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Artikel 115b [Übergang der Befehls- und Verteidigungsgewalt]

Mit der Verkündung des Verteidigungsfalles geht die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte auf den Bundeskanzler über.

I. Bedeutung der Norm

Art. 115b will eine wirksame militärische Landesverteidigung dadurch sicherstellen, dass alle zivilen und militärischen Entscheidungen mit der Verkündung des Verteidigungsfalls bei dem „Führungsorgan“ der Regierung konzentriert werden (v. Münch/Kunig/Fremuth Art. 115b Rn. 2; krit. Dietz DÖV 2012, 952 (959)). Die Norm entspricht fast wörtlich dem früheren Art. 65a II von 1956, wurde aber aus systematischen Gründen 1968 als Art. 115b neu in das GG eingefügt (Dreier/Heun Art. 115b Rn. 1).

II. Übergang der Befehls- und Kommandogewalt

Der Übergang der Befehls- und Kommandogewalt auf den BKanzler ist ausschließlich für den Verteidigungsfall vorgesehen, nicht für den Spannungs-, Zustimmungs- oder Bündnisfall (Dreier/Heun Art. 115b Rn. 5), bei denen es bei der Regelung des Art. 65a bleibt (SHH/Wittenberg Art. 115b Rn. 4). Der Übergang ist an die Verkündung des Verteidigungsfalls nach Art. 115a III oder an den Eintritt der Fiktion nach Art. 115a IV gebunden. Sollte bei Art. 115a IV der Angriffsbeginn zweifelhaft sein, kommt es auf die Lagebeurteilung des BKanzlers an (MKS/Grote Art. 115b Rn. 3). Der Übergang der Befehls- und Kommandogewalt auf den BKanzler tritt als Rechtsfolge automatisch ein; eines separaten Übertragungsaktes bedarf es nicht (v. Münch/Kunig/Fremuth Art. 115b Rn. 11). In gleicher Weise fällt die Befugnis mit Beendigung des Verteidigungsfalls (Art. 115l) automatisch an den Verteidigungsminister zurück (Sachs/Robbers Art. 115b Rn. 6).

Die Befehls- und Kommandogewalt geht vollständig auf den BKanzler über (BK/v. Kielmansegg Art. 115b Rn. 54 ff.). Der BKanzler wird zum unmittelbaren Vorgesetzten der Streitkräfte (BVerfGE 90, 286 (386)) und ist dabei nicht auf die Richtlinienkompetenz nach Art. 65 I beschränkt; auch das Kabinettsprinzip gem. Art. 65 III entfällt (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 115b Rn. 1; aA DHS/Epping Art. 115b Rn. 13).

Als Folge des Übergangs kommt es zum völligen Ausschluss des Verteidigungsministers aus der militärischen Befehlshierarchie (Dreier/Heun Art. 115b Rn. 6; krit. Dreist NZWehrr 2015, 133 (143)). Er verliert den militärischen Zweig seiner Ressortgewalt (v. Münch/Kunig/Fremuth Art. 115b Rn. 8 f.). Allerdings ist eine – jederzeit widerrufbare – Mandatierung der Befehls- und Kommandogewalt vom BKanzler auf den Verteidigungsminister zulässig, wobei dieser dann im Namen und im Auftrag des BKanzlers handelt (Friauf/Höfling/Thiel Art. 115b Rn. 22; näher BK/v. Kielmansegg Art. 115b Rn. 69 ff.). Art. 115b bezieht sich ausschließlich auf die Streitkräfte und nicht auf die Bundeswehrverwaltung iSv Art. 87b; diese verbleibt im Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums (DHS/Epping Art. 115b Rn. 15). Gestützt auf Art. 65 kann der BKanzler aber auch für diesen Bereich durch einfachen Organisationsakt seine Zuständigkeit begründen und somit eine schädliche Kompetenzzersplitterung vermeiden (MKS/Grote Art. 115b Rn. 6 ff.; aA BeckOK GG/Schmidt-Radefeldt Art. 115b Rn. 10).