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Artikel 38 [Wahl]

(1) 1 Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. 2 Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

I. Bedeutung des Bundestags

Der Bundestag ist das zentrale Organ der repräsentativen Demokratie (Art. 20 II 2), einer Regierungsform, in welcher (Ausnahme: Volksentscheid, Art. 29 II ff.) die Staatsgewalt auf Bundesebene durchgehend ausgeübt wird (vgl. hierzu ausf. Stern/Sodan/Möstl/Leisner § 36). Die Staatsform der Demokratie (Art. 20 I, 28 I 1) verlangt, dass Mandat und Status (der Mitglieder) des BTags dessen Volksnähe gewährleisten, damit seine Kompetenzfülle durch Wahl demokratisch legitimiert ist. Die abwehrrechtliche Dimension des Art. 38 I verbietet es, die Kompetenzen des BTags in einer Weise auszuhöhlen, dass eine Repräsentation des Volkswillens rechtlich oder praktisch unmöglich wird (BVerfGE 129, 124 (170)). Vorrangig sind hier jedoch EU-Regelungen zu beachten (BVerfGE 132, 195 (243)). Der BT ist „das Hauptorgan“ der Gesetzgebung. Seine parlamentarischen Wahl- und Kontrollrechte (Art. 62 ff.) sind allerdings insbes. durch das Kanzlerprinzip (Art. 62 Rn. 2) eingeschränkt. Demokratische Legitimation und Aufgaben/Befugnisse begründen keine Vorrangstellung des BTags unter den Verfassungs-/Obersten Bundesorganen, aus der sich zusätzliche oder generell erweiterte Kompetenzen ableiten ließen. „Staatsleitung“ („Intergouvernementales Regieren“, BVerfGE 129, 124 (178)) – ein vager Begriff – obliegt ihm zusammen mit anderen Instanzen (BR, BKanzler, BReg, BVerfG). Eine wesentliche Schmälerung der Rechte des BTags (Haushaltskontrolle) verletzt auch das Wahlrecht der Bürger (BVerfGE 123, 267 (341)). Das tatsächliche Gewicht des BTags wird vor allem durch die (jew.) politische Konstellation bestimmt.

II. Das Bundestagsrecht

Das Organisationsrecht des BTags und das Statusrecht seiner Mitglieder ergeben sich aus dem GG (Art. 38–48) sowie insbes. aus der GeschOBTag (Art. 40 I 2), ferner aus den im GG vorgesehenen Gesetzen (vgl. auch allg. hierzu Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 16 f. sowie MKS/Achterberg/Schulte Art. 38 Rn. 23 f.): BWG/BWO und AbgG (Art. 38 III; 48 III 3), WPG (Art. 41 III), Wehrbeauftragten- und Petitionsausschussgesetz (Art. 45b S. 2; 45c II). Aufgaben und Befugnisse des BTags regeln diese Bestimmungen ebenfalls, daneben aber auch das GG, insbes. in Art. 53a, 61, 67, 68, 77–81, 87a IV 2, 115a, c–e, h, l. Weitere gesetzliche Bestimmungen müssen sich streng in diesem Rahmen halten.

Die Verfassungspraxis des BTags, seiner Ausschüsse und Fraktionen, oder anderer Verfassungsorgane schafft kein bindendes (BTags-)Recht, etwa iS englischer Conventions. Zu (Verfassungs-)Gewohnheitsrecht kann sich parlamentarischer Brauch nur in den engen Rahmen der Normen nach Rn. 2 verdichten, und wenn die Voraussetzungen dafür (Dauer, Rechtsüberzeugung) vorliegen.

III. Das Abgeordnetenmandat

1. Vertretung des Volkes

Das Mandat des Abgeordneten macht diesen, jeden „Volksvertreter“, zu einem „Vertreter des ganzen Volkes“, wie der individual bezogene Wortlaut in Art. 38 I 2 zeigt, nicht etwa in Form einer „Kollektivrepräsentation“ des Volkes durch den BT (so aber BVerfGE 44, 308 (315 f.); 80, 188 (217); Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 45; differenzierend DHS/H. H. Klein Art. 38 Rn. 192). Nach den „Repräsentationstheorien“ (vgl. MKS/Achterberg/Schulte Art. 38 Rn. 27 ff.) handelt jeder Abgeordnete als Vollmachtnehmer des „ganzen Volkes“, das seine (einzelnen) Vertreter durch Wahl (Art. 20 II 2) auf Zeit bestimmt. Freiheit und Unwiderruflichkeit des Mandats gelten als dessen Besonderheiten gegenüber der „Vertretung“ (§§ 164 ff. BGB). Jeder Abgeordnete wird für das ganze Volk tätig, in dessen Interesse.

Die Abgeordneten sind nicht Vertreter ihrer Parteien, ihrer Wahlkreise (vgl. BVerfGE 121, 266 (305)) oder ihrer konkreten Wähler(gruppen) (Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 46). Diese haben ihnen ihre Stimme nur als (Hilfs-)Organe des „Wahlvolkes“ gegeben, das jeder Mandatsträger als Ganzes vertritt. Schon deshalb kann es ein „imperatives Mandat“ nicht geben; die Wähler (Gruppierungen) haben zwar das Recht auf Vollmachterteilung für das ganze Volk, als dessen wahlrechtlich Beauftragte, nicht aber ein Recht auf die inhaltliche Konkretisierung dieser Bindung oder gar auf Rücknahme der Vollmacht. Die „Abgeordnetenvollmacht“ beinhaltet nur die Interessenvertretung des ganzen Volkes, nicht die von Wählergruppen.

Tatsächlich werden von den Abgeordneten aber vor allem, weithin ausschließlich, nicht „allgemeine“, sondern Partei- oder Gruppeninteressen vertreten; dies führt jedoch nicht zu einem rechtlich fassbaren „Spannungsverhältnis“ zu Art. 21 (so aber BVerfGE 2, 1 (72); 5, 85 (392)), ist vielmehr eine Folge der Parteiendemokratie. Die erforderliche Gemeinwohlorientierung der Mandatsausübung soll durch parlamentsrechtliche Regelungen (vgl. die Verhaltensregeln für Mitglieder des BTags, Anlage 1 zur GeschOBTag; Registrierung von Verbänden und deren Vertretern, Anlage 2) gefördert werden.

2. Das freie Mandat

Die Abgeordneten sind nach Art. 38 I 2 „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden“. Die Begriffe lehnen sich an allg. rechtliche Begrifflichkeiten an (vgl. §§ 662, 665 BGB), welche das Innenverhältnis zwischen Vertretern und Vertretenen betreffen. Da Vertretener das Wahlvolk ist (Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 46), nicht die konkreten Wählergruppen (Rn. 5), das Volk den Abgeordneten aber, nach den Wahlregeln (vgl. Rn. 25 ff.), keinen bestimmten Auftrag geben kann, ist Auftrags-/Weisungsfreiheit die notwendige Rechtsfolge; sie entbindet jedoch nicht von der Beachtung geltenden Rechts. Weisungsfreiheit gilt für das gesamte Verhalten des Abgeordneten mit Bezug auf dessen parlamentarische Aufgaben/Befugnisse, nicht nur für seine Entscheidungen im Parlament (DHS/H. H. Klein Art. 38 Rn. 195).

„Die Abgeordneten sind nur ihrem Gewissen unterworfen“ (so schon Art. 21 S. 2 WRV). Rechtlich bedeutet das eine Bestätigung der vollen individuellen Verhaltensfreiheit der Volksvertreter: Diese darf jedenfalls dort nicht unter Druck geraten, wo sie tiefen persönlichen Überzeugungen folgt (Art. 4 I; vgl. BVerfGE 12, 45 (55); 48, 127 (173)). Eine Begründungspflicht dafür besteht nicht, eine Gewissensprüfung, wie nach Art. 4 III, findet nicht statt. Freiheit der Gewissensentscheidung entbindet nicht vom Gesetzesgehorsam (MKS/Achterberg/Schulte Art. 38 Rn. 39).

Das freie Mandat schützt gegen alle Beschränkungen von Bestand und Dauer des Mandats oder gegen dessen inhaltliche Bindungen durch öffentliche Gewalt, insbes. durch oder aufgrund von Gesetzen (BVerfGE 61, 1 (32)), die etwa einen Mandatsverlust wegen Parlamentsunwürdigkeit vorsehen (frühere Tätigkeit bei der „Staatssicherheit“, ThürVerfG LVerfGE 11, 481 (491 ff.); aA BVerfGE 94, 351 (368 ff.); 99, 19 (31 ff.)). Zulässig sind gesetzliche Mandatsendigungsgründe im Rahmen des GG (vgl. Rn. 20) sowie Bestimmungen zur Gewährleistung der Parlamentsarbeit (BVerfGE 10, 1 (14); zur Beobachtung eines Abgeordneten durch den Verfassungsschutz vgl. BVerfGE 134, 141 f.). Das Betreten von Abgeordnetenräume durch die Polizei verstößt gegen die Rechte des Abgeordneten aus Art. 38 I 2 (BVerfGE 154, 354 (Ls.))

Das freie Mandat führt im Verhältnis zu Privaten zur rechtlichen Unwirksamkeit (§ 134 BGB) jeder einschränkenden Verpflichtung des Abgeordneten (vgl. die Beispiele bei Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 48), etwa zu einem Mandatsverzicht (vgl. dazu § 4, I, III BWG), auch nach einem „Rotationsprinzip“, insbes. einer Blanko-Verzichtserklärung (BVerfGE 2, 1 (74)), sowie von Zusagen einer bestimmten Mandatsausübung (Verbot des imperativen Mandats). Dies alles gilt auch gegenüber politischen Parteien. Ihre Einzelweisungen, Parteitagsbeschlüsse oder Programme binden den Abgeordneten rechtlich in keiner Weise; Verstöße können nur zu Fraktions- oder Parteiausschluss führen, die aber das Mandat nicht berühren (vgl. zu Letzterem MKS/Achterberg/Schulte Art. 38 Rn. 50 ff.).

Das freie Mandat schützt auch gegen Fraktionen des BTags; das sind rechtsfähige Vereinigungen von Abgeordneten ohne Befugnisse öffentlicher Gewalt (§§ 45 ff. AbgG, 10 ff. GeschOBTag; vgl. Rn. 17). Ihre Beschlüsse sind nur rechtlich unverbindliche Empfehlungen (BVerfGE 47, 308 (318)). Die Einführung spezifischer Oppositionsfraktionsrechte ist mit der Gleichheit der Abgeordneten und ihrer Zusammenschlüsse nach Art. 38 I 2 unvereinbar (BVerfGE 142, 25 (60 ff.)). Fraktionszwang ist unzulässig (BVerfGE 10, 1 (15); 11, 266 (273); 112, 118 (135)). Folgt das Fraktionsmitglied aber Fraktionsentscheidungen nicht, so kann dies zu Sanktionen führen, bis hin zum Fraktionsausschluss (BVerfGE 10, 4 (14); 102, 224 (237 f.)). Diese „Fraktionsdisziplin“ (vgl. Hollo JuS 2020, 928) wird mit der Notwendigkeit geschlossenen Auftretens (der Parteien) im BT, zur Sicherung von dessen „Funktionsfähigkeit“ begründet (Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 50). Das freie Mandat soll sie nicht verletzen, weil ja auch der fraktionslose Abgeordnete es weiter ausüben könne (BVerfGE 80, 188 (222 ff.); vgl. krit. hierzu vor dem Hintergrund, dass eine überzeugende Abgrenzung zwischen Franktionszwang und -disziplin bislang noch nicht gelungen ist MKS/Achterberg/Schulte Art. 38 Rn. 41). Die nachteiligen Rechtsfolgen eines (drohenden) Fraktionsausschlusses (Rn. 12) wirken aber doch weithin iSe Fraktionszwangs und beschränken damit tatsächlich tiefgreifend das freie Mandat – in der „Parteiendemokratie“.

Der fraktionslose Abgeordnete, also auch der aus der Fraktion ausgeschlossene (Rn. 11), wird, als Rechtsfolge dieser Sanktion, bei der Besetzung des Ältestenrates (§§ 6 ff. GeschOBTag), der Enquete-Kommissionen (§ 56 GeschOBTag) und vor allem der Ausschüsse und deren Vorsitz (§ 57 GeschOBTag) nicht wie andere berücksichtigt, da die Fraktionen dort das Vorschlagsrecht haben: Ein Recht auf Benennung für eine Ausschussmitgliedschaft stehe dem Fraktionslosen nicht zu, da er ja im Plenum mitarbeiten könne; im Ältestenrat vollziehe sich keine Vorformung der Willensbildung des BTags. Auch auf Fraktionszuschüsse habe der Fraktionslose keinen Anspruch; (BVerfGE 80, 188 (222 ff.) mit abw. Meinung des Richters Mahrenholz (235 ff.)). Dies alles geht an der Rechtswirklichkeit vorbei (ebenfalls krit. MKS/Achterberg/Schulte Art. 38 Rn. 65 f.): Die „eigentliche Arbeit des BTags“ wird weitgehend in den Ausschüssen geleistet; Plenarteilnahme ist dafür kein Ersatz. Jedenfalls müsste der Fraktionslose vom BTags-Präsidenten mit beschließender Stimme in einen Ausschuss benannt werden können (vgl. § 57 II 2 GeschOBTag).

3. Das gleiche Mandat

Die Regelungen des Mandats gelten für „die Abgeordneten“, also für sie alle gleichermaßen. Sie sind (nicht nur „formal“) gleichgestellt (BVerfGE 40, 296 (318); 93, 195 (204); 102, 224 (237 ff.)), soweit Differenzierungen nicht überzeugend zu rechtfertigen sind (BVerfGE 99, 19 (37 ff.); 112, 118 (133 ff.); vgl. Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 58, der eine Rechtfertigung in der Realisierung der notwendigen gemeinschaftlichen Ausübung der Mitgliedschaftsrechte sieht). Dies kann durch Mitgliedschaftsregelungen eines beschließenden Ausschusses der Fall sein, der andere Abgeordnete von Mitwirkung bei Entscheidungen ausschließt (BVerfGE 130, 318 Ls. 3). Differenzierungen zu Lasten Fraktionsloser lassen sich nicht rechtfertigen (Rn. 12). Einschränkungen können – in engen Grenzen – nur aus der notwendigen Arbeitsfähigkeit des Parlaments begründet werden (BVerfGE 102, 224 (238 f.)). Die Mandatsgleichheit bedeutet ein strenges Differenzierungsverbot für den gesamten Rechte- und Pflichtenbereich (Rn. 14 ff.), sowie für die Statusregelungen (Rn. 19 ff.).

IV. Mitwirkungsrechte und -pflichten aus dem Mandat

Die dem Abgeordneten durch Art. 38 I 2 verliehene Eigenständigkeit umfasst das (ungeschriebene) Stimmrecht (Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 61) in allen Gremien des BTags; es ist grds. unbeschränkbar und unentziehbar (BVerfGE 10, 4 (12); vgl. aber für den Fraktionslosen Rn. 12), „Abstimmung in eigener Sache“ ist zulässig, weil ein diesbezügliches Verbot nicht aus einem allg. Rechtsprinzip abgeleitet werden kann (MKS/Achterberg/Schulte Art. 38 Rn. 60). Die Stimmabgabe ist in der GeschOBTag näher geregelt.

Das in Abs. 1 S. 2 nicht ausdrücklich geregelte selbständige Rederecht im Parlament, resultierend aus der verfassungsmäßigen Aufgabe der Mitglieder des BTags, Fragen der Staatsführung, insbes. der Gesetzgebung, in Rede und Gegenrede zu erörtern (BVerfGE 10, 1 (12)), wird in Ausübung dieser parlamentarischen Kompetenz, nicht der Meinungsfreiheit wahrgenommen (Art. 5 I; BVerfGE 60, 374 (380)); es steht auch dem fraktionslosen Abgeordneten zu (BVerfGE 80, 188 (227 ff.)). Es muss sich auf den jew. nach der Tagesordnung anstehenden Beratungsgegenstand beziehen (§ 23 GeschOBTag). Nähere Regelungen zum Rederecht bringt die GeschOBTag (§§ 23 ff.), sie müssen nach Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit ausgestaltet sein (vgl. hierzu, auch allg., Linke NVwZ 2021, 1265) und angewendet werden (BVerfGE 10, 4 (11 ff.); 70, 324 (359)). Alle Beschränkungen des Rederechts finden ihre verfassungsrechtliche Grenze im Wesen und der grundsätzlichen Aufgabe des Parlaments, ein Forum für Rede und Gegenrede darzustellen (MKS/Achterberg/Schulte Art. 38 Rn. 89). Begrenzungen der Gesamtredezeit und deren Aufteilung nach Stärke der Fraktionen/Gruppen sind zulässig (BVerfGE 10, 4 (13 ff.); 96, 264 (284 ff.)), unter Wahrung von Mindestredezeiten (BVerfGE 96, 264 (285)). Reihenfolge und Dauer der Reden im Einzelnen bestimmt der Präsident im Rahmen der GeschOBTag (§§ 27 ff., 35); er kann Redner zur Sache verweisen oder wegen (allg.) störenden Verhaltens zur Ordnung rufen (§ 36 GeschOBTag) sowie Ordnungsmaßnahmen verhängen (Wortentziehung, Sitzungsausschluss, §§ 37 ff. GeschOBTag, BVerfGE 60, 374 (380 ff.)); über Einspruch gegen letztere (ohne aufschiebende Wirkung) entscheidet der BT (§ 39 GeschOBTag). Aus dem Rederecht folgt auch das Fragerecht (Interpellationsrecht) (Deutelmoser/Pieper NVwZ 2020, 839) gegenüber „zitierten“ Mitgliedern von BReg und BR (Art. 43). Das dieses begründende Informationsrecht des einzelnen Abgeordneten (BVerfGE 147, 50 (126 ff.)) resultiert aus der Befugnis und Pflicht des Abgeordneten zur Mitwirkung: Ihm dürfen grds. keine Informationen vorenthalten werden, die er für seine Tätigkeit benötigt (BVerfGE 70, 324 (355)). Der schnellen und zuverlässigen Informationsverschaffung dienen Antworten der BReg auf mündliche Fragen in der Fragestunde (BVerfGE 13, 123 (125); 67, 100 (129)) sowie schriftliche Beantwortung „Kleiner Anfragen“ (BVerfGE 57, 1 (5)). Der parlamentarische Informationsanspruch aus Art. 38 I 2 und Art. 20 II 2 GG (BVerfGE 147, 50) ist auf Beantwortung gestellter Fragen in der Öffentlichkeit angelegt. Der Informationsanspruch des Parlaments ist direkter Ausfluss der aus dem Demokratieprinzip folgenden Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament (BVerfGE 137, 185 (232 f.) mwN; BVerfGE 147, 50 (Ls. 3 S. 1)), soweit diese besteht (BVerfGE 137, 185 (233 f.)). Diese Verantwortlichkeit umfasst dabei alle Angelegenheiten, die im Verantwortungsbereich der BReg. fallen. Diese hat grds. über alle Informationen, über die sie verfügt oder die sie mit zumutbarem Aufwand in Erfahrung bringen kann, zu informieren (BVerfGE 147, 50 (Ls. 8)). Das verfassungsrechtlich garantierte parlamentarische Frage- und Informationsrecht unterliegt Grenzen, die – auch soweit sie einfachgesetzlich geregelt sind – ihren Grund im Verfassungsrecht haben müssen (BVerfGE 147, 50 (Ls. 2)).

Das Informationsrecht kann allerdings aus berechtigten (BVerfGE 147, 50 (Ls. 1 S. 2)) Gründen der Geheimhaltung eingeschränkt werden (BVerfGE 70, 324 (358); 124, 161 (195); 137, 185 (240 ff.); 146, 1 (42 f.); 147, 50 (146 f.)); eine Grenze des Informationsrechts bildet etwa das Wohl des Bundes oder eines Landes (Staatswohl), das durch das Bekanntwerden geheimhaltungsbedürftiger Informationen gefährdet werden kann: fiskalische Interessen des Staates am Schutz vertraulicher Informationen seiner (Beteiligungs-)Unternehmen als Staatswohlbelang, Wahrung der Funktionsfähigkeit staatlicher Aufsicht über Banken und anderen Finanzinstituten, die Stabilität des Finanzmarktes und der Erfolg staatlicher Stützungsmaßnahmen in der Finanzkrise als Belange des Staatswohls (BVerfGE 147, 50 (Ls. 6a) und 6b)) sowie durch das Gewaltenteilungsprinzip (BVerfGE 137, 185 (233 ff.)), was sich auf den Umfang des Informationsrechts im Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung, zB der Willensbildung der Regierung auswirken kann), weshalb sich das Informationsrecht grds. auf abgeschlossene Vorgänge beschränkt (BVerfGE 137, 185 (234 f.) mwN). Vertraglich vereinbarte oder einfachgesetzliche Verschwiegenheitsregelungen sind dagegen nicht für eine Beschränkung geeignet (BVerfGE 147, 50 (133)). Die Verweigerung einer Information durch die BReg bedarf einer entspr. Begründung (BVerfGE 147, 50 (149)).

Jeder Abgeordnete hat das Recht, Anträge zu stellen und über sie (mit) zu beraten (§§ 75 ff. GeschOBTag). IdR müssen Vorlagen von 5 vH der Mitglieder des BTags (Art. 121) unterzeichnet (§ 75 I GeschOBTag) sein. Gemeinsame Ausübung des Antragsrechts dient der Arbeitsfähigkeit des BTags (BVerfGE 82, 316 (321); 84, 304 (328 ff.) – stRspr). Das Antrags-/Beratungsrecht erstreckt sich auf alle Zuständigkeitsbereiche des BTags.

Die Abgeordneten haben das Recht zur Bildung von Fraktionen, zusammen mit anderen Abgeordneten (vgl. §§ 45 ff. AbgG, §§ 10 ff. GeschOBTag), und der Zusammenarbeit mit anderen, zur Mitwirkung bei der Aufgabenerfüllung des BTags. Die Fraktionen sind insoweit notwendige Einrichtungen des „Verfassungslebens“ (BVerfGE 2, 143 (160); 88, 188 (219); 84, 304 (322); 112, 118 (135) – stRspr; Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 66); sie steuern den technischen Ablauf der Parlamentsarbeit (BVerfGE 10, 4 (14); 43, 142 (149)) und sind darin maßgebliche Faktoren politischer Willensbildung (BVerfGE 70, 324 (350 ff.); 84, 304 (322)). Fraktionen können nur aus Mitgliedern derselben Partei oder solcher Parteien bestehen, die aufgrund gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Land miteinander in Wettbewerb stehen (§ 10 I 1 GeschOBTag – daher: „CDU/CSU-Fraktion“); letztere Regelung könnte durch einfaches Bundesgesetz aufgehoben werden. Eine Mindeststärke – 5 vH der Abgeordneten (§ 10 I GeschOBTag) – ist zulässig (BVerfGE 84, 304 (324 f.); 96, 264 (278 f.)). Die Rechtsstellung der Fraktionen als Verfassungsorgane ist nicht in Art. 21 (so noch BVerfGE 47, 198 (225)), sondern in Art. 38 I 2 begründet (BVerfGE 70, 324 (362, 203 f.) – stRspr; Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 67, der darauf hinweist, dass der Status einer Fraktion daher der eines Abgeordneten entspreche): Ihre Rechte dürfen nur der Arbeitsfähigkeit des BTags, nicht der Einflussverstärkung der politischen Parteien dienen. Daher können auch sie sich auf die Freiheit und Gleichheit der Mandatsausübung berufen (BVerfGE 93, 195 (205)). Wird die Mindeststärke nicht erreicht, so ist ein Zusammenschluss zu Gruppen zulässig (§ 10 IV GeschOBTag; BVerfGE 84, 304 (322 ff.)), denen aber nicht (alle) Rechte der Fraktionen zustehen müssen.

Abgeordnetenpflichten zur Teilnahme an Arbeiten des BTags (vgl. allg. Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 72; § 13 II GeschOBTag), insbes. zur Anwesenheit (BVerfGE 44, 308 (317); 90, 286 (343)) und Verschwiegenheit (BVerfGE 67, 100 (135); 70, 324 (359)), ergeben sich aus den Ausübungsrechten des Mandats sowie aus dem AbgG (zB §§ 44a, b, d) und der GeschOBTag; letztere sehen auch Sanktionen vor (Ordnungsgeld, § 44a AbgG; Kürzung der Kostenpauschale, § 14 AbgG; vgl. auch Ordnungsmaßnahmen des Präsidenten, §§ 36 ff. GeschOBTag, BVerfGE 60, 374 (380 f.)). Weitere Pflichten ergeben sich aus dem StGB (Stimmenhandel § 108e, Verletzung der Verschwiegenheitspflicht § 353b II Nr. 1). Nachlässigkeit in der Befolgung, vor allem der Anwesenheits- und der Verhaltenspflichten im BT, schmälert dessen Ansehen und sollten streng(er) geahndet werden.

V. Der Status des Abgeordneten: Anfang, Ende,

Die Abgeordneten sind nicht Inhaber eines Amtes – missverständlich Art. 48 II 1 – iSd öffentlichen Dienstrechts (Art. 33 IV, V; BVerfGE 40, 296 (314); 87, 256 (341)), sie stehen in dem besonderen verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis (Status, BVerfGE 2, 143 (164 ff.); 99, 19 (32); 114, 121 (148 f.) – stRspr) der Mitgliedschaft im BT (Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 53; Ingold JöR 2016, 43). Diese beginnt erst mit dem Zusammentritt des neuen BTags; zwischenzeitlich, nach seiner Annahmeerklärung (§ 45 BWG), kommen dem Gewählten keine Statusrechte/-pflichten zu.

Das Mandat endet u. a. mit Zusammentritt eines neuen BTags (Art. 39), sowie durch Tod des Abgeordneten oder Mandatsverlust (§§ 46 ff. BWG; zum Verlust der Wählbarkeit BVerfGE 5, 2 (6 ff.)) bzw. Ungültigkeit der Wahl uä (vgl. hierzu Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 55). Ein Mandatsverzicht ist jederzeit, aber nur unter Beachtung der strengen Formvorschriften nach § 30 III BWG zulässig; eine dahin gehende Verpflichtung ist nichtig (vgl. Rn. 10), ebenso ein Mandatsentzug (vgl. Rn. 9). Mit Parteiaustritt oder -ausschluss endet das Mandat nicht (vgl. ausführlich MKS/Achterberg/Schulte Art. 38 Rn. 50 f.). Ein Ruhen des Mandats bei Regierungsmitgliedern auf deren Antrag ist nicht vorgesehen und im Hinblick auf Bedeutung und Eindeutigkeit der Volkswahl problematisch, deren Ergebnis nicht zur Disposition des Gewählten stehen darf (krit. auch MKS/Achterberg/Schulte Art. 38 Rn. 56 ff.).

Mandatsverlust tritt ein, wenn sein Träger einer als verfassungswidrig erklärten Partei nach dem Antrag auf diese Feststellung angehört hat (§ 46 IV BWG; BVerfGE 2, 1 (74); 5, 85 (392)). Dem soll die Freiheit des Mandats nicht entgegenstehen, obwohl damit von einer sehr engen Bindung des Abgeordneten an die Partei ausgegangen wird.

Inkompatibel mit dem Abgeordnetenstatus sind (vgl. hierzu auch Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 56 f.) das Amt des BPräsidenten (Art. 55 I), eines Mitglieds des BRats (§ 2 GeschOBRat), des Wehrbeauftragten (§ 14 III WBeauftrG) und des Datenschutzbeauftragten (§ 23 II BDSG) des BTags, letztere da sie diesem weisungsunterworfen sind, sowie die Richterstellung im BVerfG (§ 3 III 2 BVerfGG); mit Übernahme eines dieser Ämter ist der Mandatsverlust verbunden – und umgekehrt. Gleiches gilt für Landtags- und Europaparlamentsmandate sowie Mitgliedschaft in einer Landesregierung (Stern I, 1056 mwN). Die Rechte und Pflichten von Beamten, Richtern (nicht Schöffen, Laienrichtern), Soldaten, Professoren und angestellten Angehörigen des öffentlichen Dienstes ruhen während der Mandatsdauer (Art. 137 I; näher §§ 5 ff. AbgG). Dies alles lässt sich aus ihren jew. Funktionen in der gewaltenteilenden Ordnung (Art. 20 II; vgl. BVerfGE 12, 73 (77); 18, 172 (183)) begründen. Kompatibilität wird, in nahezu durchgehender Verfassungspraxis, mit den Ämtern des BKanzlers und der BMinister (im Gegenschluss aus Art. 53a I 2) sowie der parlamentarischen Staatssekretäre (str.) angenommen (krit. Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 57; verneinend Jarass/Pieroth/Pieroth § 38 Rn. 45).

VI. Rechtsschutz der Abgeordnetenstellung

Das Organstreitverfahren (Art. 93 I Nr. 1) ist zulässig, soweit es um Streit des Abgeordneten über seine parlamentarischen Rechte und Pflichten, nach GG oder GeschO, mit anderen in diesem Verfahren Beteiligungsfähigen geht. Dieser Verfahrensweg geht dem der Verfassungsbeschwerde vor (BVerfGE 60, 374 (380); 80, 188 (208 f.); 94, 351 (365) – stRspr), selbst wenn der Mandatsträger dabei zugleich eine Grundrechtsverletzung rügt (BVerfGE 6, 445 (448 f.); 43, 142 (148); 99, 19 (29) – stRspr). Ausgeschiedene (BVerfGE 32, 157 (162)) und gewählte Abgeordnete vor Mandatsübernahme (BVerfGE 40, 296 (309); 63, 230 (241 f.); 64, 301 (313)) können nur Verfassungsbeschwerde erheben (bedenklich). Beide Verfahrenswege sind verschlossen, wenn der Streit lediglich um einfach-gesetzliche Statusbestimmungen geht (BVerwG DÖV 1986, 244). Fraktionen (BVerfGE 60, 319 (325); 100, 266 (268); 104, 151 (193)) und Gruppen von Abgeordneten (BVerfGE 84, 304 (318)) sind hinsichtlich ihrer parlamentarischen Rechte beteiligungsfähig im Organstreitverfahren (Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 74).

VII. Wahlrechtsgrundsätze

1. Wahlen – Wahlrechtsgrundsätze – Allgemeines

Art. 38 I gilt für Wahlen (Art. 20 II 2) (vgl. hierzu ausf. Stern/Sodan/Möstl/Leisner § 31), dh Bestellung von Volksvertretern über Auswahlverfahren unter mehreren natürlichen Personen (BVerfGE 47, 253 (276)), nicht unter Parteien/Gruppen (BVerfGE 47, 253 (276); 95, 335 (349)), und zwar für Durchführung und bereits Vorbereitung der Wahl (BVerfGE 4, 375 (386 f.); 60, 162 (167); 69, 92 (106 f.)), einschließlich der Kandidatenaufstellung (zust. Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 77; einschränkend hier BVerfGE 89, 243 (252)). Darin liegt die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe (BVerfGE 20, 56 (113)). Die Wahlrechtsgrundsätze für den BT gelten auch für Länder, Kreise, Gemeinden (Art. 28 I 2; BVerwG NVwZ 2010, 225 (226)), überhaupt für Wahlen zu allen Volksvertretungen, also auch für Wahlen zum europäischen Parlament (zurückhaltend BVerfG [K] NJW 1995, 2116, das sich in diesem Fall auf Art. 3 I stützt, vgl. Jarass/Pieroth/Pieroth Art. 38 Rn. 7), und für politische Abstimmungen (BVerfGE 13, 54 (91 f.); 47, 253 (276 f.); 51, 222 (234); 60, 162 (167)). Das Wahlrecht der Bürger (Art. 20 Rn. 7) bedarf näherer Ausgestaltung in einem (einfach)gesetzlichen Wahlsystem, das demokratisch legitimiert sein und die Funktionsfähigkeit der Volksvertretung sichern muss; im Übrigen gilt gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit (BVerfGE 131, 316 (335)): Mehrheits- und Verhältniswahl sind demokratisch gleichermaßen legitim (BVerfGE 95, 335 (352); DHS/H. H. Klein Art. 38 Rn. 122, wobei sich die Wahlrechtsgleichheit in diesen Systemen unterschiedlich auswirkt, vgl. DHS/H. H. Klein Art. 38 Rn. 120), ebenso Listenwahlkreise und Ländersitzkontingente (BVerfGE 131, 316 (341)). Orientierung am föderalen Staatsaufbau ist zulässig (BVerfGE 121, 266 (303)).

Überhangmandate sind mit der Wahlrechtsreform 2023 (Rn. 39a, welche vom Bundesverfassungsgericht aktuell auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft wird) abgeschafft (Rn. 36). Sie entstanden dann, wenn die Zahl der gewonnenen Wahlkreismandate einer Partei die Zahl der ergebnismäßig zugeteilten Mandate nach der Wahlliste überstiegen (verfassungsgemäß, vgl. BVerfGE NJW 1997, 1553). Das BVerfG hat in stRspr festgestellt, dass die Bundestagswahl – infolge des auf der zweiten Stufe der Wahl durchzuführenden und in § 6 IV BWahlG normierten Verhältnisausgleichs und unbeschadet der vorgeschalteten Direktwahl der Wahlkreiskandidaten nach den Prinzipien der Mehrheitswahl – den Grundcharakter einer Verhältniswahl trägt (vgl. BVerfGE NJW 1997, 1553 m.Verw. auf 6, 84 (90); 13, 127 (129); 16, 130 (139); 66, 291 (304)). Weist ein Wahlsystem – wie das der Bundesrepublik Deutschland – den Grundcharakter einer Verhältniswahl auf, so durften Überhangmandate nicht zu einer Differenzierung von Wählerstimmen nach ihrem Erfolgswert führen; die Zahl der Überhangmandate durfte dann die Hälfte der Abgeordnetenzahl einer Fraktionsstärke nicht überschreiten (BVerfGE 131, 316 (357 und 369)).

Das Wahlrecht dient nicht der inhaltlichen Kontrolle demokratischer Prozesse, es soll diese ermöglichen (BVerfGE 129, 124 (168 f.)). Das Wahlrecht begründet aber ein Recht der Wahlberechtigten darauf, dass sich der BT aktiv mit wichtigen Fragen befasst, die in seinen Zuständigkeitsbereich fallen (Rn. 2), etwa zur Europäischen Integration (BVerfG NJW 2014, 907 (910); vgl. ausf. DHS/H. H. Klein Art. 38 Rn. 145 f.).

Auch für andere öffentlich-rechtliche Wahlen gelten die Wahlrechtsgrundsätze zum BT, etwa Allgemeinheit und Gleichheit bei Wahlen zu Personalvertretungen (BVerfGE 60, 162 (169)) und Arbeitnehmerkammern (BVerfGE 71, 81 (94 f.)). Für Selbstverwaltungsgremien ist dies bei der Sozialversicherung ebenfalls anerkannt (BVerfGE 30, 227 (246)). Im Übrigen aber sind, soweit hier spezifische Sachaufgaben, nicht demokratische Legitimation im Vordergrund steht (BVerfGE 11, 351 (360); 69, 92 (105 f.)), abweichende Gestaltungen zulässig (Hochschulgremien BVerfGE 39, 247 (254 ff.); Richter-, Präsidialräte, BVerfGE 41, 1 (12 f.)). – Für privat-, insbes. gesellschaftsrechtliche Wahlen gelten die Wahlrechtsgrundsätze nur, soweit dies den jew. gesetzlichen Bestimmungen oder dem privatautonomen Willen entspricht.

2. Allgemeine Wahl

Diese „Allgemeinheit“ betrifft nur den Zugang zu, also die Teilnahme iwS an der Wahl, nicht Abgabe- oder Gewichtchancen der Stimme (Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 81). Von der Teilnahme dürfen Einzelne (BVerfGE 36, 139 (151); 58, 202 (205)) oder Gruppen, insbes. Parteien (vgl. BVerfGE 15, 165 (166); 36, 139 (141); 58, 202 (205)), nur aus verfassungsrechtlich bestimmten Gründen ausgeschlossen werden. Dies gilt für aktives wie passives Wahlrecht – sie bedingen sich wechselseitig – und daher auch für Wahlvorschläge (BVerfGE 11, 266 (277); 60, 162 (167); 89, 243 (251)), insbes. seitens politischer Parteien (BVerfGE 3, 19 (31); 111, 382 (398)); auf diese darf aber das Wahlvorschlagsrecht nicht beschränkt werden darf (BVerfGE 11, 351 (361); 41, 399 (417); 47, 253 (282)), da sie bei der Willensbildung des Volkes (nur) „mitwirken“ (Art. 21 I 1; so auch MKS/Achterberg/Schulte Art. 38 Rn. 122).

Wahlrechtsbeschränkungen sind nur aus verfassungsrechtlichen Gründen zulässig (vgl. Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 83; Mindest-, nicht Höchst-Wahlalter, Art. 38 II, BVerfGE 42, 312 (341); Inkompatibilitäten, Art. 55 I, 94 I, 137 I; Deutscheneigenschaft, BVerfGE 89, 155 (171 f.)), sowie aus anderen zwingenden Gründen (BVerfGE 28, 220 (225)): Fälle von Vormundschaft und Pflegschaft, Verlust der Wählbarkeit durch Richterspruch sowie fehlende Sesshaftigkeit (§§ 12, 13, 15 BWG, BVerfGE 36, 139 (141); 42, 312 (341); 58, 202 (205); 67, 146 (148)). Eine Wahlberechtigung von Auslandsdeutschen lediglich aufgrund früheren dreimonatigen Aufenthalts in Deutschland ist jedoch verfassungswidrig (BVerfGE 132, 39 (51); aA das Sondervotum der Richterin Lübbe-Wolff (BVerfGE 132, 39 (63)). Entscheidend ist die „Kommunikationsfunktion der Wahl“ (Volk – Staatsorgane).

3. Unmittelbarkeit der Wahl

Jeder Einfluss auf die Bestimmung einer Person als Abgeordneter ist verboten, der nicht von dessen Person, soweit möglich in freier Entscheidung (Annahme, Verzicht) ausgeht (MKS/Achterberg/Schulte Art. 38 Rn. 123). Daher ist die Wahl über Wahlmänner unzulässig (BVerfGE 3, 45 (49); 47, 253 (279)), auch wenn diese in ihrer späteren Wahlentscheidung gebunden sein sollten. Wahl eines Bewerbers zusammen mit anderen (Listenwahl) ist dagegen möglich (BVerfGE 7, 63; 21, 355 (356); 47, 253 (283)), wenn der Wähler weiß, für welche(n) Kandidaten er votiert (BVerfGE 95, 335 (350); 97, 317 (324 ff.)). Listenverbindungen verschiedener Parteien sind aber unzulässig (BVerfGE 82, 322 (345)). Die Listen aufstellende Instanz (Partei) darf diese weder nachträglich ändern oder ergänzen (BVerfGE 47, 253 (280 f.)), noch (bei Überhangmandaten) einen Wahlkreis- durch einen Listenvertreter ersetzen (BVerfGE 97, 317 (328)).

4. Freiheit der Wahl

Die Wahlfreiheit sichert eine von Zwang und unzulässigem Druck unbeeinflusste (BVerfGE 44, 125 (139)) Auswahlmöglichkeit (BVerfGE 47, 253 (283 f.); 95, 335 (350)), auch zwischen Listen (BVerfGE 47, 253 (283)), ohne ernsthafte Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit (BVerfGE 40, 11 (41); 66, 369 (380)) hinsichtlich von Ob und Wie der Stimmabgabe (MKS/Achterberg/Schulte Art. 38 Rn. 124). Gesetzliche Wahlpflicht ist daher unzulässig (hL; vgl. Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 90). Wahlfreiheit hat eigenständige Bedeutung gegenüber der geheimen Wahl, die aber (auch) zu ihrer Sicherung erforderlich ist (BVerfGE 5, 85 (232); 99, 1 (13)). Sie verlangt rechtzeitige Information des Wählers (BVerfGE 79, 161 (166)).

Wahlvorschlagsfreiheit (BVerfGE 41, 394 (417); 89, 243 (251)), vor allem der politischen Parteien (BVerfGE 44, 125 (144)), allerdings nicht als deren Monopol (BVerfGE 41, 399 (417)), muss gewährleistet sein, einschließlich ausreichender Vorstellungsmöglichkeit des Kandidaten (BVerfGE 89, 243 (260)). Darin sichert die Wahlfreiheit, zusammen mit der freien Stimmabgabe, den unbeeinflussten Ablauf des gesamten Wahlkampfes, der mit der Aufstellung der Wahlvorschläge beginnt (Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 91 f.).

Gegen Einflussnahmen seitens des Staates sichert die Wahlfreiheit Vorschlagsberechtigte, Kandidaten und Wähler (BVerfGE 44, 125 (139 ff.)). Bei (zulässiger) staatlicher Öffentlichkeitsarbeit (vgl. MKS/Achterberg/Schulte Art. 38 Rn. 126), insbes. der Regierung, sind wahlwerbliche Wirkungen zu vermeiden (vgl. dazu BVerfGE 40, 11 (38 ff.); 44, 125 (138 ff.); 48, 271 (279 f.); 63, 230 (242 ff.); vgl. für die Grenzen der zulässigen Öffentlichkeitsarbeit des BPräsidenten BVerfG NVwZ 2014, 1156 (1158 f.)). Private und Kirchen dagegen sind, im Rahmen ihrer Meinungsfreiheit (Art. 5 I, 140 GG iVm 137 WRV), in ihrer Einflussnahme auf das Wählerverhalten frei, soweit von ihren Stellungnahmen nicht Zwang oder Druck ausgehen (BVerfGE 103, 111 (132 f.)). Religionsgemeinschaften dürfen zu Wahlboykott aufrufen (BVerfG [K] DVBl 2001, 284), Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände Wahlempfehlungen geben (BVerfGE 42, 133 (139)), Unternehmen mit Investitionsentscheidungen drohen (BVerfGE 66, 369 (380)). Medien haben ausgewogen zu berichten und Stellung zu nehmen (BVerfGE 12, 205 (262 ff.); 71, 81 (94)). Die strafrechtlichen Schutzvorschriften (§§ 108 ff. StGB) sind verfassungsgemäß (vgl. BVerfGE 66, 369 (380)).

5. Gleichheit der Wahl

Wahlgleichheit ist der wichtigste Wahlrechtsgrundsatz (ebenso MKS/Achterberg/Schulte Art. 38 Rn. 129); er bindet den Gesetzgeber, V erwaltungen und Gerichte. Er verbietet nicht Ausschluss von der Wahl wie deren Allgemeinheit, nicht Zwang und Druck wie die Wahlfreiheit, sondern Behinderung von Vorschlagenden, Kandidaten und Wählern in ihrem Wettbewerb mit anderen (BVerfGE 11, 266 (272); 99, 69 (77 f.) – stRspr). Art. 38 I 1 verdrängt insoweit den weniger formalisierten (BVerfGE 4, 375 (382)) Art. 3 I (MKS/Achterberg/Schulte Art. 38 Rn. 129; BVerfGE 99, 1 (7); früher anders, vgl. noch BVerfGE 95, 408 (417 f.)). Behindernde Differenzierungen sind nur aus zureichenden verfassungsrechtlichen Gründen zulässig (BVerfGE 69, 92 (106); 95, 408 (418) – stRspr), insbes. zu sachgerechter politischer Willensbildung oder zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Volksvertretung (BVerfGE 121, 266 (297)). Dies gilt zum Schutz des aktiven wie des passiven Wahlrechts, damit auch für das Vorschlagsrecht der Parteien (BVerfGE 41, 399 (413); 111, 382 (398) – stRspr).

Die Wahlgleichheit sichert die „gleiche Wahl“, von der Ermöglichung der Wahlvorbereitungen, etwa durch steuerliche Berücksichtigung von Beiträgen/Spenden (BVerfGE 20, 56 (116); 99, 69 (78) – stRspr), über Wahlvorschläge und Wahlwerbung (BVerfGE 42, 133 (138); 47, 198 (225)), Regelung der Stimmabgabe und deren Ergebnisse, bis zur Übernahme der Mandate und einer (nachfolgenden) Wahlprüfung (MKS/Achterberg/Schulte Art. 38 Rn. 130). Vorgegebene Unterschiede zwischen den Bewerbern – ein nicht unproblematischer Begriff – sollen aber nicht ausgeglichen werden (BVerfGE 78, 350 (358)). Die politische Willensbildung in Meinungsfreiheit (Art. 5) darf nicht während der Wahl und vor allem nicht in deren „Vorfeld“ (vgl. aber BVerfGE 8, 51 (58); 78, 350 (358)) im Namen der Wahlgleichheit beeinträchtigt werden.

Die Wahlgleichheit verlangt kein bestimmtes Wahlsystem (Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 112): Sie gestattet Verhältniswahl (BVerfGE 1, 208 (248); 95, 335 (352) – stRspr) wie Mehrheitswahl (BVerfGE 6, 84 (90); 95, 335 (349) – stRspr) sowie auch deren Kombinationen, insbes. in der deutschen personalisierten Verhältniswahl (§§ 1–7 BWG; BVerfGE 1, 208 (246); 97, 317 (323) – stRspr). Dies bedeutet: Der Zählwert jeder Stimme muss gleich sein (DHS/H. H. Klein Art. 38 Rn. 120), ihr Erfolgswert kann bei der Mehrheitswahl differieren, doch muss auch in diesem System die Gleichheit der Erfolgschancen in den Wahlkreisen wie im ganzen Wahlgebiet (BVerfGE 131, 316 (337)) gewahrt werden (BVerfGE 95, 335 (353); 95, 408 (417)); daher darf die Zahl der Wahlberechtigten in diesen nicht um mehr als 1/4 vom deutschen Durchschnitt abweichen (BVerfGE 95, 335 (365)). Gebundene Listen sind zulässig (BVerfGE 63, 70), ebenso Stimmensplitting (BVerfGE 79, 161 (166 ff.)), Stimmenverteilung nach d’Hondt oder Hare/Niemeyer (BVerfGE 79, 169 (170 f.); vgl. Schreiber, Handbuch des Wahlrechts, 2002, § 6 Rn. 5 ff.), sowie ein begrenztes Unterschriftenquorum für Wahlvorschläge (BVerfGE 3, 19 (27); 82, 353 (364)), aber nur zur Feststellung ihrer Ernsthaftigkeit, nicht ihrer Erfolgschancen.

Sperrklauseln für Parteien, die weniger als einen gewissen Prozentsatz der abgegebenen Stimmen erhalten, beeinträchtigen die Wahlgleichheit. Dem Gesetzgeber bleibt hier lediglich ein enger Spielraum für Differenzierungen, welche nur unter Anlegung eines strengen Maßstabs zu rechtfertigen sind. Die jeweiligen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse sind dabei zu berücksichtigen (BVerfGE 129, 300 (319 f.)). Die 3-Prozent-Sperrklausel für die EU-Wahl war 2014 nicht gerechtfertigt, auch nicht zur Gewährleistung stabiler Mehrheiten (BVerfGE 135, 259 f.). Innerstaatlich werden Sperrklauseln von 5. vH mit der notwendigen Funktionsfähigkeit des BTags durch Mehrheitsbildung(en) gerechtfertigt (BVerfGE 1, 208, 248; 95, 408 (419 ff.) – stRspr; MKS/Achterberg/Schulte Art. 38 Rn. 134): Eine Erhöhung soll zwar nicht ausgeschlossen (BVerfGE 34, 81 (100 f.)), in aller Regel aber verfassungswidrig sein (BVerfGE 47, 253 (277); 95, 408 (419)). Unter den besonderen Umständen der ersten gesamtdeutschen Wahl waren sogar Sperrklauseln von 5 vH verfassungswidrig (BVerfGE 82, 322 (340)). Ausnahmen davon zugunsten nationaler Minderheiten (§ 6 VI 2 BWG) sind zulässig (BVerfGE 5, 77 (83); 6, 84 (97)), aber nicht geboten (BVerfGE 4, 31 (42 f.)). Eine ausnahmslose Geltung der 5 %-Sperrklausel, wonach Parteien bei der Sitzverteilung im BT nicht berücksichtigt werden, obwohl sie nach ihrem Zeitstimmenergebnis Sitze erhalten könnten, stellt eine Ungleichbehandlung gegenüber Wahlstimmen für Parteien mit einem höheren Zweitstimmenergebnis dar (BVerfG Pressemitt. v. 30.7.2024) Vgl. näher Wahlrechtsreform Rn. 39a.

Die sog. Grundmandatsklausel (vgl. ausf. MKS/Achterberg/Schulte Art. 38 Rn. 142) – Nichtberücksichtigung aller Stimmen für Parteien, die nicht eine Mindestzahl von Direktmandaten erringen (§ 6 VI 1 BWG) – gilt weiterhin für BTWahlen (BVerfG Urt. v. 30.7.2024 – 2 BvF 1/23, 2 BvF 3/23, 2 BvE 9/23, 2 BvE 10/23, 2 BvR 1523/23, 2 BvR 1547/23). Sie wird aus „effektiver Integration des Staatsvolks“ gerechtfertigt (BVerfGE 95, 408 (420 ff.) – str.; vgl. Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 99); für sie spricht die Kombinationsmöglichkeit von Verhältnis- und Mehrheitswahl (Rn. 34). Überhangmandate (und damit auch Ausgleichsmandate) sind jedoch für künftige BTWahlen durch die Wahlrechtsreform 2023 (Rn. 39a) abgeschafft (BVerfG v. 30.7.2024, vgl. vorst.). Vgl. näher Wahlrechtsreform 2023 Rn. 39a.

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben die Wahlgleichheit derart zu berücksichtigen, dass sie jeder Partei ein Mindestmaß an Selbstdarstellung ermöglichen (vgl. MKS/Achterberg/Schulte Art. 38 Rn. 148; BVerfGE 47, 198 (298); 67, 149 (152)). Im Übrigen dürfen sie größeren Parteien wegen deren Integrationsbedeutung in engen Grenzen mehr Sendezeit einräumen (BVerfGE 14, 121 (134 ff.); 48, 271 (277)) – eine „Prämie der Macht“, die gegen zunehmende Kritik durch den wenig klaren Begriff der „dynamischen (Chancen-)Gleichheit“ gerechtfertigt werden soll (vgl. zum Meinungsstand MKS/Achterberg/Schulte Art. 38 Rn. 149 f.). Konsequent wäre das Verbot von Werbespots in öffentlich-rechtlichen Sendungen.

6. Geheime Wahl

Das Wahlgeheimnis ist, im Interesse von Vorschlagsberechtigten, Kandidaten und Wählern, gegen Staat und Private geschützt; insbes. Wähler sollen keine „Gegenleistungen“ fordern können (vgl. BVerfGE 5, 85 (232)). Es gilt auch für Wahlvorbereitungen (BVerfGE 4, 375 (386 f.); 12, 33 (35 f.)), soweit sie nicht ihrem Wesen nach öffentlich oder als solche gewollt sind. Beschränkungen sind nur aus zwingenden Gründen ordnungsgemäßer Wahldurchführung zulässig (BVerfGE 5, 77 (82); Sachs/Magiera Art. 38 Rn. 103), etwa zur Überprüfung der Wahlvorschläge (BVerfGE 3, 19 (31); 12, 33 (35)), bei der Briefwahl oder bei der Stimmabgabe durch Vertrauenspersonen (BVerfGE 21, 200 (204 ff.)), ebenso die Registrierung der Stimmabgabe im Wählerverzeichnis. Eine gerichtliche Beweiserhebung über den Inhalt der Wahlentscheidung ist unzulässig (BVerfGE 79, 75 (76); BGH JZ 1981, 103 f.); freiwillig darf ihn aber der Wähler nach der Stimmabgabe beliebig offenbaren. Briefwahl ist zulässig (BVerfGE 21, 200 (204 ff.)), doch müssen die Wahlorgane dabei sorgfältig auf Wahrung des Wahlgeheimnisses achten (BVerfGE 59, 119 (125 ff.)).

7. Rechtsschutz

Nachvollziehbar und kontrollierbar müssen Vorbereitung, Durchführung und Ergebnisermittlung der Wahlen sein, ebenso der Einsatz von Wahlgeräten ( Öffentlichkeitsprinzip, vgl. BVerfGE 123, 39 (70); MKS/Achterberg/Schulte Art. 38 Rn. 154). Verletzungen des Wahlrechts können Wähler(vereinigungen) durch Verfassungsbeschwerde (Art. 93 I 4a), politische Parteien im Organstreitverfahren rügen (BVerfGE 4, 27 (30 f.); 84, 290 (298 f.)). Soweit sich dies unmittelbar auf das Wahlverfahren bezieht, haben die Rechtsbehelfe nach den Wahlvorschriften und das Wahlprüfungsverfahren (Art. 41) Vorrang.

8. Wahlrechtsreform 2023

Bisher erfolgten 24 gesetzliche Reformen bzgl. der Wahlen zum Bundestag. Mit dem Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes und des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes v. 17.3.2023 (BT-Drs. 20/6015) hat die parlamentarische Koalition zuletzt eine Reform des Wahlrechts beschlossen, mit dem Ziel einer sicheren Begrenzung der Abgeordnetenzahl auf 630 (§ 1 BWahlG; tatsächliche Größe in der 20. Legislativperiode 736). Demnach soll es (wie bisher) 299 Wahlkreise und zwei Stimmen geben. Dabei wird mit der Zweitstimme, mit der die Wähler für eine Parteiliste votieren können, über die proportionale Verteilung der Mandate an die Parteien entschieden. Mit der Erststimme können wie bisher in den Wahlkreisen Direktkandidaten gewählt werden. Ihnen wird ein Mandat jedoch nur zugeteilt, wenn dies durch das Zweitstimmenergebnis gedeckt ist (§ 6 I BWG sog. Verfahren der Zweitstimmendeckung ). Stellt eine Partei in einem Bundesland mehr Wahlkreissieger als es ihrem Zweitstimmenergebnis entspricht, sollen – in der Reihenfolge ihrer Ergebnisse bei den Wahlkreisstimmen – entsprechend weniger von ihnen bei der Mandatszuteilung berücksichtigt werden. Dadurch entfallen sog. Überhangmandate (Rn. 36). Das BVerfG erachtet diese Neuregelung insoweit als verfassungsgemäß: Art. 38 III weist dem Gesetzgeber die Aufgabe der näheren Ausgestaltung des Wahlrechts zu. Dabei habe dieser den Ausgleich zwischen dem Ergebnis der Wahlkreiswahl und der Verhältniswahl nach Landeslisten neu geregelt, ohne die Grundsätze der Chancengleichheit der Parteien oder der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl zu verletzen (BVerfG Pressemitt. v. 30.7.2024). Jedoch bleibt die sog. Grundmandatsklausel (Rn. 36), wonach eine Partei auch dann im Bundestag in Fraktionsstärke vertreten ist, wenn sie die sog. 5-Prozent-Hürde (Sperrklausel gem. § 4 II 2 Nr. 2 BWG) verfehlt, jedoch 3 Direktmandate erhält (BVerfG Urt. v. 30.7.2024 – 2 BvF 1/23, 2 BvF 3/23, 2 BvE 9/23, 2 BvE 10/23, 2 BvR 1523/23, 2 BvR 1547/23).

VIII. Bedeutung im Rahmen der Europäischen Integration

Dem grundrechtsgleichen Wahlrecht aus Art. 38 I kommt im Lichte des europäischen Integrationsprozesses insofern eine wesentliche Funktion zu, als es dem Bürger ermöglicht, die staatsorganisatorischen Fragestellungen, welche mit der vom GG geschützten Verfassungsidentität der Bundesrepublik Deutschland verbunden sind, einer verfassungsgerichtlichen Klärung zuzuführen (Sodan/Ziekow § 5 Rn. 19b). Gestützt auf Art. 38 I kann der Bürger im Wege einer Verfassungsbeschwerde die sich aus Art. 79 III ergebenden verfassungsrechtlichen Grenzen des Integrationsprozesses gegenüber dem (verfassungsändernden) Gesetzgeber durchsetzen. Zu diesen nicht durch eine Verfassungsänderung aufhebbaren oder verschiebbaren Grenzen gehören u. a., dass dem BT Aufgaben und Befugnisse von substanziellem Gewicht verbleiben müssen (vgl. BVerfGE 89, 155 (186); 123, 267 (356); 132, 195 (239)), der BT sich nicht seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung entäußern darf, sodass er oder zukünftige BTage das Budgetrecht nicht mehr eigenverantwortlich ausüben können (vgl. BVerfGE 129, 124 (177 f.); 132, 195 (239 f.); 135, 317 (399 f.)), und der EU keine Kompetenz-Kompetenz eingeräumt wird, auch nicht faktisch durch Blankettermächtigungen zur Ausübung öffentlicher Gewalt (vgl. BVerfGE 89, 155 (187); 132, 195 (238 f.); 135, 317 (399)). Art. 38 I 1 schützt mithin die wahlberechtigten Bürger vor einem Substanzverlust ihrer im verfassungsstaatlichen Gefüge maßgeblichen Herrschaftsgewalt dadurch, dass die Rechte des BTags wesentlich geschmälert werden und damit die Gestaltungsmacht desjenigen Verfassungsorgans verloren geht, das unmittelbar nach den Grundsätzen freier und gleicher Wahl zustande gekommen ist (BVerfGE 123, 267 (341)). Der in Art. 38 I 1 verankerte Anspruch des Bürgers auf demokratische Selbstbestimmung (stRspr, etwa BVerfGE 89, 155 (187); 123, 267 (340)) ist allerdings strikt auf den in der Würde des Menschen wurzelnden Kern des Demokratieprinzips begrenzt (Art. 1 iVm 79 III). Art. 38 verletzt keine Beschwerdebefugnis gegen Parlamentsbeschlüsse. Sein Gewährleistungsbereich beschränkt sich vielmehr auf Strukturveränderungen im staatsorganisationsrechtlichen Gefüge (BVerfGE 129, 124 (169)), wie etwa bei Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU; Art. 38 I 1 schützt dabei ebenso vor einer eigenmächtigen Inanspruchnahme hoheitlicher Befugnisse durch Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der EU (BVerfGE 142, 123 (194)), was durch das BVerfG im Rahmen der ultra-vires-Kontrolle zu überprüfen ist (BVerfGE 142, 123 (200)), jedoch nur in Fällen hinreichend qualifizierter Kompetenzüberschreitungen (BVerfGE 142, 123 (200); Identitätsverletzung). Art. 38 I 1 gewährt dem wahlberechtigten Bürger gegenüber BReg und BT einen Anspruch darauf, dass diese sich in Ansehung solcher Fälle/Vorkommnisse ein zuverlässiges Urteil über die Reichweiten und Möglichkeiten der Erfüllung ihre Integrationsverantwortung bilden (BVerfGE 142, 123 (207)).

Nach Ansicht des BVerfG umfasst der Gewährleistungsgehalt des in Art. 38 I geschützten Wahlrechts die Grundsätze des Demokratiegebots (Art. 20 I, II), die Art. 79 III als Identität der Verfassung auch vor dem Zugriff durch den verfassungsändernden Gesetzgeber schützt (BVerfGE 129, 124 (167 f.); s. ferner BVerfGE 89, 155 (171 f.); 123, 267 (330); 132, 195 (238); 135, 317 (399)). Das BVerfG leitet aus der Würde des Menschen einen „Anspruch des Bürgers auf Demokratie“ ab, der hinfällig wäre, „wenn das Parlament Kernbestandteile politischer Selbstbestimmung aufgäbe und damit dem Bürger dauerhaft seine demokratischen Einflussmöglichkeiten entzöge. Das Grundgesetz hat den Zusammenhang zwischen Wahlrecht und Staatsgewalt in Art. 79 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG für unantastbar erklärt“ (BVerfGE 129, 124 (169)). „Das durch das Wahlrecht geschützte Prinzip der repräsentativen Volksherrschaft kann danach verletzt sein, wenn die Rechte des Bundestages wesentlich geschmälert werden und damit ein Substanzverlust demokratischer Gestaltungsmacht für dasjenige Verfassungsorgan eintritt, das unmittelbar nach den Grundsätzen freier und gleicher Wahl zustande gekommen ist“ (BVerfGE 129, 124 (168 f.)). Das BVerfG postuliert, der Bürger müsse sich gegen eine mit Art. 79 III unvereinbare Entäußerung von Kompetenzen durch das Parlament verfassungsgerichtlich zur Wehr setzen können (BVerfGE 129, 124 (169 f.)). Art. 38 I schützt somit „die wahlberechtigten Bürger im Anwendungsbereich von Art. 23 GG davor, dass die durch die Wahl bewirkte Legitimation von Staatsgewalt und Einflussnahme auf deren Ausübung durch die Verlagerung von Aufgaben und Befugnissen des Deutschen Bundestages auf die europäische Ebene so entleert wird, dass das Demokratieprinzip verletzt wird“ (BVerfGE 134, 366 (396)). In der Literatur werden gegen diese Rspr. Einwände erhoben (vgl. die Nachw. bei BVerfGE 129, 124 (169)). Insbes. wird kritisiert, dass das BVerfG sein Integrationsmodell und Verständnis von Verfassungsstaatlichkeit zu den änderungsfesten Bestandteilen des GG erklärt und diese Konstruktion auch noch zum Gegenstand eines Individualrechts des Bürgers macht (Nettesheim NJW 2009, 2867 (2869)).

Art. 38 I ist damit die subjektivrechtliche Grundlage der vom BVerfG für sich beanspruchten Verfassungsidentitätskontrolle (Art. 23 Rn. 20 f.). Dagegen kommt als Anknüpfungspunkt für eine Ultra-vires-Kontrolle (Art. 23 Rn. 20) grds. jedes Grundrecht in Betracht, das durch eine vom deutschen Rechtsanwendungsbefehl des Zustimmungsgesetzes nicht mehr gedeckte Maßnahme eine Beeinträchtigung erfährt (Sodan/Ziekow § 5 Rn. 15, 19b). Ein Rückgriff auf Art. 38 I ist dafür nicht erforderlich (unklar bei BVerfGE 134, 366 (397)). Außerhalb des Kompetenzbereichs der EU (ultra vires) gelten die Grundrechte des GG (vgl. Art. 51 GRCh).

An die Darlegung einer Verletzung von Art. 38 I stellt das BVerfG strenge Anforderungen (vgl. BVerfGE 129, 124 (171)). Der materielle Schutzgehalt von Art. 38 I „kommt vor allem in Konstellationen zum Tragen, in denen die Kompetenzen des Bundestages auf eine Art und Weise ausgehöhlt werden, die eine parlamentarische Repräsentation des Volkswillens, gerichtet auf die Verwirklichung des politischen Willens der Bürger, rechtlich oder praktisch unmöglich macht“ (BVerfGE 135, 317 (386)).

IX. Wahl- und Wählbarkeitsalter

Abs. 2 regelt das Mindestalter für das aktive und passive Wahlrecht. Nur Deutsche iSd Art. 116 I sind wahlberechtigt und können wählbar sein, dies folgt aus Art. 20 II (BVerfGE 83, 37 (50 ff.)). Art. 38 gewährt für das Kommunalrecht kein subjektives Recht, bei der Ausübung des aktiven oder passiven Wahlrechts nichtdeutsche Wahlberechtigte oder Wahlbewerber durch eine „wahlrechtliche Konkurrentenklage“ abwehren zu können (BVerfGE 89, 155 (180)).

X. Nähere gesetzliche Regelung

Abs. 3 beinhaltet in erster Linie die Ermächtigung zum Erlass eines Bundeswahlgesetzes. Sie beschränkt sich dabei nicht auf die Regelungsmaterie von Art. 38, sondern umfasst die Gesamtmaterie des BT-Wahlrechts einschließlich der Zahl der Abgeordneten, des Wahlsystems, des Wahlverfahrens und des Wahlkampfs. Die Regelungskompetenz zur Wahlkampfkostenerstattung ergibt sich dabei (nur) aus Art. 21 III aF (BVerfGE 20, 56 (115); 24, 300 (353 f.)) und 38 III (BVerfGE 41, 399 (425)). Es besteht grds. ein Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers im Hinblick auf die Wahlrechtsgebote (BVerfGE 59, 119 (124)), ob er sich für die Mehrheitswahl (Wahl in Wahlkreisen), die Verhältniswahl (Wahl nach Landeslisten) oder einer Kombination dieser beiden Grundwahlsysteme entscheidet; dies regelt näher das Bundeswahlgesetz.