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Artikel 46 [Indemnität und Immunität der Abgeordneten]

(1) 1 Ein Abgeordneter darf zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestage oder in einem seiner Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden. 2 Dies gilt nicht für verleumderische Beleidigungen.

(2) Wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung darf ein Abgeordneter nur mit Genehmigung des Bundestages zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden, es sei denn, daß er bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen wird.

(3) Die Genehmigung des Bundestages ist ferner bei jeder anderen Beschränkung der persönlichen Freiheit eines Abgeordneten oder zur Einleitung eines Verfahrens gegen einen Abgeordneten gemäß Artikel 18 erforderlich.

(4) Jedes Strafverfahren und jedes Verfahren gemäß Artikel 18 gegen einen Abgeordneten, jede Haft und jede sonstige Beschränkung seiner persönlichen Freiheit sind auf Verlangen des Bundestages auszusetzen.

I. Indemnität (Abs. 1)

(Nur) die Indemnität regelt Art. 46 I, dh den Schutz von Abgeordneten des BTags gegen Maßnahmen wegen ihrer Äußerungen im Parlament. Sinn der Vorschrift ist die Sicherung der Funktionsfähigkeit des BTags, aber auch der Schutz seiner Mitglieder in der Ausübung ihres Mandats (BVerfGE 104, 310 (332 f.)). Verfolgungs- und Verantwortungsfreiheit gilt nur für Mitglieder des BTags, nicht der BReg – wenn diese nicht als Abgeordnete sprechen –, des BRats oder von Landtagen, und auch nicht für andere im BT Äußerungsberechtigte, etwa Datenschutz- und Wehrbeauftragte des BTags oder Sachverständige (BGH NJW 1981, 2117). Die Indemnität ist beschränkt auf ein Verhalten im Plenum und in allen Ausschüssen des BTags, nach hL auch im Präsidium, im Ältestenrat, in Enquete-Kommissionen und Fraktionen sowie in gemischten Ausschüssen BT/BR (Art. 53a, 77 II – Vermittlungsausschuss; vgl. MKS/Achterberg/Schulte Art. 46 Rn. 16), wo immer all diese tagen.

Geschützt wird durch Indemnität ein Abgeordnetenverhalten im Zusammenhang mit Abstimmungen – zu Personal- oder Sachfragen –, auch zu deren Vorbereitung, mit denen ein Beschluss herbeigeführt wird, und auch im Umlaufverfahren und einschließlich von Probeabstimmungen. Der Schutz gilt allen Äußerungen, auch Tatsachenmitteilungen. Eine besondere Form derselben ist nicht erforderlich; schriftliche Anfragen sind geschützt, sobald sie in den parlamentarischen Geschäftsgang gelangen. Konkludentes Verhalten genügt; dies schließt auch Tätlichkeiten ein, aber nur soweit sie als eine derartige Äußerung(sform) anzusehen sind (zu weitgehend BVerwGE 83, 1 (16)). Inhaltlich ist ein Bezug der Äußerungen auf Mandatsausübung nicht erforderlich, daher sind auch Äußerungen in „Privatgesprächen“ geschützt (str.). Voraussetzung aber ist stets, dass die Äußerungen im örtlichen Parlamentsbereich erfolgen, nicht außerhalb, etwa auf Partei- oder Wahlveranstaltungen; dort dürfen sie allenfalls wörtlich wiederholt werden (BGHZ 75, 374 (387)). Darüber hinaus kann der Berichterstattungsschutz nach Art. 42 III eingreifen. – Keinen Schutz genießen verleumderische Beleidigungen (Art. 46 I 2 GG, § 187 StGB); Glaubhaftmachung der Wahrheit im Prozess genügt nicht. – Indemnität dauert auch nach Mandatsende (Art. 38 Rn. 20) an (BVerwGE 83, 1 (15 f.)); sie ist unverzichtbar, seitens des BTags wie des Abgeordneten, und unaufhebbar.

Schutz gegen alle gerichtlichen Akte wird gewährt, insbes. gegen alle Prozess- und Vollstreckungsmaßnahmen sämtlicher Organe der staatlichen Judikative, auch solche, die sich auf Schadensersatz, Unterlassung oder Widerruf richten; das gilt auch für die Ehren- und Berufsgerichtsbarkeit. Unzulässig sind ferner alle beamtenrechtlichen Sanktionen, und dies muss für vergleichbare arbeitsrechtliche Disziplinierungen ebenfalls gelten, nicht nur gegenüber Angestellten im öffentlichen Dienst (vgl. Art. 33 V). Verboten sind auch alle sonstigen Formen staatlicher Maßnahmen, durch die ein Abgeordneter „zur Verantwortung gezogen wird“, etwa durch Polizei, Staatsanwaltschaft oder Verfassungsschutz. Parlamentarische Ordnungsmaßnahmen sind nicht Gegenstand der Indemnität. Privatrechtliches Verhalten gegenüber Abgeordneten findet Grenzen am Verbot der Beeinflussung der freien Mandatsentscheidung (Art. 38 Rn. 7 ff.). Die Indemnität schafft einen persönlichen Strafausschließungsgrund, der aber Tatbestandlichkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld der Abgeordneten unberührt lässt. Für alle sonstigen Maßnahmen ergibt sich aus ihr ein Verfahrenshindernis.

II. Immunität (Abs. 2–4)

Die Abgeordnetenstellung schafft ein in Art. 46 II–IV geregeltes persönliches Verfahrenshindernis (BVerfGE 104, 310 (326)) für alle staatlichen Maßnahmen mit Bezug auf strafrechtliche Sanktionen oder (sonstige) Einschränkungen der persönlichen Freiheit, nach einfachen Gesetzen und Art. 18; sie dürfen erst nach Mandatsende (Art. 38 Rn. 20) aufgenommen oder fortgesetzt werden (BGH NJW 1992, 701). Bis dorthin ruht die Verjährung (§§ 78b, 79a StGB). Die Immunität schützt, wie die Indemnität, den BT in seiner freien Arbeitsfähigkeit, vor allem aber den Abgeordneten in seiner freien Mandatsausübung. Auf sie kann nicht verzichtet werden, sie erfasst aber nicht auch ein Verhalten im BT und seinen Ausschüssen (Vorrang von Art. 46 I), wohl aber bereits vor Mandatsübernahme eingeleitete, „mitgebrachte“ Verfahren.

Immunität schützt vor hoheitlichen, insbes. gerichtlichen Maßnahmen wegen Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung. „Strafe“ ist hier nur im strafrechtlichen Sinn zu verstehen, Ordnungswidrigkeiten scheiden daher aus (OLG Köln NJW 1988, 1606; OLG Düsseldorf NJW 1989, 2207), ebenso Maßnahmen der Sicherung und Besserung (vgl. aber Rn. 7), ebenso auch sämtliche Disziplinarmaßnahmen von Gerichten und Behörden (BVerwGE 83, 1 (8); vgl. aber BVerfGE 42, 312 (328)): „Mit Strafe bedroht“ ist enger als „gerichtlich oder dienstlich“ (Art. 46I). Verwarnungsgelder sollen aber wegen ihres Bagatellcharakters gestattet sein (bedenklich). Unzulässig sind dagegen alle staatlichen Untersuchungsmaßnahmen, allerdings nicht die Entgegennahme von Anzeigen, die Vorbereitung der Einholung der Genehmigung des BTags (Rn. 8) sowie parlamentarische Ordnungsmaßnahmen. Anders als nach Art. 46 I sollen trotz Immunität zivilrechtliche Klagen zulässig sein, auch wenn sie mit strafbaren Handlungen begründet werden – eine nicht unbedenkliche Wortauslegung.

Immunität verbietet „Verhaftungen“, dh „Festnahmen“ wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung (Untersuchungshaft, §§ 112 ff. StPO; vorläufige Festnahme, § 127 StPO; Sistierung wegen Blutentnahme, § 81a StPO; erkennungsdienstliche Maßnahmen, § 81b StPO). Eine Ausnahme gilt nur, wenn der Abgeordnete bei Begehung der Tat oder an dem dieser folgenden Tag festgenommen wird (§§ 127 I, 104 I StPO); dann sind auch weitere Strafverfolgungsmaßnahmen gegen ihn zulässig, nicht aber (waren es) vorherige Ermittlungen.

Staatliche Maßnahmen, welche die persönliche Freiheit des Abgeordneten (Art. 2 II; Art. 2 Rn. 32 ff.) beschränken, sind ebenfalls unzulässig (Zwangs-/Beugehaft, Polizeigewahrsam, persönlicher Arrest, Aufenthaltsbeschränkungen sowie bereits die Antragstellung nach Art. 18 ff. GG, § 36 BVerfGG). Str. ist die Zulässigkeit bei Ladungen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen (vgl. jedoch Art. 47 S. 2) oder Kommunikationsüberwachungen (vgl. MKS/Achterberg/Schulte Art. 46 Rn. 57).

Sämtliche Strafverfolgungs- und freiheitsbeschränkende Maßnahmen nach Rn. 4–7 sind aber zulässig, wenn sie vorher vom BT genehmigt wurden, der darin weitgehend frei ist (BVerfGE 104, 310 (332 f.)). Die Genehmigung ist bestimmt zu formulieren und gilt jew. für die Maßnahmenkategorien „Strafverfolgungen“, „Festnahmen“, „sonstige Freiheitsbeschränkungen“. Die Plenumsentscheidung wird durch den Immunitätsausschuss (§ 107 GeschOBTag) vorbereitet. Dieser kann auch generell genehmigende „Vorentscheidungen“ für ganze Kategorien von Maßnahmen treffen, etwa für Erzwingungsmaßnahmen oder im Verfahren bei Verkehrsdelikten (Anlage 6 zur GeschOBTag) – bedenklich, da nach dem Wortlaut (Abs. 3) Einzelfallentscheidung erforderlich ist.

Der BT kann die Aussetzung jedes die Immunität berührenden Verfahrens und jede Beschränkung der persönlichen Freiheit jederzeit verlangen, ungenau „Reklamationsrecht“ genannt (Art. 46 IV). Dies gilt auch, wenn die Maßnahme vorher genehmigt worden war (BayVerfGHE 11, 146 (155)).

III. Rechtsschutz

Gegen Verletzung von Indemnität wie Immunität wird Rechtsschutz jew. von den Gerichten gewährt, welche über diesen persönlichen Strafausschließungs- bzw. Verfahrenshinderungsgrund zu entscheiden haben. Unabhängig davon kann der einzelne Abgeordnete den vor allem ihm damit gewährten Schutz auch im Organstreitverfahren (Art. 93 I Nr. 1) erlangen.