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Artikel 134 [Rechtsnachfolge in das Reichsvermögen]

(1) Das Vermögen des Reiches wird grundsätzlich Bundesvermögen.

(2) 1 Soweit es nach seiner ursprünglichen Zweckbestimmung überwiegend für Verwaltungsaufgaben bestimmt war, die nach diesem Grundgesetze nicht Verwaltungsaufgaben des Bundes sind, ist es unentgeltlich auf die nunmehr zuständigen Aufgabenträger und, soweit es nach seiner gegenwärtigen, nicht nur vorübergehenden Benutzung Verwaltungsaufgaben dient, die nach diesem Grundgesetze nunmehr von den Ländern zu erfüllen sind, auf die Länder zu übertragen. 2 Der Bund kann auch sonstiges Vermögen den Ländern übertragen.

(3) Vermögen, das dem Reich von den Ländern und Gemeinden (Gemeindeverbänden) unentgeltlich zur Verfügung gestellt wurde, wird wiederum Vermögen der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände), soweit es nicht der Bund für eigene Verwaltungsaufgaben benötigt.

(4) Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

I. Regelungsgegenstand und Anwendungsbereich

Art. 134 regelt den Übergang und die Verteilung des früheren Reichsvermögens, die Regelung zum Übergang des früheren Landesvermögens findet sich hingegen in Art. 135. Ausgehend von der Grundregel des Art. 134 I (Vermögensübergang ipso iure auf den Bund) normieren Art. 134 II, III abw. Vermögensübertragungspflichten auf andere Verwaltungsträger. Die Konkretisierung der drei Verteilungsprinzipien bleibt nach Art. 134 IV dem Bundesgesetzgeber überlassen, der diesen Regelungsauftrag u. a. durch das Allg. Kriegsfolgengesetz (Gesetz v. 5.11.1957, BGBl. I 1747) und das Reichsvermögensgesetz (Gesetz v. 16.5.1961, BGBl. I 597) erfüllt hat. Art. 134 IV deckt auch die Befugnis, das Schicksal der Passiva des Reichs zu regeln (BVerfGE 15, 126 (136); Rn. 8).

Nicht anwendbar ist Art. 134 auf die neuen Beitrittsländer, in denen das frühere Reichsvermögen in Volkseigentum der DDR umgewandelt oder anderweitig verteilt wurde (Dreier/Brosius-Gersdorf Art. 134 Rn. 19). Die hM begründet dies unzutreffend mit der These, der Anwendungsbereich der Vorschrift sei auf unverteiltes Reichsvermögen beschränkt (BVerwGE 99, 283 (289)), was aber weder mit dem Wortlaut noch mit der Entstehungsgeschichte der Norm zu vereinbaren ist (Sachs/Koch Art. 134 Rn. 18 f.). Für die Übertragung des bereits anderweitig verteilten Vermögens sind aber besondere Regelungen in den Art. 21 f. EinigungsV getroffen worden. Diese Normen des EinigungsV erkennt das GG auch ausdrücklich in Art. 135a II mit der Erwähnung der Vermögenswerte der DDR als die spezielleren Vorschriften an (MKS/Dietlein Art. 134 Rn. 15). Mangels Regelungslücke scheidet auch eine analoge Anwendung des Art. 134 III aus (BVerwGE 99, 283 (290 f.)). Dagegen gilt Art. 134 für West-Berlin, wo das Reichsvermögensgesetz im Zuge des § 1 des 6. Überleitungsgesetzes (Gesetz v. 25.9.1990, BGBl. I 2106) anwendbar ist und zwar auch hinsichtlich des besonderen Berlin-Vorbehalts des § 19 Reichsvermögensgesetz (BVerfGE 119, 394 (410); BVerwGE 147, 348 (353 f.); aA Brunn LKV 2012, 289 ff.).

Von Art. 134 erfasst werden sowohl das Finanz- als auch das Verwaltungsvermögen (Art. 135 Rn. 3 zur Begrifflichkeit), Aktiva, aber auch die Passiva, was sich aus Art. 135a I, II ergibt, der die Zugehörigkeit der Verbindlichkeiten zu Art. 134 voraussetzt (BVerwGE 132, 358 (366); 96, 231 (234); BGHZ 128, 393 (399); offen aber BVerfGE 15, 126 (133 f.)). Für die früheren Reichswasserstraßen, Reichsautobahnen und Reichsstraßen tritt Art. 134 hinter die spezielleren Art. 89 I und Art. 90 I zurück (Sachs/Koch Art. 134 Rn. 5).

II. Verteilungsregeln (Abs. 1–3)

Die Grundregel des Art. 134 I ordnet den gesetzlichen Vermögensübergang des Reichsvermögens zugunsten des Bundes an. Dabei handelt es sich trotz des missverständlichen Wortlautes („wird“, „grundsätzlich“) nicht lediglich um einen Programmsatz, der erst nach Maßgabe des Abs. 4 zu konkretisieren ist. Vielmehr trat der Vermögensübergang mit Inkrafttreten des GG ipso iure ein (BVerfGE 119, 394 (396); BVerwGE 111, 188 (192); DHS/Schwarz Art. 134 Rn. 10). Die Formulierung „wird“ erklärt sich vor dem Hintergrund bereits vor dem Erlass des GG erfolgter alliierter Übertragungen auf die Länder, weshalb es eines konstitutiven Rechtsübergangs bedurfte (BVerwGE 99, 283 (289); Féaux de la Croix AöR 77 [1951], 35 (42 f.)). Die Wendung „grundsätzlich“ verweist auf die abw. Regelungen nach Art. 134 II, III.

Art. 134 II 1 begründet dagegen nur einen Anspruch auf Vermögensübertragung des Verwaltungsvermögens und basiert auf dem Funktionsprinzip. Nach Art. 134 II 1 Var. 1 ist das Vermögen dem Rechtsträger zu übertragen, der nunmehr für eine Verwaltungsaufgabe zuständig ist, für die das Vermögen ursprünglich genutzt wurde. Als Stichtag bestimmt § 2 Reichsvermögensgesetz den 8.5.1945. Art. 134 II 1 Var. 2 begründet einen Übertragungsanspruch zugunsten der Länder, sofern das Vermögen mit Inkrafttreten des Reichsvermögensgesetzes am 1.8.1961 dauerhaft für eine grundgesetzliche Verwaltungsaufgabe der Länder benutzt wurde. Welcher Var. im Konfliktfall Vorrang zukommt, ist in § 3 Reichsvermögensgesetz iSe Vorrangs der Var. 1 entschieden (Sachs/Koch Art. 134 Rn. 10). Art. 134 II 1 geht Ansprüchen aus Art. 134 III vor, was durch die einfachgesetzliche Regelung des § 5 RVermG bestätigt wird (Sachs/Koch Art. 134 Rn. 17). Praktisch relevant kann Art. 134 II 2 allein für das Finanzvermögen werden.

Auch Art. 134 III begründet keinen verfassungsunmittelbaren Rückübertragungsanspruch, vielmehr können sich solche nur aus dem Bundesgesetz ergeben, welches in Erfüllung des Regelungsauftrages des Abs. 4 das Nähere regelt (BVerwGE 25, 299 (301); 111, 188 (192 ff.); 147, 348 (353); DHS/Schwarz Art. 134 Rn. 23: kein Übergang ipso iure). Der Rückübertragungsanspruch zugunsten des früheren Rechtsträgers setzt voraus, dass der Bund einen Vermögensgegenstand nicht für eigene Verwaltungsaufgaben benötigt und dieser von den Ländern, Gemeinden oder Gemeindeverbänden unentgeltlich dem Reich zur Verfügung gestellt wurde (zum Nachrang des Art. 134 III gegenüber Abs. 2 Rn. 5). Von Unentgeltlichkeit ist auch bei einem deutlichen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung auszugehen (ParlRat JöR 1 [1951], 879). Eigene Verwaltungsaufgabe ist auch die Landesverteidigung, was die Überlassung von Kasernengelände an verbündete Streitkräfte einschließt (BVerwGE 111, 188 (194 f.)). Die Ausschlussfristen des § 5 I 2, 3 Reichsvermögensgesetz sind verhältnismäßig, und zumutbar (BVerfGE 119, 394 (417)). Art. 134 IV gestattet es, den Rückübertragungsanspruch nach § 5 I 2 Reichsvermögensgesetz grundsätzlich von dessen Geltendmachung zum Stichtag 31.7.1962 abhängig zu machen. Die Regelung stellt sicher, dass Rechtsverhältnisse nicht viele Jahre in der Schwebe bleiben (BVerfGE 119, 394 (417); BVerwGE 111, 188 (191)). In West-Berlin begann die Frist am 3.10.1990 (BVerfGE 119, 394 (418); BVerwGE 147, 348 (355); Rn. 2). Entfällt der Bundesbedarf später, lebt Art. 134 III nicht mehr auf, weil die Norm im Interesse der Rechtssicherheit auf eine klare Vermögenszuordnung gerichtet ist (BVerwGE 111, 188 (193); krit. DHS/Schwarz Art. 134 Rn. 25). Aus diesem Grund vermag ein Rückübertragungsanspruch des Landes Berlin auch im Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens oder im Grundsatz von Treu und Glauben keine Rechtsgrundlage zu finden (BVerwGE 147, 348 (359 ff.); aA Brunn LKV 2012, 289 (294); s. auch Jarass/Pieroth/Jarass Art. 134 Rn. 5 f.). In den neuen Bundesländern ist Art. 134 III nicht anwendbar, vielmehr gelten Art. 21 f. EinigungsV (BVerwGE 99, 283 (290 f.); BK/Hufeld Art. 134 Rn. 117).

III. Gesetzliche Regelung (Abs. 4)

Von der in Art. 134 IV eingeräumten Regelungsbefugnis des Bundes wurde hinsichtlich der Aktiva vor allem durch das Reichsvermögensgesetz (Rn. 1) Gebrauch gemacht. Im Rahmen des Art. 134 II kommt dem Gesetzgeber allein eine Konkretisierungsbefugnis zu (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 134 Rn. 8).

Für die Passiva darf der Bundesgesetzgeber alles regeln, was zur Bereinigung des Staatsbankrotts des Reichs gehört (DHS/Schwarz Art. 134 Rn. 12). Bei Ausübung dieser Befugnis, die durch die „Legalinterpretation“ des Art. 135a I lediglich verdeutlicht wird (BVerfGE 15, 126 (140)), stand der Gesetzgeber vor der Aufgabe, Reichsverbindlichkeiten, Kriegsfolgelasten, aber auch die neuen Staatsaufgaben in ein annehmbares Verhältnis zu setzen (BVerfGE 15, 126 (140 ff.)). Äußerste verfassungsrechtliche Grenzen (Art. 135a Rn. 3) sind ihm allein durch Art. 3 I sowie das Sozialstaatsprinzip gesetzt (BVerfGE 41, 126 (153 f.)). Nicht anwendbar soll dagegen Art. 14 sein (BVerfGE 15, 126 (143)), was sich aber nur schwer mit der Annahme vereinbaren lässt, Art. 134 I erstrecke den Vermögensübergang auch auf die Passiva (Rn. 1). Die Rechtmäßigkeit der zu treffenden Verteilungsentscheidungen bestimmt sich aus der Sicht ex-ante, sodass für den Gesetzgeber nicht vorhersehbare Verbesserungen der wirtschaftlichen Situation der Bundesrepublik unbeachtlich sind (BVerfGE 27, 252 (288 f.); 94, 315 (326)).