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Artikel 115d [Vereinfachtes Bundesgesetzgebungsverfahren]

(1) Für die Gesetzgebung des Bundes gilt im Verteidigungsfalle abweichend von Artikel 76 Abs. 2, Artikel 77 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 bis 4, Artikel 78 und Artikel 82 Abs. 1 die Regelung der Absätze 2 und 3.

(2) 1 Gesetzesvorlagen der Bundesregierung, die sie als dringlich bezeichnet, sind gleichzeitig mit der Einbringung beim Bundestage dem Bundesrate zuzuleiten. 2 Bundestag und Bundesrat beraten diese Vorlagen unverzüglich gemeinsam. 3 Soweit zu einem Gesetze die Zustimmung des Bundesrates erforderlich ist, bedarf es zum Zustandekommen des Gesetzes der Zustimmung der Mehrheit seiner Stimmen. 4 Das Nähere regelt eine Geschäftsordnung, die vom Bundestage beschlossen wird und der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(3) Für die Verkündung der Gesetze gilt Artikel 115a Abs. 3 Satz 2 entsprechend.

I. Bedeutung der Norm

Art. 115d sieht zur schnellen Befriedigung des im Verteidigungsfall entstehenden Normbedarfs ein vereinfachtes Gesetzgebungsverfahren vor, das eine Zwischenstufe zwischen dem Gesetzgebungsverfahren nach Art. 76 ff. und der Gesetzgebung durch den GA nach Art. 115e einnimmt (Dreier/Heun Art. 115d Rn. 3). Ziel der Norm ist es, die Gesetzgebungstätigkeit von BT und BR so lange wie möglich zu erhalten (SHH/Wittenberg Art. 115d Rn. 1). Auf verfassungsändernde Gesetze finden die Sonderregelungen des Art. 115d keine Anwendung, wohl aber auf die Verabschiedung von Haushaltsgesetzen nach Art. 110 (MKS/Grote Art. 115d Rn. 1). Die Gesetze für den Verteidigungsfall (Art. 115c) werden nicht nach Art. 115d, sondern im „normalen“ Gesetzgebungsverfahren beschlossen.

II. Vereinfachtes Gesetzgebungsverfahren

Das gestraffte Gesetzgebungsverfahren gilt für alle von der BReg eingebrachten und von ihr als dringlich bezeichneten Gesetzesvorlagen, nicht aber für Initiativen von BT oder BR (Dreier/Heun Art. 115d Rn. 6). Diese können aber von der BReg als eigene übernommen werden, wodurch dann das beschleunigte Verfahren auf sie Anwendung findet (DHS/Epping Art. 115d Rn. 8). Die von der BReg als Kollegium getroffene Entscheidung über die Dringlichkeit der Vorlage ist für das weitere Gesetzgebungsverfahren bindend (BK/v. Kielmansegg Art. 115d Rn. 21).

Nach Art. 115d II legt die BReg dringliche Gesetzesvorlagen abweichend von Art. 77 I 2 dem BT und dem BR gleichzeitig vor. BT und BR haben sodann unverzüglich – ohne objektive Verzögerung – in gemeinsamer Sitzung über die Vorlage zu beraten; in der Diskussion sind die Mitglieder von BT und BR gleichberechtigt (SHH/Wittenberg Art. 115d Rn. 10). Unglücklich ist, dass Art. 115d II das Verfahren der Beschlussfassung über Gesetze nicht so sorgfältig regelt wie das Verfahren der Einbringung und Zuleitung der Entwürfe (DHS/Epping Art. 115d Rn. 12). Dem Sinngehalt von Art. 115d II 3 kann aber entnommen werden, dass BT und BR im vereinfachten Gesetzgebungsverfahren getrennt abstimmen müssen (MKS/Grote Art. 115d Rn. 6). Ein Vermittlungsverfahren findet nicht statt; Art. 77 II wird insoweit von Art. 115d verdrängt (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 115d Rn. 2).

Soweit zu einem Gesetz die Zustimmung des BR erforderlich ist, bedarf es zum Zustandekommen des Gesetzes der Zustimmung der Mehrheit seiner Stimmen. Art. 115d II 3 ist deklaratorischer Natur; er bestätigt nur die Regelung des Art. 52 III 1 (SHH/Wittenberg Art. 115d Rn. 14). Nicht ausdrücklich geregelt ist das Verfahren der Beschlussfassung bei Einspruchsgesetzen. Es ist jedoch anzunehmen, dass das Einspruchsrecht des BR erhalten bleibt (MKS/Grote Art. 115d Rn. 7; aA Sachs/Robbers Art. 115d Rn. 4). Zielsetzung von Art. 115d ist die Straffung des Gesetzgebungsverfahrens, nicht aber die Einführung eines Einkammersystems (DHS/Epping Art. 115d Rn. 20 f.).

Das nähere Gesetzgebungsverfahren regelt die vom BT mit Zustimmung des BR nach Art. 115d II 4 beschlossene GeschO (BGBl. 1969 I 1100). Die hierin getroffenen Regelungen konkretisieren die Verfassungsnorm auf einfachgesetzlicher Ebene: Sie bestätigen zum einen, dass die Schlussabstimmung getrennt nach Bänken erfolgt (vgl. § 5 III). Zum anderen geht auch die GeschO in § 5 V von einem Einspruchsrecht des BR aus (Rn. 4). In zulässiger Abweichung von Art. 77 IV (vgl. Art. 115d I) kann der Einspruch jedoch stets von der Mehrheit der Mitglieder des BT zurückgewiesen werden.

III. Verkündung von Gesetzen im Verteidigungsfall

Nach Art. 115d III gilt für die Verkündung der Gesetze im Verteidigungsfalle die Regelung über die Notverkündung nach Art. 115a III 2 entspr. Art. 115d III gilt für alle Gesetze, die während des Verteidigungsfalls zustande kommen, gleichgültig, ob im normalen oder vereinfachten Gesetzgebungsverfahren nach Art. 115d I oder im Notstandsgesetzgebungsverfahren gem. Art. 115e (DHS/Epping Art. 115d Rn. 25; Dreier/Heun Art. 115d Rn. 11; zweifelnd v. Münch/Kunig/Versteyl/Fremuth Art. 115d Rn. 8). Für RVOen, die materielle Gesetze sind, gilt Art. 115d III ebenfalls (Sachs/Robbers Art. 115d Rn. 9). Art. 115d bezieht sich nur auf die Verkündung. Für die Ausfertigung und Gegenzeichnung der Gesetze bleibt es bei der Regelung des Art. 82 I. Insbes. hat der BPräs die Verfassungsmäßigkeit des nach Art. 115d oder Art. 115e modifizierten Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen (BK/v. Kielmansegg Art. 115d Rn. 49).