Artikel 62 [Zusammensetzung]
Die Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler und aus den Bundesministern.
I. Die Bedeutung der Legaldefinition
Art. 62 bringt eine Legaldefinition des Begriffs „Bundesregierung“ (vgl. Sachs/Oldiges/Brinktrine Art. 62 Rn. 8; BVerfGE 26, 338 (395 f.); 100, 249 (259)), der für alle verfassungs- und einfachgesetzlichen Zusammenhänge gilt, in denen das Wort gebraucht wird. Weder der BKanzler noch (die) BMinister können als „die Bundesregierung“ handeln, durch Gesetz oder GeschO dazu ermächtigt werden (aA Sachs/Oldiges/Brinktrine Art. 62 Rn. 9 ff.). Nur BKanzler und BMinister gemeinsam (das Bundeskabinett) können in den Fällen der Art. 26 II 2, 32 III, 35 III, 37, 65 S. 3, 76, 80 I 1, 86, 91 II, 109 IV 2 und 113–115 sowie in allen in verfassungsmäßigen Gesetzen bestimmten Fällen und Zuständigkeiten „als Regierung“ tätig werden; dasselbe gilt gegenüber den Ländern (Art. 84f; BVerfGE 100, 249 (259)). Zur Abgrenzung der Kompetenzen von BKanzler und BMinistern Art. 65 Rn. 1 ff.
Ein Kollegium ist diese BReg von mehreren („und den“) Entscheidungsträgern, die innerhalb des Gesamtorgans gleichberechtigt, insbes. mit gleichem Stimmgewicht, nebeneinander stehen, aber als BReg nur gemeinsam tätig werden können. Dieses Kollegialprinzip (vgl. hierzu Sachs/Oldiges/Brinktrine Art. 62 Rn. 7 f.) hat schon in Art. 52 WRV das Kanzlerprinzip der RV 1871 (Art. 17 Kanzler als Regierung) abgelöst. Dem BKanzler als solchem stehen nur die besonderen Rechte nach Art. 64 S. 1, 2 (Richtlinienbestimmung), 65 S. 4 (Leitung der Geschäfte der BReg Art. 65 Rn. 15), sowie nach Art. 67f (Misstrauensvotum, Auflösung des BTags) zu.
Für das Verfahren verlangt dieses Kollegialprinzip (BVerfGE 91, 148 (166 ff.)): Der BKanzler und alle BMinister müssen von allen anstehenden Entscheidungen der BReg rechtzeitig informiert werden und an ihnen mitwirken können, mit einem Quorum von mindestens der Hälfte (§ 24 I GeschOBReg) und in Mehrheitsentscheidung (§ 24 II GeschOBReg). Umlaufverfahren (§ 20 II GeschOBReg) sind zulässig, fehlende Willensbekundung gilt dabei aber nicht als Beteiligung; diese muss schriftlich erfolgen (§ 20 II 1 GeschOBReg).
Die BReg ist als solche oberstes Bundesorgan (iSv Art. 93 I Nr. 1 im Bereich der vollziehenden Gewalt Art. 20 Rn. 31; vgl. auch MKS/Schröder Art. 62 Rn. 5); die parlamentarische Kontrolle durch den BT bedeutet keine hierarchische Überordnung desselben. Die BReg ist Verfassungsorgan (MKS/Schröder Art. 62 Rn. 4), weil mit besonderen im GG bestimmten Rechten und Pflichten ausgestattet. Weitere Voraussetzungen dafür (vage BVerfGE 9, 258 (281 f.)), wie „Teilnahme am Verfassungsleben“, „Teilhabe an der Staatsgewalt“, sind unbeachtlich, weil selbstverständlich. Zu den verfassungsrechtlichen Aufgaben der BReg, vgl. III.
II. Zusammensetzung
Mitglieder der BReg sind nur BKanzler und BMinister, sobald sie ernannt sind (Art. 63 II 2, 64 I). An ihre Stelle tritt in der BReg, soweit sie „verhindert“ sind, als ihre Vertreter für den BKanzler dessen Stellvertreter (Art. 69: Vizekanzler), bei dessen Verhinderung ein anderer BMinister (näher § 22 I GeschOBReg), für einen verhinderten BMinister ein anderer „dazu bestimmter“ BMinister (§ 14 I GeschOBReg) oder der Parlamentarische Staatssekretär (§ 23 II 1 GeschOBReg).
Von den Mitgliedern der BReg zu unterscheiden sind die Teilnahmeberechtigten/-verpflichteten an den Sitzungen der BReg (§ 23 GeschOBReg), insbes. die Parlamentarischen Staatssekretäre auf Anordnung ihrer BMinister (§ 23 II 2 GeschOBReg) sowie andere Amtsträger, zB der Chef des BPräsidialamts, der BPressechef. Diese haben dort kein Stimmrecht und können auch für die BReg keine Unterschrift unter verbindliche Rechtsakte derselben leisten, etwa Gegenzeichnung von Gesetzen, Unterzeichnung von Verordnungen. Es steht ihnen nur ein „beratendes Stimmrecht“ zu (vgl. allg. hierzu MKS/Schröder Art. 62 Rn. 11 f.).
Die Teilnahmeberechtigung anderer Personen an Sitzungen der BReg gestattet Art. 62 allenfalls im Rahmen des allg. Grundsatzes des Gremienrechts, dass mit einstimmiger oder mehrheitlicher Zustimmung der Regierungsmitglieder „Gäste“ zu einzelnen TOP beratend zu Wort kommen dürfen. Die Teilnahme von Fraktionsvorsitzenden oa Parlamentariern als solchen ist verfassungswidrig (MKS/Schröder Art. 62 Rn. 13), sie kann auch durch die GeschO nicht vorgesehen werden. Durch „Gewaltenkooperation“ wird sie nicht legitimiert; sie verletzt die Gewaltenteilung (Art. 20 III).
Die BReg kann (vorberatende) Kabinettsausschüsse bilden und Teilnahmeberechtigten auch hier die Mitwirkung gestatten. Beschließende Ausschüsse sind unzulässig.
III. Aufgaben
Die Aufgaben der BReg, welche als Organ der vollziehenden Gewalt (differenzierend hinsichtlich dieser begrifflichen Zuordnung MKS/Schröder Art. 62 Rn. 19) an Gesetz und Recht gebunden ist (Art. 20 III), ergeben sich aus der Verfassung sowie aus allen formell und materiell verfassungsmäßigen Gesetzen, welche ihr Aufgaben zuweisen. Dies gilt für die Außenbeziehungen der von der BReg wahrgenommenen Exekutivgewalt zu allen anderen Rechtsträgern. Im Innenbereich der BReg steht dieser Organisationsgewalt zu. GG, Gesetze und andere Normen umschreiben „Regierungsaufgaben“ oft in allg. Weise und räumen gerade der BReg dabei häufig einen weiten Beurteilungs-/Ermessensspielraum ein. Im Rechtsstaat ist er aber immer normativ begrenzt; einen „normfreien Bereich der Regierung“ gibt es nicht.
Die BReg ist nur das in Art. 62 organisationsrechtlich und nach seinen Aufgaben normativ bestimmte Staatsorgan. Nach staatstheoretischen oder politologischen Kategorien entwickelte Aufgaben und Befugnisse einer „Gubernative“ kommen ihr lediglich in diesem Rahmen zu. Ein „Bereich der Regierung“ unabhängig davon lässt sich nicht abgrenzen, ergibt sich auch nicht aus einem „Regierungsbegriff „ nach Art. 62 (vgl. Sachs/Oldiges/Brinktrine Art. 62 Rn. 23).
„Politischer Freiraum“, „politische Gestaltungsfreiheit “ (BVerfGE 1, 281 (282); 55, 349 (365); vgl. auch 105, 252 (270)) steht der BReg nur in den Grenzen nach Rn. 9 zu; rechtlich fassbare, eigenständige Aufgaben und/oder Befugnisse lassen sich allein aus jenen Begriffen nicht entwickeln. Sie sollten, ebenso wie das für die BReg immer wieder verwendete Wort „Staatsleitung“ (BVerfGE 11, 77 (85); 26, 338 (395 f.); 105, 252 (270); 105, 279 (301)), generell vermieden werden; staatsleitend wird jedenfalls auch der Gesetzgeber, ja das BVerfG tätig.