Artikel 98 [Rechtsstellung der Richter]
(1) Die Rechtsstellung der Bundesrichter ist durch besonderes Bundesgesetz zu regeln.
(2) 1 Wenn ein Bundesrichter im Amte oder außerhalb des Amtes gegen die Grundsätze des Grundgesetzes oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes verstößt, so kann das Bundesverfassungsgericht mit Zweidrittelmehrheit auf Antrag des Bundestages anordnen, daß der Richter in ein anderes Amt oder in den Ruhestand zu versetzen ist. 2 Im Falle eines vorsätzlichen Verstoßes kann auf Entlassung erkannt werden.
(3) Die Rechtsstellung der Richter in den Ländern ist durch besondere Landesgesetze zu regeln, soweit Artikel 74 Abs. 1 Nr. 27 nichts anderes bestimmt.
(4) Die Länder können bestimmen, daß über die Anstellung der Richter in den Ländern der Landesjustizminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuß entscheidet.
(5) 1 Die Länder können für Landesrichter eine Absatz 2 entsprechende Regelung treffen. 2 Geltendes Landesverfassungsrecht bleibt unberührt. 3 Die Entscheidung über eine Richteranklage steht dem Bundesverfassungsgericht zu.
I. Allgemeines
Art. 98 macht Vorgaben zum Amts- und Dienstrecht der Berufsrichter des Bundes und der Länder. Hierdurch wird die besondere Stellung der „dritten Gewalt“ vor allem in Abgrenzung zum allg. Beamtenrecht zum Ausdruck gebracht (BVerfGE 26, 141 (154); 32, 199 (213)). Art. 98 I, III macht Vorgaben zur spezifischen Rechtsstellung der Richter. Während Art. 98 II selbst Rechtsgrundlage für das Verfahren der Richteranklage gegen Bundesrichter ist, ermöglicht Art. 98 V es den Ländern, für ein entspr. Verfahren gegen Landesrichter eine gesetzliche Grundlage zu schaffen. Ziel der in Art. 98 II und V vorgesehenen Richteranklageverfahren ist die Verteidigung der freiheitlichen Ordnung des GG (BVerfGE 28, 36 (48 f.)). Art. 98 II, V ist Ausdruck des Prinzips der wehrhaften Demokratie. Art. 98 IV ermächtigt die Länder zur Einrichtung von Richterwahlausschüssen.
II. Besondere Rechtsstellung der Richter
Art. 98 I normiert eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes hinsichtlich der Rechtsstellung der Bundesrichter und stellt somit eine Spezialregelung im Verhältnis zu Art. 73 I Nr. 8 dar (Sachs/Detterbeck Art. 98 Rn. 4). Darüber hinaus enthält Art. 98 I einen an den Gesetzgeber gerichteten Regelungsauftrag, der den Bund verpflichtet, die amts- und dienstrechtliche Stellung der Bundesrichter zu regeln. Der Bund ist diesem Auftrag mit dem Erlass des DRiG (neugefasst BGBl. 1972 I 713; zul. geänd. BGBl. 2023 I 389) nachgekommen.
Art. 98 III enthält einen entspr. an die Landesgesetzgeber gerichteten Regelungsauftrag, die Rechtsstellung ihrer Richter durch Landesgesetz zu regeln. Dieser Regelungsauftrag reicht allerdings nur so weit, als der Bund nicht auf der Grundlage seiner Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 I Nr. 27 etwas anderes bestimmt hat. Danach fällt die Regelung der Statusrechte und -pflichten der Richter in den Ländern – mit Ausnahme von Laufbahnen, Besoldung und Versorgung – in die konkurrierende Zuständigkeit des Bundes (Art. 74 Rn. 56 ff.). Aufgrund seiner Kompetenz, die bis zur Föderalismusreform des Jahres 2006 eine Rahmenkompetenz des Bundes gem. Art. 75 I Nr. 1 war, hat der Bund weitreichende Regelungen zum Status der Richter im DRiG getroffen, die sowohl für Berufsrichter des Bundes als auch der Länder gelten (§§ 2 f. DRiG). Der Regelungsspielraum der Länder in ihren jew. Richtergesetzen ist insoweit eingeengt, zumal Art. 74 I Nr. 27 nicht den Bereichen zugehört, die einer Abweichungsgesetzgebung der Länder offenstehen (Art. 74 Rn. 24 ff.).
Unter den Begriff des Richters in Art. 98 I, III fallen nur Berufsrichter. Ehrenamtliche Richter werden von Art. 98 ebenso wenig erfasst wie Staatsanwälte (BVerfGE 32, 199 (216 f.)). Rechtsstellung meint das gesamte Amts- und Dienstrecht der Richter, wie etwa die Regelung von Amtsstellung, Amtsbezeichnung (BVerfGE 38, 1 (8 f.)), Amtstracht (Dreier/Schulze-Fielitz Art. 98 Rn. 26; Jarass/Pieroth/Kment Art. 98 Rn. 1; offengelassen BVerwGE 67, 222 (230)), Ausbildung, Beförderung und Entlassung.
Art. 98 I, III verpflichtet Bund und Länder, die Rechtsstellung der Richter jew. in „besonderen“ Gesetzen zu regeln, was den eigenständigen Status der unabhängigen Richter in Abgrenzung zu den weisungsabhängigen Beamten betont (BVerfGE 26, 141 (154)). Art. 98 I, III untersagt daher nicht nur eine materiell-rechtliche Vereinheitlichung von Richter- und Beamtenrecht, sondern fordert auch eine formelle Trennung der Rechtsmaterien (Sachs/Detterbeck Art. 98 Rn. 6; Dreier/Schulze-Fielitz Art. 98 Rn. 28; v. Münch/Kunig/Meyer Art. 98 Rn. 5). Eine partielle Verweisung im DRiG auf Bestimmungen des allg. Beamtenrechts ist zulässig (BVerwGE 67, 222 (230)). Problematisch ist jedoch die Regelung der Besoldung von Richtern und Beamten, die gemeinsam, wenn auch nach unterschiedlichen Grundsätzen, im BBesG erfolgt. Das BVerfG hat dies zunächst für zulässig gehalten (BVerfGE 26, 141 (154 f.)), später offengelassen (BVerfGE 32, 199 (213)). Eine gesonderte Regelung in verschiedenen Gesetzen wird den verfassungsrechtlichen Vorgaben eher gerecht (Dreier/Schulze-Fielitz Art. 98 Rn. 28; Sachs/Detterbeck Art. 98 Rn. 6; aA MKS/Classen Art. 98 Rn. 6).
III. Richteranklage
Während Art. 98 II das Verfahren der Richteranklage gegen Bundesrichter vor dem BVerfG selbst regelt, ermächtigt Art. 98 V 1 die Länder, ein entspr. Verfahren gegen Landesrichter einzuführen. Auch bei einer Anklage von Landesrichtern nach Maßgabe des Landesrechts liegt die Entscheidung in solchen Verfahren gem. Art. 98 V 3 beim BVerfG.
Das Verfahren der Richteranklage regeln im Einzelnen die §§ 58 ff. BVerfGG. Art. 58 I BVerfGG verweist mit einigen Ausnahmen auf die Vorschriften der §§ 49–55 BVerfGG. Die Sachentscheidungsvoraussetzungen entsprechen deshalb im Wesentlichen denen der dort geregelten Präsidentenanklage (→ Art. 61). Die Verfahren unterscheiden sich hinsichtlich der Antragsberechtigung. Im Richteranklageverfahren gegen Bundesrichter ist gem. Art. 98 II GG, § 58 I BVerfGG allein der BTag antragsberechtigt. Entspr. ist im Verfahren gegen Landesrichter allein der jew. Landtag berechtigt, einen Antrag zu stellen (Art. 98 V, II GG, §§ 62, 58 I BVerfGG). Die Parlamente müssen sich in den Verfahren gem. § 58 IV BVerfGG (iVm § 62 BVerfGG) dabei jew. von einem Beauftragten vertreten lassen. Gegenstand der Richteranklage ist der Verstoß eines Richters gegen die Grundsätze des GG oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes im Amt oder außerhalb des Amtes (Art. 98 II bzw. Art. 98 V 1, II). Die Begriffe „Grundsätze des Grundgesetzes“ und „verfassungsmäßige Ordnung eines Landes“ entsprechen dem Begriff der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Bundes oder eines Landes“ in Art. 91 I (DHS/Hillgruber Art. 98 Rn. 35, 37; Art. 91 Rn. 4). Das Richteranklageverfahren ist gem. § 58 II iVm § 62 BVerfGG subsidiär. Erst nach Abschluss möglicher disziplinarischer und gerichtlicher Verfahren darf der BTag bzw. der Landtag den Beschluss zur Erhebung der Richteranklage fassen. Die Frist für eine Richteranklage beträgt gem. § 58 II 2 BVerfGG sechs Monate nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens, in dem der Richter sich des Verstoßes schuldig gemacht haben soll; im übrigen zwei Jahre seit dem Verstoß (§ 56 III iVm § 62 BVerfGG).
Eine Richteranklage ist begründet, wenn dem betreffenden Richter ein Verstoß gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes zur Last fällt. Der Richter wird dann in ein anderes Amt oder in den Ruhestand versetzt; bei einem vorsätzlichen Verstoß ist er zu entlassen (Art. 98 II bzw. Art. 98 V 1, II). Nach Art. 98 II 1 bedürfen solche Anordnungen einer 2/3 -Mehrheit im BVerfG. Hält das BVerfG eine Richteranklage für unbegründet, dh wird die 2/3-Mehrheit nicht erreicht, erkennt es auf Freispruch (§ 59 I iVm § 62 BVerfGG).
IV. Richterwahlausschüsse der Länder
Art. 98 IV ermächtigt die Länder, die Entscheidung über die Anstellung von Landesrichtern dem Landesjustizminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuss zu übertragen. Damit steht es ihnen frei, ein Art. 95 II entspr. Verfahren (Art. 95 Rn. 5) einzuführen. Hierdurch können die Länder verhindern, dass sie bei der Anstellung ihrer Richter Vorgaben des Bundes folgen müssen, die dieser aufgrund der Kompetenzzuweisung des Art. 74 I Nr. 27 treffen kann. Regelungen zur Richterwahl sind von der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes also nicht generell, sondern nur für den Fall ausgenommen, dass ein Land einen Richterwahlausschuss eingerichtet hat. Art. 98 IV kommt insofern eine Schutzfunktion zugunsten der Länder zu (BeckOK GG/Morgenthaler Art. 98 Rn. 18; MKS/Classen Art. 98 Rn. 13).
Darüber hinaus bewirkt Art. 98 IV aber auch eine Kompetenzbindung der Länder. Zwar sind die Länder – vorbehaltlich einer anderweitigen bundesrechtlichen Regelung nach Art. 74 I Nr. 27 – frei, das Verfahren zur Anstellung ihrer Richter in anderer Weise als durch Richterwahlausschüsse zu regeln, entscheiden sie sich jedoch für die Einrichtung eines Richterwahlausschusses, sind sie an die Vorgaben von Art. 98 IV gebunden (Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, 2006, 403; Ehlers, Verfassungsrechtliche Fragen der Richterwahl, 1998, 15 ff.; Mahrenholz NdsVBl. 2003, 225 (226)). Hat ein Land einen Richterwahlausschuss errichtet, darf dieser über die Anstellung von Landesrichtern nicht allein, sondern nur im Zusammenwirken mit dem zuständigen Landesminister entscheiden. Der Begriff des Landesjustizministers in Art. 98 IV ist dabei so zu verstehen, dass es sich um den für den jew. Gerichtszweig zuständigen Landesminister handelt, nicht notwendig um den landesrechtlich so bezeichneten Justizminister (DHS/Hillgruber Art. 98 Rn. 69).