 205 ff.), entscheidende Vorteile: Sie reagiert akzessorisch auf Herkunft, Rechtsnatur und Bestand der Völkerrechtsnorm, ermöglicht eine Auslegung nach völkerrechtlichen Interpretationsregeln und beugt der Gefahr vor, dass Völkerrechtsverstöße fälschlich nur als innerstaatliches Problem angesehen werden (Schmahl JdF 2005, 290 (292 f.); MKS/Kempen Art. 59 Rn. 88 ff.; vgl. auch Art. 25 Rn. 2). Auch das BVerfG hat sich nach anfänglichen Unsicherheiten (BVerfGE 1, 396 (410); 29, 348 (360)) der Vollzugslehre angeschlossen (BVerfGE 46, 342 (363); 75, 223 (244 f.); 90, 286 (364); 123, 267 (355); 140, 317 (336); 148, 296 (351); 149, 346 (361); 153, 74 (111); 158, 210 (219); ungenau jedoch BVerfGE 111, 307 (311); BVerfG [K] JZ 2007, 887 (888); NJW 2009, 1133 (1134)).

Grds. stehen Vertragsgesetze in Deutschland im Rang eines einfachen Bundesgesetzes und können damit Verfassungsrecht nicht verdrängen (BVerfGE 74, 358 (370); 82, 106 (120); 111, 307 (316 f.); 141, 1 (19); 143, 101 (135 f.); 148, 296 (350); 149, 293 (329); 151, 1 (27 f.); krit. zur Rangfrage Payandeh NJW 2016, 1279 (1280)). Lediglich in Ausnahmefällen kann bestimmten Verträgen ein höherer Rang eingeräumt werden. So durfte der Anwendungsvorrang des Unionsrechts wegen der ausdrücklichen Ermächtigung des Gesetzgebers in den Vertragsgesetzen zu den Primärverträgen vorgesehen werden (BVerfGE 123, 267 (402); 129, 78 (99 f.); Art. 23 Rn. 18). Die EMRK hingegen genießt, ungeachtet verschiedener wissenschaftlicher Ansätze, einen Verfassungsrang zu begründen (zusammenfassend DGM Konkordanzkommentar/Giegerich, Kap. 2 Rn. 52 ff. mwN), bisher nur den Rang eines einfachen Bundesgesetzes (BVerfGE 74, 358 (370); 111, 307 (317); 120, 180 (200); 148, 296 (350); BVerfG [K] NJW 2017, 1539; NJW 2019, 41 (42); NJW 2023, 2632 (2633)). Auch ein Übergesetzesrang einzelner EMRK-Garantien durch Rekurs auf Art. 25 ist abzulehnen (HStR X/Nußberger § 209 Rn. 8). Verfahrensrechtlich kann jedoch die einer EMRK-Garantie komplementäre nationale Grundrechtsverbürgung iVm Art. 20 III die geeignete Basis für die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde bieten (BVerfGE 111, 307 (316, 329); 124, 300 (319); 148, 296 (389)). Auf der anderen Seite hindert die in § 31 I BVerfGG statuierte Bindungswirkung der Feststellung eines Grundrechtsverstoßes durch das BVerfG die Fachgerichte daran, unter Berufung auf die EMRK zu einem davon abweichenden Ergebnis zu gelangen (BVerwG NVwZ 2017, 65 (66, 68 f.)). Das BVerfG selbst sieht sich jedoch durch die Rechtskraft einer abweichenden eigenen Entscheidung nicht an einer erneuten Prüfung gehindert (BVerfGE 128, 326 (364 f.); BVerfG [K] NVwZ-RR 2021, 737 (739 f.)).

Die Rangzuweisung völkerrechtlicher Verträge zum einfachen Bundesrecht führt dazu, dass deutsche Gerichte im Fall einer Kollision von Normen des Vertrages mit denen deutscher Bundesgesetze eine Lösung auf der Ebene der Gleichordnung zu finden haben (Schmahl JdF 2005, 290 (293)). Dabei sind die Verbürgungen der völkerrechtlichen Vereinbarung von den deutschen Gerichten wie jedes andere Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfGE 74, 358 (370); 82, 106 (120); 83, 119 (128); 111, 307 (317, 319 f.); 127, 293 (334); 138, 296 (356); 151, 1 (28)). Hierfür streitet auch der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG, der auf alle von der Bundesrepublik Deutschland ratifizierten völkerrechtlichen Verträge Anwendung findet (vgl. zB BVerfGE 142, 234 (245 ff.); 149, 160 (199); 160, 208 (253)). Besondere Bedeutung erlangt diese Interpretationsmethode in Bezug auf die EMRK, die sogar bei Auslegung der insoweit höherrangigen Grundrechte des GG heranzuziehen ist (BVerfGE 74, 358 (370); 111, 307 (317), 329; 128, 326 (365, 370 f.); 148, 296 (351); 149, 160 (201); BVerfG [K] NVwZ-RR 2023, 649 (650)). Dogmatischer Ansatzpunkt ist insoweit Art. 1 II, wonach sich das deutsche Volk zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten bekennt (BVerfGE 128, 326 (368 f.); 141, 1 (15, 32); 148, 296 (352); 154, 152 (219)). Ebenso sind Entscheidungen des EGMR von deutschen Gerichten zu berücksichtigen (BVerfGE 111, 307 (319, 323); 128, 326 (367 ff.); 131, 268 (296 f.); 133, 59 (84); 134, 33 (59 ff.); 148, 296 (351); 149, 160 (201); 151, 1 (28)). Das bedeutet zwar keine strikte Bindung und schematische Parallelisierung, aber doch einen aktiven, völkerrechtskonformen Rezeptionsvorgang im Kontext der aufnehmenden Verfassungsordnung (BVerfGE 128, 326 (370); 143, 246 (319); 148, 296 (353); 151, 1 (27); 152, 152 (176); 156, 354 (397); Michael/Morlok Grundrechte Rn. 740). Dabei hat das BVerfG sogar anerkannt, dass Urteile des EGMR, die neue Aspekte für die Auslegung des GG enthalten, auf einer Stufe mit rechtserheblichen Änderungen stehen, die zu einer Überwindung der Rechtskraft einer BVerfG-Entscheidung führen können (BVerfGE 128, 326 (364 f.); BVerfG [K] NVwZ-RR 2021, 737 (739 f.); Voßkuhle EuGRZ 2014, 165 f.). Dies ist u. a. Ausdruck des Prinzips der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG in spezifischer Anwendung auf die EMRK (BVerfGE 128, 326 (368 f.); 141, 1 (26 ff.); 148, 296 (350 ff.); 151, 1 (26 ff.); 156, 182 (210); Schmahl ZaöRV 83 [2023], 805 (809 ff.)). Doch betont das BVerfG auch, dass jenseits des Anwendungsbereichs von Art. 46 EMRK die konkreten Umstände des Falles i. S. einer Kontextualisierung in besonderem Maße in den Blick zu nehmen seien (BVerfGE 111, 307 (327); 148, 296 (354); 151, 1 (29); krit. Stern/Sodan/Möstl/Schmahl § 98 Rn. 34 ff. mwN)). Entsprechendes gilt für Judikate des IGH (BVerfGE 152, 8 (31 f.); BVerfG [K] NJW 2007, 499 (502); NJW 2011, 207 (208)). Aussagen von internationalen Expertenausschüssen oder anderen Vertragsorganen kommt hingegen zwar erhebliche Autorität zu, sie sind jedoch, sofern ihnen im Vertragstext kein entsprechendes Mandat zugewiesen ist, weder für internationale noch für nationale Gerichte i. e. S. rechtsverbindlich (BVerfGE 142, 313 (346); 149, 293 (331); 151, 1 (29); ferner Payandeh NVwZ 2020, 125 (126 ff.)).

Um darüber hinaus die Bindung an den völkerrechtlichen Vertrag pro futuro nicht leerlaufen zu lassen, findet die völkerrechtskonforme Auslegung deutscher Gesetze sogar bei denjenigen Gesetzen Anwendung, die zeitlich später erlassen worden sind als der Vertrag. Insoweit wird jedenfalls im Blick auf Menschenrechtsverträge der lex posterior-Grundsatz überwunden; das Vertragsgesetz kommt als das speziellere Gesetz zur Anwendung (BVerfGE 74, 358 (370); 111, 307 (324); BK/Kleinlein Art. 59 Rn. 545; aA Jarass/Pieroth/Jarass Art. 59 Rn. 19; diff. DHS/Nettesheim Art. 59 Rn. 186 f.). Ob die dargestellten Rechtswirkungen auch in Bezug auf die Praxis des „treaty override“ im Rahmen von Doppelbesteuerungsabkommen, also bei Fällen eintreten, in denen der nationale Steuergesetzgeber einseitig von Regelungen des Abkommens abweicht, um eine sog. „Keinmalbesteuerung“ zu vermeiden, war lange Zeit umstr. (vgl. nur BFHE 236, 304; Frau/Trinks DÖV 2013, 228 (231 f.), jeweils mwN). Mit Beschluss v. 15.12.2015 hat das BVerfG nicht nur die einseitige „Vertragsüberschreibung“ im Steuerrecht für verfassungskonform erklärt, sondern auch die grundsätzliche Frage, ob völkerrechtliche Verträge innerstaatlich den Gesetzgeber binden, abschlägig beschieden (BVerfGE 141, 1 (21 ff.)). Anders als im Rahmen des int. Menschenrechtsschutzes, dem gem. Art. 1 II eine prominente Stellung innerhalb der Verfassungsordnung zukomme, habe der deutsche Gesetzgeber infolge sonstiger völkervertraglicher Bindung seine ungebundene Normsetzungsautorität nicht eingebüßt (BVerfGE 141, 1 (32)). Insbes. aus dem für das Demokratieprinzip immanenten Grundsatz der parlamentarischen Diskontinuität folge, dass der Gesetzgeber in der Lage sein müsse, eine Entscheidung des früheren Gesetzgebers zu revidieren; hiermit sei eine dauerhafte Bindung an das Zustimmungsgesetz gem. Art. 59 II 1 unvereinbar (BVerfGE 141, 1 (22 ff.)). Da mit Ausnahme von Menschenrechtsverträgen (BVerfGE 141, 1 (32 f.)) nach Ansicht des BVerfG alle völkerrechtlichen Verträge der einseitigen innerstaatlichen Überschreibungsmöglichkeit durch Bundesgesetz unterfallen, können hiervon wohl auch Konkordate mit dem Hl. Stuhl, soweit sie ausnahmsweise in die Vertragsabschlusskompetenz des Bundes fallen (Art. 32 Rn. 5; Art. 140 Rn. 2), nicht prinzipiell ausgeschieden werden (z. T. ungenau Towfigh/Bonde NJW 2023, 3769 (3772 ff.)). Die „treaty override“-Entscheidung hat neben vereinzelter Zustimmung (Funke DÖV 2016, 833; Gärditz AJIL 110 [2016], 339; wohl auch Paulus ZaöRV 83 [2023], 869 (878)) zu Recht vielfache Kritik erfahren (Giegerich FS Vedder 2017, 640 ff.; Paul, Die Bindungswirkung völkerrechtlicher Verträge im Lichte des Grundgesetzes, 2023, 141 ff., jeweils mwN). Sie führt zu einer „Bagatellisierung“ völkervertraglicher Bindungen mit dem Risiko völkerrechtlicher Haftung (Krumm AöR 138 [2013], 363 (373)), überspielt wesentliche Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips (zutr. abwM in BVerfGE 141, 1 (48 ff.)), steht in einem Spannungsverhältnis zum Grundsatz der Gewaltenteilung im Rahmen der auswärtigen Gewalt (Henrich NVwZ 2016, 668 (670)) und verkennt, dass das Völkervertragsrecht geeignete Mittel bereithält, ein Vertragsverhältnis nachträglich und völkerrechtskonform zu modifizieren (HStR XI/Vöneky § 236 Rn. 33). Zwar ist der BT zur Geltendmachung von Gestaltungsrechten nicht befugt; allerdings stehen ihm durchaus verfassungsrechtliche Möglichkeiten zur Verfügung, auf die Willensbildung der BReg politisch einzuwirken (Payandeh NJW 2016, 1279 (1281); Fastenrath JZ 2016, 636 (639)).

Trotz der Übernahme eines völkerrechtlichen Vertrags und seiner Geltung im innerstaatlichen Recht sind dessen Regelungen nicht unbedingt unmittelbar anwendbar (MKS/Kempen Art. 59 Rn. 95; missverständlich BVerfGE 29, 348 (360)). Entscheidend für die unmittelbare Anwendbarkeit ist, dass die vertragliche Bestimmung selbst als self-executing zu verstehen ist, also ohne weitere Zwischenschritte unmittelbare Rechte und Pflichten zu erzeugen vermag (v. Arnauld VölkerR, Rn. 511 f.). Non-self-executing-Bestimmungen begründen für die Bundesrepublik als Vertragspartei die objektive Verpflichtung, ihren Inhalt zu beachten und ggf. im Wege weiterer Normsetzung oder Rspr. zu konkretisieren (v. Münch/Kunig/Starski Art. 59 Rn. 109; Sachs/Streinz Art. 59 Rn. 67 f.). So sind die Rechtshilfevorschriften des Übereinkommens des Europarats über Computerkriminalität nach Ansicht des BVerfG innerstaatlich nicht unmittelbar anwendbar, sondern etablieren lediglich völkerrechtliche Pflichten der Bundesrepublik als Vertragspartei (BVerfGE 142, 234 (246 ff.)). Subjektive Rechte des Einzelnen entstehen nur, wenn der völkerrechtliche Vertrag auch derartige Rechte vermitteln will (BSGE 60, 230 (234); Jarass/Pieroth/Jarass Art. 59 Rn. 18).

6. Verfassungsgerichtliche Kontrolle des Vertragsgesetzes

Das Vertragsgesetz kann Prüfungsgegenstand einer abstrakten oder konkreten Normenkontrolle oder einer Verfassungsbeschwerde sein (BVerfGE 1, 396 (410); 4, 157 (162); 55, 349 (361); 84, 90 (113); 123, 148 (170); 153, 74 (131); 158, 210 (228); 163, 165 (211)). Art. 59 II und Art. 24 II vermitteln dem BT – nicht aber dem einzelnen Abgeordneten – subjektive Rechte (BVerfGE 117, 359 (368); 118, 244 (261); Jarass/Pieroth/Jarass Art. 59 Rn. 8a). Um ein Auseinanderfallen von völker- und verfassungsrechtlicher Bindung zu vermeiden, ist die Kontrolle schon vor Eintritt der völkerrechtlichen Bindung geboten (BVerfGE 24, 33 (54 f.); Rn. 8). Das Gesetzgebungsverfahren muss allerdings bis auf die Ausfertigung des Vertragsgesetzes und dessen Verkündung durch den BPräs abgeschlossen sein (BVerfGE 1, 396 (413); 24, 33 (53 f.); 112, 363 (367); 123, 267 (329); BVerfG EuZW 2020, 427 (429); NVwZ 2023, 1811 (1812)). Dabei ist jew. das weite politische Ermessen zu beachten, das bei Abschluss völkerrechtlicher Verträge besteht (BVerfGE 94, 12 (35); HStR IV/Calliess § 83 Rn. 33). Bei außenpolitischen Wertungen besteht sogar nur die „Grenze offensichtlicher Willkür“ (BVerfGE 68, 1 (97); BSG NZS 2018, 366 (369)). Soweit es um Grundrechtsbeeinträchtigungen geht, ist das problematisch (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 59 Rn. 8a).

IV. Verwaltungsabkommen des Bundes

Gem. Art. 59 II 2 gelten für Verwaltungsabkommen die Vorschriften über die Bundesverwaltung (Art. 83 ff.) entsprechend. Der Begriff des Verwaltungsabkommens steht im Gegensatz zu den in Art. 59 II 1 genannten Verträgen und kann nur negativ bestimmt werden. Verwaltungsabkommen sind also alle völkerrechtlichen Verträge des Bundes, die nicht die notwendige politische Bedeutung haben und zu deren Durchführung kein Gesetz erforderlich ist (Dreier/Heun Art. 59 Rn. 48; Sachs/Streinz Art. 59 Rn. 77). Fehlender Gesetzgebungsbedarf schließt freilich nicht aus, dass materielle Gesetze, etwa RVOen, zur Ergänzung des bestehenden Rechts ergehen dürfen (Fastenrath DÖV 2008, 697 (705)). Außerdem kann ein Verwaltungsabkommen beliebige Gegenstände betreffen (DHS/Nettesheim Art. 59 Rn. 156). Für Verwaltungsabkommen der Länder gelten allein die entspr. Vorschriften des Landesrechts (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 59 Rn. 20).

Verwaltungsabkommen werden von der BReg (Regierungsabkommen) oder dem zuständigen BMin (Ressortabkommen) geschlossen. Da sie nicht unter Art. 59 II 1 fallen, bedürfen sie nicht der Zustimmung der parlamentarischen Körperschaften. Im Sonderfall der normativen Verwaltungsabkommen (Rn. 17) ist eine RVO erforderlich. Die Kategorisierung eines Abkommens und die Frage, ob ein Vertrag dem Parlament vorzulegen ist, obliegt in der Praxis zunächst der BReg, weshalb eine Beteiligung im Einzelfall erst über den Umweg des BVerfG möglich wird (BK/Kleinlein Art. 59 Rn. 290). Die Bundesexekutive ist für den Abschluss von Verwaltungsabkommen nur zuständig, soweit der Bund innerstaatlich eine entspr. Regelung treffen könnte (DHS/Nettesheim Art. 59 Rn. 157 f.). Ist die Zustimmung des BR nach Art. 80 II, Art. 84 II oder Art. 85 II erforderlich, so gilt dies auch hier (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 59 Rn. 21). Der innerstaatliche Vollzug richtet sich nach dem in Art. 59 II 2 enthaltenen Verweis auf die Bundesverwaltung, erfolgt also durch RVO, Verwaltungsvorschrift oder Ausführungsanweisung (v. Münch/Kunig/Starski Art. 59 Rn. 116; Schweitzer/Dederer StaatsR III Rn. 852 ff.). Der innerstaatliche Rang des Verwaltungsabkommens richtet sich nach dem Rang des Übernahmeaktes (DHS/Nettesheim Art. 59 Rn. 188 ff., 193).