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Artikel 22 [Bundeshauptstadt; Bundesflagge]

(1) 1 Die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland ist Berlin. 2 Die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt ist Aufgabe des Bundes. 3 Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.

(2) Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold.

I. Hauptstadt Berlin

Die im Zuge der Föderalismusreform (BGBl. 2006 I 2034) eingefügte Bestimmung verleiht in I 1 dem Art. 2 I 1 EinigungsV Verfassungsrang. Hauptstadt ist mehr als Regierungssitz (zB Bern); erforderlich ist, schon nach Völkerrecht, die institutionalisierte Daueranwesenheit von BPräsident und BReg, nicht jedoch aller obersten Verfassungsorgane (BVerfG). II 2 erklärt die Repräsentation des Gesamtstaates in Berlin zur ausschließlichen „Aufgabe des Bundes“, was als Sonderbestimmung zu verstehen ist: Sie bezieht sich nur auf Repräsentation, ein Begriff, der jedenfalls „Außendarstellung der Gesamtstaatlichkeit“ bedeutet, gegenüber Volk, staatlichen Instanzen, Ländern und, vor allem, anderen Völkerrechtsubjekten. In diesem weiten Rahmen ist alles Nähere durch Bundesgesetze zu regeln (I 3); dies ist in der Kompetenzordnung des GG (Art. 30) eng auszulegen. „Repräsentation“ umfasst auch Einrichtungen, vor allem Bauwerke, und Veranstaltungen; sie muss „in Berlin stattfinden“, nicht nur von dort aus organisiert oder gelenkt werden. Dargestellt werden darf nur „der Gesamtstaat“ als solcher, seine Leistungen, Entwicklungen, Probleme, nicht der „Beitrag der Länder“ dazu oder einzelner von ihnen; dies ist nicht aus der Perspektive der Bundesinstanzen zu beurteilen, sondern aus dem „außenstehender“, insbes. ausländischer Betrachter.

Als eng auf Außendarstellung begrenzte Sonderbestimmung legt Art. 22 I zwar eine spezielle „Aufgabe des Bundes“, fest (vgl. Art. 104a I), verleiht diesem aber allenfalls Befugnisse zur Errichtung, Übernahme und Organisation gewisser Einrichtungen und Veranstaltungen in Berlin, welche der Bund dann allerdings auch (anteilig) finanziell tragen muss. Im Übrigen muss sich die Aufgabenwahrnehmung im bundesstaatlichen Rahmen des GG halten. Art. 135 IV wird durch Art. 22 hinsichtlich früher preußischen Vermögens im Bundesbesitz konkretisiert: Der Bund hat insoweit eine Aufgabe zu erfüllen, nicht nur ein überwiegendes Interesse zu wahren. Eine über die Schranken „gesamtstaatlicher Repräsentation in Berlin“ hinausreichende Bundeszuständigkeit, etwa in „kulturellen Angelegenheiten“, wird damit nicht begründet; „Deutsche Kultur“ ist nicht eine solche des Gesamtstaats. Ebenso wenig betrifft Art. 22 den Finanzausgleich (BVerfGE 116, 327).

II. Bundesflagge

„Flagge“ ist ein an einem Mast befestigtes Tuch, welches eine Organisation kennzeichnet, die Rechtssubjekt des Völkerrechts ist – hier die Bundesrepublik Deutschland. Nach allg. Auffassung haben Flaggen „Symbolcharakter“, iSe Hinweises auf etwas Größeres, Höheres: Was dies aber, über Kennzeichnung von Organisationsstrukturen und -elementen sowie Zugehörigkeit zu jenen hinaus, bedeuten soll, ist unklar: „Staatskontinuität“ über Verfassungsordnungen hinweg scheidet in Deutschland aus. Eine Bestimmung normativ höchstrangiger Verfassungs(schutz)güter, in deren Namen sich die Bürger mit ihrem Staat identifizieren können (Rudolf Smend), wird in Art. 22 gesehen (vgl. BVerfGE 81, 278 (293)). Die Bundesflagge ist überdies ein nach deutschem Gesetzesrecht gegen Verunglimpfung und Missbrauch geschütztes „Hoheitszeichen“ (vgl. § 90a II StGB, § 124 OWiG und § 27 I WZG; letztere Vorschriften schützen allerdings nur gegen ihren Missbrauch). Das GG kennt nicht mit der Bundesflagge identische „Bundesfarben“ (vgl. aber § 90a I Nr. 2a StGB).

Schwarz-Rot-Gold als Flaggenfarben werden auf die Farben des Alten Reichs und die der Uniformen des Lützowschen Freikorps zurückgeführt. Aufgenommen in der Bewegung von 1848/49 und in der WRV (Art. 3 – neben schwarz-weiß-rot) gilt dies als Bekenntnis zu den Höchstwerten der nationalen deutschen Einheit und der individuellen Freiheit, entspr. liberaler Tradition. Die gegenwärtige nähere Ausgestaltu ng der Flagge – drei gleich breite horizontale Streifen von oben nach unten – entspricht dieser Tradition, nicht einem Verfassungsgewohnheitsrecht. Das (nähere) Ausgestaltungsrecht kann nur Bundesorganen zukommen, soweit es Außenwirkung hat dem BT als Gesetzgeber, hinsichtlich innenorganisatorischer Auswirkungen im Bundesbereich der BReg und dem BKanzler. Dem BPräsidenten steht ein Bestimmungsrecht nicht nach Art. 58 S. 1 zu (str.; vgl. MKS/Classen Art. 22 Rn. 8); aus seiner vielfach angenommenen Integrationsfunktion lässt es sich nicht ableiten. – Mehrere Bundesflaggen sind unzulässig, wenn dadurch die Farblichkeit(sanordnung) verändert wird.

Flaggenführungspflicht besteht nur im innerorganisatorischen Bereich des Bundes, aufgrund von Bundesgesetz oder Anordnung der zuständigen Organisationsgewalt (Rn. 4). Länder und Gemeinden können – mit Duldung zuständiger Bundesorgane –, müssen aber nicht die Bundesflagge zeigen; sie dürfen dazu auch nicht durch Gesetz verpflichtet werden. Ein Flaggenzeigerecht steht jedermann unbeschränkt zu, allen Staatsbürgern und auch Nichtdeutschen. Eine dahin gehende Verpflichtung lässt sich jedoch, jedenfalls im Inland, aus Kennzeichnungsfunktion wie Symbolcharakter der Flagge (Rn. 3) nicht ableiten. Einen rechtlichen Flaggenschutz als solchen gibt es nicht (BVerfGE 81, 278 (293)). Bei Missachtung der Flagge kommen Staatsschutznormen (vgl. § 90a I Nr. 2a StGB) nur zur Anwendung, wenn das betr. Verhalten auf aggressive Ablehnung tragender Verfassungsgrundsätze schließen lässt. Die Kennzeichnungsfunktion der Flagge wird durch die Missbrauchsverbote der §§ 124 OWiG und § 27 I WZG geschützt.

III. Sonstige Staatssymbole

Über andere Staatssymbole schweigt das GG. Das spricht dafür, dass es solche, jedenfalls iSd anzunehmenden normativen Bedeutungsgehalts der Bundesflagge (vgl. Rn. 4), nicht gibt. Das Staatswappen (vgl. Bekanntmachung, BGBl. 1950 I 26) ist nur ein Kennzeichnungsmittel und insoweit auch ein Hoheitszeichen, welches aber die Flaggenfarben nicht aufweisen muss. Aus einem Symbolcharakter des Nationalfeiertages lassen sich keine weiterreichenden als die gesetzlichen normativen Folgerungen ableiten. Die Nationalhymne (vgl. § 90a I Nr. 2, II StGB) (3. Strophe des Deutschlandliedes) soll gewohnheitsrechtlich als solche festgelegt sein (vgl. BVerfGE 81, 298 (308 f.)); sie bestätigt dann den Bedeutungsgehalt der Flagge zu Einheit und Freiheit (vgl. Rn. 4).

Ein Recht, weitere „Staatssymbole“ zu bestimmen, steht den Verfassungs-Gesetzgebern zu; denn nur sie können hoch- oder höchstrangige Gemeinschaftsgüter bestimmen bzw. konkretisieren, nicht aber ein Organ der vollziehenden Gewalt, auch nicht der BPräsident. Der einfache Gesetzgeber darf allenfalls Rechtsfolgen aus der Kennzeichnungsfunktion der Hoheitszeichen ziehen, insbes. für den Staatsschutz. Der Begriff „Staatssymbole“ sollte, schon aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit, im Verfassungsrecht des GG nur zurückhaltend gebraucht werden, um Gefahren einseitiger Politisierung, oder gar einer „Staatsideologie“ zu vermeiden.