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Artikel 16 [Ausbürgerung; Auslieferung]

(1) 1 Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. 2 Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.

(2) 1 Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. 2 Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.

I. Schutz vor Ausbürgerung

1. Bedeutung des Grundrechts

Nach der klassischen Drei-Elemente-Lehre (zurückzuführen auf G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1914, 394 ff.) gehört das Staatsvolk (neben Staatsgebiet und Staatsgewalt) zu den konstituierenden Staatsmerkmalen. Das Staatsvolk besteht aus der Gesamtheit der Staatsangehörigen, wobei begrifflich zwischen diesen und den Einwohnern in der Gesamtheit als Adressaten der Staatsgewalt unterschieden werden muss. Deutscher Staatsangehöriger ist, wer die deutsche Staatsbürgerschaft nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) besitzt; dagegen unterliegen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes knapp 10 % der Bevölkerung der Gebietshoheit der Bundesrepublik Deutschland, ohne deutsche Staatsangehörige zu sein. Diese Gruppe ist unterteilt in Ausländer (Personen mit einer anderen Staatsangehörigkeit) und Staatenlose. Das StAG bestimmt, dass die Staatsangehörigkeit vornehmlich an die Abstammung gekoppelt ist. Deutscher Staatsangehöriger ist demnach, wer von Deutschen abstammt (ius sanguinis). Der Begriff „Deutscher“ iSd Grundgesetzes umfasst allerdings neben den deutschen Staatsangehörigen auch die sog. Status-Deutschen. Dabei handelt es sich nach dem Wortlaut des Art. 116 I um alle Personen, die als Flüchtlinge oder Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit oder als deren Ehegatten oder Abkömmlinge in dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31.12.1937 Aufnahme gefunden haben. Die Wiedervereinigung Deutschlands hat hingegen keine verfassungsrechtlichen Probleme nach sich gezogen, da es nach der Konzeption des Grundgesetzes nur eine deutsche Staatsangehörigkeit gibt. Mithin wurde der Erwerb der Staatsbürgerschaft der DDR dem Erwerb der Staatsangehörigkeit iSd Art. 116 gleichgestellt (BVerfGE 77, 137 (148 f.)). Erst seit der Reform des StAG im Jahre 1999 ist es erstmals für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Staatsangehöriger möglich, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben (ius soli).

2. Schutzbereich

Art. 16 I bezweckt, den deutschen Staatsbürger vor dem Verlust seiner Staatsangehörigkeit weitestgehend zu schützen. Da der Verstoß aus dem Schutzverband eines Staates zu den schwerwiegendsten Eingriffen in die persönliche Freiheit und Lebensmöglichkeit gehört (Badura C Rn. 43), stehen entspr. hoheitliche Maßnahmen unter einem hohen Rechtfertigungsvorbehalt. Weil der Wortlaut des Art. 16 I ausdrücklich auf die Staatsangehörigkeit rekurriert, ist der persönliche Schutzbereich ausschließlich für Inhaber der deutschen Staatsangehörigkeit eröffnet (BVerwGE 8, 340 (343); Jarass/Pieroth/Jarass Art. 16 Rn. 5; hingegen für eine analoge Anwendung auf Statusdeutsche MKS/Becker Art. 16 Rn. 57). Aufgrund der Regelung in § 40a StAG, nach welcher allen Deutschen iSd Art. 116 I am 1.8.1999 die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen worden ist, hat diese Differenzierung jedoch an Bedeutung verloren (v. Münch/Kunig/v. Arnauld/Martini Art. 16 Rn. 25; Sachs/Kokott Art. 16 Rn. 30). Sachlich ist grds. zwischen Entzug und Verlust zu differenzieren. Unter Entziehung versteht man eine von dem Betroffenen nicht beeinflussbare Beseitigung der deutschen Staatsangehörigkeit, welche die Folge eines allein auf dem Willen des Staates zur Wegnahme der deutschen Staatsangehörigkeit beruhenden Akts ist (BVerfGE 116, 24 (44); 135, 48 (58 ff., insbes. 61 f.); BVerfG [K] NVwZ 2007, 441 (442); NZFam 2019, 813 (815 f.); BVerwGE 100, 139 (145); 162, 17 (25)). Diese Form hoheitlichen Handelns ist gem. Art. 16 I 1 ausnahmslos rechtswidrig. Demgegenüber kann der vermeidbare Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit durch ein Gesetz verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Die Definition der Vermeidbarkeit bereitet allerdings Probleme. Wird der Begriff „vermeidbar“ so verstanden, dass es einzig auf die Freiheit des Einzelnen ankäme, die zum Verlust der Staatsbürgerschaft führenden Tatbestandsmerkmale nicht zu erfüllen, so wäre es auch möglich, dass die Staatsangehörigkeit bspw. aufgrund eines missliebigen politischen Verhaltens verloren geht. Deshalb wird vorgeschlagen, zur Definition des Verlusts auf die Verzichtsoption zu rekurrieren (MKS/Becker Art. 16 Rn. 42). Jedenfalls kann zur Definition des Verlusts nicht auf den Willen abgestellt werden, da zB der Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit gem. § 17 Nr. 2, § 25 StAG den (unfreiwilligen) Verlust nach sich zieht. So stellte auch das BVerfG klar, dass eine Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit „nur dann, aber nicht immer dann“ vorliegt, „wenn der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit gegen den Willen des Betroffenen eintritt“; denn aus Art. 16 I 2 ergibt sich, „dass unter bestimmten Umständen auch ein gegen den Willen des Betroffenen eintretender Verlust rechtmäßig sein kann“ (BVerfGE 116, 24 (37)). Fälle des originär freiwilligen Verzichts (Entlassung auf Antrag) sind Gegenstand von § 17 Nr. 1, §§ 18 ff. StAG. Art. 16 I schützt auch „die dem Einzelnen nicht bekannte und von ihm nicht ‚gelebte‘ Staatsangehörigkeit“ (BVerwGE 131, 121 (127)).

3. Eingriff

In den Schutzbereich von Art. 16 I wird unabhängig von der Art des hoheitlichen Handelns (Einzelakt, Allgemeinverfügung oder Gesetz) stets dann eingegriffen, wenn die Folge der Verlust der Staatsangehörigkeit ist. Darunter sind auch Fälle der Rücknahme bzw. des Widerrufs einer einmal erfolgten Einbürgerung zu subsumieren.

4. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

Art. 16 I 2 nennt zwei Voraussetzungen zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines Staatsangehörigkeitsverlusts. Danach muss der Verlust zum einen auf der Grundlage eines Gesetzes erfolgen; zum anderen darf der Betroffene nicht staatenlos werden. Staatenlos ist, wer von keinem Staat aufgrund nationaler Regelungen als ihm zugehörig angesehen wird. Üblicherweise erfolgt der Verlust aufgrund eines Erwerbs einer ausländischen Staatsangehörigkeit, ohne dass zuvor die Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit eingeholt worden ist (§ 25 StAG). Auch für die auf deutschem Boden geborenen Kinder bestimmter ausländischer Staatsangehöriger (§ 4 III StAG) kommt ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit in Betracht. § 29 I, II und III StAG beinhalten ein Optionsmodell, das von im Inland geborenen Kindern ausländischer Eltern, die hingegen nicht im Inland aufgewachsen sind, nach Eintritt der Volljährigkeit eine Erklärung zum Erhalt der deutschen Staatsangehörigkeit verlangt. Darüber hinaus besteht ein Anspruch auf Erteilung einer Beibehaltungsgenehmigung, wenn die Aufgabe oder der Verlust der ausländischen Staatsangehörigkeit nicht möglich oder nicht zumutbar ist oder im Falle einer Einbürgerung Mehrstaatigkeit gem. § 12 StAG hinzunehmen wäre. In Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern nimmt § 29 I 1 Nr. 2 StAG jedoch von der Optionspflicht aus. Aufgrund der Freiheit, die das Völkerrecht den Staaten bei der Regelung ihrer Staatsangehörigkeit lässt, verbietet das geltende Völkerrecht doppelte oder mehrfache Staatsangehörigkeit nicht (vgl. HKGW/Hailbronner E. Rn. 357). Allerdings können sich aus einer doppelten Staatsangehörigkeit praktische Probleme aufgrund einer Pflichtenkollision oder bei der Zuordnung eines Rechtssystems im internationalen Privatrecht ergeben. Deshalb besteht die Staatenpraxis, Fälle mehrfacher Staatsangehörigkeit zu vermeiden oder zumindest deren Probleme zu verringern. Nach dem Willen des Gesetzgebers tritt bei in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Kindern ausländischer Eltern vor dem Hintergrund des Hineinwachsens der jungen Menschen in die deutschen Lebensverhältnisse der Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit zurück (BT-Drs. 18/1312, 8).

Die Einbürgerung nach Maßgabe der §§ 8–16, 40b und 40c StAG ist ein feststellender Verwaltungsakt. Damit wird die Frage nach Rücknahme und Widerruf einer erteilten Einbürgerung aufgeworfen. Dabei ist grds. zwischen einer rechtsfehlerfreien und einer fehlerhaften Einbürgerung zu unterscheiden. Dem Widerruf einer rechtsfehlerfreien Einbürgerung steht die Bestandsgarantie des Art. 16 I entgegen (MKS/Becker Art. 16 Rn. 40; Sachs/Kokott, 7. Aufl. 2014, Art. 16 Rn. 26; für den Fall der Nichterfüllung einer Auflage differenzierend Dreier/Wittreck Art. 16 Rn. 49). Bei einer rechtswidrigen – etwa durch Täuschung erschlichenen – Einbürgerung wird hingegen der Verlust der Staatsangehörigkeit diskutiert. Zunächst ist zu beachten, dass eine auf einer Täuschung beruhende Einbürgerung nicht wegen Nichtigkeit unwirksam ist (BVerwG NVwZ 2014, 1679 (1680)). Die Möglichkeit des Widerrufs wird teilw. mit Verweis auf den eindeutigen Wortlaut des Art. 16 I abgelehnt (Lübbe-Wolff Jura 1996, 57 (62)). Sowohl nach der vorherrschenden Literaturmeinung (vgl. v. Münch/Kunig/v. Arnauld/Martini Art. 16 Rn. 38; ausf. Sachs/Kokott Art. 16 Rn. 18 ff.) als auch nach Ansicht des BVerfG sind Rücknahme und Widerruf der Einbürgerung dagegen grds. möglich. Schließlich habe Art. 16 I nicht den Zweck, rechtswidrige Einbürgerungen in ihrem Bestand aufrechtzuerhalten. „Eine Rechtsordnung, die sich ernst nimmt, darf nicht Prämien auf die Missachtung ihrer selbst setzen. Sie schafft sonst Anreize zur Rechtsverletzung, diskriminiert rechtstreues Verhalten […] und untergräbt damit die Voraussetzungen ihrer eigenen Wirksamkeit“ (BVerfGE 116, 24 (49)). Auch die durch die Rücknahme erfolgte Konsequenz der Staatenlosigkeit steht dem nicht entgegen (BVerfGE 116, 24 (47 f.)). Die Begründung impliziert im Umkehrschluss aber auch, dass nicht alle rechtswidrigen Einbürgerungen verfassungskonform zurückgenommen werden können. Sofern der Betroffene auf die Rechtswidrigkeit des Einbürgerungsbescheids keinen Einfluss hatte, mithin frei von jeder Verantwortung ist, muss die Rücknahme auch verfassungsrechtlich verboten bleiben (MKS/Becker Art. 16 Rn. 41). Zudem kann eine Rücknahme auch unzulässig sein, wenn in ihrem Zeitpunkt die Tatbestandsvoraussetzungen für die Einbürgerung vorliegen (aA VG Berlin 18.3.2005 – 2 A 179/04). Nachdem Zweifel über die Zulässigkeit eines Rückgriffs auf die §§ 48 und 49 VwVfG aufkamen (vgl. Sondervotum in BVerfGE 116, 24 (60 ff.); BVerwGE 130, 209 ff.), schuf der Gesetzgeber mit § 35 StAG einen spezialgesetzlichen Tatbestand. Dieser knüpft die Rücknahme einer Einbürgerung oder einer Beibehaltungsgenehmigung (§ 29 III StAG) an die Erwirkung durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch die vorsätzliche Angabe unrichtiger oder unvollständiger wesentlicher Angaben. Darüber hinaus wird die Rücknahme zeitlich auf fünf Jahre nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes beschränkt.

II. Auslieferungsverbot

1. Bedeutung des Grundrechts

Die dem Art. 16 II 1 innewohnende Verpflichtung eines Staates, seine im Staatsgebiet lebenden Bürger in jeder Weise auch vor dem Zugriff fremder Hoheitsgewalten zu schützen, gründet sich auf eine lange völkerrechtliche Tradition. Danach ist kein Staat verpflichtet, Straftäter an einen anderen Staat auszuliefern; umgekehrt hat auch kein Staat einen Anspruch darauf, dass seinem Auslieferungsersuchen stattgegeben wird (MKS/Becker Art. 16 Rn. 59). Das in Art. 16 II 1 enthaltene Verbot der Auslieferung ist ebenso wie das damit in Zusammenhang stehende Verbot der Ausbürgerung (Rn. 1 ff.) nicht nur Ausdruck staatlich beanspruchter Verantwortlichkeit für die eigenen Staatsangehörigen. Vielmehr sind beide Verbote auch als Freiheitsrechte gewährleistet (BVerfGE 113, 273 (293)). Der Zweck des Freiheitsrechts auf Auslieferungsschutz liegt nicht darin, den Betroffenen einer gerechten Bestrafung zu entziehen; vielmehr sollen Bürger nicht gegen ihren Willen aus der ihnen vertrauten Rechtsordnung entfernt werden.

2. Schutzbereich

Art. 16 II 1 schützt das Recht jedes Deutschen, sich auf deutschem Hoheitsgebiet aufhalten zu dürfen. Dagegen unterfallen weder Einreise noch Wahl des Aufenthaltsorts dem Schutzbereich des Art. 16 II. Maßgeblich für die verfassungsrechtliche Überprüfung diesbezüglicher Eingriffe und Beschränkungen ist Art. 11 (vgl. BVerfGE 110, 177 (190 f.)). Vom personellen Schutzbereich sind – anders als nach Art. 16 I – alle Deutschen umfasst, mithin auch die Statusdeutschen iSd Art. 116 I (Art. 116 Rn. 4 ff.).

3. Eingriffe

Dem Wortlaut des Art. 16 II 1 ist zu entnehmen, dass ein grds. Auslieferungsverbot besteht. „Die Auslieferung als traditionelles Institut der internationalen strafrechtlichen Zusammenarbeit von Staaten ist als Grundrechtseingriff dadurch gekennzeichnet, dass eine Person auf Ersuchen zwangsweise aus dem Bereich der inländischen Hoheitsgewalt entfernt und einer ausländischen Hoheitsgewalt überstellt wird […], damit ein dort betriebenes Strafverfahren abgeschlossen oder eine dort verhängte Strafe vollstreckt werden kann“ (BVerfGE 113, 273 (293)). Auch die Durchlieferung (nicht aber die Rücklieferung aus dem Ausland, Rn. 11) eines Deutschen über das Gebiet der Bundesrepublik in einen Drittstaat stellt einen Eingriff in Art. 16 II 1 dar. Umstr. sind dagegen Fälle der Ausweisung, bei der eine Person ohne Ersuchen eines ausländischen Staates aufgefordert wird, die Bundesrepublik zu verlassen. Teilw. wird angenommen, dass die Ausweisung jedenfalls als eine Verletzung des aus der Staatsangehörigkeit folgenden Rechts auf Aufenthalt im Heimatstaat aufgefasst werden müsse, da andernfalls das Auslieferungsverbot des Art. 16 II im Wege der Ausweisung umgangen werden könnte (vgl. Sachs/Kokott Art. 16 Rn. 35). Eine solche teleologische Extension des Wortlauts ist jedoch nicht notwendig. Vielmehr können Fälle der Ausweisung unter Art. 11 I subsumiert werden, der in Form der ebenfalls geschützten („negativen“) Freizügigkeit lex specialis ist (DHS/Durner Art. 11 Rn. 168; Sodan/Ziekow § 43 Rn. 4; Dreier/Wollenschläger Art. 11 Rn. 66).

4. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

Im Zuge der wachsenden Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der EU sowie der Unterzeichnung des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag wurde im Jahre 2000 dem zweiten Absatz ein zweiter Satz angefügt (BGBl. I 1633), der eine Auslieferung auf der Grundlage eines qualifizierten Gesetzesvorbehalts ermöglicht. Wichtigste Voraussetzung ist demnach die Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze. Diese etwas missverständliche Formulierung bezieht sich jedoch nicht, wie man annehmen könnte, auf das Auslieferungsverfahren, da deutsche Behörden ohnehin an rechtsstaatliche Grundsätze gebunden sind. „Vielmehr handelt es sich um eine auf den ersuchenden Mitgliedstaat und den Internationalen Gerichtshof bezogene Erwartung im Sinne einer Strukturentsprechung, wie sie auch Art. 23 Abs. 1 GG formuliert. Der die Auslieferung Deutscher erlaubende Gesetzgeber muss insoweit prüfen, ob diese rechtsstaatlichen Voraussetzungen von den ersuchenden Stellen erfüllt werden“ (BVerfGE 113, 273 (299)). Zu den rechtsstaatlichen Voraussetzungen gehört insbes. ein dem Grundgesetz vergleichbarer Grundrechtsstandard. Nach Auffassung des BVerfG besteht allerdings zumindest innerhalb der EU ein dem Grundgesetz vergleichbarer Grundrechtsstandard (BVerfGE 73, 339 (387) – „Solange II“; vgl. Vor Art. 1 Rn. 2a, Art. 23 Rn. 10 ff.).

Gleichwohl müssen die Gesetze, die eine Auslieferung ermöglichen, nach allgemeiner Grundrechtsdogmatik nicht nur dem ausdifferenzierten qualifizierten Grundrechtsvorbehalt genügen; vielmehr muss das Gesetz auch den übrigen Grundrechten und insbes. dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. Vor Art. 1 Rn. 60 ff.) gerecht werden. Genau diesen Voraussetzungen hielt jedoch das Europäische Haftbefehlsgesetz (EuHbG) nicht stand. Unschädlich bei der Überprüfung des Gesetzes durch das BVerfG war dabei die Tatsache, dass es sich um die Umsetzung einer europarechtlichen Vorgabe handelte. Zwar erkennt das BVerfG grds. den Anwendungsvorrang des Unionsrechts an, der aber dann seine Grenze findet, wenn die Organe der EU die ihnen eingeräumte Handlungsbefugnis überschritten haben oder fundamentale Grundrechtsprinzipien missachtet wurden (s. dazu näher Sodan/Ziekow § 5 Rn. 12 ff.). Letzteres sei beim EuHbG der Fall gewesen. U. a. ermöglichte dieses Gesetz die Auslieferung an ausländische Strafverfolgungsbehörden, auch wenn die Tat keinen Bezug zum Ausland hatte bzw. wesentliche Teile des Handlungs- und Erfolgsortes auf deutschem Staatsgebiet lagen. „In dieser Konstellation treffen die Verantwortung des Staates für die Unversehrtheit seiner Rechtsordnung und die grundrechtlichen Ansprüche des Verfolgten dergestalt zusammen, dass regelmäßig ein Auslieferungshindernis entsteht. Wer als Deutscher im eigenen Rechtsraum eine Tat begeht, muss grundsätzlich nicht mit einer Auslieferung an eine andere Staatsgewalt rechnen. Wäre dies anders, so geriete eine so beschaffene Einschränkung des Schutzes vor Auslieferung bereits in die Nähe des Wesensgehalts des Grundrechts. Für den Verfolgten bedeutet die Überstellung in eine andere, auch in eine durch die europäische Integration näher gerückte, mitgliedstaatliche Rechtsordnung nicht nur eine verfahrensrechtliche Schlechterstellung, die in Sprachhindernissen, kulturellen Unterschieden sowie andersartigem Prozessrecht und Verteidigungsmöglichkeiten liegen kann. Sie bindet ihn auch im Ergebnis an ein materielles Strafrecht, das er demokratisch mitzugestalten nicht in der Lage war, das er – anders als das deutsche Strafrecht – nicht kennen muss und das ihm in vielen Fällen wegen mangelnder Vertrautheit der jeweiligen nationalen öffentlichen Kontexte auch keine hinreichend sichere Parallelwertung in der Laiensphäre erlaubt“ (BVerfGE 113, 273 (302 f.); s. auch BVerfG [K] NJW 2016, 1714 (1715)). Ferner ermöglichte das EuHbG selbst dann eine Auslieferung, wenn in Deutschland (etwa mangels hinreichenden Tatverdachts) kein entsprechendes Verfahren eröffnet wurde und das Auslieferungsersuchen zeitlich der Verfahrensbeendigung vorgelagert war. Die so entstandene gesetzliche Schutzlücke (vgl. BVerfGE 113, 273 (305 f.)) begründete einen weiteren unverhältnismäßigen Eingriff in die Auslieferungsfreiheit. In Reaktion auf die Nichtigkeitserklärung des BVerfG erließ der Gesetzgeber die Regelungen in § 80 I und II IRG.

Äußerst problematisch sind im Zusammenhang mit Art. 16 II auch Rücklieferungspraktiken. Hierbei ist zwischen einer Rücklieferung aus dem Ausland an die Bundesrepublik, die nicht Gegenstand des Art. 16 II ist (Sodan/Ziekow § 43 Rn. 4), und einer Wiederverbringung in das Ausland nach vorheriger Rücklieferungszusage zu differenzieren. Während das BVerfG in seiner früheren Rspr. eine Wiederverbringung als mit dem Wortlaut des Art. 16 II unvereinbar ansah (BVerfGE 10, 136 (139)), hat es seine Ansicht mittlerweile geändert und begründet die Verfassungskonformität von völkerrechtlichen Rückführungsvereinbarungen mit einer einheitlichen Betrachtung des Gesamtvorgangs (BVerfGE 29, 183 (192)). Da sich die Lage für den Betroffenen nicht verschlechtert habe, sei die Rücklieferung mit dem Schutzzweck von Art. 16 II vereinbar: „Weder eine allgemeine vertragliche Vereinbarung mit einem anderen Staat noch das Ersuchen um vorläufige Auslieferung gegen spätere Rücklieferung, noch die Ausführung dieser Rücklieferung verstoßen daher gegen Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG“ (BVerfGE 29, 183 (194)). Da das Grundgesetz jedoch nicht zwischen Deutschen unterscheidet, die sich endgültig oder nur vorläufig im Gebiet der Bundesrepublik aufhalten, müsste konsequenterweise auch ein völkerrechtlicher Vertrag bzw. die darauf beruhende Rücklieferungspraxis als verfassungswidrig eingestuft werden (iE auch Kingreen/Poscher Rn. 1259).