Artikel 108 [Finanzverwaltung]
(1) 1 Zölle, Finanzmonopole, die bundesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuern einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer, die Kraftfahrzeugsteuer und sonstige auf motorisierte Verkehrsmittel bezogene Verkehrsteuern ab dem 1. Juli 2009 sowie die Abgaben im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften werden durch Bundesfinanzbehörden verwaltet. 2 Der Aufbau dieser Behörden wird durch Bundesgesetz geregelt. 3 Soweit Mittelbehörden eingerichtet sind, werden deren Leiter im Benehmen mit den Landesregierungen bestellt.
(2) 1 Die übrigen Steuern werden durch Landesfinanzbehörden verwaltet. 2 Der Aufbau dieser Behörden und die einheitliche Ausbildung der Beamten können durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates geregelt werden. 3 Soweit Mittelbehörden eingerichtet sind, werden deren Leiter im Einvernehmen mit der Bundesregierung bestellt.
(3) 1 Verwalten die Landesfinanzbehörden Steuern, die ganz oder zum Teil dem Bund zufließen, so werden sie im Auftrage des Bundes tätig. 2 Artikel 85 Abs. 3 und 4 gilt mit der Maßgabe, daß an die Stelle der Bundesregierung der Bundesminister der Finanzen tritt.
(4) 1 Durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, kann bei der Verwaltung von Steuern ein Zusammenwirken von Bundes- und Landesfinanzbehörden sowie für Steuern, die unter Absatz 1 fallen, die Verwaltung durch Landesfinanzbehörden und für andere Steuern die Verwaltung durch Bundesfinanzbehörden vorgesehen werden, wenn und soweit dadurch der Vollzug der Steuergesetze erheblich verbessert oder erleichtert wird. 2 Für die den Gemeinden (Gemeindeverbänden) allein zufließenden Steuern kann die den Landesfinanzbehörden zustehende Verwaltung durch die Länder ganz oder zum Teil den Gemeinden (Gemeindeverbänden) übertragen werden. 3 Das Bundesgesetz nach Satz 1 kann für ein Zusammenwirken von Bund und Ländern bestimmen, dass bei Zustimmung einer im Gesetz genannten Mehrheit Regelungen für den Vollzug von Steuergesetzen für alle Länder verbindlich werden.
(4a) 1 Durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können bei der Verwaltung von Steuern, die unter Absatz 2 fallen, ein Zusammenwirken von Landesfinanzbehörden und eine länderübergreifende Übertragung von Zuständigkeiten auf Landesfinanzbehörden eines oder mehrerer Länder im Einvernehmen mit den betroffenen Ländern vorgesehen werden, wenn und soweit dadurch der Vollzug der Steuergesetze erheblich verbessert oder erleichtert wird. 2 Die Kostentragung kann durch Bundesgesetz geregelt werden.
(5) 1 Das von den Bundesfinanzbehörden anzuwendende Verfahren wird durch Bundesgesetz geregelt. 2 Das von den Landesfinanzbehörden und in den Fällen des Absatzes 4 Satz 2 von den Gemeinden (Gemeindeverbänden) anzuwendende Verfahren kann durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates geregelt werden.
(6) Die Finanzgerichtsbarkeit wird durch Bundesgesetz einheitlich geregelt.
(7) Die Bundesregierung kann allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen, und zwar mit Zustimmung des Bundesrates, soweit die Verwaltung den Landesfinanzbehörden oder Gemeinden (Gemeindeverbänden) obliegt.
I. Regelungsgegenstand und systematische Einordnung
Regelungsgegenstand des Art. 108 ist neben der Verteilung der Verwaltungskompetenzen und der Verwaltungsorganisation im Bereich der Steuern, Zölle, Finanzmonopole und Abgaben im Rahmen der EU (Art. 108 I–IV, VII) auch die Gesetzgebungskompetenz für das Steuerverfahrensrecht (Art. 108 V) sowie die Finanzgerichtsbarkeit (Art. 108 VI). Art. 108 weist im Vergleich zu den allg. Regeln eine zentralistische Tendenz auf, deren Hintergrund die Gewährleistung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung ist (Art. 3 Rn. 18). Zudem lässt Art. 108 im Bereich der Steuerverwaltung Formen der Mischverwaltung zu (Rn. 9, 11). Die Föderalismusreform III (Vor Art. 104a Rn. 4) hat die zentralistische Tendenz durch die Einfügung des Art. 108 IV 3 weiter verstärkt (Rn. 13), zugleich mit Art. 108 IVa aber auch die Möglichkeiten für eine Länderkooperation ausgeweitet (Rn. 14). Soweit Art. 108 I, II, IV organisatorische Gesetzesvorbehalte normieren, enthalten diese keine generellen Delegationsverbote an den Verordnungsgeber (BVerfGE 106, 1 (22 ff.)). Dies gilt auch für den neu eingefügten Abs. 4a.
Rechtssystematisch sind Abs. 1–5, 7 leges speciales zu Art. 83, Abs. 6 ist lex specialis zu Art. 74 I Nr. 1 (BeckOK GG/Kube Art. 108 Rn. 1). Seinerseits verdrängt wird Art. 108 durch die spezielleren Vorschriften des Art. 140 iVm Art. 137 VI WRV. Wo Art. 108 die Steuerverwaltung nicht umfassend regelt, kann auf Art. 83 ff. zurückgegriffen werden. Für die nichtsteuerlichen Abgaben ist Art. 108 nicht anwendbar; deren Verwaltung richtet sich nach den allg. Regeln.
II. Verteilung der Verwaltungskompetenz
1. Bundesfinanzbehörden (Abs. 1)
Für Zölle (Art. 105 Rn. 7), Finanzmonopole (Art. 105 Rn. 8), die bundesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuern (Art. 105 Rn. 16 zum Begriff der Verbrauchsteuer) einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer, die Kraftfahrzeugsteuer und sonstige auf motorisierte Verkehrsmittel bezogene Verkehrsteuern ab dem Juli 2009 (Art. 106b Rn. 1) sowie die Abgaben im Rahmen der EU sieht Art. 108 I 1 die Verwaltung durch Bundesfinanzbehörden vor. Dies gilt unabhängig von der Ertragskompetenz, sodass zB auch die Biersteuer erfasst wird, obwohl ihr Ertrag nach Art. 106 II Nr. 5 den Ländern zusteht (Sachs/Siekmann Art. 108 Rn. 8). Der Bundesgesetzgeber kann dem Bund nach Abs. 4 S. 1 für einzelne Steuern die Verwaltungskompetenz entziehen und auf die Landesfinanzverwaltung übertragen (Rn. 11). Von Art. 108 I 1 nicht erfasst ist die Umsatzsteuer, was sich e contrario aus der Einbeziehung der Einfuhrumsatzsteuer ergibt (v. Münch/Kunig/Heintzen Art. 108 Rn. 11).
Als Verwaltungsform schreiben Abs. 1 S. 1 („werden verwaltet“) und Art. 87 I 1 eine obligatorische unmittelbare Bundesverwaltung vor (Art. 87 Rn. 5). Art. 108 I 3 erlaubt auch einen zweistufigen Verwaltungsaufbau, an dessen Spitze mit Rücksicht auf Abs. 3 S. 2 der Bundesminister der Finanzen zu stehen hat (Rn. 6). Art. 87 I 1 iVm Art. 108 I schließt es nicht aus, der Zollverwaltung als Teil der Bundesfinanzverwaltung über Art. 108 I hinaus weitere Verwaltungsaufgaben zuweisen, sofern der Bundesgesetzgeber sich für deren Wahrnehmung auf eine Kompetenz des GG stützen kann. Die weiteren Aufgaben dürfen nicht von Verfassungs wegen einem bestimmten Verwaltungsträger vorbehalten sein und die Zuweisung der weiteren Aufgaben muss das grundsätzliche Gepräge des Zolls wahren (BFH BeckRS 2020, 46054 Rn. 29).
Für den Aufbau statuiert Abs. 1 S. 2 einen förmlichen organisatorischen Gesetzesvorbehalt und verdrängt Art. 86 S. 2 (BVerfGE 106, 1 (22)). Schon aus Gründen der Praktikabilität beschränkt sich die Reichweite des Gesetzesvorbehaltes nur auf den Aufbau, dh die Grundentscheidungen der Einrichtung der Behörden. Art. 108 I 2 ist also enger als der Begriff der Einrichtung in Art. 84 I, 85 I, 86 S. 2 zu verstehen (DHS/Schwarz Art. 108 Rn. 34 ff.).
Gem. Art. 108 I 3 ist die Einrichtung von Mittelbehörden nach der Verfassungsänderung von 2001 nur noch fakultativ (Gesetz v. 26.11.2001, BGBl. I 3219). Soweit Mittelbehörden eingerichtet sind, hat die Bestellung der Leiter im Benehmen mit den Landesregierungen zu erfolgen, was sachlich durch die Befugnisse zur Verwaltung von Steuern, deren Ertragskompetenz den Ländern zusteht (Rn. 3), gerechtfertigt ist. Eine Bestellung im Benehmen erfordert kein Einvernehmen, sondern lediglich, die Länder anzuhören und bei der Entscheidung ihre Stellungnahme zu würdigen (DHS/Schwarz Art. 108 Rn. 37). Mit Wirkung vom 1.1.2016 wurden die fünf Bundesfinanzdirektionen aufgelöst und in die Generalzolldirektion als Bundesoberbehörde überführt (Gesetz v. 3.12.2015, BGBl. I 2178).
2. Landesfinanzbehörden (Abs. 2)
Nach Art. 108 II 1 werden die übrigen, dh die von Art. 108 I 1 nicht erfassten Steuern (Rn. 3), vorbehaltlich des Art. 108 IV 1 (Rn. 11), durch die Landesfinanzbehörden verwaltet. Dabei handelt es sich in offensichtlicher Parallelität zu Art. 108 I 1 um obligatorische Landesverwaltung. Bei den Verwaltungsformen ist zwischen der reinen Landesverwaltung von landesrechtlich geregelten Steuern, der Landesverwaltung unter Bundesaufsicht nach Art. 84 sowie der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 108 III (Rn. 10) zu unterscheiden.
Für alle drei Verwaltungsformen räumt Art. 108 II 2 dem Bund die Kompetenz ein, den Behördenaufbau und die einheitliche Ausbildung der Beamten zu regeln. Dies ist ein mit der Kernkompetenz (Art. 72 Rn. 1) nach Art. 72 I vergleichbarer Sonderfall einer konkurrierenden Bundeskompetenz (BK/Seer Art. 108 Rn. 90, 93; aA BeckOK GG/Kube Art. 108 Rn. 10). Die Ausübung ist wegen des Eingriffs in die Organisationshoheit der Länder an die Zustimmung des BRats gebunden. Der Begriff des Behördenaufbaus entspricht dem des Abs. 1 S. 2 (Rn. 5). Von den ihm eingeräumten Gesetzgebungskompetenzen hat der Bund durch das FVG (zul. geänd. durch Art. 3 Gesetz v. 21.12.2023, BGBl. I Nr. 397) sowie das Steuerbeamtenausbildungsgesetz (zul. geänd. durch Art. 1 Gesetz v. 9.7.2021, BGBl. I 2442) Gebrauch gemacht.
Die Leiter der seit der Verfassungsänderung von 2001 auch auf Länderebene nur noch fakultativen Mittelbehörden (Rn. 6) sind im Einvernehmen mit der BReg zu bestellen, was wegen der Mitentscheidungskompetenz des Bundes einen Fall der Mischverwaltung begründet (BVerfGE 106, 1 (20)).
3. Bundesauftragsverwaltung (Abs. 3)
Art. 108 III 1 ordnet einen Sonderfall der Bundesauftragsverwaltung an, sofern von den Landesbehörden verwaltete Steuern ganz oder teilweise dem Bund zufließen. Dies bestimmt sich nach den dem Bund in Art. 106 I, III zugewiesenen Ertragskompetenzen (Art. 106 Rn. 4, 6). Gem. Art. 108 III 2 tritt bei den Weisungs- und Aufsichtsrechten des Art. 85 III, IV an die Stelle der BReg der Bundesminister der Finanzen. Ungeachtet eines denkbaren Umkehrschlusses aus Art. 84 V 1 deckt Art. 108 III 2 iVm Art. 85 III 2 nur Einzelanweisungen (v. Münch/Kunig/Heintzen Art. 108 Rn. 32; str.), obwohl die Norm ganz allg. von Weisungen spricht. Die für die Besteuerungspraxis wichtigen BMF-Schreiben waren früher pragmatisch durch eine Bund-Länder-Vereinbarung abgesichert, an deren Stelle nunmehr § 21a FVG getreten ist (Rn. 19). Im Bereich der Steuerauftragsverwaltung der Länder kann nach § 91 I 1 Nr. 2 BHO eine Landesfinanzbehörde Erhebungsobjekt des BRH sein. Zweck der Prüfung bleibt dabei eine Prüfung der Finanzverantwortung des Bundesministers der Finanzen (BVerwGE 116, 92).
4. Durchbrechung des Trennsystems (Abs. 4 S. 1)
Die in Art. 108 I–III niedergelegte Kompetenzordnung wird in Abs. 4 S. 1 in Teilen zur Disposition des Bundesgesetzgebers gestellt, der dabei der Zustimmung des BRats bedarf. Die Kooperationsermächtigung des Abs. 4 (Jarass/Pieroth/Kment Art. 108 Rn. 13 ff.) ermöglicht sowohl ein Zusammenwirken von Bundes- und Landesfinanzbehörden (Abs. 4 S. 1 Alt. 1) als eine Form der Mischverwaltung (BVerfGE 106, 1 (18, 26)) wie auch eine gegenseitige Übertragung von Zuständigkeiten (Abs. 4 S. 1 Alt. 2 und 3). Zulässig sind jedoch nur punktuelle Durchbrechungen der Kompetenzordnung (BVerfGE 106, 1 (26)). Tatbestandlich setzen die in Abs. 4 S. 1 eröffneten Möglichkeiten voraus, dass der Vollzug der Steuergesetze erheblich verbessert oder erleichtert wird. Dem Gesetzgeber steht dabei ein Beurteilungsspielraum zu (s. auch BVerfGE 106, 1 (16 f.)); bereits das Ziel einer (beträchtlichen) Kosteneinsparung kann hierfür ausreichend sein (Sachs/Siekmann Art. 108 Rn. 11a).
5. Kommunale Ebene (Abs. 4 S. 2)
Art. 108 IV 2 eröffnet den Ländern die Möglichkeit, den Gemeinden und Gemeindeverbänden die Verwaltung der ihnen allein zufließenden Steuern (Art. 106 Rn. 15) ganz oder teilweise zu übertragen. Hierzu bedarf es eines nachkonstitutionellen Landesgesetzes (BVerwGE 97, 357 (361)). Die Länder haben die ihnen zustehenden Delegationsbefugnisse für die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern in den kommunalen Abgabengesetzen genutzt (zB § 1 I KAG NW; Art. 1 BayKAG). Bei den Realsteuern sind die Gemeinden dagegen nur für die beitragsmäßige Festsetzung, Erhebung und Vollstreckung zuständig. Die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen und die Festsetzung der Steuermessbeträge ist in der Zuständigkeit der Finanzämter verblieben (v. Münch/Kunig/Heintzen Art. 108 Rn. 41; s. zB Art. 18 BayKAG; § 1 Gesetz über die Zuständigkeit für die Festsetzung und Erhebung der Realsteuern NW). Den Gemeinden steht grds. kein Anspruch auf ordnungsgemäße Festsetzung sowie kein irgendwie gearteter Ausgleichsanspruch zu, sollte eine Festsetzung zulasten der Gemeinde fehlerhaft erfolgt sein (BVerwGE 140, 34 (37 ff.)). Etwas anderes muss aber gelten, wenn eine unwirksame oder zu niedrige Festsetzung zur Folge hat, dass die nach Art. 28 II 3 garantierte Finanzhoheit der Gemeinde verletzt wird und ihre aufgabenadäquate Finanzausstattung gefährdet ist (offen BVerwGE 140, 34 (38)).
6. Mehrheitsentscheidungen (Abs. 4 S. 3)
Abs. 4 S. 3 wurde im Rahmen der Föderalismusreform III eingefügt und erweitert die Möglichkeiten zur bundesgesetzlichen Verankerung von Mehrheitsentscheidungen für den Vollzug von Steuergesetzen. Zusätzlich zu den bereits nach Abs. 4 S. 1 möglichen Mehrheitsentscheidungen im Kreise des Bundes und aller Länder ermöglicht die Neuregelung Mehrheitsentscheidungen in einem kleinen Kreis aus Bund und einer begrenzten Anzahl an Ländern, die für alle Länder Geltung entfalten (BT-Drs. 18/11131, 19). Aus der Bezugnahme auf Abs. 4 S. 1 ergibt sich, dass das Bundesgesetz der Zustimmung des BRats bedarf und eine erhebliche Verbesserung oder Erleichterung des Vollzugs der Steuergesetze erreicht werden muss. Besondere Bedeutung kommt der Regelung bei der Entwicklung und dem Einsatz von Informationstechnik in der Steuerverwaltung zu (BeckOK GG/Kube Art. 108 Rn. 4), wenngleich der Anwendungsbereich im Gesetzgebungsverfahren auf alle Bereiche des Zusammenwirkens von Bund und Ländern bei der Verwaltung von Steuern erweitert wurde (BT-Drs. 18/12588, 33 f.). Von der Neuregelung hat der Bundgesetzgeber unmittelbar nach Inkrafttreten durch Erlass des KONSENS-Gesetzes Gebrauch gemacht (Art. 8a Gesetz v. 14.8.2017, BGBl. I 3122).
7. Zusammenwirken von Länderfinanzbehörden und länderübergreifende Übertragung von Zuständigkeiten (Abs. 4a)
Der im Rahmen der Föderalismusreform III eingefügte Abs. 4a S. 1 ermöglicht, durch zustimmungsbedürftiges Bundesgesetz ein Zusammenwirken von Länderfinanzbehörden und länderübergreifende Zuständigkeitsübertragungen vorzusehen. Anders als Abs. 4 S. 1 betrifft Abs. 4a S. 1 nicht Bund-Länder-Kooperationen, sondern die Zusammenarbeit der Länder untereinander. Voraussetzung ist, dass hierdurch der Vollzug der Steuergesetze erheblich verbessert oder erleichtert wird (Rn. 11). Um der Verwaltungshoheit der Länder Rechnung zu tragen, bedarf ein solches Gesetz dem Einvernehmen der betroffenen Länder (BT-Drs. 18/11131, 19). Unabhängig von Abs. 4a S. 1 konnten und können die Länder ein Zusammenwirken und entspr. länderübergreifende Zuständigkeitsübertragungen auch durch Staatsverträge untereinander regeln. Durch die Neuregelung will der verfassungsändernde Gesetzgeber einem Bedürfnis der Länder zur stärkeren Verwaltungszusammenarbeit jenseits vertraglicher Vereinbarungen Rechnung tragen (BT-Drs. 18/11131, 13). Ein Bundesgesetz nach Abs. 4a geht Staatsverträgen vor (Dreier/Heun/Thiele Art. 108 Rn. 11). Nach Abs. 4a S. 2 kann das entspr. Bundesgesetz auch Regelungen zur Kostentragung infolge des Zusammenwirkens oder der Zuständigkeitsübertragung vorsehen.
III. Gesetzgebungskompetenz für das Verwaltungsverfahren (Abs. 5)
Die besondere Bedeutung des Art. 108 V 1, wonach das von den Bundesbehörden anzuwendende Verfahren durch Bundesgesetz zu regeln ist, besteht in der Begründung eines besonderen Gesetzesvorbehaltes für das Verfahren der Bundesfinanzbehörden (v. Münch/Kunig/Heintzen Art. 108 Rn. 42). Von seiner Kompetenz hat der Bund durch die AO 1977 Gebrauch gemacht. Nicht zum Verwaltungsverfahren gehören dagegen die materiellrechtlichen Vorschriften des allg. Steuerschuldrechts (Art. 105 Rn. 4) und das Organisationsrecht (Art. 108 I-V). Als Annexkompetenz eingeschlossen ist dagegen die Festsetzung von Gebühren (BFH BStBl. II 2011, 536 (537); BVerwGE 95, 188 (193)).
Art. 108 V 2 betrifft das von den Landesfinanzbehörden und in den Fällen des Abs. 4 S. 2 von den Gemeinden oder Gemeindeverbänden anzuwendende Verfahren. Der Begriff des Verfahrens entspricht Art. 84 I (BVerwG NVwZ 2012, 824 (825)). Hierzu zählt die Regelung oder auch der Ausschluss des Rechts auf Einsichtnahme in Verfahrensakten, auch nach Abschluss des einzelnen Verfahrens, soweit kein Übergang in ein Gerichtsverfahren stattgefunden hat (BVerwG NVwZ 2022, 1469 (1470)). Nicht zum Verfahren zählt der voraussetzungslose und unabhängig von einem anhängigen Verwaltungsverfahren bestehende, eigenständige Anspruch nach den Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes und der Länder (BVerwG NVwZ 2012, 824 (825)). Gleichwohl ist der Bund gestützt auf Abs. 4 S. 2 befugt, einen sich dem Grunde nach aus einem landesrechtlichen Informationsfreiheitgesetz ergebenden Anspruch auf Einsichtnahme auszuschließen (BVerwG NVwZ 2022, 1469 (1470)). Abweichend von S. 1 besteht keine Regelungspflicht. Die Ausübung der Kompetenz ist an die Zustimmung des BRats gebunden. In § 1 I AO hat der Bund ihren Anwendungsbereich auf weite Teile der Landesverwaltung erstreckt (v. Münch/Kunig/Heintzen Art. 108 Rn. 45).
IV. Einrichtung der Finanzgerichtsbarkeit (Abs. 6)
Abweichend von und als lex specialis zu Art. 74 I Nr. 1 begründet Art. 108 VI eine ausschließliche Bundeskompetenz zur Einrichtung der Finanzgerichtsbarkeit. Gegenstand der Finanzgerichtsbarkeit ist die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten in Steuersachen mit Ausnahme der den Verwaltungsgerichten zugewiesenen Streitigkeiten über Steuerbescheide der Gemeinden (v. Münch/Kunig/Heintzen Art. 108 Rn. 46). Um einen Wertungswiderspruch zu Art. 99 Alt. 2 zu vermeiden, bleibt es bei landesrechtlich geregelten Steuern dagegen bei der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 I Nr. 1 (BK/Seer Art. 108 Rn. 164 f.; Jarass/Pieroth/Kment Art. 108 Rn. 18). Art. 108 VI enthält einen zwingenden Gesetzgebungsauftrag (v. Münch/Kunig/Heintzen Art. 108 Rn. 46). Von seiner Kompetenz hat der Bund durch den Erlass der FGO Gebrauch gemacht. Da die Finanzgerichtsbarkeit einheitlich zu regeln ist, können die Länder nicht gem. Art. 71 zur Gesetzgebung ermächtigt werden. Nicht verdrängt werden Art. 92 ff. Aus Art. 95 I ergibt sich, dass die Finanzgerichtsbarkeit mindestens zweistufig aufgebaut sein muss.
V. Allgemeine Verwaltungsvorschriften (Abs. 7)
Um trotz der Unbestimmtheit und der mangelnden Systematik der Steuergesetze einen gleichmäßigen Steuervollzug sicherzustellen, wird die Verwaltungspraxis im Massenfallrecht des Steuerrechts seit jeher durch Verwaltungsvorschriften bestimmt (BK/Seer Art. 108 Rn. 182). Außenwirkung kommt Verwaltungsvorschriften mit der Ausnahme typisierender, pauschalierender sowie ermessenslenkender Regelungen aber nicht zu (Art. 20 Rn. 44 zum mangelnden Rechtsquellencharakter von Verwaltungsvorschriften; → Art. 3 Rn. 6 zur Selbstbindung durch den Gleichheitssatz). Da das Steuerverfahrensrecht im Regelfall von der Selbstveranlagung der Steuerpflichtigen ausgeht, sind die Steuerrichtlinien zumindest faktisch nicht nur an die Steuerverwaltung, sondern ebenso an die Steuerpflichtigen adressiert. Verwaltungsvorschriften sind deshalb zu veröffentlichen und allg. zugänglich zu machen (Dreier/Heun/Thiele Art. 108 Rn. 32). Im Unterschied zu Art. 86 S. 1, der im Bereich der Bundesverwaltung nur eine Regelkompetenz der BReg festschreibt (Art. 86 Rn. 10 ff.), steht die Befugnis allein der BReg zu.
Gestützt auf Art. 108 III 2 wird der Vollzug der Steuergesetze vielfach durch Schreiben des Bundesministers der Finanzen gesteuert (Rn. 10). In einer 1970 getroffenen Vereinbarung hatten sich Bund und Länder pragmatisch darauf verständigt, dass das BMF derartige, als Schreiben bezeichnete Weisungen nur noch herausgibt, wenn die Länder zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten und mehrheitlich keine Einwendungen erhoben haben (vgl. dazu Müller/Zeitler DStZ/A 1975, 467 (474); SHH/Kemmler Art. 108 Rn. 18). Diese Vereinbarung ist nunmehr in § 21a FVG kodifiziert worden, was die verfassungsrechtlichen Zweifel aber ebenso wenig ausräumen kann (v. Münch/Kunig/Heintzen Art. 108 Rn. 33; ausf. Sauerland DStZ 2007, 668 ff.).