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Artikel 71 [Ausschließliche Gesetzgebung des Bundes]

Im Bereiche der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung nur, wenn und soweit sie hierzu in einem Bundesgesetze ausdrücklich ermächtigt werden.

I. Begriff und Anwendungsbereich

Art. 71 enthält eine Definition der ausschließlichen Gesetzgebung. Dabei handelt es sich neben der konkurrierenden Gesetzgebung um eine von mehreren Arten von Gesetzgebungskompetenzen des Bundes (Art. 70 Rn. 12). Gekennzeichnet ist die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes durch ein exklusives Gesetzgebungsrecht des Bundes und durch eine automatische Sperrwirkung für die Landesgesetzgebung in allen Bereichen, die dem Bund ausschließlich zur Gesetzgebung zugewiesen sind, ohne dass der Bundesgesetzgeber von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht haben muss (Rn. 2). Auf den Sachgebieten der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz kann der Bund ohne weitere Voraussetzungen gesetzgeberisch tätig werden; insbes. besteht das Erfordernis des Nachweises einer Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung iSd Art. 72 II nicht (Kunig Jura 1996, 254 (256)). Art. 71 selbst enthält jedoch keine Kompetenzzuweisung an den Bund.

Der Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung umfasst die in Art. 73 I aufgelisteten Sachgebiete. Der Katalog des Art. 73 I ist jedoch nicht abschließend. Weitere Gegenstände finden sich – durch ausdrücklichen Verweis auf ein „Bundesgesetz“ oder ein „Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates“ – in zahlreichen anderen Vorschriften des GG. Eine ausschließlich dem Bund zugewiesene Gesetzgebungskompetenz findet sich bspw. in folgenden Bestimmungen: Art. 4 III 2, Art. 16a II, III, Art. 21 III, Art. 23 I, III, VII, Art. 24 I, Art. 26 II, Art. 29 II, IV–VIII, Art. 38 III, Art. 41 III, Art. 48 III, Art. 54 VII, Art. 87 I, III, Art. 93 II, Art. 94 II, Art. 95 III, Art. 96 II, Art. 98 I, Art. 106 IV, V, Art. 107, Art. 108 I, II, IV–VI, Art. 114 II, Art. 115, Art. 118, Art. 131, Art. 134 IV u. Art. 135 IV–VI). Von den ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenzen (Art. 70 Rn. 16 ff.) verleiht die Kompetenz kraft Natur der Sache dem Bund eine ausschließliche Befugnis. Im Hinblick auf die ebenfalls ungeschriebene Kompetenz kraft Sachzusammenhangs und die ungeschriebene Annexkompetenz ist zu differenzieren. Knüpfen diese Kompetenzen an ausschließliche Gesetzgebungskompetenzen an, verleihen sie dem Bund ebenfalls ausschließliche Sachzusammenhangs- oder Annexkompetenzen. Ist Anknüpfungspunkt eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes, besitzt der Bund lediglich eine konkurrierende Sachzusammenhangs- oder Annexkompetenz (DHS/Uhle Art. 71 Rn. 29; MKS/Heintzen Art. 71 Rn. 17).

II. Sperrwirkung

Im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung sind die Länder von der Gesetzgebung ausgeschlossen, und zwar unabhängig davon, ob der Bundesgesetzgeber von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat (BVerfGE 160, 1 (19 f.)). Landesgesetze sind also unzulässig, dennoch erlassene Landesgesetze nichtig. Damit ist Art. 71 lex specialis zu Art. 31. Zudem sind Aktivitäten der Länder verboten, die eine Wahrnehmung der ausschließlichen Gesetzgebung durch den Bund erheblich beeinträchtigen. Den Ländern ist daher verwehrt, durch Volksbefragungen im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes Druck auf die Verfassungsorgane des Bundes auszuüben (BVerfGE 8, 104 (117 f.); 160, 1 (20)). Die Sperrwirkung gilt nicht für Landesverfassungsrecht.

III. Ausnahme von der Sperrwirkung

Der Bund kann die Länder auf den Sachgebieten der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz zur Gesetzgebung ermächtigen. In diesem Fall tritt die Sperrwirkung nicht ein. Sinn dieser Delegationsmöglichkeit ist es, die Voraussetzungen für eine regional differenzierte Sachregelung zu schaffen (BVerfGE 18, 407 (418)). Voraussetzung ist eine ausdrückliche Ermächtigung durch formelles Bundesgesetz (BVerfGE 150, 244 (270); Sachs/Degenhart Art. 71 Rn. 7; Dreier/Wittreck Art. 71 Rn. 12). Ist für den Gegenstand der Ermächtigung eine Zustimmung des BRats erforderlich, gilt dies auch für das ermächtigende Gesetz. Im Wege der Ermächtigung delegiert werden dürfen nur Teilgebiete eines unter die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes fallenden Sachgebietes, der Kern des Sachgebietes muss beim Bund verbleiben (Jarass/Pieroth/Kment Art. 71 Rn. 5; v. Münch/Kunig/Broemel Art. 71 Rn. 12). Das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot (Art. 20 Rn. 55) verlangt, dass die den Ländern erteilte Ermächtigung nach Inhalt und Ausmaß hinreichend bestimmt ist (Grziwotz AöR 116 [1991], 588 (597)).

Rechtsfolge der Ermächtigung ist die Gesetzgebungskompetenz der Länder, nicht aber eine Gesetzgebungspflicht. Ein auf der Grundlage einer Delegation nach Art. 71 ergangenes Gesetz ist Landesrecht (BVerfGE 18, 407 (415)).

Der Bund kann das ermächtigende Gesetz jederzeit wieder aufheben oder die einmal erteilte Ermächtigung ausdrücklich widerrufen (BVerfGE 11, 192 (200); 60, 135 (161)). Die Delegation endet auch durch eine eigene bundesgesetzliche Regelung in dem an die Länder übertragenen Kompetenzausschnitt (DHS/Uhle Art. 71 Rn. 56). Bis dahin erlassene Landesgesetze werden mit dem Ende der Delegation aufgrund der wiedereintretenden Sperrwirkung der ausschließlichen Bundeskompetenz nichtig (MKS/Heintzen Art. 71 Rn. 46; DHS/Uhle Art. 71 Rn. 57).