Artikel 91a [Mitwirkungsbereiche des Bundes bei Länderaufgaben]
(1) Der Bund wirkt auf folgenden Gebieten bei der Erfüllung von Aufgaben der Länder mit, wenn diese Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist (Gemeinschaftsaufgaben):
- Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur,
- Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes.
(2) Durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates werden die Gemeinschaftsaufgaben sowie Einzelheiten der Koordinierung näher bestimmt.
(3) 1 Der Bund trägt in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 die Hälfte der Ausgaben in jedem Land. 2 In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 trägt der Bund mindestens die Hälfte; die Beteiligung ist für alle Länder einheitlich festzusetzen. 3 Das Nähere regelt das Gesetz. 4 Die Bereitstellung der Mittel bleibt der Feststellung in den Haushaltsplänen des Bundes und der Länder vorbehalten.
I. Anwendungsbereich und Art der Zusammenarbeit (Abs. 1)
Um eine (echte) Gemeinschaftsaufgabe iSd Art. 91a I (Sachs/Siekmann Art. 91a Rn. 24; BK/Glaser Vorb. Art. 91a Rn. 2 ff.) handelt es sich nur, wenn im Bereich der Verwaltungskompetenzen der Länder einer der in Abs. 1 Nr. 1 und 2 genannten Sachbereiche betroffen ist, diese Aufgabe für die Gesamtheit bedeutsam ist und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist. Gemeinschaftsaufgaben iwS sind dagegen die Sachbereiche der Art. 91b–91e mit Ausnahme der in Art. 91c IV normierten Verwaltungszusammenarbeit (Art. 91c Rn. 5; Vor Art. 91a Rn. 8). Wie bei Art. 91e und im Unterschied zu den übrigen Kooperationsvorschriften des VIIIa. Abschnittes ist bei Art. 91a die Mitwirkung des Bundes obligatorisch (Vor Art. 91a Rn. 6). Art. 91a I ist lex specialis zu Art. 30, 83 ff., sodass es der BReg verwehrt ist, gem. Art. 84 II allg. Verwaltungsvorschriften zu erlassen sowie die in Art. 84 III-V bestimmten Aufsichts- und Weisungsbefugnisse auszuüben (BeckOK GG/Suerbaum Art. 91a Rn. 11). Zum Verhältnis zu Art. 70 ff. s. Rn. 6.
Der Begriff der regionalen Wirtschaftsstruktur (Abs. 1 Nr. 1) beschränkt sich auf Maßnahmen, die auf ein bestimmtes Gebiet bezogen sind, und steht in einem Gegensatz zur gesamtstaatlichen und sektoralen Wirtschaftsstruktur. Bezweckt ist in erster Linie eine Förderung strukturschwacher Gebiete. Zu beachten sind die europarechtlichen Einschränkungen, die sich vor allem aus dem Beihilferecht (Art. 107, 108 AEUV) ergeben können (v. Münch/Kunig/Mager/Vasel Art. 91a Rn. 7). Der Verbesserung der Agrarstruktur (Abs. 1 Nr. 2 Var. 1) dienen Maßnahmen mit dem Ziel einer dauerhaften Verbesserung der landwirtschaftlichen Erzeugungs-, Arbeits- und Absatzbedingungen. Insoweit sind die Art. 38 ff. AEUV zu beachten (v. Münch/Kunig/Mager/Vasel Art. 91a Rn. 7). Dem Küstenschutz (Abs. 1 Nr. 2 Var. 2) sind Maßnahmen zum Schutz der deutschen Nord- und Ostseeküste einschließlich der Abwehr von Sturmfluten in Tidegebieten zuzurechnen. Nicht erfasst ist der gezielte Schutz einzelner Objekte (Hömig/Wolff/Kienemund Art. 91a Rn. 4; BK/Glaser Art. 91a Rn. 43). Im Zuge der Föderalismusreform 2006 ist dagegen die frühere Gemeinschaftsaufgabe Ausbau und Neubau von Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken (Art. 91a I Nr. 1 aF) entfallen (BT-Drs. 16/813, 15; BK/Glaser Art. 91a Rn. 4; Art. 143c Rn. 1 zu den finanziellen Übergangsregelungen; Art. 125c Rn. 2 zur zeitlich begrenzten Fortgeltung des HBFG). Dem gegenläufig sind die Möglichkeiten zur Bund-Länder-Kooperation im Hochschulbereich aber durch die Neufassung des Art. 91b I wieder ausgeweitet worden (Art. 91b Rn. 1 f.).
Für die Gesamtheit bedeutsam sind Aufgaben von länderübergreifender Relevanz für das Gemeinwohl (Sachs/Siekmann Art. 91a Rn. 23). Erforderlich ist die Mitwirkung des Bundes, sofern die Länder eine Verbesserung der Lebensverhältnisse nicht selbst herbeiführen können (ähnl. Sachs/Siekmann Art. 91a Rn. 23; BeckOK GG/Suerbaum Art. 91a Rn. 14; zur eingeschränkten Justitiabilität dieser unbestimmten Rechtsbegriffe (Rn. 6).
Art. 91a I begründet einen Verfassungsauftrag des Bundes, die Gemeinschaftsaufgabe zu verwirklichen. Diese Mitwirkungspflicht des Bundes aktualisiert sich allerdings erst auf Initiative der Länder, denen die Entscheidung, die Aufgaben auch eigenständig wahrzunehmen, unbenommen bleibt (Sachs/Siekmann Art. 91a Rn. 29). Eine Maßnahme gegen den Willen des betroffenen Landes durchzuführen, ist ungeachtet der Streichung des Sitzlandvorbehaltes des Art. 91a III 2 aF weiterhin unzulässig (Härtel/Hellermann, HdB des Föderalismus, 2012, § 39 Rn. 38). Zudem sind die Länder nicht gehindert, im Bereich der Gemeinschaftsaufgaben über die in der Koordinierung vorgesehenen Beiträge hinaus zu investieren. Die hiermit verbundenen Kosten haben die Länder allein zu tragen (HW/Kienemund Art. 91a Rn. 7). Um die Bund-Länder-Zusammenarbeit zu erleichtern und zu entbürokratisieren, ist seit der Föderalismusreform I (Vor Art. 91a Rn. 7) das früher obligatorische Instrument der gemeinsamen Rahmenplanung (Art. 91a III aF) entfallen. Ebenfalls entfallen sind die bislang durch Art. 91a V aF begründeten Unterrichtungsansprüche von BReg und BR (BT-Drs. 16/813, 16). Diese sind aber weiterhin Gegenstand der Ausführungsgesetze (s. § 9 II GAKG, § 6 II, III GRWG; s. Rn. 7).
II. Gesetzlicher Regelungsauftrag (Abs. 2)
Nach Abs. 2 sind die Gemeinschaftsaufgaben sowie Einzelheiten der Koordinierung durch ein der Zustimmung des BRats bedürftiges Bundesgesetz näher zu bestimmen, womit dem Bund eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz eingeräumt wird (BeckOK GG/Suerbaum Art. 91a Rn. 22; BK/Glaser Art. 91a Rn. 80). Der Regelungsauftrag kann auch durch mehrere Gesetze erfüllt werden (zu den erlassenen Ausführungsgesetzen Rn. 7). Abs. 2 räumt dem Bundgesetzgeber einen Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum für das Vorliegen einer Gemeinschaftsaufgabe ein (BeckOK GG/Suerbaum Art. 91a Rn. 15; MKS/Volkmann Art. 91a Rn. 29, 41; DHS/Schwarz Art. 91a Rn. 8; s. auch BT-Drs. 16/813, 15; aA aber Sachs/Siekmann Art. 91a Rn. 22 f.; BK/Glaser Art. 91a Rn. 52). Soweit dem Bund nach Art. 70 ff. Gesetzgebungskompetenzen zustehen (zB Art. 74 I Nr. 11, 17), werden diese durch Art. 91a II insoweit überlagert, als die Grundentscheidungen des Art. 91a I für eine gemeinsame Aufgabenwahrnehmung zu respektieren ist (BeckOK GG/Suerbaum Art. 91a Rn. 9). Insoweit besteht eine Sperrwirkung zulasten des Bundes (BVerwGE 59, 327 (332)).
In Erfüllung des Gesetzgebungsauftrages des Abs. 2 sind das GAKG (Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ v. 3.9.1969, BGBl. I 1573) und das GRWG (Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ v. 6.10.1969, BGBl. I 1861) erlassen worden. Dem HBFG (Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Ausbau und Neubau von wissenschaftlichen Hochschulen“), das auf Art. 91a I Nr. 1 aF beruhte, ist durch die Neufassung des Abs. 1 im Zuge der Föderalismusreform I die verfassungsrechtliche Grundlage entzogen worden (Rn. 3).
III. Kostentragung (Abs. 3)
Bei der Kostentragung hebt Abs. 3 bereichsspezifisch das Konnexitätsprinzip des Art. 104a I (Art. 104a Rn. 2) auf (DHS/Schwarz Art. 91a Rn. 15) und ist wie folgt zu differenzieren: Im Bereich des Abs. 1 Nr. 1 schreibt Abs. 3 S. 1 eine hälftige Teilung der Ausgaben in jedem Land vor. Im Rahmen des Abs. 1 Nr. 2 gibt Abs. 3 S. 2 Hs. 1 dagegen nur eine Mindestbeteiligungsquote des Bundes in Höhe von 50 % vor, die nach Abs. 3 S. 2 Hs. 2 für alle Länder einheitlich festzusetzen ist. Abs. 3 bezieht sich nur auf die Zweckausgaben, für die Verwaltungskosten bleibt es dagegen bei der Anwendung des vorrangigen Art. 104a V (Art. 104a Rn. 13). Da Art. 91a III 2 Hs. 2 eine einheitliche Festsetzung der Beteiligung für die Länder vorschreibt, schließt dies einen vertikalen Finanzausgleich mit horizontal umverteilender Wirkung aus (Sachs/Siekmann Art. 91a Rn. 34). Gleichwohl können Maßnahmen zur Aktivierung von Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a und Art. 91b dazu geeignet sein, die Wirtschafts- und Einnahmestruktur eines Landes mittel- und längerfristig nachhaltig zu verbessern (BVerfGE 86, 148 (267)). Die näheren Regelungen zu den Finanzierungsschlüsseln unterstellt Abs. 3 S. 3 einem Gesetzesvorbehalt. Nach Art. 91a III 4 bleibt die Haushaltshoheit des BTags und der Länderparlamente unberührt. Grenzen sind der Budgethoheit aber durch die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Bundestreue gesetzt (BeckOK GG/Suerbaum Art. 91a Rn. 32; BK/Glaser Art. 91a Rn. 88). Art. 114 II 2 Hs. 2 begründet eine Prüfungsbefugnis des BRH (BeckOK GG/Suerbaum Art. 91a Rn. 31a; Art. 114 Rn. 13).
Art. 91a regelt die sog. echten Gemeinschaftsaufgaben (zum Begriff Rn. 2). Die Norm geht auf das Finanzreformgesetz von 1969 (Vor Art. 91a Rn. 5) zurück, um eine Staatspraxis zu legalisieren, die sich zuvor bereits weitgehend contra legem entwickelt hatte. Dazu durchbricht Abs. 1 das grundsätzlich geltende Verbot der Mischverwaltung (Vor Art. 91a Rn. 2) und erlaubt es dem Bund bzw. verpflichtet ihn sogar dazu, bei der Erfüllung der in Abs. 2 Nr. 1 und 2 genannten Landesaufgaben mitzuwirken (Rn. 2). Abs. 2 enthält einen an den Bundesgesetzgeber gerichteten Auftrag, diese Gemeinschaftsaufgaben sowie Einzelheiten der Koordinierung durch Bundesgesetz näher zu bestimmen (Rn. 6). Abs. 3 regelt kosten- und haushaltsrechtliche Folgefragen (Rn. 8). Art. 125c Abs. 1 und Art. 143c enthalten mittlerweile obsolet gewordene Übergangsvorschriften, mit denen auf den Wegfall der früheren Gemeinschaftsaufgabe Ausbau und Neubau von Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken (Art. 91a Abs. 1 Nr. 1 aF) im Zuge der Föderalismusreform I reagiert wurde (Rn. 7).