Artikel 143d [Übergangsregelungen zur Schuldenbremse]
(1) 1 Artikel 109 und 115 in der bis zum 31. Juli 2009 geltenden Fassung sind letztmals auf das Haushaltsjahr 2010 anzuwenden. 2 Artikel 109 und 115 in der ab dem 1. August 2009 geltenden Fassung sind erstmals für das Haushaltsjahr 2011 anzuwenden; am 31. Dezember 2010 bestehende Kreditermächtigungen für bereits eingerichtete Sondervermögen bleiben unberührt. 3 Die Länder dürfen im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2019 nach Maßgabe der geltenden landesrechtlichen Regelungen von den Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 abweichen. 4 Die Haushalte der Länder sind so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2020 die Vorgabe aus Artikel 109 Absatz 3 Satz 5 erfüllt wird. 5 Der Bund kann im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2015 von der Vorgabe des Artikels 115 Absatz 2 Satz 2 abweichen. 6 Mit dem Abbau des bestehenden Defizits soll im Haushaltsjahr 2011 begonnen werden. 7 Die jährlichen Haushalte sind so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2016 die Vorgabe aus Artikel 115 Absatz 2 Satz 2 erfüllt wird; das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
(2) 1 Als Hilfe zur Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 ab dem 1. Januar 2020 können den Ländern Berlin, Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein für den Zeitraum 2011 bis 2019 Konsolidierungshilfen aus dem Haushalt des Bundes in Höhe von insgesamt 800 Millionen Euro jährlich gewährt werden. 2 Davon entfallen auf Bremen 300 Millionen Euro, auf das Saarland 260 Millionen Euro und auf Berlin, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein jeweils 80 Millionen Euro. 3 Die Hilfen werden auf der Grundlage einer Verwaltungsvereinbarung nach Maßgabe eines Bundesgesetzes mit Zustimmung des Bundesrates geleistet. 4 Die Gewährung der Hilfen setzt einen vollständigen Abbau der Finanzierungsdefizite bis zum Jahresende 2020 voraus. 5 Das Nähere, insbesondere die jährlichen Abbauschritte der Finanzierungsdefizite, die Überwachung des Abbaus der Finanzierungsdefizite durch den Stabilitätsrat sowie die Konsequenzen im Falle der Nichteinhaltung der Abbauschritte, wird durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates und durch Verwaltungsvereinbarung geregelt. 6 Die gleichzeitige Gewährung der Konsolidierungshilfen und Sanierungshilfen auf Grund einer extremen Haushaltsnotlage ist ausgeschlossen.
(3) 1 Die sich aus der Gewährung der Konsolidierungshilfen ergebende Finanzierungslast wird hälftig von Bund und Ländern, von letzteren aus ihrem Umsatzsteueranteil, getragen. 2 Das Nähere wird durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates geregelt.
(4) 1 Als Hilfe zur künftig eigenständigen Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 können den Ländern Bremen und Saarland ab dem 1. Januar 2020 Sanierungshilfen in Höhe von jährlich insgesamt 800 Millionen Euro aus dem Haushalt des Bundes gewährt werden. 2 Die Länder ergreifen hierzu Maßnahmen zum Abbau der übermäßigen Verschuldung sowie zur Stärkung der Wirtschafts- und Finanzkraft. 3 Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. 4 Die gleichzeitige Gewährung der Sanierungshilfen und Sanierungshilfen auf Grund einer extremen Haushaltsnotlage ist ausgeschlossen.
I. Übergangsfrist und Haushaltskonsolidierung (Abs. 1)
Angesichts der strukturellen Überschuldung der öffentlichen Hand (DHS/Kube Art. 115 Rn. 235) wären weder der Bund noch die Länder in der Lage gewesen, die Vorgaben des neuen Staatsschuldenrechts gem. Art. 109 III, 115 II ad hoc einzuhalten. Art. 143d sah daher Übergangsfristen vor, durch die der erstmalige Anwendungszeitraum hinausgeschoben wurde und die Haushaltsgesetzgeber Zeit gewinnen konnten, ihre strukturelle Verschuldung abzubauen (BVerfGE 132, 195 (280 f.)). Dabei sind drei Zeitabschnitte zu unterscheiden:
1. Fortgeltung des alten Staatsschuldenrechts
Abs. 1 S. 1 bestimmt zunächst, dass bis zum Haushaltsjahr 2010 ausschließlich das alte Staatsschuldenrecht nach Maßgabe der Art. 109, 115 aF fortgalt.
2. Modifizierte Geltung des neuen Staatsschuldenrechts
Gem. Abs. 1 S. 2 Hs. 1 waren auf das Haushaltsjahr 2011 erstmalig Art. 109, 115 nF anzuwenden. Sie wurden allerdings durch zwei, für Bund und Länder unterschiedlich lang bemessene Übergangsfristen modifiziert. Für die Länder legte Abs. 1 S. 3 eine Übergangsfrist bis einschließlich des Haushaltsjahres 2019 fest, in denen diese von der Vorgabe materiell ausgeglichener Haushalte nach Art. 109 III abweichen konnten. Allerdings wurden sie durch Abs. 1 S. 4 in die Pflicht genommen, bei der Haushaltsaufstellung die Einhaltung der Zielvorgabe des Art. 109 III 5 im Jahr 2020 sicherzustellen. Ein konkreter Pfad zum Abbau vorhandener Finanzierungsdefizite war den Ländern nicht vorgegeben (BT-Drs. 16/12410, 13). Abw. galt für die Länder, die nach Maßgabe des Abs. 2 Konsolidierungshilfen in Anspruch nehmen konnten (Rn. 7). Der in Abs. 1 S. 4 angelegten Vorwirkung des Verbots struktureller Nettokreditaufnahme hatte der Haushaltsgesetzgeber auch bei der Anpassung der Bezüge der Beamten Rechnung zu tragen (BVerfGE 140, 240 (294 f.); Art. 33 Rn. 35 f.). Für den Bund war nach Abs. 1 S. 5 eine kürzere, zum 31.12.2015 auslaufende Übergangsfrist maßgeblich, in der dieser von den Vorgaben des Art. 115 II 2 abweichen konnte. Mit dem Abbau des bestehenden Defizits sollte nach Abs. 1 S. 6 im Haushaltsjahr 2011 begonnen werden. Mit der Ausgestaltung als Sollvorschrift wollte der verfassungsändernde Gesetzgeber ggf. notwendige Maßnahmen zur Bekämpfung der Finanzmarktkrise offenhalten (BT-Drs. 16/12410, 13 f.). Hiervon unabhängig war bei der Haushaltsaufstellung gem. Abs. 1 S. 7 Hs. 1 sicherzustellen, dass die Vorgabe des Art. 115 II 2 im Haushaltsjahr 2016 erfüllt wurde. Abs. 1 S. 7 Hs. 2 verpflichtete den Bundesgesetzgeber, die sich aus Abs. 1 S. 5–7 ergebenden Verpflichtungen näher zu konkretisieren.
3. Uneingeschränkte Geltung des neuen Staatschuldenrechts
Uneingeschränkte Anwendung fand die Schuldenbremse damit für die Länder erst ab dem Haushaltsjahr 2020 und für den Bund bereits ab dem Haushaltsjahr 2016.
Von der Schuldenbremse gänzlich unberührt bleiben nach Abs. 1 S. 2 Hs. 2 bis zum 31.12.2010 bestehende Kreditermächtigungen für bereits eingerichtete Sondervermögen. Die nach dem früheren Staatsschuldenrecht bestehende Möglichkeit, Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung außerhalb des Bundeshaushalts einzurichten, entfiel hingegen ab dem 1.1.2011 (BT-Drs. 16/12410, 13; Mayer AöR 136 [2011], 266 (306)).
II. Konsolidierungshilfen (Abs. 2)
Abs. 2 S. 1 benennt abschließend diejenigen Länder, denen für den Zeitraum 2011–2019 Konsolidierungshilfen aus dem Bundeshaushalt gewährt werden konnten. Die Hilfen sollten diesen Ländern ermöglichen, bis zum 1.1.2020 die Vorgabe eines strukturell ausgeglichenen Haushalts trotz ihrer besonders schwierigen Haushaltssituation einzuhalten. Die Summe war auf jährlich 800 Mio. Euro gedeckelt. Eine Pflicht zur Gewährung bestand nicht (MKS/G. Kirchhof Art. 143d Rn. 12; Sachs/Siekmann Art. 143d Rn. 18). Inwieweit sich die Länder an der Finanzierungslast zu beteiligen hatten, bestimmte Abs. 3 (Rn. 10). Die Verteilung der nach Abs. 2 S. 1 gewährten Mittel auf die Nehmerländer schlüsselt Abs. 2 S. 2 auf. Für den Verteilungsschlüssel wurden Zinslasten, Schuldenstände und Haushaltsstrukturen berücksichtigt (BT-Drs. 16/12410, 14).
Abs. 2 S. 3–5 enthalten inhaltliche Vorgaben und verfahrensrechtliche Sicherungen, um zu gewährleisten, dass die Mittel auch tatsächlich zur Haushaltskonsolidierung eingesetzt wurden. Nach S. 3 waren die Hilfen auf Grundlage einer Verwaltungsvereinbarung zu gewähren, deren wesentliche Inhalte durch ein zustimmungsbedürftiges Bundesgesetz vorgegeben waren (BT-Drs. 16/12410, 14). Der Bund hat von dieser Ermächtigung durch das KonsHilfG Gebrauch gemacht (BGBl. 2009 I 2702). Materielle Voraussetzung für die Gewährung der Hilfen war, dass sich die Nehmerländer in der Verwaltungsvereinbarung verpflichteten, ihr strukturelles Finanzierungsdefizit so abzubauen, dass die Schuldenbremse ab 2020 eingehalten werden konnte (S. 4). S. 5 normiert Vorgaben für das nach Abs. 2 S. 3 erforderliche Bundesgesetz sowie die konkretisierende Verwaltungsvereinbarung. Mindestinhalte waren insoweit die Festlegung konkreter Abbauschritte für das Finanzierungsdefizit, die Überwachung durch den Stabilitätsrat nach Art. 109a (Art. 109a Rn. 7) sowie die Rechtsfolgen einer Nichteinhaltung der Abbauschritte (BT-Drs. 16/12410, 14).
Abs. 2 S. 6 schloss es aus, neben den nach Abs. 2 S. 1 gewährten Konsolidierungshilfen auch Sanierungshilfen aufgrund einer extremen Haushaltsnotlage in Anspruch zu nehmen (Art. 107 II 5). Die Länder Bremen und Saarland haben daher im April 2011 entspr. Anträge vor dem BVerfG zurückgenommen (Sachs/Siekmann Art. 107 Rn. 105; s. auch BT-Drs. 16/12410, 14).
III. Finanzierungslast (Abs. 3)
Abs. 3 bestimmt, dass die in Art. 143d II vorgesehenen Konsolidierungshilfen (Rn. 7) jew. hälftig durch den Bund und die Länder getragen wurden (Abs. 3 S. 1). Der Länderanteil wurde aus ihrem Umsatzsteueranteil finanziert. Die Auszahlung der Hilfen erfolgte insgesamt durch den Bund. Der an den Bundesgesetzgeber gerichtete Regelungsauftrag war an die Zustimmung des BRats geknüpft (Abs. 3 S. 2) und wurde in § 1 S. 16 f. FAG (eingeführt durch Art. 7 Gesetz v. 10.8.2009, BGBl. I 2702) erfüllt (BT-Drs. 16/12410, 14).
IV. Sanierungshilfen für Bremen und das Saarland (Abs. 4)
Abs. 4 wurde durch die Föderalismusreform III (Vor Art. 104a Rn. 4) eingefügt und erlaubt die Gewährung sog. Sanierungshilfen für Bremen und das Saarland nach Auslaufen der Konsolidierungshilfen nach Abs. 2. Der Gesetzentwurf rechtfertigt diesen „Sonderfinanzausgleich für zwei Bundesländer“ (Sachs/Siekmann Art. 143d Rn. 28) durch die im Vergleich zu den übrigen Ländern besonders schwierige Haushaltslage (BT-Drs. 18/11131, 20). Die Sanierungshilfen sollen es beiden Ländern ermöglichen, die Vorgabe eines strukturell ausgeglichenen Haushalts nach Art. 109 III einzuhalten und die Ursachen für die fehlende Fähigkeit zur eigenständigen Einhaltung dieser Vorgaben zu überwinden (BT-Drs. 18/11131, 20). Damit ist die Vorschrift zugleich Ausdruck des Scheiterns, diese Ziele bereits über die Konsolidierungshilfen nach Art. 143d II zu erreichen (MKS/G. Kirchhof Art. 143d Rn. 2, 19).
Die (kumulierten) Sanierungshilfen dürfen jährlich höchstens 800 Millionen Euro betragen und können aus dem Haushalt des Bundes gewährt werden (Abs. 4 S. 1). Die Aufteilung auf die beiden begünstigten Länder obliegt dem Gesetzgeber (DHS/Kube 60). Eine finanzielle Beteiligung der übrigen Länder – wie bei der Konsolidierungshilfe (Rn. 10) – erfolgt nicht. Eine zeitliche Begrenzung ist ebenso wenig wie eine Inflationsindexierung vorgesehen. Allerdings stehen die Sanierungshilfen unter dem Vorbehalt des bedingten Außerkrafttretens des Art. 143d nach Art. 143f S. 1 (Art. 143f Rn. 1). Zudem soll die Gewährung mit Blick auf den Grundsatz der föderalen Gleichbehandlung zeitlich an das Fortbestehen der im Vergleich zu den übrigen Ländern besonders schwierigen Haushaltslage geknüpft sein (BT-Drs. 18/11131, 20). Es besteht kein Rechtsanspruch der beiden Länder auf Gewährung (Sachs/Siekmann Art. 143d Rn. 30).
Abs. 4 S. 2 verpflichtet die beiden Länder bei Inanspruchnahme von Sanierungshilfen zum Ergreifen von Maßnahmen zum Abbau der übermäßigen Verschuldung sowie zur Stärkung der Wirtschafts- und Finanzkraft (sog. Sanierungsverpflichtungen ). Hierdurch sollen die Ursachen für die fehlende Fähigkeit zur eigenständigen Einhaltung der Vorgaben des Art. 109 III überwunden werden (BT-Drs. 18/11131, 20). Anders als Konsolidierungshilfen nach Abs. 2 begründen die Sanierungshilfen somit eine verfassungsrechtliche Pflicht zum Abbau bestehender Staatsschulden (Sachs/Siekmann Art. 143d Rn. 31).
Abs. 4 S. 3 enthält eine ausschließliche, an die Zustimmung des BRats gebundene Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur näheren Ausgestaltung der Sanierungshilfen. Der Gesetzgeber hat hiervon durch das Sanierungshilfengesetz (BGBl. 2017 I 3122 (3126)) Gebrauch gemacht.
Abs. 4 S. 4 schließt die gleichzeitige Gewährung von Sanierungshilfen nach Art. 143d IV und von Sanierungshilfen auf Grund einer extremen Haushaltsnotlage nach Art. 107 II 5 aus.
Art. 143d I–III sind mit der Föderalismusreform II (Vor Art. 104a Rn. 4), Art. 143d IV mit der Föderalismusreform III (Vor Art. 104a Rn. 4) eingefügt worden. Die Vorschrift regelt den zeitlichen Anwendungsbereich des neuen Staatsschuldenrechts und verlangt einen Abbau bestehender Defizite (Abs. 1). Durch die Option, von 2011 bis Ende 2019 befristete Konsolidierungshilfen (Abs. 2, 3) aus Mitteln des Bundes und der Länder und ab 2020 Sanierungshilfen (Abs. 4) aus Haushaltsmitteln des Bundes zu gewähren, sollten bzw. sollen einzelne Länder in die Lage versetzt werden, die Vorgaben des neuen Staatsschuldenrechts zukünftig aus eigener Kraft einzuhalten. Art. 143d I-III sind mittlerweile durch Zeitablauf obsolet geworden (Sachs/Siekmann Art. 143d Rn. 2c). Abs. 4 gilt hingegen fort.