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Artikel 48 [Ansprüche der Abgeordneten]

(1) Wer sich um einen Sitz im Bundestage bewirbt, hat Anspruch auf den zur Vorbereitung seiner Wahl erforderlichen Urlaub.

(2) 1 Niemand darf gehindert werden, das Amt eines Abgeordneten zu übernehmen und auszuüben. 2 Eine Kündigung oder Entlassung aus diesem Grunde ist unzulässig.

(3) 1 Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. 2 Sie haben das Recht der freien Benutzung aller staatlichen Verkehrsmittel. 3 Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

I. Urlaubsanspruch

Der Urlaubsanspruch schützt Bewerber um ein BTags-Mandat in ihrem passiven Wahlrecht, die in einem privat- oder öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnis stehen, also alle Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnlichen Personen (§ 12a TVG), Beamten, Richter und Soldaten, nicht aber Selbstständige (BGHZ 194, 248 (255)) oder Werkvertragsverpflichtete (Art. 48 I). Er richtet sich gegen den Arbeitgeber/Dienstherrn und umfasst Freistellung von sämtlichen Verpflichtungen aus dem Beschäftigungsverhältnis (§ 3 S. 1 AbgG). Durchgesetzt wird er im Verfahren vor den dienst- (vgl. § 33 III 1, § 126 BRRG) oder arbeitsrechtlich zuständigen (§ 2 ArbGG) Gerichten; eigenmächtiges Fernbleiben ist nicht zulässig. Untersuchungshäftlingen und Strafgefangenen steht er, trotz der grds. Arbeitsverpflichtung Letzterer (§ 41 I StVollzG), nicht zu, weil damit ein verfassungsrechtlich zulässig verfolgter Zweck dieser Maßnahmen unterlaufen würde.

„Bewerbung“ um ein Mandat ist Voraussetzung. Begrifflich verlangt dies – zumindest – ernsthaftes Bemühen, das allerdings nicht Wirkungen in der Öffentlichkeit gezeigt haben muss (zu eng BVerwG DVBl 1974, 199 (200)). Wahlchancen sind nicht Voraussetzung; Aufnahme in Wahlvorschläge, Aufstellung als Wahlkreis-/Listenbewerber (§§ 20, 27 BWG) sollen genügen. Die Nachweispflicht obliegt dem Bewerber; entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls.

Nur der zur Wahl erforderliche Urlaub ist zu gewähren, in einer Höchstdauer von zwei Monaten (§ 1 S. 1 AbgG), innerhalb von zwei Monaten vor dem Wahltag. Diese Regelung, die der Wahlgleichheit Rechnung trägt, ist durch Art. 48 I gedeckt. Unter außerordentlichen Umständen, etwa in Katastrophen- oder Seuchenfällen, muss sie entspr. den Festsetzungen des Wahltermins (Art. 39 I) verlängert werden. Anspruch auf bezahlten Urlaub besteht nach hL (vgl. Sachs/Magiera Art. 48 Rn. 5) nicht. Die Bewerbung erfolgt aufgrund einer persönlichen Entscheidung, deren Kosten weder privaten Dritten, noch dem Staat auferlegt werden müssen. Ein aus öffentlichen Mitteln bezahlter Wahlurlaub kommt schon wegen der Schwierigkeit, (Wahl-) Gleichheit gegenüber Selbstständigen zu wahren, nicht in Betracht.

II. Behinderungsverbot

Übernahme und Ausübung eines BTags-Mandats (Art. 38 Rn. 4 ff.) darf weder vom Staat noch von Privaten (BVerfGE 42, 312 (328)) behindert werden (Art. 48 II). Geschützt sind die Mandatsträger und auch schon die Bewerber (vgl. Rn. 2) um ein Mandat, und zwar, anders als nach Abs. 1, selbstständig und unselbstständig Tätige, gegen alle Behinderungen und deren Androhung. Darunter fällt nicht nur was die Übernahme und Ausübung unmöglich macht, sondern auch alles, was dies in der konkreten Lage erschwert, also alle Benachteiligungen im Arbeits-/Dienstverhältnis, wie etwa Abmahnungen, Versetzungen, Nichtbeförderungen. Selbstständigen gegenüber darf kein geschäftliches oder gesellschaftsrechtliches Verhalten aus Mandatsgründen zu Benachteiligungen führen. Behinderung ist allerdings nur hinsichtlich der Abgeordneten-/Bewerbertätigkeit verboten; dies ist vom Betroffenen nachzuweisen. Die Rechtsfolgen (Nichtigkeit von Willenserklärungen, § 134 BGB; BGHZ 43, 384 (387); Schadensersatz wegen Vertrags- oder Schutzgesetzverletzung, § 823 II BGB) sind vor den zuständigen Gerichten geltend zu machen (Rn. 1).

Das Behinderungsverbot gilt nicht für ein Verhalten, bei dem es an der Intention fehlt, jemanden wegen seines Mandats oder seiner Bewerbung darum zu benachteiligen (BVerfGE 42, 312 (328 ff.); weitergehend früher BGHZ 43, 384 (387)). Unvermeidliche Folgen eines in diesem Sinn ungezielten, etwa betriebsbedingten Verhaltens sind hinzunehmen (vgl. BVerwGE 99, 118 – stRspr; BGHZ 94, 248 (251)). Gleiches gilt für Nachteile infolge verfassungsrechtlich zulässiger Einschränkung der Wählbarkeit (vgl. Art. 137 I) oder Inkompatibilitäten mit Landtags- oder Europaparlamentsmandaten (vgl. BVerfGE 42, 312 (327)), Diätkürzungen oder -anrechnungen (BVerfGE 4, 144 (155); 18, 172 (181)), straf- oder disziplinarrechtliche Maßnahmen (vgl. BVerfGE [K] NVwZ 1982, 96) sowie Bezahlungskürzungen wegen mandatsbedingt geringeren Leistungen des Abgeordneten/Bewerbers (vgl. BVerwGE 86, 211 (216 f.)).

Kündigung oder Entlassung aus Mandatsausübungs- oder -bewerbungsgründen sind insbes. unzulässig (Art. 48 II 2); zwischen beiden muss rechtlich aber nicht unterschieden werden (BVerfGE 42, 312 (328)). Entspr. dem Wortlaut gilt dies (vgl. näher § 2 III AbgG) nur für Unselbstständige (BGHZ 94, 248 (252 ff.)). Auch Androhungen sind untersagt (BAGE 77, 184 (187 ff.)) – Die Vorschrift konkretisiert das Behinderungsverbot. Eine allg. Beschränkung des Kündigungsrechts aus wichtigem Grund (§ 2 III 2 AbgG) ist durch Art. 48 II nicht gedeckt und geht nach der Intentionen-Rspr. des BVerfG (Rn. 5) zu weit.

Einschränkungen der Tätigkeit im öffentlichen Dienst dürfen für Mandatsträger oder -bewerber nur aus Gründen der Interessenkollision vorgesehen werden (vgl. Art. 137 GG, §§ 5 ff. AbgG). Unvereinbarkeitsregelungen aus wirtschaftlichen Gründen sind unzulässig (BGHZ 72, 70 (75)). Private Tätigkeit darf nicht behindert werden. Das BVerfG hat aber parlamentarische Offenlegungspflichten (vgl. § 44a AbgG) nicht zugelassen (BVerfGE 118, 277 ff.).

III. Abgeordnetenbezüge

Auf „Entschädigung“ haben Abgeordnete Anspruch (Art. 48 III 1; vgl. Schwarz NVwZ 2016, 97) – ein aus Art. 40 WRV übernommener unangemessener Ausdruck. Im Wesentlichen geht es um „Bezüge“, die den beamtenrechtlichen am nächsten kommen. Damit sollen Mandatsträger, die gerade hier „Politik als Beruf „ (Max Weber) ausüben, in ihrer Unabhängigkeit gegenüber gesellschaftlichen Kräften, ihren Parteien und Fraktionen gesichert werden, da sie ihre Abgeordnetentätigkeit als Teilzeit-, wenn nicht als Vollzeitbeschäftigung, ausüben müssen. Zugleich ist ihnen und ihren Familien damit ein ihrem repräsentativen verfassungsrechtlichen Status entspr. Leben zu gewährleisten (BVerfGE 4, 144 (150); 102, 224 (239) – stRspr). Abgeordnete sollen nicht aus persönlich motiviertem Sozialneid heraus handeln.

„Angemessene“ Bezüge sind ihnen zu gewähren während ihrer Mandatstätigkeit („Diäten“) und im Anschluss an diese als Alters-, Invaliden- oder Hinterbliebenenversorgung, als ausreichende Existenzgrundlage, nicht nur als Sicherung eines Existenzminimums. In Anlehnung an das Beamtenrecht wird von (Voll-) Alimentation gesprochen (BVerfGE 40, 296 (313 ff.)). Altersvorsorge ist jedoch nur begrenzt zu gewähren (BVerfGE 32, 157 (165); 40, 296 (311) und, vor allem, 76, 256 (342)). Alle Bezüge sind nach strenger Gleichheit geschuldet (BVerfGE 40, 296 (317 f.); 102, 224 (237 f.)); sie stehen auch Einkommenslosen zu. Treffen sie mit anderen Bezügen aus öffentlichen Kassen zusammen, so sind wechselseitige Anrechnungen geboten (BVerfGE 40, 296 (329 f.); 76, 256 (343); § 29 AbgG). Dies gilt nicht für Bezüge aus anderer Tätigkeit (BVerfGE 40, 296 (314); 76, 256 (343)), die jedoch unzulässig ist, wenn sie (nur) der Vertretung privater Interessen im Parlament dient (BVerfGE 296, 319; 42, 312 (328)). Sämtliche Bezüge sind nach geltendem Abgabenrecht steuerpflichtig (BVerfGE 40, 296 (327 ff.)).

Die Abgeordneten können neben Diäten während der Mandatstätigkeit Aufwendungsersatz erhalten (BVerfGE 40, 296 (318); 102, 224 (242)), nachher Leistungen nach §§ 18 ff. AbgG, etwa ein Übergangsgeld. Funktionszulagen sind nur für den BTags-Präsidenten, seine Stellvertretung sowie die Fraktionsvorsitzenden zulässig (BVerfGE 40, 296 (313 f.); 102, 224 (234 ff.)). Als „Amtsausstattung“ (§ 12 AbgG) werden darüber hinaus Mitarbeiter und Büroräume zur Verfügung gestellt. Freifahrtberechtigung (Art. 48 III 2) steht den Abgeordneten während der Mandatsdauer nur für Verkehrsmittel unter bestimmendem Einfluss des Bundes voraussetzungslos zu (Deutsche Bahn AG § 16 I 1 AbgG); bei Benutzung anderer Verkehrsmittel, (nur) zur Mandatsausübung, ist Kostenerstattung gegen Nachweis vorgesehen (§ 16 I 2), für sonstige Dienstreisen gilt § 17 AbgG.

Durch Bundesgesetz sind die Bezüge und sonstigen Leistungen an Abgeordnete näher zu regeln (Art. 48 III 3); dies ist im AbgG erfolgt. Der BT hat hier einen weiten Spielraum (BVerfGE 76, 256 (342)), obwohl die Abgeordneten allein, auch ohne Zustimmung des BRats, in eigener Sache entscheiden. Daher wird von ihnen eine Sachbehandlung (auch) im Plenum verlangt, welche für sie und die Allgemeinheit transparent und verständlich ist, und sich im Ergebnis nicht auf eine Indexierung beschränkt, etwa im Verhältnis zum öffentlichen Dienst (BVerfGE 40, 296 (316 f.)). Ein Vorschlag seitens einer externen, unabhängigen Kommission, unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben, könnte durch Bundesgesetz vorgesehen werden.