Artikel 94 [Bundesverfassungsgericht, Zusammensetzung]
(1) 1 Das Bundesverfassungsgericht besteht aus Bundesrichtern und anderen Mitgliedern. 2 Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes werden je zur Hälfte vom Bundestage und vom Bundesrate gewählt. 3 Sie dürfen weder dem Bundestage, dem Bundesrate, der Bundesregierung noch entsprechenden Organen eines Landes angehören.
(2) 1 Ein Bundesgesetz regelt seine Verfassung und das Verfahren und bestimmt, in welchen Fällen seine Entscheidungen Gesetzeskraft haben. 2 Es kann für Verfassungsbeschwerden die vorherige Erschöpfung des Rechtsweges zur Voraussetzung machen und ein besonderes Annahmeverfahren vorsehen.
I. Allgemeines
Art. 94 enthält Regelungen über Zusammensetzung, Organisation und Verfahrensweise des BVerfG. Das GG selbst trifft hier jedoch nur rudimentäre Regelungen, weshalb Art. 94 II 1 Hs. 1 eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes enthält, wonach ein Bundesgesetz die Verfassung und das Verfahren des Gerichts regeln soll. Diesem Gesetzgebungsauftrag ist der Gesetzgeber mit dem BVerfGG v. 12.3.1951 (BGBl. I 243; zul. geänd. BGBl. 2024 I Nr. 121) nachgekommen. Das GG gibt dem einfachen Gesetzgeber in Art. 94 I lediglich vor, dass das BVerfG aus Bundesrichtern und anderen Mitgliedern besteht, die je zur Hälfte von BTag und BRat gewählt werden und die allesamt keinem anderen Verfassungsorgan des Bundes oder eines Landes angehören dürfen. Art. 94 II sieht vor, dass der einfache Gesetzgeber bestimmen kann, welchen der Entscheidungen des BVerfG Gesetzeskraft zukommen soll und dass die Erhebung von Verfassungsbeschwerden an besondere Voraussetzungen, nämlich die vorherige Rechtswegerschöpfung und ein Annahmeverfahren, geknüpft werden darf.
Das BVerfG ist ein Verfassungsorgan (BVerfGE 7, 11 (14); 104, 151 (196)). Es übt rechtsprechende Gewalt aus und ist oberster „Hüter der Verfassung“ (BVerfGE 1, 184 (195)). Ein eigener politischer Gestaltungsspielraum kommt ihm nicht zu. Das BVerfG untersteht keiner Dienstaufsicht eines Ministeriums und verwaltet seine Angelegenheiten selbst. Es verfügt über Haushalts- und Personalhoheit und besitzt Geschäftsordnungsautonomie. Das BVerfG hat seinen Sitz in Karlsruhe (§ 1 II BVerfGG).
II. Zusammensetzung, Richterwahl, Inkompatibilitäten
1. Zusammensetzung
Das BVerfG setzt sich nach Art. 94 I 1 aus Bundesrichtern und anderen Mitgliedern zusammen. Diese Unterscheidung ist vor allem für das Auswahlverfahren von Bedeutung; für die Rechtsstellung der Richter ist sie unerheblich. Bundesrichter sind hauptamtliche Richter aus dem Kreis der Richter der obersten Gerichtshöfe des Bundes nach Art. 95 I (BGH, BVerwG, BFH, BAG, BSG; Art. 95 Rn. 2). Nach § 2 III BVerfGG sollen nur Bundesrichter in das BVerfG gewählt werden, die wenigstens drei Jahre an einem obersten Gerichtshof des Bundes tätig gewesen sind. Über die Qualifikationen der anderen Mitglieder trifft das GG keine Aussage. Nach § 3 I BVerfGG müssen alle Richter des BVerfG das 40. Lebensjahr vollendet haben, zum BTag wählbar sein und sich schriftlich bereit erklärt haben, Mitglied des BVerfG zu werden. Sie müssen darüber hinaus nach § 3 II BVerfGG die Befähigung zum Richteramt besitzen (vgl. §§ 5 ff. DRiG). Auch die Regelungen über die Zahl der Bundesverfassungsrichter und der Spruchkörper (Senate) werden gem. Art. 94 II 1 Hs. 1 dem einfachen Gesetzgeber überlassen. Nach § 2 I, II BVerfGG besteht das BVerfG aus zwei Senaten mit je acht Richtern. Jedem Senat müssen drei Bundesrichter angehören (§ 2 III BVerfGG).
2. Wahl der Richter
Nach Art. 94 I 2 werden die Richter je zur Hälfte vom BTag und vom BRat gewählt. § 5 I 1 BVerfGG bestimmt konkretisierend, dass die Mitglieder jedes Senats je zur Hälfte vom BTag und vom BRat gewählt werden. Die Richterwahl im BTag setzt gem. § 6 I 2 BVerfGG eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestages voraus. Der BRat wählt die von ihm zu bestimmenden Mitglieder des BVerfG in seinem Plenum mit einer 2/3 -Mehrheit (§ 7 BVerfGG). Dem Text von Art. 94 ist keine Aussage über die erforderlichen Mehrheiten hinsichtlich einer Richterwahl zu entnehmen. Die besondere Aufgabe des BVerfG im Hinblick auf seine Normenkontrollkompetenz und seine Schlichterrolle in Organstreitverfahren erfordert jedoch in besonderem Maße eine Sicherung seiner Unabhängigkeit. Daraus folgt das Erfordernis einer breiten parteiübergreifenden Legitimationsbasis bei der Richterwahl (Benda/Klein Rn. 142 f.). Könnte eine einfache Mehrheit in BTag oder BRat über die Besetzung des BVerfG entscheiden, wäre dies ein Einfallstor für eine parteipolitische Einflussnahme. Eine Auslegung von Art. 94 I, die eine 2/3 -Mehrheit für eine Richterwahl verlangt, erscheint daher von Verfassungs wegen geboten (Schmidt JA 1999, 479 (480)). Das Erfordernis von 2/3 -Mehrheiten birgt allerdings die Gefahr von Blockaden, wenn eine nicht kompromissbereite politische Partei über mehr als ein Drittel der Stimmen in BTag oder BRat verfügt (vgl. Dreier/Wieland Art. 94 Rn. 13). Zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des BVerfG müssen daher Ausnahmeregelungen in Form verminderter Mehrheitserfordernisse bei mehrfachem Scheitern einer Richterwahl über einen längeren Zeitraum hinweg als verfassungsrechtlich zulässig erachtet werden.
Seit dem Inkrafttreten des ÄndG v. 24.6.2015 (BGBl. I 973) werden die vom BTag zu berufenden Richter vom Plenum des BTags ohne vorherige Aussprache mit verdeckten Stimmzetteln auf Vorschlag des Wahlausschusses gewählt (§ 6 I 1 BVerfGG). Die Wahl ohne vorherige Aussprache und mit verdeckten Stimmzetteln soll sicherstellen, dass die Autorität der späteren Richter nicht vor ihrem Amtsantritt durch eine öffentliche Personaldiskussion Schaden nimmt (vgl. BT-Drs. 18/2737). Gewählt ist, wer eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, die eine Mehrheit der Mitglieder des BTags darstellen, auf sich vereinigt (§ 6 I 2 BVerfGG). Der vorschlagsberechtigte Wahlausschuss des BTags wird aus zwölf Mitgliedern gebildet. In ihm sind die Fraktionen des BTags nach ihrer Stärke vertreten (§ 6 II BVerfGG). Ein Wahlvorschlag an den BTag bedarf im Wahlausschuss einer Mehrheit von mindestens acht Stimmen (§ 6 V BVerfGG). Nach früherer Rechtslage hatte der BTag sein Wahlrecht vollständig an den Wahlausschuss delegiert. Gegen diese indirekte Wahl durch den Wahlausschuss des BTags waren verfassungsrechtliche Bedenken erhoben worden, weil Art. 94 I 2 von der Wahl durch den BTag spreche und im Gegensatz zu Art. 95 II keinen Wahlausschuss erwähne (Pieper, Verfassungsrichterwahlen, 1998, 29 ff.; MKS/Voßkuhle Art. 94 Rn. 10; Dreier/Wieland Art. 94 Rn. 15; HStR III/Kischel § 69 Rn. 52). Das BVerfG selbst hatte das indirekte Wahlverfahren aber nicht beanstandet (BVerfGE 40, 356 (362 ff.); 65, 152 (154 ff.); 131, 230 (234 ff.); 142, 1 (3 f.)). Nach Auffassung des BVerfG war die Übertragung der Richterwahl auf den Wahlausschuss, der eine Abweichung vom Grundsatz der Gleichheit aller Abgeordneten darstellte, gerechtfertigt, da die Richterwahl durch den Wahlausschuss die für das Vertrauen in die Unabhängigkeit des BVerfG unabdingbare Vertraulichkeit des Wahlverfahrens gewährleiste (BVerfGE 131, 230 (235 f.); krit. Schnelle NVwZ 2012, 1597). Gleichwohl hatte das BVerfG auch eine andere gesetzliche Ausgestaltung der Richterwahl nicht ausgeschlossen (BVerfGE 131, 230 (236)).
Ob für die Auswahl der Richter der BVerfG das Leistungsprinzip des Art. 33 II gilt, ist umstr. Teilw. wird dies mit dem Hinweis darauf verneint, es handele sich um ein Wahlamt, für das Art. 33 II nicht gelte, da der Wahlentscheidung (zumindest auch) eine politische Dimension innewohne (Preuß ZRP 1988, 389 (392); Schröder ZG 2015, 150 (158 f.)). Gegen diese Auffassung spricht jedoch die jüngste Rspr. des BVerfG im Hinblick auf die Wahl von Bundesrichtern nach Art. 95. Danach gilt das Leistungsprinzip des Art. 33 II in eingeschränkter Weise (BVerfGE 143, 22 (29 f.)). Die Mitglieder des BTags und des BRats müssen sich bei ihren Wahlentscheidungen zwar von Art. 33 II leiten lassen. Eine strikte Pflicht, den Besten auszuwählen, besteht jedoch nicht, da ansonsten der mit der Wahl durch den BTag oder den BRat einhergehende legitimatorische Mehrwert nicht erreicht werden könnte (vgl. BVerfGE 143, 22 (33)). Ein Verstoß gegen das Leistungsprinzip liegt nur dann vor, wenn das Ergebnis der Richterwahl vor dem Hintergrund des Art. 33 II nicht mehr nachvollziehbar wäre (vgl. BVerfGE 143, 22 (34)).
Kommt die Wahl eines Richters innerhalb von zwei Monaten nach dem Ablauf der Amtszeit oder dem vorzeitigen Ausscheiden seines Vorgängers nicht zustande, besitzt das Plenum des BVerfG ein eigenes Vorschlagsrecht (§ 7a II BVerfGG). BRat und BTag sind bei ihrer Wahl jedoch nicht an den Vorschlag des BVerfG gebunden (§ 7a IV BVerfGG).
3. Amtszeit der Richter
Die Amtszeit der Richter beträgt zwölf Jahre und währt längstens bis zur Vollendung des 68. Lebensjahres (§ 4 I, III BVerfGG). Eine Wiederwahl ist nach § 4 II BVerfGG ausgeschlossen. Nach Ablauf der Amtszeit haben die Richter die Amtsgeschäfte bis zur Ernennung ihres Nachfolgers weiterzuführen (§ 4 IV BVerfGG).
4. Inkompatibilitäten
Nach Art. 94 I 3 dürfen die Richter keinem anderen Verfassungsorgan des Bundes oder eines Landes angehören. Sie scheiden mit ihrer Ernennung aus diesen Organen aus, falls sie ihnen angehört haben (§ 3 III 2 BVerfGG). Der Bundesverfassungsrichter darf nach § 3 IV BVerfGG neben seinem Richteramt keine andere berufliche Tätigkeit ausüben. Ausgenommen ist lediglich die Tätigkeit als Hochschullehrer. Sinn und Zweck dieser Regelung ist die Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit der Bundesverfassungsrichter.
III. Aufbau des Bundesverfassungsgerichts
Das BVerfG besteht als „Zwillingsgericht“ (Benda/Klein Rn. 129; Stern/Sodan/Möstl/Kluckert § 40 Rn. 50) aus zwei Senaten mit je acht Richtern (§ 2 I, II BVerfGG) mit einer gesetzlichen Geschäftsverteilung (§ 14 I, II, III BVerfGG), die allerdings durch Beschluss des Plenums des BVerfG abweichend geregelt werden kann (§ 14 IV BVerfGG). Der Erste Senat war dabei ursprünglich als Grundrechtssenat, der Zweite Senat als „Staatsgerichthof“ konzipiert, der über staatsorganisationsrechtliche und föderale Streitigkeiten entscheiden sollte. Die anfängliche Überlastung des Ersten Senats hat dazu geführt, dem Zweiten Senat Zuständigkeiten auch im Grundrechtsbereich, zB für Fragen des Asylrechts, zu übertragen. Das aus allen 16 Richtern bestehende Plenum des BVerfG entscheidet, wenn ein Senat von einer Entscheidung des anderen Senats abweichend entscheiden will (§ 16 BVerfGG). Daneben sieht das BVerfGG in § 15a vor, dass jeder Senat jew. für ein Geschäftsjahr aus drei Richtern bestehende Kammern einrichten kann. Es handelt sich dabei um besondere Spruchkörper mit begrenzten Zuständigkeiten, die der Entlastung des BVerfG dienen.
IV. Rechtskraft, Bindungswirkung, Gesetzeskraft
1. Rechtskraft
Das BVerfG entscheidet entweder nach mündlicher Verhandlung durch Urteil oder ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (§ 25 II BVerfGG), wobei jeder Richter ein Sondervotum formulieren kann (§ 30 II BVerfGG). Die verfahrensabschließenden Entscheidungen des BVerfG erwachsen in formelle Rechtskraft, dh sie können von den Verfahrensbeteiligten nicht angefochten werden und sind damit endgültig (Benda/Klein Rn. 1487). Die formell rechtskräftigen Sachentscheidungen des BVerfG sind auch materiell rechtskräftig. Die materielle Rechtskraft wirkt nur inter partes und nur hinsichtlich desselben Streitgegenstands (BVerfGE 104, 151 (196)). Die materielle Rechtskraft schützt die konkrete Entscheidung in ihrem inhaltlichen Bestand. Sie ist ein Prozesshindernis, das zur Unzulässigkeit eines neuen Antrags in gleicher Sache führt. Maßgeblich kommt es dabei auf den Entscheidungsausspruch (Tenor) an.
2. Bindungswirkung
Nach § 31 I BVerfGG kommt den Entscheidungen des BVerfG eine besondere, über die materielle Rechtskraft hinausgehende Bindungswirkung zu. Seine Entscheidungen binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden. Diese Bindungswirkung gilt jedoch nicht für das BVerfG selbst (BVerfGE 104, 151 (197)). Neben dem Tenor nehmen auch die „tragenden Gründe“ einer Entscheidung an der Bindungswirkung gem. § 31 I BVerfGG teil (BVerfGE 1, 14 (37); 104, 151 (197)). Die Bindung verpflichtet die Staatsorgane zur verfassungsrechtlichen Folgenbeseitigung; sie müssen im Rahmen ihrer Kompetenzen den verfassungswidrigen Zustand so weit wie möglich beseitigen und einen festgestellten verfassungswidrigen Zustand unverzüglich – soweit keine anderweitige Anordnung getroffen wird – in einen verfassungsmäßigen überführen (v. Münch/Kunig/Meyer Art. 94 Rn. 43; SHH/Hopfauf Art. 94 Rn. 166). Daneben tritt die Pflicht, sich zukünftig von den Feststellungen des BVerfG leiten zu lassen, das als verfassungswidrig Bezeichnete zu unterlassen und sich im Rahmen des als verfassungsmäßig Erkannten zu bewegen (Benda/Klein Rn. 1525).
3. Gesetzeskraft
Art. 94 II 1 Hs. 2 ermächtigt den Bundesgesetzgeber, den Entscheidungen des BVerfG in bestimmten Fällen Gesetzeskraft zuzuerkennen. In § 31 II 1 und 2 BVerfGG hat der Gesetzgeber entschieden, dass Entscheidungen in Verfahren der abstrakten (Art. 93 I Nr. 2 und Nr. 2a) und der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 I), in Verfahren der Völkerrechtsverifikation (Art. 100 II), der Normenqualifizierung (Art. 126) sowie in Verfassungsbeschwerdeverfahren (Art. 93 I Nr. 4a) Gesetzeskraft haben. In Entscheidungen über Verfassungsbeschwerden gilt dies jedoch nur, wenn das BVerfG ein Gesetz als mit dem GG vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt (§ 31 II 2 BVerfGG). Gesetzeskraft bedeutet, dass der Entscheidungstenor allgemeinverbindlich ist (BVerfG [K] NJW 2014, 2777); sie verleiht der Entscheidung Wirkung erga omnes (Dreier/Wieland Art. 94 Rn. 26; MKS/Voßkuhle Art. 94 Rn. 36). Die Gesetzeskraft setzt eine Sachaussage voraus; Anträge, die lediglich zurückgewiesen oder verworfen werden, oder Vorlagen, die für unzulässig erklärt werden, entbehren dieses Inhalts und erlangen keine Gesetzeskraft (BVerfGE 85, 117 (121)).
V. Besondere Voraussetzungen für Verfassungsbeschwerden
1. Rechtswegerschöpfung und Subsidiarität
Von der in Art. 94 II 2 ausgesprochenen Ermächtigung, die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde (Art. 93 I Nr. 4a) von der vorherigen Erschöpfung des Rechtswegs abhängig zu machen, hat der Gesetzgeber in § 90 II BVerfGG Gebrauch gemacht. Über das Gebot der Rechtswegerschöpfung hinaus sieht das BVerfG in Art. 94 II 2 den allg. Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verankert (BVerfGE 55, 244 (247); 112, 50 (60)). Danach muss jeder Beschwerdeführer alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder den Eintritt einer Grundrechtsverletzung von vornherein zu verhindern oder zu beseitigen (BVerfGE 95, 163 (171); 104, 65 (70); 114, 258 (279); 125, 104 (120)).
2. Annahmeverfahren
Art. 94 II 2 ermächtigt den Gesetzgeber, für Verfassungsbeschwerden ein Annahmeverfahren vorzusehen. Ein solches Verfahren hat er in §§ 93a ff. BVerfGG eingeführt, um der Flut von Verfassungsbeschwerden Herr zu werden. Danach bedarf jede Verfassungsbeschwerde der Annahme zur Entscheidung (§ 93a I BVerfGG), die entweder einstimmig eine Kammer oder mit den Stimmen von mindestens drei Richtern ein Senat beschließen kann (§§ 93b, 93d III BVerfGG). Eine Pflicht zur Annahme besteht bei einer grds. Bedeutung (§ 93a II lit. a BVerfGG) oder wenn eine Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung der Grundrechte angezeigt ist, etwa weil dem Beschwerdeführer ein besonders schwerer Nachteil droht (§ 93a II lit. b BVerfGG). Eine grds. Bedeutung wird angenommen bei klärungsbedürftigen, kontrovers diskutierten verfassungsrechtlichen Fragen, die über den Einzelfall hinaus Bedeutung haben (BVerfGE 90, 22 (24 f.)). Eine Annahme ist wegen eines drohenden besonders schweren Nachteils angezeigt bei einer Grundrechtsverletzung von besonderem Gewicht, bei grober Verkennung der Grundrechte oder rechtsstaatlicher Grundsätze (BVerfGE 90, 22 (25)) oder bei existenzieller Betroffenheit, etwa im Fall einer strafgerichtlichen Verurteilung (BVerfGE 96, 245 (248 f.)). Ein besonders schwerer Nachteil ist nicht anzunehmen, wenn die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (BVerfGE 90, 22 (25 f.); 96, 245 (250)). Ist eine Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet und ist die maßgebliche Frage durch das BVerfG bereits entschieden, kann ihr bereits eine Kammer stattgeben (§ 93c I 1 BVerfGG). Dies gilt jedoch nicht für Entscheidungen mit Gesetzeskraft nach § 31 II BVerfGG über die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit dem GG oder sonstigem Bundesrecht oder über die Nichtigkeit eines Gesetzes (§ 93c I 3 BVerfGG).