Artikel 45 [Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union]
1 Der Bundestag bestellt einen Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union. 2 Er kann ihn ermächtigen, die Rechte des Bundestages gemäß Artikel 23 gegenüber der Bundesregierung wahrzunehmen. 3 Er kann ihn auch ermächtigen, die Rechte wahrzunehmen, die dem Bundestag in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind.
I. Bedeutung der Norm
Zusammen mit Art. 23 nF ist auch Art. 45 in das GG anstelle des früheren Ständigen Ausschusses gem. Art. 45 aF eingefügt worden (BGBl. 1992 II 1253). Art. 45 verpflichtet den BT, einen ständigen Ausschuss für die Angelegenheiten der EU (sog. Europaausschuss) zu bestellen. Grund hierfür war zum einen die Erwartung, dass ein kleineres und sachkundigeres Gremium die Mitwirkungsbefugnisse des BT an der Entwicklung der EU (Art. 23 II, III) effektiver wahrnimmt als das Plenarorgan (Dreier/Wollenschläger Art. 45 Rn. 1; vgl. auch BVerfGE 130, 318 (351)). Zum anderen sollte eine Ausgliederung der allg. Europapolitik aus dem Zuständigkeitsbereich des Auswärtigen Ausschusses erfolgen (SHH/Kluth Art. 45 Rn. 2). Die vorangegangenen Versuche mit der Europakommission und einem Unterausschuss des Auswärtigen Ausschusses (Mehl, Die Europa-Kommission des Deutschen Bundestages, 1987) erwiesen sich angesichts von Spezialität und Umfang der Materie als nicht ausreichend (Dreier/Pernice, 2. Aufl. 2006, Art. 45 Rn. 2). Als Reaktion auf die Implementierung von Rechten nationaler Parlamente in Art. 12 EUV wurde Art. 45 im Jahr 2008 um S. 3 erweitert (BGBl. 2008 I 1926). Der BT kann den Europaausschuss u. a. zur Erhebung der Subsidiaritätsklage nach Art. 8 SubsProt ermächtigen (Shirvani JZ 2010, 753 (754); DHS/Scholz Art. 45 Rn. 8; enger Dreier/Wollenschläger Art. 45 Rn. 40; Art. 23 Rn. 45).
II. Rechtsnatur und Rechtsstellung des Europaausschusses
Art. 45 S. 1 greift regulierend in die Parlamentsautonomie (BVerfGE 102, 223 (235)) ein, indem er den BT verfassungsrechtlich verpflichtet, bei der Einsetzung der ständigen Ausschüsse (§ 54 GOBT) eigens einen Ausschuss für die Angelegenheiten der EU zu bestellen (SHH/Kluth Art. 45 Rn. 3). Nicht unproblematisch war daher die temporäre Einsetzung eines sog. Hauptausschusses in der 18., 19. und 20. WP, der die Zeitspanne zwischen der Konstituierung des BT einerseits und der Bildung der BReg einschließlich der korrespondierenden Einsetzung der Ausschüsse andererseits überbrücken und zugleich als Ausschuss iSv Art. 45, 45a und 45c fungieren sollte (zum Hauptausschuss der 18. WP krit. Fuchs DVBl 2014, 886 (891 f.)). Aus Art. 23 erschließt sich der Begriff der Angelegenheiten der EU (MKS/Unger Art. 45 Rn. 10; Art. 23 Rn. 2, 41). Andere europäische Vertragswerke wie diejenigen des Europarates unterfallen Art. 45 nicht.
Der Europaausschuss muss von jedem neu gewählten BT eingesetzt werden (DHS/Scholz Art. 45 Rn. 5). Allerdings bleibt es der Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments überlassen, den Europaausschuss in das (arbeitsteilige) System aller ständigen Ausschüsse einzubinden (BK/Schorkopf Art. 45 Rn. 34 ff.). Einzelheiten der Zusammenarbeit sind in §§ 62 I 3, 93, 93a und 93b GOBT geregelt. Federführend zuständig ist der Europaausschuss für Vorlagen mit integrationspolitischem Schwerpunkt (MKS/Unger Art. 45 Rn. 10). Initiativen der Europäischen Kommission zur Rechtsetzung können indes vom BT ihrer inhaltlichen Thematik entspr. auch auf die Fachausschüsse verteilt werden (v. Münch/Kunig/Uerpmann-Wittzack Art. 45 Rn. 6), die ihrerseits weiterhin nach Maßgabe ihrer Zuständigkeit einzelne EU-Vorlagen zu beraten haben (BK/Schorkopf Art. 45 Rn. 54 ff.; Dreier/Wollenschläger Art. 45 Rn. 14). Herausgehoben ist der Europaausschuss aber durch seine verfassungsrechtlich verankerte Befugnis, im Falle seiner Ermächtigung eine Stellungnahme für den BT abzugeben oder dessen Rechte wahrzunehmen (Art. 45 S. 2, 3), sowie durch geschäftsordnungsrechtlich eingeräumte Koordinationsrechte (zB § 93 IV, V, § 93b I, III GOBT). Zudem kann der Europaausschuss bei Vorlagen, die ihm zur Mitberatung überwiesen worden sind, sogar Änderungsanträge zur Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses stellen (§ 93b VII GOBT). Damit kommt dem Europaausschuss eine Querschnittsstellung zu, die sich der eines Hauptausschusses annähert (DHS/Scholz Art. 45 Rn. 6).
Maßgeblich für die Abgrenzung der Zuständigkeiten von Europaausschuss und dem inhaltlich nahestehenden Auswärtigen Ausschuss (Art. 45a) ist der Stand der europäischen Integration. Soweit die europäische Zusammenarbeit supranational organisiert ist, verdrängt der Zuständigkeitsbereich des Europaausschusses jenen des Auswärtigen Ausschusses (BK/Kretschmer, Erstkomm., Art. 45 Rn. 201 ff.). Handelt es sich hingegen um Fragen der intergouvernementalen Zusammenarbeit, so kann der Auswärtige Ausschuss die Federführung beanspruchen, muss dies aber nicht tun. Vorbehaltlich der Zustimmung des Plenums ist es zulässig, wenn sich beide Ausschüsse darauf verständigen, dass zB bestimmte fachpolitische Fragen der GASP oder zu Beitrittsverhandlungen federführend vom Europaausschuss behandelt werden (SHH/Kluth Art. 45 Rn. 9).
III. Beteiligung an der Entwicklung der EU
Für das Verfahren zur Abgabe einer Stellungnahme iSv Art. 23 II, III und für die Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente iSv Art. 12 EUV (vgl. Art. 23 Rn. 41 ff.) erweitert Art. 45 S. 2, 3 die Regelungsmacht des BT in eigenen Angelegenheiten. Danach kann der Europaausschuss ermächtigt werden, anstelle der Vollversammlung Stellungnahmen abzugeben oder sich an der Entwicklung der Union zu beteiligen (näher Moench/Ruttloff DVBl 2012, 1261 (1264)). Gäbe es eine derartige verfassungsrechtliche Ermächtigungsklausel nicht, wäre zweifelhaft, ob der BT seine Entscheidungsbefugnisse auf den Europaausschuss delegieren dürfte, da der BT nicht auf seine Kompetenzen verzichten kann (BVerfGE 1, 372 (379 f.); vgl. auch v. Münch/Kunig/Uerpmann-Wittzack Art. 45 Rn. 10 ff.). Allerdings stellt Art. 45 S. 2, 3 es dem BT anheim, ob und in welchem Umfang er von der Delegationsbefugnis Gebrauch macht. Nicht die Einräumung dieser Befugnisse, sondern allein ihre Ausübung kann im Einzelfall verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt sein (BVerfGE 123, 267 (432)). Auch steht dem BT ein jederzeitiges Rückholrecht zu (Sachs/Magiera Art. 45 Rn. 6). Verfassungsrechtlich zulässig sind generelle Delegationen sowie Einzelermächtigungen (Umbach/Dollinger Art. 45 Rn. 12). Der BT hält grds. am Prinzip der Einzelfalldelegation fest (§ 93b II GOBT). Die Sitzungen des Europaausschusses müssen entspr. Art. 42 I im Falle der plenarersetzenden Tätigkeit öffentlich sein (BK/Schorkopf Art. 45 Rn. 47). Der Europaausschuss ist entsprechend verpflichtet, einen Beschluss iSv § 69 I 1 GOBT zu fassen. Das sog. „9er-Gremium“, das im Rahmen des StabMechG zur „Euro-Rettung“ errichtet worden war, erfüllt die Kriterien des Art. 45 S. 2, 3 nicht; das Budgetrecht ist grds. durch Verhandlung und Beschlussfassung im Plenum wahrzunehmen (BVerfGE 130, 318 (356 ff.); Art. 23 Rn. 27).