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Artikel 138 WRV [Staatsleistungen; Kirchengut]

(1) 1 Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. 2 Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.

(2) Das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen werden gewährleistet.

I. Ablösung der Staatsleistungen

Im Interesse der Entflechtung von Staat und Religionsgemeinschaften enthält Art. 138 I WRV den Auftrag an die Länder, alle vermögenswerten Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften abzulösen (Jarass/Pieroth/Jarass WRV Art. 138 Rn. 2; zu Historie, Begriff und Wesen PRGM StaatskirchenR-HdB III/Heun, 3017 ff.)). Zu den abzulösenden Staatsleistungen zählen Finanzmittel und Naturalleistungen wiederkehrender Natur (Dreier/Morlok WRV Art. 138 Rn. 15), aber auch negative Leistungen wie Steuerbefreiungen (BVerfGE 19, 1 (13); BVerfG [K] DVBl 2001, 274). Erfasst werden auch Rechte aus einer gemeindlichen Kirchenbaulast sowie sonstige kommunale Leistungen (MKS/Unruh WRV Art. 138 Rn. 10; BeckOK GG/Germann Art. 140 Rn. 122.6; aA BVerwG NVwZ-RR 2009, 590 (591); Droege NdsVBl 2012, 1 (3)). Nicht erfasst werden hingegen die Befreiung von Gerichtsgebühren (BVerfGE 19, 1 (13 ff.)) und steuerliche Spendenvergünstigungen (Sachs/Ehlers WRV Art. 138 Rn. 3). Die Vereinbarung finanzieller Dauerverpflichtungen bleibt im Übrigen zulässig, soweit diese Zuwendungen säkular und final motiviert sind und nicht gegen das Paritätsverbot verstoßen (BVerfGE 123, 148 (178); MKS/Unruh WRV Art. 138 Rn. 19). Vom Gebot der Ablösung werden diejenigen Staatsleistungen erfasst, die einen Ausgleich für frühere einseitige Vermögensentziehungen darstellen, die insbes. durch die Säkularisation des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 erfolgt sind. Nur insoweit ist auch aus der Regelung ein Verbot neuer Staatsleistungen abzuleiten (zu Hohenlohe ZevKR 62 [2017], 178 (182); Schmidt DÖV 2020, 624 (628)).

Die Ablösung der Staatsleistungen darf nur gegen angemessene Entschädigung erfolgen, was keinen vollen Wertersatz bedeutet (Sachs/Ehlers WRV Art. 138 Rn. 4; Wernsmann/Geiß DÖV 2022, 649 (654 ff.); diff. MKS/ Unruh WRV Art. 138 Rn. 12). Dem entgegenstehende Regelungen des Landesrechts und in Verträgen sind unwirksam (Dreier/Morlok WRV Art. 138 Rn. 21). Die Aufhebung durch die Länder setzt eine bundesrechtliche Grundsatzregelung voraus (BVerfG NVwZ 2001, 318 (318); Greve ZG 2023, 121 (129 ff.)), die allerdings bisher nicht ergangen ist. Deshalb können die Länder die Leistungen noch nicht einseitig ablösen; es besteht eine Sperrwirkung (DHS/Korioth WRV Art. 138 Rn. 9). Damit hat sich das Ablösungsgebot in eine vorläufige faktische Bestandsgarantie verkehrt (Hömig/Wolff/Wolff Art. 140 Rn. 22). Die Länder dürfen aber entspr. Regelungen im Wege freier Vereinbarung mit den Religionsgesellschaften treffen (v. Münch/Kunig/Mager Art. 140 Rn. 85). Dies ist in großer Zahl geschehen (BeckOK GG/Germann Art. 140 Rn. 125 f.). Dennoch besteht angesichts des klaren Wortlauts von Art. 138 I 2 WRV verfassungsrechtlicher Handlungsbedarf für den Bundesgesetzgeber. In den Jahren 2012 und 2020 sind entsprechende Entwürfe für ein Grundsatzgesetz in den BT eingebracht worden (BT-Drs. 17/8791; BT-Drs. 19/19273), allerdings ohne Erfolg (näher Unruh DÖV 2020, 953 ff.; Pieroth NVwZ 2022, 1872 (1876 ff.)). Ein schlichtes „Auslaufenlassen“ der Staatsleistungen (so BT-Drs. 19/19639) wäre indes eindeutig verfassungswidrig, da eine Ablösung zwingend eine Aufhebung gegen Entschädigung voraussetzt (Wernsmann/Geiß DÖV 2022, 649 (656)). Der Koalitionsvertrag der „Ampel“-Parteien sieht nunmehr die Schaffung eines fairen Rahmens zur Ablösung der Staatsleistungen vor (BT-Drs. 20/3356, 39; Hofmann DVBl. 2023, 129 (130 ff.)).

II. Kirchengutsgarantie

Art. 138 II WRV schützt die vermögenswerten Rechte der Religionsgesellschaften, soweit sie religiösen Zwecken dienen. Damit sollen Säkularisationen oder säkularisationsähnliche Akte abgewehrt werden (Dreier/Morlok WRV Art. 138 Rn. 27). Art. 138 II WRV konkretisiert Art. 4 II (BVerfGE 99, 100 (119)) und steht in engem Zusammenhang mit Art. 14 (BVerwGE 87, 115); allerdings enthält Art. 138 II WRV kein Grundrecht oder grundrechtsgleiches Recht, sondern nur ein sonstiges verfassungsmäßiges Recht (Jarass/Pieroth/Jarass WRV Art. 138 Rn. 4). Berechtigt sind alle Religionsgesellschaften, unabhängig von ihrer Rechtsform, und wegen Art. 137 VII WRV auch alle Weltanschauungsgemeinschaften (Dreier/Morlok WRV Art. 138 Rn. 36). Schutzobjekte sind das Eigentum und andere Rechte des für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Vermögens, soweit es um die Erfüllung des religiösen Auftrags geht (Umbach/Clemens/Magen Art. 140 Rn. 132). Zu den sonstigen Rechten zählen insbes. Gebrauchsüberlassungsrechte privat- und öffentlich-rechtlicher Natur (BVerfGE 99, 100 (120 f.)). Da Art. 138 II WRV keine vermögenswerten Rechte begründet, sondern voraussetzt (Sachs/Ehlers WRV Art. 138 Rn. 7), schützt die Norm das Vermögen „nur in dem Umfang, wie es nach Maßgabe des einschlägigen zivilen oder öffentlichen Rechts begründet ist“ (BVerfGE 99, 100 (121); BFH DStRE 2023, 1190 (1194)). Daher stellt der Anspruch eines staatlichen Vermieters einer zur res sacra gewidmeten öffentlichen Sache auf Herausgabe dieser Sache nach Ablauf der Mietzeit keinen Eingriff in dieses Recht dar (Sachs/Ehlers WRV Art. 138 Rn. 9; Klappert DÖV 2016, 857 (863)). Auch ein Widerruf ist nicht als Eingriff zu qualifizieren, wenn das Recht mit einem entspr. Vorbehalt versehen war (BVerfGE 99, 100 (121)). Da die Kirchengutsgarantie das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften aus Art. 137 WRV ergänzt, gilt der Schrankenvorbehalt des Art. 137 III WRV auch im Rahmen von Art. 138 II WRV (BVerwGE 87, 115 (125); v. Münch/Kunig/Mager Art. 140 Rn. 92).