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Artikel 25 [Allgemeines Völkerrecht als Bestandteil des Bundesrechts]

1 Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. 2 Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.

I. Bedeutung der Norm

Das GG geht von der Eingliederung des von ihm verfassten Staates in die int. Staatengemeinschaft aus (BVerfGE 63, 343 (370); 111, 307 (318)) und bindet mit Art. 25 den deutschen Staat an die Grundregeln der Völkerrechtsordnung (SHH/Hillgruber Art. 25 Rn. 1). Damit wird dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG Rechnung getragen (BVerfGE 6, 209 (362); 75, 1 (17); 148, 296 (350 ff.); grundlegend Vogel Die Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit, 1964, 46; jüngst etwa Payandeh ZaöRV 83 [2023], 609 (615 ff.)). Historischer Vorgänger war Art. 4 WRV, wonach die allg. anerkannten Regeln des Völkerrechts als Bestandteile des deutschen Reichsrechts galten (Sachs/Streinz Art. 25 Rn. 1). Die Zielsetzung von Art. 25 besteht darin, die deutsche Verfassungsordnung vor Irrwegen infolge interner extremistischer politischer Strömungen zu schützen (BK/Tomuschat Art. 25 Rn. 2 f.). Insoweit ergänzt die Verpflichtung auf die Grundwerte der internationalen Staatengemeinschaft die Ewigkeitsklausel des Art. 79 III durch eine externe Dimension (Schmahl JuS 2013, 961 (964)), auch wenn Art. 25 selbst nicht änderungsfest ist (HStR XI/Tomuschat § 226 Rn. 13).

Grds. gibt es zwei Möglichkeiten, das Verhältnis der völkerrechtlichen zu der innerstaatlichen Rechtsordnung zu bestimmen: Während der monistischen Ansicht die Vorstellung von der Einheit des Rechts zugrunde liegt (Verdross, Völkerrecht, 1964, 113), geht der Dualismus davon aus, dass das staatliche Recht und das Völkerrecht zwei voneinander unabhängige Rechtsordnungen darstellen, die zunächst unverbunden nebeneinanderstehen (Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, 1899, 111 f.). Die beiden theoretischen Grundpositionen haben an praktischer Bedeutung verloren, da in der Staatenpraxis ein Kontinuum zwischen diesen Modellen vorherrscht (MKS/Koenig/König Art. 25 Rn. 34; v. Münch/Kunig/Aust Art. 25 Rn. 9). In Deutschland wirken völkerrechtliche Verbindlichkeiten nicht unvermittelt in den Bereich der nationalen Rechtsordnung ein, sondern bedürfen für ihre innerstaatliche Anwendbarkeit eines diese Rechtsfolge anordnenden und bewirkenden innerstaatlichen Rechtsaktes (BVerfGE 73, 339 (375); 111, 307 (318)). Diese Funktion übernimmt Art. 25 für die allg. Regeln des Völkerrechts, indem er einen generellen nationalen Rechtsanwendungsbefehl für diese Normen des Völkerrechts erteilt (BVerfGE 23, 288 (300); 46, 342 (403 f.); 75, 1 (26); 109, 13 (26)) und auf eine Spezialumsetzung jeder einzelnen Regel – wie dies bei Art. 59 II 1 der Fall ist – verzichtet. Dabei bewirkt Art. 25 keine Transformation der völkerrechtlichen Regel in eine innerstaatliche Norm, sondern erteilt der völkerrechtlichen Regel lediglich einen Anwendungsbefehl (Schweisfurth VölkerR, 2006, S. 201; diff. Proelß VölkerR/Kunig/Uerpmann-Wittzack, Abschn. 2 Rn. 118 f., 136). Die einschlägige Rechtsregel bleibt also völkerrechtlicher Natur (BVerfGE 46, 342 (403)); sie wird lediglich in der innerstaatlichen Rechtsordnung anwendbar, richtet sich aber weiterhin nach völkerrechtlichen Auslegungs- und Anwendbarkeitsregeln (Stern/Sodan/Möstl/Puttler § 19 Rn. 30; Art. 59 Rn. 22).

II. Allgemeine Regeln des Völkerrechts

Ursprünglich verstand das BVerfG unter allg. Regeln des Völkerrechts alle drei Hauptrechtsquellen des Völkerrechts iSv Art. 38 I IGH-Statut (BVerfGE 15, 25 (34 f.); 16, 27 (33); ähnlich BVerfGE 46, 342 (363)). Heute wird klarer differenziert: Als allg. Regeln des Völkerrechts erfasst Art. 25 nur das universell geltende Völkergewohnheitsrecht und die aus den nationalen Rechtsordnungen tradierten allg. Rechtsgrundsätze (BVerfGE 95, 96 (129); 96, 68 (86); 109, 13 (27); 118, 124 (134); BVerfG EuGRZ 2013, 563 Rn. 42). Die Übernahme von Völkervertragsrecht in die deutsche Rechtsordnung richtet sich nach Art. 59 II 1 (BVerfGE 100, 266 (269); DHS/Herdegen Art. 25 Rn. 42 ff.). Soweit Verträge Völkergewohnheitsrecht kodifizieren, tritt dieses neben den Vertrag (Friauf/Höfling/Hobe Art. 25 Rn. 26; Sachs/Streinz Art. 25 Rn. 31; vgl. auch IGH ICJ Rep. 1984, 392 (424)). Nicht Bestandteil der allg. Regeln des Völkerrechts iSd Art. 25 ist das völkerrechtliche soft law, solange es nicht zu einer verbindlichen Verpflichtung erstarkt ist (v. Münch/Kunig/Aust Art. 25 Rn. 12 f.).

Völkergewohnheitsrecht entsteht durch eine gefestigte Übung (consuetudo) zahlreicher, nicht notwendigerweise aller Staaten, die von der Überzeugung (opinio juris) getragen ist, eine völkerrechtliche Verpflichtung zu erfüllen (BVerfGE 46, 342 (367); 96, 68 (86 f.); 117, 141 (149); IGH ICJ Rep. 1969, 3 (43 f.); ICJ Rep. 1986, 14 (98)). Das Element der Rechtsüberzeugung dient dazu, zwischen einer Praxis, die lediglich auf courtoisie oder soft law beruht, und einer Rechtsregel zu unterscheiden (MKS/Koenig/König Art. 25 Rn. 20 ff.). Bei der Ermittlung der Staatenpraxis kommt es auf die Mehrzahl in geographischer, kultureller und politischer Hinsicht repräsentativer Staaten an, wobei vor allem dem Verhalten von der Regel besonders betroffener Staaten (zB für seerechtliche Regelungen die seefahrenden Nationen) Rechnung getragen werden muss (BVerfGE 46, 342 (367); 109, 13 (27 f.); IGH ICJ Rep. 1969, 3 (43); 1986, 14 (97 f.)). Dabei ist auf das völkerrechtlich erhebliche Verhalten derjenigen Staatsorgane abzustellen, die kraft Völkerrechts oder innerstaatlichen Rechts dazu berufen sind, den Staat im völkerrechtlichen Verkehr zu repräsentieren (vgl. Art. 7 II WVK). Daneben kann sich eine solche Übung auch in Akten anderer Staatsorgane bekunden, soweit ihr Verhalten unmittelbar völkerrechtlich erheblich ist (BVerfGE 46, 342 (367); 109, 13 (28)). Richterliche Entscheidungen und völkerrechtliche Lehrmeinungen (Art. 38 I lit. d IGH-Statut) sind grds. nur als Hilfsmittel für die Ermittlung von Völkergewohnheitsrecht heranzuziehen (BVerfGE 96, 68 (87); 109, 13 (28 f.)). Für die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht ist zudem nicht erforderlich, dass sich jeder Staat positiv an der Praxis beteiligt hat. Es genügt, wenn er sie ohne Protest annimmt; Schweigen gilt insofern als Zustimmung (Doehring VölkerR Rn. 292). Lediglich in Fällen, in denen ein Staat der Verbindlichkeit einer völkergewohnheitsrechtlichen Regel seit ihrer Entstehung ausdrücklich und beharrlich widerspricht (sog. persistent objector ), soll er nach älterer Rspr. ihre Verbindlichkeit für sich selbst ausschließen können (IGH ICJ Rep. 1950, 226 (277); 1951, 116 (131); vgl. auch BVerfGE 46, 342 (389)). Diese Lehre ist heute jedoch als obsolet anzusehen (aA DHS/Herdegen Art. 25 Rn. 37); der IGH hat in den vergangenen fünfeinhalb Jahrzehnten hierauf nicht mehr rekurriert. Zudem sind verschiedene Versuche von Staaten, die „persistent objector“-Technik für sich fruchtbar zu machen (etwa bei Erstreckung der Ausschließlichen Wirtschaftszone), in der Praxis gescheitert (eingehend BK/Tomuschat Art. 25 Rn. 56 mwN; aA BeckOK GG/Heintschel v. Heinegg/Frau Art. 25 Rn. 19). Keine eigene Rechtsquelle, sondern eine spezielle Form des Völkergewohnheitsrechts stellen die Normen des zwingenden Völkerrechts (jus cogens) dar, weshalb sie Art. 25 ebenfalls unterfallen (v. Münch/Kunig/Aust Art. 25 Rn. 15).

Unter allg. Rechtsgrundsätzen des Völkerrechts versteht man solche Prinzipien, die allen nationalen Rechtsordnungen als Grundbedingungen gemein sind und die deshalb, sofern dies ihrem Inhalt nach möglich erscheint, auf das Völkerrecht übertragen werden (Stern/Sodan/Möstl/Puttler § 19 Rn. 14). Beispiele hierfür sind der Grundsatz pacta sunt servanda, das Prinzip der bona fides und das Verbot des venire contra factum proprium (IGH ICJ Rep. 1969, 3 (26); 1974, 253 (268)). Hinzu treten die im Völkerrecht selbst wurzelnden allg. Rechtsgrundsätze wie zB das Prinzip des Estoppel (Verdross/Simma Universelles VölkerR, § 604; v. Arnauld VölkerR, Rn. 264; aA wohl Schweitzer/Dederer StaatsR III Rn. 499 f.). Wie völkergewohnheitsrechtliche Regeln mussten sich auch allg. Rechtsgrundsätze früher anhand von Staatenpraxis verifizieren lassen; heute wird diese Bindung an eine staatliche Übung zunehmend schwächer (Weiß AVR 39 [2001], 394 (403 f.); BK/Tomuschat Art. 25 Rn. 33; aA BVerfGE 118, 124 (145 f.)).

Eine Regel des Völkerrechts ist allg. iSv Art. 25, wenn sie von der überwiegenden Mehrheit der Staaten anerkannt wird (BVerfGE 15, 25 (34); 95, 96 (129); 118, 124 (134)). Die Allgemeinheit der Regel bezieht sich nicht auf den Inhalt oder die materielle Wertigkeit, sondern auf deren räumliche Geltung. Nicht entscheidend ist jedoch, ob eine Regel dem universell gültigen Völkerrecht zugehörig ist. Auch regional begrenztes Gewohnheitsrecht kann von Art. 25 erfasst sein, sofern dieses einen Bezug zu Deutschland aufweist (HStR XI/Cremer § 235 Rn. 17; Dreier/Wollenschläger Art. 25 Rn. 24; aA BVerfGE 94, 315 (332); 118, 124 (134), vgl. aber auch BVerfGE 109, 13 (27)). Bloß bilateral geltendes Gewohnheitsrecht wird indes von Art. 25 nicht erfasst, da es ein konsensuales Arrangement zwischen zwei Staaten darstellt und es ihm an der „Allgemeinheit“ fehlt (BK/Tomuschat Art. 25 Rn. 22; v. Münch/Kunig/Aust Art. 25 Rn. 29). Nicht maßgebend ist, dass gerade die Bundesrepublik Deutschland die allg. Regel positiv anerkannt hat (BVerfGE 117, 141 (148 f.); 118, 124 (134); Sachs/Streinz Art. 25 Rn. 25). Darin unterscheidet sich Art. 25 GG von der Vorgängernorm des Art. 4 WRV, der nur die vom Deutschen Reich anerkannten Völkergewohnheitsrechtssätze betraf (BVerfGE 15, 25 (34); 16, 27 (33); vgl. auch JöR 1 [1951], 232 ff.). Deshalb können Völkerrechtsregeln heute – zumindest theoretisch – ohne oder sogar gegen den Willen der Bundesrepublik gem. Art. 25 S. 1 Teil des Bundesrechts werden (BK/Tomuschat Art. 25 Rn. 54; aA Jarass/Pieroth/Jarass Art. 25 Rn. 7). Die Sorge, dass dadurch „verfassungswidrigen internationalen Werten“ der Weg in die deutsche Rechtsordnung eröffnet würde (so Sachs/Streinz Art. 25 Rn. 24), ist unbegründet. Gegen den Willen einer ganzen Staatengruppe, etwa der europäischen Staaten, entstehen keine völkergewohnheitsrechtlichen Normen. Außerdem ist das Risiko, dass das allg. Völkerrecht illegitime Normen produziert, schon angesichts seiner langwierigen und prozesshaften Genese, die jeglichen Zeitgeist unbeachtet lässt, äußerst gering (zutr. BK/Tomuschat Art. 25 Rn. 3, 54).

III. Rechtsfolgen nach Art. 25 S. 1

Aus Art. 25 S. 1 folgt die verfassungsrechtliche Pflicht, die allg. Regeln des Völkerrechts zu beachten. Dies bedeutet zum einen, dass alle deutschen Staatsorgane verpflichtet sind, die allg. Völkerrechtsnormen zu befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit zu unterlassen (BVerfGE 46, 342 (362 f.); 75, 1 (18 f.)). Zum anderen hat der Gesetzgeber für die deutsche Rechtsordnung zu garantieren, dass durch eigene Staatsorgane begangene Völkerrechtsverstöße korrigiert werden können (BVerfGE 112, 1 (24); SHH/Hillgruber Art. 25 Rn. 14). Ferner können deutsche Staatsorgane unter bestimmten Bedingungen verpflichtet sein, das Völkerrecht im eigenen Verantwortungsbereich zur Geltung zu bringen, wenn dritte Staaten es verletzen (BVerfGE 112, 1 (24, 26); BVerwGE 170, 345 (356 ff.)). Die deutschen Staatsorgane dürfen an völkerrechtswidrigen Handlungen nichtdeutscher Hoheitsträger nicht entscheidend mitwirken; auch müssen sie alles unterlassen, was einer völkerrechtswidrigen Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger im Geltungsbereich des GG Wirksamkeit verschafft (BVerfGE 63, 332 (337); 75, 1 (18 f.); 109, 38 (52)). Deshalb muss die deutsche Staatsgewalt in den Grenzen ihrer Jurisdiktionsgewalt jedenfalls die Auswirkungen von Akten fremder Staatsgewalt, die zwingende Normen des Völkerrechts verletzen, so zu mildern suchen, dass ein „Zustand näher am Völkerrecht“ erreicht wird (BVerfGE 112, 1 (27 ff.); vgl. auch Schmahl JdF 2005, 290 (299)). Das BVerwG nimmt gar eine grundrechtliche Schutzpflicht des deutschen Staates auch gegenüber im Ausland lebenden Ausländern und im Fall von völkerrechtswidrigen Grundrechtsbeeinträchtigungen durch Drittstaaten an, wenn ein qualifizierter Bezug zum deutschen Staatsgebiet (etwa durch Truppenstationierung in Deutschland) vorliegt und konkret zu erwarten ist, dass es auch künftig zu vergleichbaren völkerrechtswidrigen Handlungen des Drittstaates kommen wird (BVerwGE 170, 345 (357)); krit. Erdmann DÖV 2022, 325 (331 ff.)). Allerdings legt das BVerwG den außenpolitischen Gestaltungsspielraum der BReg insoweit extensiv aus; Konsultationen mit dem Drittstaat hält es für ausreichend (BVerwGE 170, 345 (375 ff.); krit. Payandeh/Sauer NJW 2021, 1570 (1572 ff.); Gött DÖV 2022, 616 (619 ff.); zu den Entscheidungen der Vorinstanzen vgl. Giegerich ZEuS 2019, 601; Aust JZ 2020, 303).

Die allg. Regeln des Völkerrechts gelten innerstaatlich mit dem Inhalt und der Tragweite, die ihnen auch im Völkerrecht zukommen (BVerfGE 15, 25 (31 f.); 41, 126 (160)). Sie können aber nur insoweit Geltung beanspruchen, als sie nicht im Verhältnis zu bestimmten Staaten durch völkervertragliche Vereinbarungen abbedungen sind (BVerfGE 16, 276 (281 f.); 18, 441 (448)). Eine Ausnahme besteht nur für das der Disposition der Staaten entzogene zwingende Völkerrecht (jus cogens). Dies sind völkergewohnheitsrechtlich geltende Normen, die die internationale Staatengemeinschaft als unabdingbar anerkannt hat (Art. 53 WVK), wie etwa das Völkermord- und das Folterverbot; im Einzelnen ist der Standard des jus cogens jedoch nicht gesichert (vgl. BVerfGE 112, 1 (27 f.); BeckOK GG/Heintschel v. Heinegg/Frau Art. 25 Rn. 10). Diese zwingenden Normen gelten innerstaatlich selbst dann nach Art. 25 S. 1 weiter, wenn ihre Geltung (unwirksam) vertraglich ausgeschlossen würde (SHH/Hillgruber Art. 25 Rn. 15; Jarass/Pieroth/Jarass Art. 25 Rn. 9).

Nach Art. 25 S. 1 finden die allg. Regeln des Völkerrechts über den in dieser Norm festgelegten generellen Rechtsanwendungsbefehl (Rn. 2) unmittelbar Eingang in die deutsche Rechtsordnung und gelten als Bestandteil des Bundesrechts, und zwar mit Vorrang vor dem einfachen Recht (Art. 25 S. 2; Rn. 12). Behörden und Gerichte sind deshalb daran gehindert, innerstaatliches Recht in einer Weise auszulegen und anzuwenden, die die allg. Regeln des Völkerrechts verletzt (BVerfGE 75, 1 (18 f.); 59, 280 (283); 63, 332 (337 f.); HStR XI/Tomuschat § 226 Rn. 36). Das dem GG nachrangige Bundes- oder Landesrecht (einschließlich des Landesverfassungsrechts), das den allg. Völkerrechtsregeln widerspricht, wird im Kollisionsfall in der Anwendung verdrängt, sofern es nicht völkerrechtskonform ausgelegt werden kann (BVerfGE 23, 288 (316); 109, 38 (52)). Militärische Befehle, die gegen allg. Regeln des Völkerrechts verstoßen, sind rechtswidrig. Sie sind jedoch nur in Evidenzfällen (zB bei offensichtlich schweren Verletzungen der Genfer Konventionen von 1949) unverbindlich, da ansonsten die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr erheblich beeinträchtigt werden würde (aA BVerwGE 127, 302 (316 f.)). Hier geht die institutionelle Garantie funktionsfähiger Streitkräfte nach Art. 87a I 1 grds. vor (zutr. SHH/Hillgruber Art. 25 Rn. 17). Auf intraföderale Rechtsbeziehungen zwischen Bund und Ländern findet Art. 25 keine Anwendung (BVerfGE 34, 216 (231 f.); HStR XI/Cremer § 235 Rn. 9).

IV. Rechtsfolgen nach Art. 25 S. 2

Gem. Art. 25 S. 2 Hs. 2 erzeugen die allg. Regeln des Völkerrechts Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes. Die Eigenschaft „Bewohner des Bundesgebietes“ hängt nicht vom wohnsitzrechtlichen Status, sondern nur davon ab, dass jemand der Geltung der deutschen Rechtsordnung unterworfen ist (DHS/Herdegen Art. 25 Rn. 93 f.; einschränkend Umbach/Clemens/Hofmann Art. 25 Rn. 24). Art. 1 II und III, wonach die deutsche Hoheitsgewalt auch extraterritorial an Grund- und Menschenrechte gebunden ist (BVerfGE 154, 152 (215 ff.); Art. 24 Rn. 23), unterstützen diese Auslegung.

Die Begründung von Individualrechten und -pflichten iSd Art. 25 S. 2, die historisch mit dem Rückbezug auf den Kernbestand int. Menschenrechtsgarantien und die sog. Nürnberger Prinzipien erklärbar sind (v. Arnauld VölkerR, Rn. 522), birgt dogmatische Probleme. Völkerrechtsnormen, die staatsgerichtet sind, vermögen keine Rechte und Pflichten für Individuen zu erzeugen. Nach der Rspr. des BVerfG (BVerfGE 46, 342 (363); 62, 343 (373 f.)) ergibt sich grds. für die allg. Völkerrechtsregeln mit deren Einbeziehung in das Bundesrecht kein Bedeutungszuwachs oder Adressatenwechsel. So kann die Immunität fremder Staaten vor deutschen Hoheitsakten nur diesen selbst zustehen, und nur die deutschen Hoheitsträger sind zur Beachtung dieser Regel des Völkerrechts verpflichtet (Sachs/Streinz Art. 25 Rn. 55). Für solche Normen ist deshalb nur Art. 25 S. 1, nicht aber S. 2 bedeutsam (MKS/Koenig/König Art. 25 Rn. 59 f.). Für die Regeln, die bereits auf völkerrechtlicher Ebene das Individuum zum Rechtsträger erklären, hat Art. 25 S. 2 angesichts der Akzessorietät der innerstaatlichen Geltung von allg. Normen des Völkerrechts lediglich deklaratorische Bedeutung (BeckOK GG/Heintschel v. Heinegg/Frau Art. 25 Rn. 33). Ob und ggf. in welchem Umfang es solche Regeln im Völkergewohnheitsrecht – nicht im Völkervertragsrecht, für dieses gilt Art. 25 gerade nicht! – gibt, ist nicht geklärt (restriktiv SHH/Hillgruber Art. 25 Rn. 20). Jedenfalls zu den individualgerichteten Regeln dürfte aber der völkerrechtliche Mindeststandard an elementarer Verfahrensgerechtigkeit einschl. der habeas corpus-Rechte zählen (BVerfGE 60, 253 (303 f.); Sachs/Streinz Art. 25 Rn. 70). Von konstitutiver Wirkung ist Art. 25 S. 2 hingegen für staatsgerichtete Normen, die ihrem Inhalt nach für eine individuelle Inanspruchnahme geeignet sind (MKS/Koenig/König Art. 25 Rn. 59 f.; aA BeckOK GG/Heintschel v. Heinegg/Frau Art. 25 Rn. 34 f.), ohne dass sie bereits dem Individuum eine Rechtsposition zusprechen, wie etwa das Recht, ein fremdes Küstenmeer friedlich zu durchfahren (Sachs/Streinz Art. 25 Rn. 84), nicht aber das Verbot des Angriffskrieges, das wegen der Intention des Völkerrechts nicht individualisiert werden kann (BVerfG [K] NVwZ 2018, 1224 (1226); Schorkopf, StaatsR int. Beziehungen, 162 f.; offengelassen in BVerwGE 154, 328 (347); aA JöR 1 [1951], 230). Die (wenigen) zur Individualberechtigung oder -verpflichtung grds. geeigneten völkerrechtlichen Normen erfahren durch Art. 25 einen „Adressatenzuwachs“; neben die deutschen Staatsorgane tritt als weiterer Berechtigter oder Verpflichteter der Einzelne (enger Doehring, Die allg. Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts, 1963, 153 f.: „Adressatenwechsel“; wie hier nunmehr auch BVerwGE 154, 328 (341 f.); krit. Sachs/Streinz Art. 25 Rn. 47). Voraussetzung hierfür ist jedoch die hinreichende Bestimmtheit der Norm und ihre inhaltliche Übertragbarkeit auf das Individuum (SHH/Hillgruber Art. 25 Rn. 21). Derartigen ungeschriebenen Völkerrechtsnormen verleiht Art. 25 S. 1 objektive Geltung, und Art. 25 S. 2 spricht ihnen subjektive Wirkung zu (Proelß VölkerR/Kunig/Uerpmann-Wittzack Abschn. 2 Rn. 153 f.).

V. Rangverhältnis zum deutschen Recht

Nicht eindeutig geklärt ist der Rang, den Art. 25 den allg. Regeln des Völkerrechts innerhalb der deutschen Rechtsordnung zuweist. Vertreten werden Lösungen, die von einem Rang zwischen einfachem Bundesrecht und Verfassungsrecht (DHS/Herdegen Art. 25 Rn. 78; BK/Tomuschat Art. 25 Rn. 86) über einen Verfassungsrang (Sachs/Streinz Art. 25 Rn. 90; MKS/Koenig/König Art. 25 Rn. 55) bis hin zu Überverfassungsrang (jedenfalls für zwingendes Völkergewohnheitsrecht: Dreier/Pernice, 2. Aufl. 2006, Art. 25 Rn. 25 f.; Friauf/Höfling/Hobe Art. 25 Rn. 33) reichen. Das BVerfG befürwortet einen Rang zwischen einfachem Bundesrecht und GG (BVerfGE 6, 309 (363); 37, 271 (279); 111, 307 (318); 112, 1 (24); 141, 1 (17); BVerfG EuGRZ 2016, 668 (678)). Wiewohl der Wortlaut von Art. 25 auch einen Überverfassungsrang tragen würde – zu den Gesetzen könnte auch das GG zählen –, und obgleich auch der Verfassunggeber eindeutig für einen Überverfassungsrang plädierte (vgl. JöR 1 [1951], 235), sprechen die besseren Gründe für einen Zwischenrang (so auch SHH/Hillgruber Art. 25 Rn. 11 f.; BeckOK GG/Heintschel v. Heinegg/Frau Art. 25 Rn. 27; aA HStR XI/Cremer § 235 Rn. 27). Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass das GG sich selbst unter den Vorbehalt seiner Nichtkollision mit allg. Völkerrecht stellen würde. Art. 25 fordert nicht, dass das GG in seiner Völkerrechtsfreundlichkeit so weit zu gehen habe, sich selbst in Frage zu stellen (BVerfGE 111, 307 (318 f.); 112, 1 (25 f.), BK/Tomuschat Art. 25 Rn. 92). Auch Art. 100 II befasst sich nur mit der Prüfung der Frage, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist; eine Kontrolle darüber, ob eine Bestimmung des GG selbst dem Völkerrecht entspricht, ist nicht erwähnt (HStR VII/Steinberger, 1. Aufl. 1992, § 173 Rn. 58, 79). Hinzu kommt, dass in Art. 79 I für Verfassungsänderungen auch Textänderungen im GG selbst verlangt werden (v. Münch/Kunig/Aust Art. 25 Rn. 46, 49).

VI. Rechtsschutzfragen

Art. 25 zählt weder zu den Grundrechten noch zu den grundrechtsgleichen Rechten, deren Verletzung nach Art. 93 I Nr. 4a geltend gemacht werden könnte (BVerfGE 6, 389 (440); 18, 441 (451)). Allerdings kann die Missachtung des verfassungsunmittelbaren Rechtanwendungsbefehls aus Art. 25 einen Verstoß gegen objektiv geltendes Verfassungsrecht begründen (BVerfGE 46, 342 (363)). Dieser Verstoß kann, soweit die verletzte allg. Regel des Völkerrechts ihrem Inhalt nach auch auf Individuen angewandt werden kann, gestützt auf ein spezielles Freiheitsrecht oder subsidiär auf Art. 2 I iVm Art. 25 S. 2, im Verfassungsbeschwerdeverfahren als Grundrechtsverstoß geltend gemacht werden (BVerfGE 18, 441 (448); 23, 288 (300); 27, 253 (274); 64, 135 (157); 74, 102 (128); vgl. auch BVerwGE 170, 345 (360)). Bundesgesetze oder Gerichtsentscheidungen, die mit einer allg. Regel des Völkerrechts kollidieren, vermögen die durch Art. 2 I gewährleistete allg. Freiheit des Einzelnen nicht wirksam zu beschränken (BVerfGE 95, 96 (128); 96, 68 (96)). Die mittelbare Rügefähigkeit der Verletzung allg. Völkerrechtsregeln über Art. 2 I ist nach jüngerer Rspr. des BVerfG sogar nicht mehr auf individualschützende Regelungen begrenzt (so noch BVerfGE 66, 39 (64)), wenn es um Konstellationen geht, in denen völkerrechtliche Regelungen einen engen Bezug zu gewichtigen individuellen Rechtsgütern aufweisen (BVerfGE 112, 1 (22)).

Neben dem Verfassungsbeschwerdeverfahren dient die Völkerrechtsverifikation gem. Art. 100 II dem Ziel, Verstöße gegen allg. Völkerrechtsregeln durch deutsche Gerichte zu verhindern oder zu beseitigen. Auf die Vorlage eines Fachgerichts kann das BVerfG Bestand, Inhalt und Reichweite zweifelhafter Regeln des allg. Völkerrechts für die deutsche Staatsgewalt verbindlich klären (BVerfGE 23, 288 (317); 46, 342 (360); 118, 124 (132 f.)); zu einer Weiterentwicklung des Völkerrechts ist das BVerfG aber nicht befugt (BVerfG EuGRZ 2013, 563 (Rn. 51); BVerfG [K] NJW 2012, 293 (295)). Unterlässt das Fachgericht trotz ernstzunehmender Zweifel an einer anzuwendenden allg. Regel des Völkerrechts die Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 II, so ist gegen seine Entscheidung die Verfassungsbeschwerde wegen einer Verletzung des Art. 101 I 2 zulässig (BVerfGE 109, 13 (22 f.); 109, 38 (49 f.); Sachs/Streinz Art. 25 Rn. 96). Begründet ist die Verfassungsbeschwerde jedoch nur, wenn die Entscheidung des Gerichts auf dieser Rechtsverletzung beruht, die Regel also nicht den in der angefochtenen Entscheidung angenommenen Inhalt hat (BVerfGE 64, 1 (21); 96, 68 (77 f.); 109, 13 (22)). Bei Eindeutigkeit ist es den Fachgerichten aber nicht verwehrt, die allg. Völkerrechtsregel selbst auszulegen und anzuwenden (BVerfG [K] NJW 2012, 293 (294 f.)); es besteht kein Völkerrechtsmonopol des BVerfG (Hömig/Wolff/Wolff Art. 25 Rn. 6).

VII. Einzelfälle aus der Rechtsprechungspraxis

1. Völkerrechtliche Immunitäten

Das Völkergewohnheitsrecht kennt verschiedene Arten der Immunitäten (vgl. BVerfGE 96, 68 (85 f., 90 f.)), die jew. über Art. 25 S. 1 Teil des Bundesrechts sind. So genießen ausländische Staaten im gerichtlichen Erkenntnisverfahren Immunität. Die Staatenpraxis erkennt den Umfang der Staatenimmunität jedoch nur in einem sachlich begrenzten Rahmen an. Sie unterscheidet dabei zwischen hoheitlichem Handeln (acta jura imperii), für das die Staaten uneingeschränkte Immunität genießen, und nichthoheitlicher Betätigung (acta jure gestionis), die der Immunität nicht unterfällt (BVerfGE 16, 27 (33); 46, 342 (364); 64, 1 (44)). Die Qualifikation der Staatstätigkeit wird grds. nach dem nationalen Recht des Gerichts vorgenommen, das über die Immunität des ausländischen Staates zu entscheiden hat (lex fori). Hierbei ist die objektive Natur der staatlichen Handlung maßgebend (BVerfGE 16, 27 (61 f.)). Allerdings sind die Gerichte bei der Abgrenzung insoweit völkerrechtlich gebunden, als Tätigkeitsfelder, die nach überwiegender Ansicht der Staatengemeinschaft zur Staatsgewalt im eigentlichen Sinne gehören, nicht aus dem Bereich der acta jure imperii herausgenommen werden dürfen (BVerfGE 16, 27 (34 ff.); 46, 342 (393 f.); 61, 1 (42)). Nicht zu den hoheitlichen Tätigkeiten iSd völkerrechtlichen Immunitätsrechts gehört indes die Spionage in Friedenszeiten. Es besteht keine allg. Regel des Völkerrechts, nach der ein von Spionage betroffener Staat durch die Grundsätze der Staatenimmunität an der Strafverfolgung von Spionen gehindert wäre (BVerfGE 92, 277 (321); näher Dietrich u. a., Nachrichtendienste im demokratischen Rechtsstaat/Schmahl, 2018, 21 ff. mwN). Die im US-amerikanischen Recht geläufige „act of state“-Doktrin ist ebenfalls keine allg. Regel des Völkerrechts (BVerfGE 95, 96 (129)).

Ein Titel, der in Bezug auf nichthoheitliches Handeln eines ausländischen Staates ergangen ist, darf nicht in hoheitlichen Zwecken dienendes Vermögen dieses Staates vollstreckt werden. Vermögen ausländischer Staaten, das nicht der Wahrnehmung hoheitlicher Funktionen dient, unterliegt hingegen nicht der Vollstreckungsimmunität (BVerfGE 46, 342 (364); 61, 1 (42); BVerfG [K] NJW 2012, 293 (295); EGMR EuGRZ 2011, 374 (377 f.)). Eine völkergewohnheitsrechtliche Verankerung der Erstreckung eines pauschalen Immunitätsverzichts auch auf solche hoheitlichen Vermögenswerte, die der Funktionsfähigkeit einer diplomatischen Mission dienen, ist nicht erkennbar (BVerfGE 117, 141 (151 f.)).

In jüngerer Zeit besteht eine Tendenz zur Durchbrechung der Staatenimmunität – vor allem in Erkenntnisverfahren – bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen (LG Livadeia RHDI 50 [1997], 595; Corte di Cassazione RDI 87 [2004], 539 (542)), die sich sogar rückwirkend auf die Zeit des 2. Weltkrieges erstrecken soll. Der BGH (BGHZ 155, 279 (282 ff.)), das BVerfG (NJW 2006, 2542 (2543)), das Oberste Sondergericht Griechenlands (RHDI 56 [2003], 199) und auch der EuGH (Slg. 2007, I-1519) haben dieser Ansicht jedoch zu Recht die Gefolgschaft versagt. Auf eine diesbezügliche Klage Deutschlands gegen Italien hat der IGH mit Urteil vom 3.2.2012 („Jurisdictional Immunities of the State“) völkerrechtlich verbindlich geklärt, dass eine Durchbrechung der Staatenimmunität wegen Menschenrechtsverbrechen nicht in Betracht kommt (vgl. IGH ICJ Rep. 2012, 99 (Rn. 52 ff.)). Die daraufhin völkerrechtsgemäße gesetzliche Umsetzung dieses Urteils in Italien hat das italienische Verfassungsgericht indes für verfassungswidrig erklärt und damit (erneut) den Weg für Klagen vor italienischen Gerichten gegen Deutschland eröffnet, die in den 2. Weltkrieg zurückreichen und die Immunität Deutschlands negieren (vgl. Corte Costituzionale, Urt. v. 22.10.2014, Nr. 238, G. U. 1, Serie Speciale 2014, Anno 155, Nr. 45; zu Recht krit. Oellers-Frahm EuGRZ 2015, 8; aA Fischer-Lescano KJ 48 [2015], 210). Wegen neuerlicher Entschädigungsforderungen für NS-Kriegsverbrechen und drohender Zwangsmaßnahmen gegen deutsches Staatseigentum in Italien hat Deutschland 2022 abermals Klage gegen Italien vor dem IGH erhoben (vgl. IGH, „Questions of Jurisdictional Immunities of the State and Measures of Constraint against State-owned Property“).

Es besteht auch eine allg. Regel des Völkergewohnheitsrechts, dass amtierende Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Außenminister (sog. „big three“) vollständige Immunität in allen rechtlichen Fragen auf dem Gebiet eines anderen Staates genießen. Diese Immunität dient vor allem dem Zweck, keine Umgehungen der Staatenimmunität dadurch zuzulassen, dass Amtsträger, die eine herausgehobene Repräsentationsfunktion innehaben, anstelle des Staates verklagt werden (v. Münch/Kunig/Aust Art. 25 Rn. 68). Sie sind bei Auslandsaufenthalten von jeder fremden Staatsgewalt befreit und damit auch vor ausländischer Gerichtsbarkeit geschützt (BGHSt 33, 97 (98); OLG Köln NStZ 2000, 667). Daher ist die Ladung eines ausländischen Ministers vor ein deutsches Gericht unzulässig (BVerwG NJW 1989, 678 (679)). Allerdings endet die Amtsträgerimmunität mit dem Untergang des Staates, da insoweit der Schutzzweck entfällt (BVerfGE 95, 96 (129)). Weitere Ausnahmen von der Amtsträgerimmunität werden für Fälle diskutiert, in denen Staats- und Regierungschefs sowie Außenministern Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder sonstige schwerwiegende Verstöße gegen zwingendes Völkerrecht vorgeworfen wird (vgl. nur Sachs/Streinz Art. 25 Rn. 55b mwN). Für amtierende Repräsentanten werden derartige Immunitätsbeschränkungen von nationalen und int. Gerichten bisher aber abgelehnt (Cour de Cassation RUDH 2002, 465; EGMR EuGRZ 2002, 403; IGH EuGRZ 2003, 563); lediglich bei nicht mehr amtierenden Repräsentanten wird ein Wegfall der Immunität angenommen (House of Lords, ex parte Pinochet HRLJ 20 [1999], 61). Private Handlungen des Amtsträgers (auch solche, die aus seiner Amtszeit stammen), können nach Ablauf der Amtszeit straf- und zivilrechtlich verfolgt werden. Keine Immunität besteht aber in Bezug auf die int. Strafgerichtsbarkeit (vgl. Art. IV Völkermordkonvention; Art. 27 IStrGH-Statut). Keine Immunität hat der BGH auch für Kriegsverbrechen zuerkannt, wenn die Taten von einem ausländischen nachrangigen Hoheitsträger in Ausübung seiner hoheitlichen Tätigkeit im Ausland zum Nachteil von nicht inländischen Personen begangen wurden (BGHSt 65, 286 (300 f.); zust. Kreß NJW 2021, 1335).

Auch ausländische Diplomaten- und Konsularbeamte genießen neben den einschlägigen vertraglichen Regelungen (Art. 22–41 WÜD; Art. 28–68 WÜK) völkergewohnheitsrechtlich Immunität. Diese begründet jedoch kein subjektives Recht iSv Art. 25 S. 2, sondern besteht im Interesse des Entsendestaats und ist lediglich nach Art. 25 S. 1 zu beachten (Sachs/Streinz Art. 25 Rn. 79; Rn. 11). Daher kann die Immunität des Diplomaten für amtliches Handeln zwar das Amt, nicht aber die Existenz des Staates überdauern (BVerfGE 95, 96 (129); Rn. 18). Da die diplomatische Immunität keine erga omnes-Wirkung entfaltet, gilt dies erst recht im Verhältnis zu Drittstaaten. Es gibt keine allg. Völkerrechtsregel, die die Bundesrepublik verpflichtete, die fortwirkende Immunität eines ehemals in der DDR akkreditierten Diplomaten aus Gründen der Staatennachfolge zu beachten, wenn sie bereits vor der Wiedervereinigung zu dessen Strafverfolgung befugt gewesen wäre (BVerfGE 96, 68 (78 f., 86 ff.)).

2. Entschädigung für völkerrechtswidriges Verhalten

Es besteht keine allg. Regel des Völkerrechts, wonach der besetzte Staat unabhängig von der innerstaatlichen Rechtslage verpflichtet ist, für die durch die Besetzung seines Gebietes den Bewohnern verursachten Schäden einzustehen (BVerfGE 27, 253 (273 f.); 41, 126 (160)). Die Bundesrepublik Deutschland war auch nicht aufgrund des allg. Völkerrechts verpflichtet, besatzungsrechtliche Konfiskationen nach der Wiedervereinigung für nichtig zu erklären. Dies gilt nach der Rspr. des BVerfG selbst für den Fall, dass die entschädigungslosen Enteignungen gegen zwingendes Völkerrecht verstießen. Hier bestehe lediglich eine Pflicht, mit anderen Staaten erfolgsbezogen zusammenzuarbeiten, um einen „Zustand näher am Völkerrecht“ herbeizuführen (Rn. 7); diese Pflicht habe die Bundesrepublik mit der friedlichen Herbeiführung der Wiedervereinigung, die offenbar nur bei einem Nachgeben in der Konfiskationsfrage zu erzielen war, erfüllt (BVerfGE 112, 1 (28 ff.).

Es gibt keinen Rechtssatz des allg. Völkerrechts, nach dem Ausländer Ansprüche, die auf völkerrechtswidrigen Kriegsereignissen beruhen – wie etwa Entschädigungsansprüche für in Deutschland geleistete Zwangsarbeit –, individuell durchsetzen können müssen (BVerfGE 94, 315 (328); vgl. auch BGHZ 169, 348 ff.). Solche Ansprüche sind idR auf der zwischenstaatlichen Ebene im Wege des diplomatischen Schutzes durch den Heimatstaat geltend zu machen (BVerfG EuGRZ 2013, 563 (Rn. 41 ff.); Raap NVwZ 2013, 552 f.). Der das Völkerrecht verletzende Staat ist aber nicht gehindert, der verletzten Person aufgrund des eigenen nationalen Rechts Ansprüche zu gewähren (BVerfGE 94, 315 (329 f.); vgl. auch BVerfG [K] NJW 2006, 2542 (2543 f.); BGHZ 212, 173 ((180)). In Deutschland kommt hierfür grds. der Amtshaftungsanspruch gem. § 839 BGB iVm Art. 34 GG in Betracht (BVerfG [K] NJW 2021, 2108 (2110 f.); vgl. bereits Schmahl ZaöRV 66 [2006], 699 (707 ff.); Dutta AöR 133 [2008], 191 (209 ff.); Schmahl NJW 2017, 128 (130 f.); Starski/Beinlich JöR 66 [2018] 299 (303 ff.); Sauer DÖV 2019, 714 (720 ff.); offen gelassen noch in BVerfG EuGRZ 2013, 563 (Rn. 52); BGHZ 169, 348 (358); aA BGHZ 212, 173 (184 f.)).

3. Auslieferung

In Auslieferungsverfahren müssen die deutschen Gerichte prüfen, ob die Auslieferung mit dem nach Art. 25 in Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und dem deutschen ordre public vereinbar ist (BVerfGE 63, 332 (337 f.); 108, 129 (136); 113, 154 (162); BVerfG [K] EuGRZ 2010, 256 (257); Sachs/Streinz Art. 25 Rn. 62 ff.; SHH/Hillgruber Art. 25 Rn. 37). Dagegen verstößt eine Rechtshilfehandlung, mit der der ersuchte Staat dazu beitragen würde, dass der Ausgelieferte der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen oder Strafen ausgesetzt wird (BVerfGE 75, 1 (16 f.); 108, 129 (136 f.); 113, 154 (162); BVerfG [K] BeckRS 2019, 32770 (Rn. 554 ff.); vgl. auch EGMR EuGRZ 1989, 314; NVwZ 1997, 1093). Die dem Auszuliefernden drohende Todesstrafe im ersuchenden Staat ist jedoch für sich allein noch kein völkerrechtlich anerkanntes Auslieferungshindernis (BVerfGE 18, 112 (119 ff.), offengelassen in BVerfGE 60, 348 (354)). Allerdings besteht nach jüngerer Rspr. des BVerfG ein Verbot der Auslieferung in Staaten, in denen dem Beschuldigten die unmenschliche Vollstreckung der (an sich zulässigen) Todesstrafe droht (BVerfGE 108, 129 (136 f.); vgl. auch UN-MRA, UN-Dok. CCPR/C/78/D/829/1998). Anderes gilt nur, wenn die Bundesrepublik durch Abschluss eines Auslieferungsvertrags mit dem betr. Staat zum Ausdruck gebracht hat, dass ihrer Ansicht nach die Auslieferung keinen prinzipiellen Bedenken begegnet. Dann muss der Betroffene konkrete Anhaltspunkte dafür vortragen, dass ihm eine völkerrechtswidrige Behandlung droht (BVerfGE 108, 129 (139 ff.); 109, 13 (35 f.)). Demgegenüber gibt es keine allg. Völkerrechtsregel, wonach eine Auslieferung verboten ist, wenn eine lebenslange Freiheitsstrafe ohne Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung droht (BVerfGE 113, 154 (162 f.); s. aber BVerfG [K] EuGRZ 2010, 256 (258), wonach es zumindest ein Gnadenverfahren geben muss). Auch ist es nicht verboten, dem Auslieferungsersuchen eines Staates hinsichtlich einer Person zu entsprechen, die aus ihrem Heimatstaat mit List in den ersuchenden Staat gelockt wird (BVerfGE 109, 13 (27 f.)).

4. Sonstiges

Ein zwischenstaatliches Gebot des ne bis in idem ist aus dem allg. universellen Völkerrecht nicht ersichtlich (BVerfGE 75, 1 (23 f.); BVerfG [K] NJW 2012, 1202 (1203)). Allerdings ist das zwischenstaatliche Verbot der Mehrfachbestrafung (Art. 50 GRCh) mittlerweile auf dem Weg zu einer Geltung als regionales europäisches Völkergewohnheitsrecht (SHH/Schmahl Art. 103 Rn. 91). Obgleich der Staatsnotstand ein völkergewohnheitsrechtlich anerkannter Rechtfertigungsgrund in einem Völkerrechtsverhältnis ist, ist eine allg. Völkerrechtsregel nicht feststellbar, die einen Staat gegenüber Privatpersonen berechtigt, die Erfüllung fälliger privatrechtlicher Zahlungsansprüche unter Berufung auf den wegen Zahlungsunfähigkeit erklärten Staatsnotstand zeitweise zu verweigern (BVerfGE 118, 124 (134 ff.)). Das völkerrechtliche Gewaltverbot, das nicht nur in Art. 2 Ziff. 4 SVN normiert (Art. 26 Rn. 2), sondern auch im Völkergewohnheitsrecht verankert ist (IGH ICJ Rep. 1986, 13, Rn. 187 ff.), wird durch Art. 25 in die deutsche Rechtsordnung eingeführt (BVerfGE 4, 157 (168); 104, 151 (213); 118, 244 (271); BVerwGE 131, 316 (341)). Im Verhältnis zu Art. 26, der das Gewaltverbot mit Verfassungsrang versieht (Art. 26 Rn. 1), hat Art. 25 nur dann eigenständige Bedeutung, wenn es um Verstöße gegen das Gewaltverbot geht, die nicht unter Art. 26 zu subsumieren sind (zutr. SHH/Hillgruber Art. 25 Rn. 41). Art. 25 GG iVm Art. 107 SRÜ kann nicht als verfassungsrechtliche Rechtsgrundlage für die im Rahmen der Operation Atalanta erfolgende militärische Bekämpfung der Seepiraterie im Golf von Aden herangezogen werden (vgl. aber Art. 24 Rn. 22). Für staatliche Abwehrhandlungen in Reaktion auf virtuelle Angriffe (sog. Cyberattacken) hat sich keine Ausnahme vom völkerrechtlichen Gewaltverbot im Rahmen allg. Regeln des Völkerrechts herausgebildet (Woltag, Cyber Warfare, 2014, 146 ff.; Schmahl BerDGIR 2016, 159 (168 ff.)). Ferner besteht keine allg. Völkerrechtsregel, wonach nukleare Waffen per se verboten sind (vgl. IGH ICJ Rep. 1996, 226 ff.). Dementsprechend lässt sich ein Anspruch auf Abzug der in Deutschland gelagerten Atomwaffen aus Art. 25, 26 nicht herleiten (BVerfG [K] NVwZ 2018, 1224 (1226)). Schließlich können bestimmte strukturelle Prinzipien der Völkerrechtsordnung eine allg. Regel des Völkerrechts darstellen; dies gilt etwa für den Grundsatz „pacta sunt servanda“ (BVerfG 141, 1 (20); v. Münch/Kunig/Aust Art. 25 Rn. 71).