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Artikel 67 [Misstrauensvotum]

(1) 1 Der Bundestag kann dem Bundeskanzler das Mißtrauen nur dadurch aussprechen, daß er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt und den Bundespräsidenten ersucht, den Bundeskanzler zu entlassen. 2 Der Bundespräsident muß dem Ersuchen entsprechen und den Gewählten ernennen.

(2) Zwischen dem Antrage und der Wahl müssen achtundvierzig Stunden liegen.

Art. 67 bringt die Abhängigkeit der BReg vom BT zum Ausdruck, als typisches Merkmal eines parlamentarischen Regierungssystems, trotz Fehlens eines entsprechenden Vorbilds etwa in ausländischen Verfassungen, in Ansehung seiner konkreten Ausformung (vgl. Sachs/Brinktrine Art. 67 Rn. 6). Anders in RV 1871: Freiheit des RKanzlers in seiner Amtsführung gegenüber dem Reichstag; Art. 54 WRV: strikte Vertrauensbindung des RKanzlers und sogar jedes einzelnen RMinisters an das Parlament (sog. destruktives Misstrauensvotum, vgl. Sachs/Brinktrine Art. 67 Rn. 8), was im Rahmen der Beratungen zum GG als Ursache der Instabilität der Regierungen in der Weimarer Zeit beurteilt und daher in diesem Ausmaß abgelehnt wurde (Beschränkung auf den BKanzler).

Der Sturz des amtierenden BKanzlers (nicht der BMinister) ist (anders als nach Art. 54 WRV) nur im Wege der Wahl eines Nachfolgers durch den BT mit einfacher Mehrheit seiner Mitglieder (Art. 121) möglich („konstruktives Misstrauensvotum“); im Verteidigungsfall durch 2/3 -Mehrheit des Gemeinsamen Ausschusses (Art. 53a), Art. 115h II 2.

Anders als in Art. 68, wo der BKanzler selbst Initiative ergreift ( er stellt die Vertrauensfrage ), bedeutet „Misstrauen“ (passive) Abwahl. Ein geschäftsführender BKanzler (Art. 69 III) kann nicht abgewählt werden, wohl aber ein BKanzler, dem der BT nach Art. 68 I 1 das Vertrauen verweigert hat, solange der BT nicht aufgelöst ist; ein neuer Vertrauensantrag darf einem Antrag auf Nachfolgerwahl nicht vorgezogen werden, der beliebig wiederholbar ist. Das konstruktive Misstrauensvotum ist tragendes Element des sog. „Kanzlerprinzips“ des GG und sollte die Regierungsstabilität stärken, die aber nach wie vor entscheidend von der Einungskraft der sie tragenden politischen Parteien abhängt. Der BKanzler kann dem Misstrauensvotum durch den – ausdrücklich nicht geregelten – Rücktritt zuvorkommen, was gleichsam zur Beendigung seines Amtes führt. Bis der BT einen neuen BKanzler wählt, bleibt die BReg geschäftsführend im Amt (69 III).

Der Nachfolger hat gleiche Stellung und Legitimität wie sein Vorgänger (BVerfGE 62, 1 (43)). Er kann daher auch jederzeit die Vertrauensfrage (Art. 68 I 1) stellen; dass er dies schon vor/bei seiner Wahl beabsichtigt, macht diese nicht „missbräuchlich“, damit verfassungswidrig (Fall Kohl 1982 – BVerfGE 62, 1 (35)). Der neu gewählte BKanzler ist in seinem materiellen Kabinettsbildungsrecht (Art. 64) nicht beschränkt. Die Nachfolgerwahl muss von 1/4 der Abgeordneten oder einer so zahlreichen Fraktion schriftlich beantragt werden, unter Nennung eines Namens (§ 67 I GeschOBTag) – eine Einschränkung, welche die Ernsthaftigkeit des Antrags sicherstellen soll (vgl. BVerfGE 88, 188 (218 f.)). Gewählt wird mit verdeckten Stimmzetteln (§ 97 II 1, § 49 GeschOBTag). Über mehrere Wahlvorschläge ist einheitlich in einem Wahlgang abzustimmen (§ 97 II 1 GeschOBTag). Abgestimmt werden kann erst jew. 48 Stunden nach Ablauf des Tages der Verteilung des betr. Antrags (Art. 67 II GG, § 123 I GeschOBTag).

Der gewählte Nachfolger „muss“ vom BPräsidenten ernannt werden, der daher nur die (formelle) Einhaltung der Wahlbestimmungen überprüfen kann, sobald ihm dies möglich ist. Erforderlich ist für die Ernennung ein „Ersuchen“, also ein ausdrücklicher diesbezüglicher Beschluss des BTags, nicht aber eine Gegenzeichnung (Art. 58 I). Ein Vorschlagsrecht für die Wahl steht dem BPräsidenten hier anders als in Art. 63 nicht zu.

Art. 67 verbietet dem BT jede andere Form eines „Misstrauensvotums“ gegen den BKanzler sowie jeden Antrag, er müsse/solle die Vertrauensfrage nach Art. 68 I 1 stellen. Andere Formen der Missbilligung des (Verhaltens) des BKanzlers sind zulässig, haben jedoch keinen Amtsverlust zur Folge.

Art. 67 bildet eine Legitimationsbasis für die parlamentarische Opposition (HStR III/Schröder § 65 Rn. 38; Dreier/Hermes Art. 67 Rn. 10): Bei brüchiger Regierungsmehrheit kann diese eine eigene Mehrheit bilden und durch die Wahl eines neuen BKanzlers die bisherige Regierung stürzen.