Vorbemerkungen vor Artikel 91a
I. Verbot der Mischverwaltung
Die Verwaltungszuständigkeiten des Bundes und seine Ingerenzrechte in die Verwaltung der Länder sind in den Art. 83 ff. abschließend geregelt (BVerfGE 137, 108 Rn. 91). Damit verbietet das GG im Bund-Länder-Verhältnis vorbehaltlich verfassungsunmittelbarer Ausnahmen eine institutionelle Vermischung der Aufgabenwahrnehmung. Dies ist unstrittig und gilt unabhängig davon, ob die bundesstaatliche Ordnung des GG von einem Verbot der Mischverwaltung ausgeht (BVerfGE 119, 331 (365); 108, 169 (182); zuletzt BVerfGE 137, 108 (143 f.)) oder ob es sich bei diesem Grundsatz nur um eine verwaltungswissenschaftliche Klassifizierung handelt, die nicht per se die Verfassungswidrigkeit indiziert (BVerfGE 63, 1 (38); 127, 165 (191 f.); Art. 83 Rn. 12). Begrifflich setzt Mischverwaltung eine gemeinsame Wahrnehmung von Aufgaben voraus (BVerfGE 127, 165 (191 f.)). Gegenbild bzw. Gegenbegriff ist die Klarheit der Kompetenzordnung. Diese ist durch das Rechtstaats- und das Demokratieprinzip geboten, damit der Bürger die Verantwortungszuordnung erkennen und diese bei seiner Wahlentscheidung berücksichtigen kann (BVerfGE 119, 331 (366); 137, 108 (143 f.)). Im Bund-Länder-Verhältnis bedarf die Heranziehung einer unzuständigen Verwaltungseinrichtung daher eines besonderen sachlichen Grundes und kann nur hinsichtlich einer eng umgrenzten Verwaltungsmaterie in Betracht kommen (BVerfGE 63, 1 (43); 119, 331 (370)). Kompetenzverschiebungen können auch nicht durch die Zustimmung der Beteiligten legitimiert werden (BVerfGE 119, 331 (365); 108, 169 (182); BeckOK GG/Suerbaum Art. 91a Rn. 1). Art. 20 I–III iVm Art. 79 III hindern den verfassungsändernden Gesetzgeber aber nicht daran, in begrenzten Ausnahmefällen die konkreten Ausprägungen der dort verankerten Grundsätze zu modifizieren (BVerfGE 137, 108 (144 f.)). Von dieser Option ist insbes. in den Art. 91a ff., aber auch in Art. 108 IV 1 Gebrauch gemacht worden (Stern/Sodan/Möstl/Siegel § 50 Rn. 3; Rn. 5).
Kooperationen und Aufgabenverschiebungen zwischen den Ländern sind dagegen in weitaus größerem Umfang möglich. Diese können bis hin zur Errichtung gemeinsamer Einrichtungen reichen, deren Willensbildung bei entspr. staatsvertraglichen Vereinbarungen sogar vom Einstimmigkeitsprinzip abweichen kann (sog. „Passarelle-Klausel“; BVerfGE 90, 60 (104)). Grenzen setzen einerseits die Eigenstaatlichkeit der Länder (BVerfGE 90, 60 (104)), andererseits das Verbot, eine dritte Ebene zwischen Bund und Ländern zu schaffen (DHS/F. Kirchhof Art. 83 Rn. 113).
Wo von der Kooperation und Aufgabenverschiebung Gegenstände der Landesgesetzgebung betroffen sind, bedarf es zur Sicherung der demokratischen Legitimation des Abschlusses von Staatsverträgen, die an die Zustimmung der Länderparlamente gebunden sind. Im Übrigen können schlichte Verwaltungsabkommen abgeschlossen werden (Schladebach VerwArch 2007, 238 (244)).
II. Grundsystematik und Konzept der Art. 91a ff.
Im VIIIa. Abschn., der 1969 durch das Finanzreformgesetz eingefügt (21. Gesetz zur Änderung des GG v. 12.5.1969, BGBl. I 359) und seitdem mehrfach geändert worden ist (Rn. 7), institutionalisiert und legalisiert das GG die sog. Gemeinschaftsaufgaben und die Verwaltungszusammenarbeit als Formen des kooperativen Föderalismus, die sich in der Staatspraxis bereits zuvor weitgehend contra legem etabliert hatten (sog. Fonds- und Dotationswirtschaft, s. BeckOK GG/Suerbaum Art. 91a Rn. 4). Systematisch ergänzen bzw. modifizieren Art. 91a–91e sowohl die Verteilung der Gesetzgebungs- (Art. 70 ff.), der Verwaltungskompetenzen (Art. 83 ff.) wie auch die Finanzverfassung (Art. 104a ff.). Von den Mitwirkungs-, Mitplanungs- und Mitfinanzierungsrechten nach Art. 91a ff. zu unterscheiden sind die reinen Finanzierungskompetenzen des Bundes nach Art. 104b und Art. 104c (Heintzen DVBl 2016, 1219; BK/Glaser Vorb. Art. 91a Rn. 5).
Gegenstände der Zusammenarbeit sind in Art. 91a die Wirtschafts-, die Agrarstruktur und der Küstenschutz, in Art. 91b der Forschungs- und Bildungsbereich, in Art. 91c die informationstechnischen Systeme der Verwaltung, in Art. 91d Leistungsvergleiche der Verwaltung sowie in Art. 91e die Grundsicherung für Arbeitssuchende. Während die Zusammenarbeit in Art. 91a, 91e I obligatorisch ist (echte Gemeinschaftsaufgaben), ist sie in den übrigen Bereichen fakultativ (unechte Gemeinschaftsaufgaben; ausf. zur Begrifflichkeit Heintzen DVBl 2016, 1219; BK/Glaser Vorb. Art. 91a Rn. 2 ff.). Näher ausgestaltet wird die Zusammenarbeit entweder durch Bundesgesetze mit Zustimmung des BRats (Art. 91a II, 91c IV, V, 91e III) oder durch Vereinbarungen zwischen den Beteiligten (Art. 91b I, II, 91c II, III). Nach den Kooperationspartnern ist zwischen einer vertikalen Kooperation zwischen Bund und Ländern (zB Art. 91a, 91b, 91c I, 91d I) sowie der horizontalen Kooperation auf Länderebene zu differenzieren (Art. 91c III). Mit Ausnahme des Art. 91e II, der eine Übertragung von Aufgaben des Bundes auf die kommunale Ebene zulässt, wird durch die übrigen Vorschriften der Einflussbereich des Bundes auf Kosten der Autonomie der Länder ausgeweitet. Die Kostenteilung ist entweder bereits grundgesetzlich vorgegeben (Art. 91a III), kann aber auch noch zu treffenden Vereinbarungen überlassen bleiben (Art. 91b III, 91c II 4).
Rechts- und verfassungspolitisch standen und stehen die Gemeinschaftsaufgaben häufig in der Kritik. Die Einwände reichen von mangelnder Transparenz, der Schwächung der Länderparlamente auf Kosten der Exekutive bis hin zur Gefährdung der Haushaltsautonomie der Länder (BeckOK GG/Suerbaum Art. 91a Rn. 5 ff.; Härtel/Hellermann, HdB des Föderalismus, 2012, § 39 Rn. 56 ff.), sodass wiederholt die Forderung nach ihrer vollständigen Abschaffung erhoben worden ist (Nachw. bei Sachs/Siekmann Art. 91a Rn. 6). Auf die Kritik hat der verfassungsändernde Gesetzgeber 2006 mit der Föderalismusreform I (52. Gesetz zur Änderung des GG v. 28.8.2006, BGBl. I 2034) reagiert. Ausweislich der Gesetzesbegründung war vorrangiges Ziel der Reform eine „Entflechtung von Zuständigkeiten und die damit einhergehende Stärkung der Eigenständigkeit von Bund und Ländern“ (BT-Drs. 16/813, 1), was dem Leitbild des Wettbewerbsföderalismus entspricht (Seckelmann DÖV 2009, 747). Konsequent hätte dies eine noch deutlichere Einschränkung der Gemeinschaftsaufgaben gefordert, was aber letztlich am Widerstand des Bundes gescheitert ist. Die Föderalismusreform I beschränkte sich iE daher eher auf Randkorrekturen und sieht zudem in den Bereichen, in denen frühere Gemeinschaftsaufgaben beschnitten wurden, in Art. 143c finanzielle Übergangsregelungen vor (Art. 143c Rn. 1). Das Ziel, den kooperativen Föderalismus zu entflechten, ist in weiteren Verfassungsänderungen nicht fortgesetzt, sondern eher konterkariert worden (kritisch auch BeckOK GG/Suerbaum Art. 91a Rn. 8). Gegenläufig zur Föderalismusreform I ist mit Einfügung der Art. 91c, 91d durch die Föderalismusreform II (57. Gesetz zur Änderung des GG v. 1.8.2009, BGBl. I 2248), Art. 91e (58. Gesetz zur Änderung des GG v. 21.7.2010, BGBl. I 944), der Neufassung des Art. 91b I (60. Gesetz zur Änderung des GG v. 23.12.2014, BGBl. I 2438) sowie zuletzt durch Einfügung des Art. 91c V in der Föderalismusreform III (Vor Art. 104a Rn. 4) eine Ausweitung und Vertiefung der Bund-Länder-Kooperation verbunden. Dieser Trend hat sich auch mit der jüngsten bedeutenderen bundesstaatlichen Verfassungsnovelle (Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 104b, 104c, 104d, 125c, 143e) v. 28.3.2019, BGBl. I 404)) fortgesetzt. So dringt der Bund mit der Befugnis zur Unterstützung der kommunalen Bildungsinfrastruktur noch tiefer in den als klassischen Länderdomäne geltenden Bildungsbereich ein (Art. 104c; Art. 104c Rn. 1). Zudem kann der Bund den Ländern nunmehr Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden im Bereich des sozialen Wohnungsbaues gewähren (Art. 104d). Damit wird punktuell die Föderalismusreform I rückgängig gemacht, in der sich der Bund aus der sozialen Wohnraumförderung zurückgezogen hatte (Art. 104d Rn. 1).
Die Überschrift des VIIIa. Abschn. ist erst durch die Föderalismusreform II im Zuge der Einfügung der Art. 91c, 91d (Rn. 7) um den Begriff der Verwaltungszusammenarbeit ergänzt worden. Notwendig geworden ist diese Ergänzung, weil Art. 91c III (klarstellend) auch die Kooperation der Länder bei Betrieb der IT-Infrastruktur regelt. Da an dieser der Bund nicht beteiligt ist, handelt es sich insoweit auch nicht mehr um eine Gemeinschaftsaufgabe iwS (Seckelmann DVBl 2010, 1284 (1287); zum Begriff der Gemeinschaftsaufgabe Art. 91a Rn. 2). Verwaltungszusammenarbeit bildet damit einen bloßen Auffangbegriff, der solche Phänomene des kooperativen Föderalismus beschreibt, die keine Gemeinschaftsaufgaben sind (BK/Glaser Vorb. Art. 91a Rn. 19).
Das GG geht in den Art. 30 ff., 70 ff., 83 ff., 92 ff., 104a I, 109 I von einer klaren Aufteilung und jew. eigenverantwortlichen Wahrnehmung der Kompetenzen des Bundes wie der Länder aus. Abweichungen hiervon stehen nicht zur Disposition der Beteiligten (BVerfGE 119, 331 (364); BeckOK GG/Suerbaum Art. 91a Rn. 1) und sind ohne ausdrückliche verfassungsrechtliche Ermächtigung nur in engen Grenzen zulässig (Rn. 2). Entspr. Sonderregeln sind im VIIIa. Abschn. über Gemeinschaftsaufgaben und die Verwaltungszusammenarbeit normiert (Rn. 5), die aber durch weitere Vorschriften ergänzt werden (Rn. 2).