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Artikel 104 [Rechtsgarantien bei Freiheitsbeschränkung und Freiheitsentziehung]

(1) 1 Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. 2 Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) 1 Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. 2 Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. 3 Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. 4 Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) 1 Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. 2 Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

I. Allgemeines

Art. 104 schützt gemeinsam mit Art. 2 II 2 die Freiheit der Person (vgl. Art. 2 Rn. 32 ff.). Diese „nimmt – als Grundlage und Voraussetzung der wesentlichen Entfaltungsmöglichkeiten des Menschen – einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG die Freiheit der Person als ‚unverletzlich‘ bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung ausdrücklich nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG besondere Verfahrensgarantien für ihre Beschränkung statuiert“ (BVerfGE 130, 372 (388); vgl. ferner BVerfGE 117, 71 (95); 128, 326 (372); BVerfG [K] NJW 2006, 668 (669)). Sie hat daher „unter den grundrechtlich verbürgten Rechten ein besonderes Gewicht“ (BVerfGE 65, 317 (322); vgl. ferner BVerfG [K] NVwZ 2011, 38 f.). Das Grundrecht ist dem Rechtsinstitut des „Habeas Corpus“ (vgl. zur geschichtlichen Entwicklung Sodan/Ziekow § 20 Rn. 2 f.) entlehnt, welches das Festhalten von Personen durch die öffentliche Gewalt begrenzt und regelt (Hantel JuS 1990, 865). Eine zusätzliche Garantie im Rahmen der Habeas-Corpus-Rechte enthält Art. 104 I 2 mit dem Misshandlungsverbot. Sie steht im Gegensatz zu Art. 2 II 1 unter keinem Eingriffsvorbehalt (Sachs/Degenhart Art. 104 Rn. 41). Art. 104 statuiert kein eigenständiges Grundrecht, sondern legt Verfahrensregeln bei Eingriffen fest (Sachs/Rixen Art. 2 Rn. 228). Art. 104 steht in untrennbarem Zusammenhang mit dem in Art. 2 II 2 und 3 geschützten Grundrecht auf Freiheit der Person. Ursprünglich war deshalb vorgesehen, die in Art. 104 enthaltenen Regelungen mit denen des Art. 2 zusammenzufassen. Sie wurden jedoch später nicht aus systematischen, sondern aus redaktionellen Erwägungen in den Abschnitt „Rechtsprechung“ aufgenommen, um eine zu starke Ausdehnung des Grundrechtsteils zu vermeiden (BVerfGE 14, 174 (186)).

II. Schutzbereich

Art. 104 steht jeder natürlichen Person zu und verleiht ein verfassungsbeschwerdefähiges subjektives Recht auf Einhaltung der in der Norm genannten Voraussetzungen für Eingriffe in die Freiheit der Person (vgl. Art. 93 I Nr. 4a). Der sachliche Schutzbereich entspricht dem des Art. 2 II 2 (vgl. Art. 2 Rn. 33 f.).

III. Eingriffe

Die Freiheit der Person lässt sich nach dem Wortlaut des Art. 104 I nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes einschränken. Das BVerfG hat zu den Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen während der Corona-Pandemie entschieden, dass Einschränkungen ebenfalls durch ein selbstvollziehendes förmliches Gesetz möglich sind (BVerfGE 159, 223 (338 ff.)). Art. 104 kennt zwei Arten von Eingriffen in die Freiheit der Person: Freiheitsbeschränkungen und Freiheitsentziehungen. Die in Art. 104 III genannte Festnahme ist ein Anwendungsfall der Freiheitsentziehung (MKS/Gusy Art. 104 Rn. 18). Mildere Eingriffe kommen wegen der systematischen Verknüpfung von Art. 2 II 2 und Art. 104 nicht in Betracht (vgl. Hantel JuS 1990, 865 (866); HStR VII/Wittreck § 151 Rn. 25 f.). Eine Freiheitsbeschränkung ist gegeben, „wenn jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen Ort oder Raum aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich und rechtlich) zugänglich ist“; eine Freiheitsentziehung als schwerste Form der Freiheitsbeschränkung liegt vor, „wenn die – tatsächlich und rechtlich an sich gegebene – körperliche Bewegungsfreiheit durch staatliche Maßnahmen nach jeder Richtung hin aufgehoben wird“ (BVerfGE 94, 166 (198); 159, 223 (331); BVerfG [K] DVBl 2011, 623 (624); auch Art. 2 Rn. 36). Regelmäßig genügt als Willensbeeinträchtigung eine auf die Fortbewegungsfreiheit gerichtete Anwendung, Androhung oder Ermöglichung unmittelbar körperlich wirkenden Zwangs (BVerfGE 53, 152 (159 f.)). Dazu gehören alle Formen der Haft, die Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt (BVerfGE 134, 33 (60)) oder längerer Polizeigewahrsam (vgl. Sachs/Degenhart Art. 104 Rn. 6). Hier genügt wegen der höheren Eingriffsintensität bereits die Anordnung der Maßnahme, zB die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe (BVerfGE 14, 174 (186)). Darüber hinaus können staatliche Maßnahmen, die auf den Willen des Betroffenen zur Ausübung der Fortbewegungsfreiheit in vergleichbarer Weise wirken wie bei unmittelbarem Zwang, einen Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit begründen (BVerfGE 159, 223 (331)). Hierzu bedarf es einer von der Maßnahme „ausgehenden Zwangswirkung, die nach Art und Ausmaß einem unmittelbar wirkenden physischen Zwang vergleichbar ist“ – wie etwa während der Corona-Pandemie staatlich angeordnete Verbote, einen bestimmten Ort oder Bereich ohne Erlaubnis nicht zu verlassen (BVerfGE 159, 223 (331 f.)).

IV. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

1. Freiheitsbeschränkungen

a) Allgemeines

Art. 104 I gilt für alle Freiheitsbeschränkungen. Danach kann in die Freiheit der Person nur aufgrund eines formellen Gesetzes eingegriffen werden. Art. 104 I 1 überlagert insoweit Art. 2 II 3. Bei der Umsetzung von EU-Rahmenbeschlüssen müssen die Legislativorgane wegen des Parlamentsvorbehalts (Vor Art. 1 Rn. 55 ff.) die verfassungsrechtlichen Anforderungen an freiheitsbeschränkende Maßnahmen beachten. Dies wurde im Fall des Europäischen Haftbefehls unterlassen (Sachs/Degenhart Art. 104 Rn. 12; s. zum Europäischen Haftbefehl näher BVerfGE 113, 273 ff.). „Präventive Eingriffe in das Freiheitsgrundrecht, die […] nicht dem Schuldausgleich dienen, sind nur zulässig, wenn der Schutz hochwertiger Rechtsgüter dies unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfordert“ (BVerfGE 128, 326 (372 f.)). Das Gesetz muss hinreichend bestimmt sein (BVerfGE 14, 245 (251)). Art. 104 I 1 verlangt, dass Freiheitsentziehungen in berechenbarer, messbarer und kontrollierbarer Weise geregelt werden; die Vorgaben des Gesetzgebers haben umso genauer zu sein, je intensiver der Eingriff in das Grundrecht der Freiheit der Person ist und je schwerwiegender die Auswirkungen der Regelung sind (BVerfGE 134, 33 (81)). Dabei ist die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe nicht generell ausgeschlossen. Gegen die Verwendung solcher Begriffe bestehen „keine Bedenken, wenn sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für eine Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt“ (BVerfGE 45, 363 (371 f.); 86, 288 (311); 134, 33 (82)). So sind die Eingriffstatbestände des Polizeirechts verfassungskonform, auch wenn sie an die öffentliche Sicherheit und Ordnung anknüpfen (Sachs/Degenhart Art. 104 Rn. 11). Diese Zentralbegriffe des Polizei- und Ordnungsrechts haben hinreichende Klärung erfahren (s. näher Sodan/Ziekow § 68 Rn. 6 f.).

Jede Freiheitsbeschränkung muss unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (Vor Art. 1 Rn. 60 ff.) erfolgen. „Die Freiheit der Person ist ein so hohes Rechtsgut, daß sie nur aus besonders gewichtigen Gründen eingeschränkt werden darf“ (BVerfGE 22, 180 (219); 117, 71 (96); fast wortgleich BVerfGE 35, 185 (190); 45, 187 (223); 105, 239 (247); BVerfG [K] NJW 2007, 3560 (3561); 2009, 2659 (2661); NVwZ 2009, 1033). Daher darf eine Freiheitsentziehung nur aufgrund eines Gesetzes angeordnet und aufrechterhalten werden, wenn überwiegende Belange des Gemeinwohls dies zwingend gebieten (zu einzelnen Fällen aus der Rspr. des BVerfG Art. 2 Rn. 39, zu Ausgangsbeschränkungen während der Corona-Pandemie BVerwGE 177, 92 (106 f.)).

b) Misshandlungsverbot

Das Misshandlungsverbot aus Art. 104 I 2 gilt ebenfalls für jede Freiheitsbeschränkung und steht unter keinem Gesetzesvorbehalt. Es ist Ausfluss der Menschenwürde und damit unter Berücksichtigung von Art. 1 I (Art. 1 Rn. 14) auszulegen. Daraus folgt, dass jede Form der Folter iSd Zufügung von physischen oder psychischen Leiden zur Brechung des Willens verboten ist (Sachs/Degenhart Art. 104 Rn. 41). Die Reichweite des Misshandlungsverbots wird von § 136a StPO verfassungskonform umschrieben. Im Übrigen ist die Anwendung körperlicher Gewalt, die nicht aufgrund des Verhaltens der verletzten Person unbedingt notwendig ist, als Verstoß gegen die Menschenwürde anzusehen (Sachs/Degenhart Art. 104 Rn. 41). Folge einer Verletzung des Art. 104 I 2 ist nur ausnahmsweise ein Verfahrenshindernis. IdR genügen die Rechtsfolgen von § 136a III StPO. „Grundrechtsverletzungen, zu denen es außerhalb der Hauptverhandlung kommt, führen […] nicht zwingend dazu, dass auch das auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung beruhende Strafurteil gegen Verfassungsrecht verstößt […]. Strebt ein Bf. hinsichtlich aus der Verfassung abgeleiteter strafprozessualer Verwertungsverbote eine andere Rechtsfolge als die Fachgerichte an, so muss er darlegen, dass die von ihm geltend gemachte Folge verfassungsrechtlich zwingend sei […]. In derartigen Konstellationen hat er deshalb unter Berücksichtigung der Rechtsansicht der angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen die Frage zu behandeln, welche Folgerungen sich aus dem Verfahrensverstoß im Ermittlungsverfahren für die Verwertbarkeit der dabei gewonnenen Erkenntnisse in der Hauptverhandlung und im Urteil ergeben […]. Behauptet ein Bf. […] nicht nur ein sich aus der Verfassung ergebendes strafprozessuales Beweisverwertungsverbot, sondern ein Verfahrenshindernis, so ist von ihm jedenfalls nicht weniger zu verlangen. Eine Verfassungsbeschwerde ist nur dann zulässig, wenn die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung schlüssig dargetan ist […]; eine Verletzung von Grundrechten wäre hier aber ausgeschlossen, wenn das von den Fachgerichten angenommene Beweisverwertungsverbot den in der unzulässigen Beweiserhebung liegenden Verfahrensverstoß bereits vollständig ausgeglichen hätte. Daher hat ein Bf. bei dieser Sachlage darzulegen, warum die Anwendung des § 136a III StPO ausnahmsweise nicht ausreicht, um die frühere Rechtsverletzung zu kompensieren. Dies gilt umso mehr, als es in den Fällen, in denen ein Verfahrenshindernis bislang als Folge schwerster Verfahrensmängel in Betracht kommen kann, keine speziellen Gesetzesvorschriften gibt, die Art und Umfang der gebotenen Fehlerkorrektur regeln“ (BVerfG [K] NJW 2005, 656 (657) – ohne die Hervorhebungen; vgl. für die Verletzung des Beschleunigungsgebots BVerfG [Vorprüfungsausschuss] NJW 1984, 967; vgl. für die rechtsstaatswidrige Tatprovokation BVerfG [K] NJW 1995, 651).

2. Zusätzliche Anforderungen an Freiheitsentziehungen

a) Grundsatz der richterlichen Entscheidung

Gem. Art. 104 II 1 bedarf jede Freiheitsentziehung grds. einer vorherigen richterlichen Anordnung. Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts der Freiheit der Person (BVerfG [K] NVwZ 2011, 38; Stern/Sodan/Möstl/Rixen § 133 Rn. 55 f.). Ihm unterliegen hingegen nicht Fragen betr. die Art und Dauer des Vollzuges und Maßnahmen im Rahmen des Strafvollzugs (vgl. BVerfG [K] NJW 1994, 1339; 2006, 427). Ist eine richterliche Anordnung erforderlich, so ist sie zumindest gem. Art. 104 II 2 unverzüglich, dh allenfalls mit sachlich zu rechtfertigender Verzögerung (BVerwGE 45, 51 (63)), spätestens aber bis zum Ende des nächsten Tages, nachzuholen (Rn. 9). Der Richter muss sich dabei grds. einen persönlichen Eindruck verschaffen. Dies folgt nicht nur aus Art. 103 I GG und Art. 5 III EMRK, sondern regelmäßig schon aus den Verfahrensbestimmungen über Freiheitsentziehungen iSv Art. 104 I 1. Damit stellt eine unterbliebene Anhörung gerade wegen dieser Vorschrift auch einen Verstoß gegen Art. 104 dar (BVerfGE 58, 208 (220 f.); 66, 191 (195)). Generell gilt, dass wegen der freiheitssichernden Funktion des Art. 2 II 2 Entscheidungen, welche den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf einer zureichenden richterlichen Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben müssen (BVerfGE 70, 297 (308); BVerfG [K] NJW 2014, 3294; s. zu nicht nur kurzzeitigen Fixierungen BVerfG [K] BeckRS 2022, 3797 Rn. 7).

b) Vorläufige Freiheitsentziehung durch die Exekutive

Eine nachträgliche richterliche Entscheidung, deren Zulässigkeit in Ausnahmefällen Art. 104 II voraussetzt, genügt nur, wenn „der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müßte“ (BVerfGE 22, 311 (317); BVerfG [K] NVwZ 2011, 38; NVwZ-RR 2022, 436 (437)). Art. 104 II 2 fordert dann, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen (BVerfGE 10, 302 (321)). Das Merkmal der „Unverzüglichkeit“ ist „dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss“ (BVerfGE 105, 239 (249); VGH BW DVBl 2011, 626 (627) – jew. ohne die Hervorhebungen; s. auch BVerwGE 45, 51 (63): „nicht im Sinne von § 121 BGB (,ohne schuldhaftes Zögern‘)“). „Nicht vermeidbar sind zB die Verzögerungen, die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung, ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind […]. Die fehlende Möglichkeit, einen Richter zu erreichen, kann angesichts der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates, der Bedeutung des Richtervorbehalts durch geeignete organisatorische Maßnahmen Rechnung zu tragen, nicht ohne Weiteres als unvermeidbares Hindernis für die unverzügliche Nachholung der richterlichen Entscheidung gelten“ (BVerfGE 105, 239 (249) – ohne die Hervorhebungen; vgl. bereits BVerfGE 103, 142 (151 ff., 156)). Die Notwendigkeit der Nachholung einer richterlichen Entscheidung entfällt auch nicht dadurch, dass der Freiheitsentzug vor Ablauf der in Art. 104 II 3 genannten Frist endet. Diese Vorschrift errichtet für das Festhalten einer Person ohne richterliche Entscheidung mit dem Ende des Tages, der auf das Ergreifen folgt, eine äußerste Grenze (vgl. BVerfGE 83, 24 (33)), befreit aber nicht von der Verpflichtung zur unverzüglichen Herbeiführung einer solchen Entscheidung (BVerfGE 105, 239 (249)).

c) Festnahme wegen des Verdachts strafbarer Handlung

Für die Freiheitsentziehung zur Strafverfolgung muss der vorläufig Festgenommene spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorgeführt werden (Art. 104 III 1). Die Norm setzt eine absolute zeitliche Grenze. Soweit gesetzliche Regelungen kürzere Fristen enthalten, sind diese maßgeblich (MKS/Gusy Art. 104 Rn. 68). Die Notwendigkeit der persönlichen Anhörung ergibt sich aus dem Gebot der Vorführung. Insbes. für die Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft spielt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Vor Art. 1 Rn. 60 ff.) eine entscheidende Rolle. Die nach Art. 104 III erforderliche Begründung richterlicher Entscheidungen muss auch auf den Einzelfall eingehen, darf also nicht formularmäßig erfolgen oder sich auf stereotype Begründungssätze beschränken. Dennoch ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der Richter seine Haftentscheidung unter Verwendung eines vervielfältigten Schriftstücks trifft. Es entspricht der Üblichkeit, dass die Justizbehörden in geeigneten Fällen die Vorteile der Büroautomation zur Erleichterung von Schreibarbeiten nutzen. Das gilt jedenfalls mit Rücksicht auf eine große Anzahl von Beschuldigten in gleicher Verdachtslage und mit einheitlicher Begehungsweise. Diese Handhabung gibt für sich genommen noch keinen berechtigten Anlass zu der Vermutung, der Ermittlungsrichter habe die gebotene Einzelfallprüfung unterlassen (BVerfG [Vorprüfungsausschuss] NJW 1982, 29 (30); vgl. auch BayVerfGH NJW 1984, 1874 (1875)).

d) Benachrichtigungspflicht

Von jeder richterlichen Entscheidung zur Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen (Art. 104 IV). Bei dieser Vorgabe handelt es sich sowohl um ein subjektives Recht des Betroffenen als auch um ein objektives Verfahrenserfordernis (Sachs/Degenhart Art. 104 Rn. 25). Es geht darum, das „spurlose Verschwinden“ einer Person zu verhindern (Dreier/Schulze-Fielitz Art. 104 Rn. 56). Ein Verzicht ist demnach nicht möglich (Sachs/Degenhart Art. 104 Rn. 26 mwN; aA BGH NVwZ-RR 2016, 275). Die Auswahl der zu benachrichtigenden Person obliegt dem Betroffenen. Der Begriff des Angehörigen bestimmt sich entspr. § 52 I StPO. Vertrauensperson kann auch der Wahl- oder der Pflichtverteidiger sein. Für den Pflichtverteidiger gilt dies jedoch nur, wenn seine Bestellung dem Wunsch des Betroffenen entspricht (BVerfGE 16, 119 (124); MKS/Gusy Art. 104 Rn. 74). Die Benachrichtigung erfolgt von Amts wegen. Bei Minderjährigen sind die Erziehungsberechtigten vorrangig zu benachrichtigen (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 104 Rn. 21 unter Berufung auf Art. 6 II). In materieller Hinsicht ist der Richter bei Entscheidungen über Freiheitsentziehungen an die Freiheitsgarantie des Art. 2 II 2 und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden (Sachs/Degenhart Art. 104 Rn. 30).